Zweites

Zweites

Statt.

Der «nztäler.

Blatt.

^ IlO.

Neuenbürg, Samstag den 10. Juli 1909.

67. Jahrgang.

Württemberg.

Neue Schnellzugslokomotiven. Die nach einem amerikanischen Muster von der Maschinen­fabrik Eßlingen gebauten fünf neuen württemb. Schnellzugslokomotiven sind jetzt in Dienst gestellt. Dieselben werden ausschließlich auf der Strecke BreitenStuttgartUlm zur Beförderung der Schnellzüge verwendet, da sie sich bei ihrem kolossalen Gewicht für die übrigen Strecken nicht eignen. Die neuen Maschinen, die ein Gewicht von 133 000 bis 136 500 Kilogramm haben und je rund 125000 Mk. kosten, sind vor allem dazu bestimmt, die schwersten Schnellzüge mit der größtmöglichen, gleichmäßigen Geschwindigkeit, auch über die größten Steigungen zu befördern und die kostspieligen Vorspannleistungen entbehrlich und damit den Schnellzugsbetrieb wirt­schaftlicher zu machen. Sie ziehen einen Zug von 150 Tonnen ohne Schiebmaschine die Geislinger Steige, die bekanntlich eine Steigung von 1:48 hat, hinauf. Trotz der großen Leistungsfähigkeit der Maschinen ist der Kohlenverbrauch nur wenig größer, als bei den bisherigen besten Schnellzugsmaschinen: 14 gegen 1011 KZ pro km. Der lange Kessel der Maschine ist auf 6 Achsen gelagert; die Trieb­räder, deren es 6 sind, haben eine Höhe von 1,8 m. Der Kessel mußte, da er wegen seiner Größe zwischen den Rädern keinen Platz hatte, sehr hoch gelegt werden, so daß man unten durchsetzen kann. Zur besseren Ueberwindung des Luftwiderstandes sind Kessel und Führerstand als Windschneider ausgebildet. Die Dampfmaschine ist nach dem Vierzylinderverbund­system konstruiert und in die Rauchkammer ist ein Ueberhitzer eingebaut. Mit der Anschaffung der neuen großen Schnellzugsmaschinen ist Bayern voran­gegangen, es folgte dann Baden und jetzt auch Württemberg. Die bayerischen wie die badischen Riesenmaschinen wurden in der Fabrik von Maffei in München gebaut.

Ellwangen, 8. Juli. Die hiesige Strafkammer hat zwei Zigeunerinnen namens Reinhardt und Winter wegen grober Schwindeleien zu einem Jahr bezw. 8 Monaten Gefängnis verurteilt. Beide haben in diesem Jahr einer 67 Jahre alten Witwe namens Rosine Jlg zu Höflinswart O/A. Schorndorf in Verbindung mit einer anderen Zigeunerin durch mehrere fast unglaubliche Schwindeleien, nach und nach größere Geldsummen abgenommen. Sie hatten der kranken Witwe vorgelogen, sie könne nur dann gesund werden, wenn ihr seit 12 Jahren gestorbener Mann aus dem Fegfeuer befreit werde. Die kranke Frau ging darauf ein und ließ sich nun allerlei

Die Dame mit den Rosen.

Kriminalroman von G. Quis.

20j -(Nachdruck verboten.!

(Fortsetzung.)

Münch zauderte. Dann aber überlegend, daß es im Grunde am geratensten sei, den Wunsch der unbekannten Erscheinung zu erfüllen, öffnete er die Tür, zündete eine Kerze an und stieß beinahe gleich­zeitig einen Schrei der Ueberraschung aus.

Marodei" rief er,die alte Marode!"

Ja, die alte Marode," antwortete sie,die alte Marode, die dir geschrieben und keine Antwort erhalten hat. Sie ist es, sie hat sich selbst auf­gemacht, um Erkundigungen bei dir einzuziehen."

Ich habe deine Briese nicht erhalten."

Das habe ich mir gleich gedacht. Sonst hättest du mir gewiß schon längst geantwortet, alter Fuchs. Denn man antwortet zwei Arten von Leuten stets: denen, die man liebt und denen, die man fürchtet. Ich hoffe, daß du mich zu deinen Freunden zählst I"

Gewiß. Du weißt, daß ich es stets mit dir gut gemeint habe."

Und ich denke, daß ich dir Beweise meiner Freundschaft gegeben habe."

Beweise?"

Nun, ist es denn kein Freundschaftsstückchen wenn man Tag und Nacht einem Manne die Tür geöffnet hält, daß er nach Belieben ein- und aus­gehen kann? Wenn man ihn ungeniert hantieren läßt, während man doch nicht wissen kann, ob ihm

Hokuspokus vormachen, den sie jeweils teuer be­zahlen mußte. Das einem«! machte eine Zigeunerin eine Reihe von Knöpfen an eine Schnur, zerschnitt diese und gab die Teile der Kranken in die Hand, dann wurde gebetet. -Ein andermal wurde weiße Butler und Baldriantropfen verordnet. Dann ließ eine Zigeunerin einmal ein Ei bringen, wickelte es in ein Tuch, forderte die Kranke auf, es zu zer­schlagen und erklärte, als dies geschehen war, nun sei die Seele des toten Mannes erlöst. Schließlich wurde der Kranken noch vorgeschwindelt, daß eine der Zigeunerin nach Einsiedeln reisen müsse und daß die hierzu erforderlichen 300 Mark in ein schwarzes Kleid eingewickelt sein müßten usw. Auf diese Weise wurde der armen schwachsinnigen Frau insgesamt 1485 Mk. abgeschwindelt.

vermischtes»

Eine Köpenickiade in Pforzheim. Bei Ge­legenheit des vor etwa 14 Tagen erfolgten Besuches von Pforzheim durch den Großherzg Friedrich und seine Gemahlin befand sich in dem letzten Wagen bei Einholung des hohen Besuches ein etwas auf­fälliges Paar, ein Herr und eine schwarzgekleidete Dame mit zwei Mädchen in Weiß. Der Wagentrakt fuhr vor dem Rathause vor und seine Insassen wurden hier von dem Oberbürgermeister, sowie anderen Spitzen der Behörde in schuldiger Ehrfurcht em­pfangen, mit diesen auch die Herrschaften im letzten Wagen. Letztere hatten die allgemeine Neugierde der Tausende, den Landesfürsten und sein Gefolge begrüßenden Einwohner Pforzheims erregt und zu den verschiedensten Vermutungen Veranlassung gegeben, besonders zu der, es mit einem russischen Prinzen und seinen Kindern zu tun zu haben. Später stellte es sich indes heraus, daß der frwillige Teilnehmer an dem Großh. Gefolge der Pforzheimer Lokal­berichterstatter derBadischen Presse", ein geborener Pforzheimer, gewesen war, der deshalb von den Kennern seiner Person und seiner Verhältnisse nicht erkannt worden war, weil er lange Zeit in Ab­wesenheit gelebt hatte. Jetzt ist man selbstverständ­lich über diese Düpierung und Anmaßung, die einer Köpenickiade verzweifelt ähnlich sieht, in Pforzheims Bürgerschaft sehr ungehalten und wünscht dem betr. Herrn eine entsprechende Lektion über Takt.

Bergsport und Alkoholgenuß. Der Schweizer Arzt Dr. Schnyder in Bern veröffentlicht kürzlich das Ergebnis einer Befragung von etwa 1200 Bergsteigern aller Länder, ob es sich empfiehlt, bei Bergtouren Alkohol zu genießen, welche Wirkung er ausübt usw., kurz, über alle Eindrücke, über die

nicht die Spürhunde im Nacken sitzen? Ich habe dir manchen guten Dienst geleistet, mein alter, guter Fuchs. Und es tut mir nicht leid. Denn ich weiß, daß du mir gewiß ebenfalls beistehst, wenn es mir schlecht ergeht."

Münch brummte einige unverständliche, zu­stimmende Laute.

Ich bin im Elende," fuhr die Alte fort, ich bin zugrunde gerichtet, ich habe nicht einen Pfennig mehr. Das Gericht, die Krankheit und das Mäd­chen, das mir mit Hab und Gut davon gelaufen ist, haben mir das Letzte geraubt. Nun habe ich ganz auf dich gerechnet. Du wirst mir Brot und Obdach geben."

Brot?" sagte Münch.Ja. Obdach? Nein. Du wirst mit einem Beutelchen voller guter Taler nach der Hauptstadt wieder abreisen und wirst dort ruhig und friedlich weiterleben."

Ich möchte lieber hier bleiben," entgegnete Marode,ich fürchte, daß ich dort wieder mit den Gerichten zu tun bekommen werde, während ich hier so unbemerkt verweilen könnte."

Das geht nicht."

Warum nicht?"

Weil ich mich verheirate."

Was, verheiraten, du?"Nun, ich kann aber trotzdem hier bleiben. Ich werde dein Frauchen schon nicht stören."

Nein, nein, es geht nicht. Unter keinen Um­ständen!"

Die Alte seufzte einigemale traurig und bemerkte

Rolle des Alkohols bei Bergbesteigungen. Das aus» giebige Material, welches der Arzt erhielt, faßt er zu folgenden Schlüffen zusammen: Der Genuß von Alkohol muß am Vorabend und am Anfang einer Bergbesteigung vermieden werden. Während des Aufstieges ist der Alkoholgenuß so lange hinauszu­schieben, als andauernde Anstrengungen zu überwin­den sind. Der Alkohol kann gute Dienste dort leisten, wo es sich darum handelt, die Energie des schon erschöpften Bergsteigers augenblicklich zu kräftigen, um ein letztes Hindernis zu überwinden. Als Ge­nuß- oder Heilmittel wird er Verwendung finden können, um den Magen zu reizen, bei Unglücksfällen eine rasche Reaktion herbeizuführen, endlich bei Berg­krankheit und Ohnmächten. Beim Abstieg, wenn die Anstrengungen vorüber sind, wird der Alkohol die Verrichtung einer automatischen Arbeit, wie den Gang auf ungefährlichen Schneefeldern, oft fördern können. Nach einer Tour verringert der Alkohol das Gefühl der Müdigkeit und trägt zum allgemeinen Wohlbe­finden bei. Niemals aber dürfen die Alkoholgetränke, vor allem die konzentrierten, vewendet werden, um den Durst zu stillen.

Eine bayerische Bierrede. In diesen ernsten Zeiten muß man für jede Erheiterung dankbar sein. Wir tragen darum noch einiges aus der Rede des bayrischen Zentrumsabgeordneten Steindl über die Biersteuer nach. Ueber die Persönlichkeit dieses Reichstagsmitglieds mag bemerkt werden, daß er Xaver heißt, seines Zeichens Bierbrauer und Oekonom ist und in Irnsing, Bezirksamts Kehlheim seinen Wohnsitz hat. Dem Reichstag gehört er seit 1907 an. Seine Bierrede vom vorletzten Donnerstag hat das hohe Haus baß erheitert; sie hat auch im Druck noch so viel Reize, daß man sich daraus er­heitern kann., Er sagte: Wehe dem, der den Grund dazu gibt, daß in Bayern das Bier teurer wird! (Stürmische Heiterkeit. Hört, hört! links.) Sie (nach links) sollten doch ruhig sein, denn mit der Erb­schaftssteuer hätten Sie alles bewilligt. (Sehr richtig! rechts und im Zentrum.) Vor der Erbschaftssteuer haben wir unsere Bauern gerettet, hoffentlich behüten wir sie vor noch mehr Unheil. In Süd­deutschland entfallen 279 Liter Bier auf den Kopf der Bevölkerung, in Norddeutschland 98 Liter. (Heiterkeit.) Daher ist auch unser Interesse an der Brausteuer ein viel größeres. (Stürmische Heiter­keit.) Bei uns ist Bier ein Nahrungsmittel. (Große Heiterkeit.) Viele Landarbeiter wollen gar keinen Barlohn, aber Bier wollen sie. (Minutenlange Heiterkeit.) Mein Freund, ein Stadtpfarrer, hat mir erzählt, daß sein jährlicher Bierkonsum 1000 Mark

dann:Nun gut, so wollen wir von einem Hier­bleiben nicht mehr sprechen, sondern von dem Sümm­chen, das du mir geben willst, um mir aus meiner üblen Lage zu helfen."

Ich gebe dir dreihundert Mark," antwortete Münch mit ernster Miene.

Die Alte lachte laut auf.

* *

Das macht jährlich fünfzehn Mark Zinsen," sagte dieMarode".Denn das Kapital werde ich doch nicht anreißen. Ich alte, unglückliche Frau brauche Zinsen. Fünfzehn Mark jährlich! Schämst du dich nicht, Geizhals, mir ein solches Anerbieten zu machen?"

Ich bin weder geizig, noch reich. Und drei­hundert Mark finden sich nicht auf der Straße."

Hast recht! Dreitausend Mark sind eben mehr als dreihundert. Ich weiß aber, wo ich dreitausend Mark bekommen kann. Ich kam eben nur hierher, um dich zu fragen, ob du mir ebensoviel geben willst, oder"

Oder was?"

Das ist mein Geheimnis. Dreitausend Mark! Wenn ich nur ein Stündchen plaudern will und dabei gibt man mir die Versicherung, daß ich für mein bisheriges Schweigen unbestraft bleiben soll I"

Für welches Schweigen?" fragte Münch barsch.

Man weiß, was man weiß, Freund Münch. Es gibt ehrliche Leute im Zuchthause, die recht gut durch Schufte, die frei umherlaufen, ersetzt werden könnten."