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Der «nztäler.

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^ 3.

Neuenbürg, Montag den 4. Zanuar 19V9.

politische Iahresrundschau.

ii.

Für Lesterreich-Ungarn bildete das 60jäh- rige Regsrungsjubiläum des Kaisers Franz Josef ein freudizes Ereignis von nationaler Bedeutung, welches sch die Völker und Parteien der habs­burgischen Monarchie zur begeisterten Huldigung vor dem greiser Monarchen einen ließ. Doch vermochte dies seltenschöne Ereignis den bedauerlichen Natio- nalitätenzaik, der namentlich in Oesterreich das politische Lben zu vergiften droht, keineswegs zu bannen, uni besonders in Böhmen, speziell in Prag, wurden von den Tschechen brutale Ausschreitungen gegen die Deutschen begangen, welche für die böhmische Hiuptstadt die Verhängung des Stand­rechtes zur Alge hatten. Aeußerlich herrscht seitdem wieder Ruhe in Prag, und das Standrecht konnte wieder aufgehben 'werden. Im November trat das Ministerium Heck infolge der wachsenden Schwierig­keiten, welche ihm aus der Nationalitätenfrage er­wuchsen, zurük. Es wurde vorläufig durch ein bloßes Beamtnkabinett unter dem Präsidium des bisherigen Minsters des Inneren, v. Bienerth, er­setzt, doch wirdes zweifellos bald wieder durch ein parlamentarische Ministerium abgelöst werden. Zwischen Oestereich und Ungarn sind Ausgleichs­verhandlungen z>r Schlichtung der bestehenden mili­tärischen Differetzen eingeleitet worden. Ein Ver­wandter des Kasers Franz Josef, der Großherzog Ferdinand IV. rm Toskana ging mit Tode ab, mit ihm ist die mänlliche Linie des Hauses Toskana ausgestorben. Dis hervorragendste Ereignis in der auswärtigen Poltik Oesterreich-Ungarns war die Erklärung der Amexion Bosniens und der Herze­gowina im Oktaler 1908. Die Annexion dieser Provinzen bekräftige allerdings nur einen längst be­stehenden Zustand, trotzdem sind aber die Wellen­kreise, welche diess Vorgehen Oesterreich-Ungarns, besonders auf der galkanhalbinsel gezogen hat, noch nicht verschwunden und kann die Annexionsfrage noch nicht als volltändig gelöst betrachtet werden. Doch gab der Vorgmg für Deutschland Anlaß, seine Bündnistreue gegenüber Oesterreich-Ungarn erneut zu beweisen.

Was Italien mbelangt, so hat das abgelaufene Jahr weder in der auswärtigen noch in der inneren Politik dieses Staues besonders wichtige Begeben­heiten gezeitigt. Hichstens könnte erwähnt werden, daß an zahlreichen talienischen Orten anläßlich der Raufereien zwischen italienischen und deutschen Stu­denten der Wiener Unversität erneut eine scharf aus­geprägte antiösterreiqische Stimmung zu Tage trat. In den letzten Tacen des alten Jahres wurde Italien von dem nationalen Unglück der Erdbeben auf Sizilien schwer himgesucht.

Wenden wir uns nun zu Frankreich, so sind die Besuche des Presidenten Fallier es an den Höfen von London, Kopenhagen, Stockholm und Christiania, sowie seine Begegnung mit dem Zaren Nikolaus in Reval als beachtenswerte Vorgänge zu registrieren. Der abenteuerliche Feldzug der Fran­zosen in Marokko verlief im wahrsten Sinne des Wortes im Sande, nachdem ihr Schützling, der bis­herige Sultan Abdul Asis, den Thron des scherifi- schen Reiches seinem erfolgreicheren Bruder Mulay Hafid hatte überlassen müssen. Nur drohte die marokanische Affäre durch den bekannten Zwischen­fall von Casablanca zu guterletzt noch zu einem ernsten Konflikt zwischen Deutschland und Frankreich zu führen; indessen einigten sich die beiden Mächte schließlich dahin, ihren Streit einem Schiedsgericht zur Entscheidung zu übergeben.

Die inneren Zustände Rußlands ließen auch im Jahre 1908 viel zu wünschen übrig, obwohl die revolutionären Bewegungen in dem Riesenreiche nicht mehr so scharf hervortraten, wie noch im Jahre 1907. Die Hoffnungen, welche auf die neue Reichsduma bezüglich einer inneren Wiedergeburt des Zaren­

reiches gesetzt wurden, haben sich bis jetzt nur in sehr ungenügendem Grade erfüllt. Eine spezielle Heimsuchung für das Land bedeutete die Cholera­epidemie, welche während eines großen Teil des Jahres in einer ganzen Reihe von Gouvernements und ganz besonders auch in der Hauptstadt Peters­burg auftrat, wo sie zahlreiche Opfer forderte.

In England zog der Rücktritt des schwer­kranken Premierministers Campbell-Bannermann, der dann wenige Wochen nach seiner Demission starb, eine teilweise Umbildung des liberalen Kabinetts nach sich; Chef des neuen Ministeriums wurde Mr. Asquith, der seitherige Minister des Innern. In der auswärtigen Politik des Jnselreiches machte sich namentlich eine Annäherung Englands einerseits an Frankreich, anderseits an Rußland bemerklich, während das Verhältnis zu Deutschland trotz der Monarchenbegegnung von Friedrichshof und unge­achtet zahlreicher privater Veranstaltungen zur Her­beiführung einer Besserung in den deutsch-englischen Beziehungen ein kühles blieb. In Indien, dem wichtigsten englischen Kolonialbesitz machten sich re­volutionäre Bewegungen mit teilweise anarchistischem Einschlag geltend, indessen wurden sie von der Re­gierung ohne größere Krastanstrengung wieder unter­drückt.

Berlin, 2. Jan. Der Kaiser empfing heute den Reichskanzler zum Vortrag. Die Kaiserin empfing gestern die Gemahlin des amerikanischen Botschafters Hill im Kaiserlichen Schloß.

Berlin, 2. Jan. Heute abend fand in der Bildergalerie des Schlosses eine Tafel für die kommandierenden Generale statt. Die Maje­stäten saßen einander gegenüber. Rechts von der Kaiserin saß Prinz Rupprecht von Bayern, links Prinz Heinrich. Rechts vom Kaiser saß General- feldmarschall v. Hahnke, links Generalfeldmarschall Graf Häseler.

Berlin, 3. Jan. DieNordd. Allgem. Ztg." schreibt: Prinz Heinrich von Preußen besuchte gestern nachmittag den Reichskanzler Fürsten Bülow.

Der neue deutsche Botschafter in Washington wurde am Mittwoch vom Präsidenten Roosevelt empfangen, wobei zwischen beiden verbindliche Reden gewechselt wurden.

Paris, 2. Jan. In seiner Kandidatenrede für den Senat sprach Clemenceau über die aus­wärtige Politik und wies darauf hin, daß es die Regierung verstanden habe, das Einverständnis mit den Verbündeten aufrecht zu erhalten im Interesse eines Friedens, der würdig, ehrenvoll und für nie­mand verletzend sei. Clemenceau erklärte ferner, er nehme für sich die Ehre in Anspruch, den Anti- patriotismus bekämpft zu haben.

Die Offiziere des dritten türkischen Armee­korps haben an die Pforte die Bitte gerichtet, sie möge versuchen, den deutschen General v. d. Goltz Pascha wieder für den türkischen Armeedienst zu gewinnen. Der genannte deutsche Offizier hat be­kanntlich die türkische Armee auf moderner Grund­lage reorganisiert.

Privatstunden auf städtische Kosten erhalten demnächst 24 Knaben der untersten Volksschulklaffe in Hannover-Münden. Dieser beachtenswerte Entschluß entspringt allerdings weniger besonderem Interesse für die Schüler als Sparsamkeits­gründen. Ohne Nachhilfe können die 24 Schüler zu Ostern nicht versetzt werden, so daß mit Rücksicht auf die zu erwartenden neuen Schüler eine weitere Klasse eingerichtet werden müßte. Um dies zu ver­hindern, wurde obiger Beschluß gefaßt.

Die größte Talsperre Europas erbaut zurzeit der Ruhr-Talsperrenverein an der Möhne. Das Möhnetalsperren-Staubecken wird 130 Millionen Kubikmeter Wasser fassen. Die Bauzeit ist auf

7 Jahre berechnet, die Kosten sind aus 20 Millionen Mark veranschlagt. Um Platz zu schaffen für das Staubecken müssen 200 Häuser verschwinden; die überstaute Fläche umfaßt mehr als 4000 Morgen. Eine große Verkehrsstraße Neheim-Belecke wird auf eine Länge von 14 Kilometer verlegt und für die Zeit der Erbauung der Sperrmauer werden zwei Flußläufe umgeleitet. Die Sperrmauer selbst wird an der Krone 632 Meter lang und 40 Meter hoch werden, die Mauerstärke beträgt 34 Meter. Das Bauland liegt zwischen Soest und Arnsberg, da wo die Höfe in die Möhne fließt.

Bei der strengen Kälte in den letzten Tagen sind in der Neumark 4 Personen erfroren.

Chaumont, 2. Jan. Gestern abend stieß der Schnellzug Basel-Paris in der Nähe von Chaumont mit einem Güterzug zusammen. Drei Reisende und zwei Eisenbahnbeamte wurden getötet.

Budapest, 2. Jan. Aus Oedenburg wird gemeldet: Heute 4 Uhr morgens wurde im Walde bei Kapuva ein gelbes Luftschiff bemerkt, welches in einer Baumkrone verwickelt war. Die In­sassen des Ballons konnten nur mit großer Mühe bei großer Finsternis und schneidender Kälte von den Bäumen herabklettern. Sie waren am Tage vor Neujahr bei Berlin mit ihrem Luftschiff auf­gestiegen. Es sind ein preußischer Leutnant und ein junger Mann in Zivil. Sie verbrachten volle 36 Stunden in der Luft, im Schneesturm und Orkan. Das Luftschiff, welches deutsches Wappen und Fahne trägt, konnte bisher nicht freigemacht werden. Beide Luftschiffer wurden im Schlosse des Barons Berg eines herzlichen Empfanges teilhaftig.

Die Hilfsaktion für Sizilien

hat sich am Samstag nachmittag im Reichstag kon­stituiert. Es waren u. a. zugegen: Staatssekretär v. Schön, Unterstaatssekretär v. Löbell als Ver­treter des Reichskanzlers, der Vizepräsident des Reichstags, die Chefredakteure der größeren Berliner Blätter, Oberbürgermeister Kirschner u. a. Die Versammlung wurde von dem Einberufer, Kom­merzienrat Selb erg eröffnet. Auf seinen Vorschlag wurden in das Präsidium gewählt: Adolf Fried­rich, Herzog von Mecklenburg, Reichstagspräsident Graf Stolberg, der bayerische Gesandte Graf Lerchenfeld, der sächsische Gesandte Graf Vitzthum, sowie der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Vereine vom Roten Kreuz, von dem Knesebeck. Darauf übernahm Herzog Adolf Friedrich das Präsi­dium und dankte der Kaiserin für die Uebernahme des Protektorats, sowie dem Reichskanzler für die Uebernahme des Ehrenpräsidiums. Sodann wurde Kommerzienrat Selberg zum Vorsitzenden gewählt. Es wurde beschlossen, sofort vier Sonderzüge mit Lebensmitteln, wollenen Decken, Kleidungsstücken und Material zur Verpflegung von Kranken und Verwunderen unter Begleitung von Sanitätspersonen in das Unglücksgebiet zu entsenden. Innerhalb der Versammlung erfolgte dann die Zeichnung bedeuten­der Beiträge, darunter Krupp von Bohlen und Hal- bach 40000 Mk., die Großbanken mit je 20000 Mk. Herzog Adolf Friedrich schloß darauf dis Versamm­lung mit einem Dank an die Anwesenden.

DieHamburg-Amerika-Linie" wird dem DampferJllyria" ein beträchtliches Quantum Liebesgaben nach Sizilien überbringen und Lebensmittel zur Verpflegung von 1000 Personen für eine Woche ausreichend, sowie das nötige- geschirr mitgeben. Diese Lebensmittel dienen gleich­zeitig zur Vervollständigung der Ausrüstung der sechs Baracken, die als Geschenk des Kaisers auf derJllyria" verladen werden. Nach einer Meldung aus New-Jork befördert dieHam­burg-Amerika-Linie" mit dem am 5. Januar von New-Aork nach Italien abgehenden DampferHam­burg" gleichfalls Liebesgaben für Sizilien.