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115.

Reue« bürg, Montag den 19. Juli 1999.

67. Jahrgang.

Hamburg, 17. Juli. Der Kaiser traf heute 8 Uhr 40 Min. hier ein und begab sich nach Hagen- becks Tiergarten, wo er am Hauptportal von Hagen- beck und seinen Söhnen empfangen wurde. Der Kaiser besichtigte die einzelnen Tiere des Tierparks, wohnte sodann im neuen Teil des Parks einer Vor­führung der Aethiopier bei und besichtigte zum Schluß die neue Straußenfarm. Um 1.20 mittags hat der Kaiser die Rückfahrt von Stellingen direkt nach Kiel angetreten. Vor den Terrassen des Tierparks sagte der Kaiser Hrn. Hagenbeck tatkräftige Unterstützung seiner Pläne zu. In Kiel traf der Käufer um 3 Uhr ein und begab sich sogleich an Bord der Hohenzollern".

Berlin. 17. Juli. Am Freitag und Samstag fanden längere Besprechungen zwischen dem Fürsten Bülow und dem Reichskanzler v. Bethmann- Hollweg statt. Man nimmt an, daß in diesen Gesprächen der scheidende Fürst seinem Nachfolger die Lage der auswärtigen Beziehungen des Reiches eingehend dargelegt hat.

Berlin, 17. Juli. Der deutsche Botschafter in Paris, Fürst Radolin, stattete gestern dem Fürsten Bülow einen Besuch ab, um ihm sein schmerzliches Bedauern über seinen Rücktritt auszusprechen und gleichzeitig den erneuten Ausdruck seiner hohen Ver­ehrung darzubringen. Fürst Radolin kehrt auf seinen Pariser Posten zurück. Fürst Bülow empfing in den letzten Tagen mehrere der hier ansässigen fremden Botschafter, darunter den Großbritannischen Bot­schafter Sir Goschen.

In gewissen Blättern wurde gesagt, daß der neue Reichskanzler Hr. v. Bethmann-Hollweg von irgend einem Vorfahren her ein wenig jüdisches Blut in den Adern hätte. Diese Meinung ist da­durch aufgekommen, daß es in Meyers Konversations- Lexikon von der Frankfurter Bankiersfamilie Beth- mann heißt, sie stamme aus den Niederlanden, von wo sie zur Zeit der Religionsverfolgungen vertrieben worden sei. DasBerliner Tagblatt", das immer zuerst an die Juden denkt, hat geglaubt, daß sich die niederländischen Religionsverfolgungen gegen die Juden gerichtet hätten, während es ja unter spanischer Herrschaft Kämpfe der Katholiken gegen die Refor­mierten waren. Der neue Reichskanzler ist über­haupt nach seiner väterlichen Abstammung kein Bethmann, sondern ein Hollweg aus einer alten Gießener Familie. Ein Vorfahr von ihm heiratete in die Familie Bethmann in Frankfurt, trat in das Bankhaus gleichen Namens als Teilhaber ein und nahm deshalb zu seinem eigenen Namen Hollweg den Namen Bethmann an. Die Bethmanns aber stammen nicht aus den Niederlanden, sondern sind Niedersachsen aus Goslar, wo" der erste Bethmann als Mitglied der christlichen Kirchengemeinde schon 1416 vorkommt und seine,Nachkommen Mitglieder der Kaufmannsgilde wMn. Später waren Beth­manns Münzmeister- un Nassauischen und dann Patrizier in Frankfurt am Main, wo namentlich Zer Bankier und Staatsrat Simon Moritz v. Bethmann die Familie zu hohem Glanz brachte. Vielleicht haben auch die Vornamen Simon Moritz, die sich weiter vererbten, Anteil an der falschen Annahme, daß ein Bethmann jüdisches Blut in die Familie Hollweg gebracht habe. Aber nicht nur Zer Vor­name Moritz (Moritz v. Sachsen, Moritz Arndt usw.), auch Simon war in christlich - germanischen Familien gebräuchlich, man denke nur an Simon Dach, der neben demAennchen von Tharau" viele geistliche Lieder verfaßt hat. Es ist also nichts mit dem jüdischen Reichskanzler, von dem auch fran­zösische Blätter und derVorwärts" gefaselt haben. Der neue Reichskanzler ist germanisches Vollblut, von mütterlicher wie von väterlicher Seite ein Ab­kommen alter deutscher Bürgerfamilien.

Berlin, 17. Juli. Fürst Bülow hat sich vor einigen Tagen von einem bekannten Berliner Pho­tographen in seinem Arbeitszimmer aufnehmen lassen. Das Bild stellt den Fürsten mit verschränkten Armen dar. Dieses letzte Bild des Reichskanzlers wird auf besonderen Wunsch des Kaisers vergrößert werden und im Arbeitszimmer des Monarchen Platz finden. Als Gegengabe hat der Kaiser dem Fürsten sein Bild mit einer persönlichen Widmung überreicht.

Berlin, 17. Juli. In einer vorwiegend von Studenten besuchten Versammlung sprach Professor Adolf Wagner über die wissenschaftlichen Streit­punkte der Reichsfinanzresorm. Er sagte unter anderem: Mit Ausnahme von einigen Außenseiten ist die deutsche Wissenschaft geschlossen für die Erbschaftssteuer eingetreten. Geradezu be­lustigend habe es gewirkt, wenn man bei der Erb­schaftssteuer von einer Störung des Familiensinns gesprochen habe. Unsere Vorfahren haben jahr- Hundertelang-Erbschaftssteuer erhoben und bei Todes­fällen keine Bedenken getragen, die letzte Kuh aus dem Stall zu holen. Zutreffende Gründe gegen die Erbschaftssteuer seien überhaupt nicht vorgebracht worden.

Nach einer Verfügung des Reichspostamts wird die Gebühr für die Abstempelung von Kartenbriefen, Postkarten, Briefumschlägen, Streif­bändern und sonstigen offenen, zur Versendung als Drucksachen bestimmten Karten mit dem Freimarken­stempel vom 1. August ab auf 3 50 ) für jedes

volle oder angefangene Tausend sestgesotzchoDM-

Berlsn, 16. Juli. Der Versuch mit Oel- besprengungen zur Bekämpfung des Straßen­staubes hatte ein so gutes Ergebnis, daß für den künftigen Sommer dasselbe Mittel allgemein für Asphalt- und Holzpflaster Anwendung finden wird.

Nachgemachte Ein- und Zweimarkstücke kursieren in Straßburg. Die Münzen fühlen sich sehr fettig an und sind ungenau geprägt. Die elfteren tragen die Jahreszahl 1^ und das Präge­zeichen 6, die letzteren das BMnis des deutschen Kaisers und die Jahreszahl 1905.

Landau a. d. Isar, 15. Juli. Auf der Lokal­bahn Landau-Arnsdorf lösten sich von einem Personenzug 4 mit Steinen beladene Wagen los und rasten mit furchtbarer Gewalt eine lange steile Strecke hinab. Ein Bremser hatte die Geistes­gegenwart, abzuspringen, wurde aber schwer verletzt. Die Wagen fuhren dann in Simbach in das Stationsgebäude hinein und rissen es um mehr als die Hälfte zusammen. Durch das Rasseln der Wagen und die Detonationen auf der Strecke wurden die auf dem Bahnhof Simbach arbeitenden Leute aufmerksam. Auch die im Stationsgebäude und in der Restauration sich befindenden und an den Lager­plätzen anwesenden Leute, sowie die'?dort haltenden Gefährte flüchteten, so daß ein größeres Unglück verhütet wurde. Der Materialschaden ist sehr groß.

Wie aus Ludwigshafen gemeldet wird, ist der Rhein fortwährend im Steigen begriffen und hat große Flächen überschwemmt. In Sonders­heim wird stündlich ein Dammbruch erwartet. In Germersheim ist der Rhein 80 cm gestiegen. Die Ernte in dieser Gegend ist zum größten Teil vernichtet.

Mannheim, 15. Juli. Die Maschinenfabrik von Heinrich Lanz lieferte gestern die 15 000. Lokomobile ab. Zwischen dem 10 000. Exemplar und dem jetzigen liegen nur 5 Jahre. Das gibt somit eine durchschnittliche Produktion von 1000 Stück pro Jahr.

Der ehemalige bekannte Tenorist Mierzwinski ist im Alter von 60 Jahren gestorben. Der ehe­mals Gefeierte, der um die Mitte der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts zu den begehrtesten und höchst bezahlten Tenoristen gehörte, ernährte sich zu­letzt notdürftig durch schlecht bezahlte Lektionen, nachdem er schon früher sogar eine Portierstelle in

Cannes bekleidet hatte. Er ist ein Opfer seiner un­bezähmbaren Spielleidenschaft geworden.

Ein tragisches Geschick ereilte eine Familie in Sosnowiece (Oberschlesien). Die Tochter sollte in 8 Tagen heiraten. Am Mittwoch kam die Nach­richt, daß der Bräutigam im Bade gestorben sei. Das Mädchen nahm Gift mit den Worten:Ich will mit ihm sterben." In 10 Minuten war es eine Leiche. Der 50jährige Vater erlitt angesichts der Leiche seines einzigen Kindes einen Herzschlag und starb auch.

Infolge des Erdbebens in der Provinz Elis sind in dem Dorfe Haveri 400 Häuser eingestürzt, etwa 30 Personen getötet und viele verletzt. Auch die benachbarten Ortschaften haben sehr gelitten. In Amalios sind sämtliche Häuser unbewohnbar geworden. In Pouhioti sind vulkanische Eruptionen erfolgt. Die Erderschütterungen wurden auch in Patras, Pyrgos, Kalamae, Tripolis und Meslongion verspürt. Aus zehn weiteren Orten wurden Tote und Verwundete gemeldet.

Ein Tunnel durch den Mont-Blanc. Der kühne Plan, das mächtige Massiv des Mont- Blanc mit einem Tunnel zu durchbrechen, ist in den letzten Jahren mehrfach der Gegenstand lebhafter Erörterungen gewesen. Das französische Arbeits­ministerium hat jetzt neue Studien vornehmen lassen, die einen Ueberblick über die Schwierigkeiten und Kosten des großen Werkes geben. Der Tunnel würde, wie im Globus berichtet wird, bei Chamounix in einer Höhe von 1050 Metern beginnen und in Entreves bei 1287 Meter Höhe enden. Die Länge würde 13 Kilometer betragen, die Steigung der Zufahrtswege 2030 Millimeter auf einen Meter, so daß man für den Bahnverkehr elektrischen Be­trieb vorsteht. Die Kosten des Werkes werden bei zweigleisiger Anlage auf 60 Millionen Franks ver­anschlagt; dazu kommen die beiden Zufahrtslinien von Saini-Gervois nach Chamounix und von Aosta nach Entreves, die je 15 Millionen Franks erfordern. Die Gesamtkosten von neunzig Millionen hätten Frankreich und Italien gemeinsam aufzubringen. Das Massiv des Mont-Blanc besteht aus hartem Granit, besondere Schwierigkeiten werden nicht vor­gesehen, da der Durchstich in einer Höhe von 1000 Metern erfolgt, so daß die Gefahren einer sehr hohen Temperatur oder der Einbruch gewaltiger Wasser­massen wie beim Simplom nicht zu befürchten sind. Die Dauer der Arbeiten würden fünf Jahre be­tragen. Mit der Durchführung dieses Projektes würde die Verkehrslinie ParisGenua um fünfzig Kilometer verkürzt und der große Schnellverkehr von England nach Indien, der bisher über Deutsch­land und die Schweiz gelenkt wurde, voraussichtlich den französischen Bahnen zufallen.

Württemberg.

Friedrichshafen, 17. Juli. Das Königs­paar begab sich gestern nachmittag mit dem Sonder­schiffKönigin Charlotte" nach der Insel Mainau zum Besuch der dort weilenden Großherzogswitwe Louise von Baden. Die Rückkehr von Mainau er­folgte gegen 7 Uhr.

Stuttgart, 17. Juli. Die Zweite Kammer erledigte heute den Gesetzentwurf betreffend die Pensionsrechte der Körperschaftsbeamten nach den Anträgen des Berichterstatters Schick (Z.). setzte die Beratung des Steueretats wegen Abwesenheit des Finanzministers von der Tagesordnung ab, ver­sagte sodann nach längerer Debatte einem Antrag des Zentrums, betreffend Uebernahme der Fleischbeschau­gebühren von den Gemeinden auf den Staat, die Zustimmung, nahm aber einenharmlosen" Antrag an, eine darauf abzielende Resolution der Regierung zur Kenntnisnahme zu übergeben. Minister von Pischek sprach sich gegen den Antrag aus, der dem Staate außerordentliche Auslagen auferlegen würde, die sich nicht rechtfertigen ließen. Die Annahme des