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Zweites
Blatt.
Der «nztäler
Blatt.
6 .
Reuen bürg, Samstag den 9. Januar 1909.
67. Jahrgang.
Drei deutsche Luftschifflinie«.
Stationen in 24 Städten.
Das Wort „Deutschland in der Welt voran I" wird sich allem Anschein nach auch auf dem Gebiet der Luftschiffahrt bestätigen. Soeben hat sich mit dem Sitz in Frankfurt a. M., Berlin und Kassel eine Gesellschaft gebildet, welche den Namen Deutsche Aerostations-Gesellschaft führt und sich zur Aufgabe gestellt hat, in absehbarer Zeit 7 lenkbare Motorluftschiffe zu bauen und damit einen ständigen Verkehr zwischen 24 deutschen Städten einzurichten. Die Pläne dieser aus Sportsleuten und Großkapitalisten zusammengesetzten Gesellschaft haben maßgebenden Luftschiffern und Ingenieuren Vorgelegen, sie haben in allen Teilen die Billigung und Anerkennung dieser Persönlichkeiten gefunden. Die Strecken für diese Ballonfahrten sind einstweilen wie folgt festgesetzt:
Linie 1. Friedrichshafen, Nürnberg, Leipzig, Berlin, Hamburg, Bremen, Köln, Koblenz, Mainz, Frankfurt a. M., Mannheim, Straßburg i. E., Friedrichshafen.
Linie 2. Friedrichshafen, München, Nürnberg, Plauen, Dresden, Berlin, Magdeburg, Hannover, Kassel, Frankfurt a. M., Mainz, Metz, Straßburg i. E., Stuttgart, Friedrichshafen.
Linie 3. Friedrichshafen, Würzburg, Gotha, Braunschweig, Hamburg, Kiel, Flensburg, Fredericia, Kopenhagen.
Die Gesellschaft hat sich bereits mit allen in Betracht kommenden Körperschaften in Verbindung gesetzt und wird demnächst auch mit den in Betracht kommenden Stadtverwaltungen Fühlung nehmen. Für die Anlage der Aerostationen hat die Gesellschaft ganz neue Gedanken zur Anwendung gebracht, welche es dem lenkbaren Luftschiff möglich machen, zu jeder Tages- und Nachtstunde und bei jeder Witterung glatt und sicher zu landen. Von ganz hervorragender Beschaffenheit sind die patentierten Verankerungsvorrichtungen der Gesellschaft. In allen Kulturländern sind diese nach jeder Richtung vorbildlichen Aerostationen zum Patent angemeldet, sie dürfen von Unberufenen in der gleichen vollendeten Form ohne Erlaubnis der Gesellschaft nicht nachgeahmt werden. Mit voller Absicht sind die Strecken so geplant, daß auch die Lenkballons des Grafen Zeppelin und andere Konstrukteure die Stationen benützen können. Aus diesem Grunde beginnen und enden die beiden Linien 1 und 2 in Friedrichshafen. Es ist bekannt, daß auch der Militärfiskus die Anlage von Luftschiffbahnhöfen plant, die Friedrichshafen mit Berlin verbinden und gute Zwischenstationen sein sollen. Auch der deutsche Luftflottenverein trägt sich mit ähnlichen Gedanken. Dem Direktor der Zentrale des letzteren Verbandes, Exzellenz von Nieder, lagen die Pläne der Gesellschaft vor; sie fanden seine wärmste Anerkennung. Es ist ganz zweifellos, daß sich auch die Staatsbehörden für das großzügige Unternehmen der Aerostations-Gesellschaft interessieren werden, das für etwaigen Kriegsfall genau wie die Eisenbahn eine große Bedeutung hat. Ganz selbstverständlich werden an den, an den Stadtgrenzen liegenden Stationen der Gesellschaft auch Privatballons aller Art landen können. Die Gesellschaft plant zunächst den Bau von Lenkballons, die ebenso wie die Zeppelinballons 10 bis 15 Personen fassen. Um sie in die Lage zu versetzen, in der Nähe der Stationen gut zu wohnen und geeignete Verpflegung zu finden, wird mit jeder Station ein kleines Hotel verbunden sein. Deutsche sportliche Tüchtigkeit und deutscher kaufmännischer Unternehmungsgeist sind hier im Begriff, ein Unternehmen zu schaffen, wie es bisher kein Land der Welt aufzuweisen hat. Wenn nicht außerordentliche Schwierigkeiten eintreten, dürfte die Verwirklichung des glänzenden Projekts in absehbarer Zeit zu erwarten sein.
So die Zuschrift aus Frankfurt! Vorerst klingt die Meldung fast gar zu „großzügig", um nicht zu sagen abenteuerlich. Man wird ja wohl bald weiteres hören. _
Worauf beruht die bautenzerstörende Wirkung der Erdbeben?
Ueber diese zur Zeit hochaktuelle Frage äußert sich der bekannte Erdbebenforscher August Sieberg,
technischer Sekretär der kaiserlichen Hauptstation für Erdbebenforschung in Straßburg i. Elf. in seinem soeben erschienenen hochinteressanten Buche „Der Erdball, seine Entwicklung und seine Kräfte" (Verlag von I. F. Schreiber in Eßlingen und München. Preis komplett gebunden 18 oder in 20 Lieferungen ä 75 folgendermaßen: Es ist hier am Platze, die ebenso weit verbreitete wie irrige Annahme zurückzuweisen, bei heftigen Erdbeben würden die Gebäude senkrecht in die Höhe geschleudert und beim Zurücksinken brächen sie auseinander. Für gewöhnlich macht die senkrechte Bodenbewegung eines Erdbebens nur einen geringen Bruchteil der wagrechten aus, so daß also im allgemeinen nur die horizontale Bewegung in Betracht kommt. Die Größe der seitlichen Bewegung (Amplitüde) ist dabei nicht das Ausschlaggebende, vielmehr wird ein Beben um so verheerender wirken, je rascher die einzelnen Stöße aufeinander folgen, je größer also die Beschleunigung ist. Alle Gegenstände auf der Erdoberfläche machen die Oberflächenbewegung gleichsam als umgekehrte Pendel mit; daher gehen die Erschütterungen des Bodens durch Erdbeben an solchen darauf befindlichen Gegenständen unschädlich vorüber, welche den Wellenbewegungen folgen können. So bleiben leichte, aus nachgiebigem und elastischem Flechtwerk bestehende Hütten, wie sie die Eingeborenen vieler Erdbebenlünder aufzuführen pflegen, meist unversehrt, selbst wenn zu gleicher Zeit massive Steinbauten, bei denen die einzelnen Konstruksions- teile infolge der bestehenden physikalischen Verhältnisse verschieden schnell und damit gegeneinander schwingen, Schaden nehmen, weil die Macht des Stoßes das Maß der Kraft übertrifft, welche die letzteren zusammenhalten. Es drängt sich nun von selbst die Frage auf: Ist der Mensch dieser Naturkraft gegenüber ganz wehrlos? Glücklicherweise lautet die Antwort zufriedenstellend. Die Seismologie hat nach ihrem heutigen Stand außer in theoretischer Hinsicht auch auf dem Gebiete der Praxis ganz hervorragende Erfolge zu verzeichnen, welche dem Gemeinwohl direkt zugute kommen. Sind es doch gerade die praktischen Fragen gewesen, deren Lösung in den erdbebenreichen Ländern, namentlich in Japan und auch in Italien, im Brennpunkte des Interesses stand und ihrerseits erst den Anstoß zur heutigen wissenschaftlichen Erdbebenforschung gegeben haben. Natürlich sind die meisten dieser Errungenschaften gegenwärtig noch wenig über das Anfangsstadium herausgekommen und es bedarf jahrelanger angestrengter Arbeit, um einen gewissen Abschluß herbeizuführen, zumal sich immer neue Ausblicke eröffnen.
vermischtes.
Kranken- und Schwesternhäuser vom Roten Kreuz. In Deutschland bestehen zurzeit 43 Kranken- und Schwesternhäuser vom Roten Kreuz. 38 sind zu einem „Verband Deutscher Krankenpflegeanstalten vom Roten Kreuz" zusammengeschlossen, der den Zweck hat, bei Wahrung wirtschaftlicher Selbständigkeit der einzelnen Verbandsmitglieder, eine übereinstimmende ethische und technische Ausbildung aller Schwestern herbeizuführen, Erfahrungen auszutauschen und die Schwestern unter tunlichst günstige, aber doch gleichmäßige Lebensbedingungen zu stellen und ihre Zukunft zu sichern. Die Krankenpflegeanstalten vom Roten Kreuz lassen es sich ferner angelegen sein, Damen aus guten Familien, die die Krankenpflege aus diesen oder jenen Gründen nicht zum Beruf wählen, immerhin aber sich längere Zeit — mindestens 6 Monate — einer Ausbildung in einem Krankenhause unterziehen können, zu unterrichten und sie mit dem Betriebe eines Lazaretts und den notwendigen Kenntnissen so vertraut zu machen, daß sie im Kriegsfälle unter der Leitung einer tüchtigen Berufsschwester gute Dienste zu leisten imstande sind. Auch die Heranziehung brauchbarer Helferinnen für den Kriegsdienst, die im allgemeinen den Frauenvereinen vom Roten Kreuz zufällt, geschieht in den Krankenhäusern vom Roten Kreuz. Zur Heranziehung geeigneter Oberinnen dient die zurzeit im Anschar-Krankenhause in Kiel bestehende
Oberinnenschule, welche den Schwestern Gelegenheit bietet, sich die Grundlage für selbständige Stellungen zu verschaffen. Jungen gebildeten Damen kann der Eintritt in diese Häuser warm empfohlen werden. Anfragen sind an den Vorsitzenden im Ausschuß des Verbandes Deutscher Krankenpflegeanstalten vom Roten Kreuz, Geheimen Ober-Justizrat Chuchul in Stendal, zu richten.
Goethe und das Erdbeben in Messina 17 8 3. Der junge Goethe hat, nach einer verbürgten Mitteilung, das große Erdbeben von Messina im Jahre 1784 in Weimar gespürt. Er klingelte mitten in der Nacht, und als der Diener in» die Kammer trat, sah er, daß Goethe sein eisernes Rollbett ans Fenster gerückt hatte und den Himmel beobachtete. „Hast Du nichts am Himmel gesehen?" fragte er den Diener; als dieser verneinte, sandte er zur Wache und ließ an den Posten dieselben Worte stellen: ebenfalls mit negativem Erfolg. „Höre", sagte Goethe zum Diener, „wir sind in einem bedeutenden Moment, entweder wir haben in diesem Augenblick ein Erdbeben oder wir bekommen eins." Am nächsten Tage erzählte Goethe seine Beobacht- l ungen bei Hofe; eine Dame flüsterte ihrer Nachbarin ins Ohr: „Höre! Goethe schwärmt!" Der Herzog und die Herren glaubten fest an Goethe. Bald sollte es sich erweisen, daß der Dichter recht gehabt habe. Nach einigen Wochen kam die Nachricht, daß in der kritischen Nacht ein Teil von Messina durch das Erdbeben zerstört worden sei. Später hatte Goethe Gelegenheit, das zerstörte Messina zu besuchen. Er erzählte: „In Messina waren alle Gebäude vom Erdboden zusammengerüttelt, aber die Kirche und das Kloster der Jesuiten standen ungerührt, als wären sie gestern gebaut. Es war nicht die Spur an ihnen zu bemerken, daß die Erderschütterung den geringsten Effekt auf sie gehabt." Mit diesen Worten, die an den Architekten Oberbaudirektor Coudray gerichtet waren, wollte Goethe auf die vorzügliche Bauart der Kirche nnd des Klosters Hinweisen.
Von einem heldenhaften Arzt berichtet die „N. Fr. Presse": Dr. Alfred Kühne, Gemeindearzt und Ehrenbürger von Mauer, ist dieser Tage gestorben. Er hat einst eine der großartigsten Operationen ausgeführt, einen Akt der ersten Hilfe unter Umständen geleistet, die sich wohl kein zweites Mal wiederholen werden. An einem Winterabend und während des heftigsten Schneegestöbers stieß eine Lokomotive vor der Südbahnstation Liesing mit einem Schlitten zusammen, der eine fröhliche Gesellschaft über das Bahngeleise nach Hause führen sollte. Der Kutscher fiel so unglücklich auf das Geleise, daß die Lokomotive über seine Oberschenkel fuhr und beide Beine zerquetschte. Der Mann wurde infolge des Chocs, der Kälte und des Blutverlustes ohnmächtig. Gemeindearzt Dr. Kühne erschien mit seiner chirurgischen Tasche, kroch unter die Lokomotive und amputierte bei ungenügender Fackelbeleuchtung ohne Assistenz (der Assistent hätte auch keinen Platz gehabt) beide Beine des Verunglückten. Die Situation ist kaum auszumalen: Der Arzt liegt zwei bis drei Stunden auf dem Bauch im Schnee unter der geheizten Lokomotive, amputiert beide Beine eines Mannes, unterbindet die großen Blutgefäße und vernäht die großen Wundflächen. Der Mann wurde hierauf aus die Klinik des Hofrats Billroth gebracht. Billroth und Albert ließen die Situation zeichnen, in welcher der Arzt sein Rettungswerk vollführt hatte. Billroth und Albert priesen in ihren Vorlesungen Dr. Kühne als Helden und Meister der Chirurgie. Das Auditorium applaudierte, und der Arzt mußte wie ein großer Künstler erscheinen und seinen Kollegen für die Anerkennung danken. Sein Name wird aber unvergeßlich bleiben in der Geschichte der Medizin und des Samaritertums.
Das Autoluftschiff. Aus Paris wird berichtet: Den großen militärischen Lenkballons folgt jetzt ein neues kleineres lenkbares Luftschiff, das nur Privatzwecken dienen soll und das man „Autoballon" getauft hat. Sein lebhaftester Verteidiger ist der bekannte Sportsmann Graf Henri de la Vaulx, der die Zeit für nicht fern hält, wo ein jeder gutsituierte