Erscheint
Montag, Mittwoch, Freitaz und Samstag.
Arel» vierteljährl.: in Ncttubtirg -.20. Durchs Post bezogen: i.m <vrk- und Nachvar- orts-Vtrkehr ^ 1.15; im sonstigen inländ. verkehrt 1.25; hiezu je 20/ Bestellgeld.
»b-mnkmni- nehmen alle postanstalm und Postboten jedeqüt entgegen.
Der «nztäler.
Anzeiger für das Enztal und Umgebung.
Amtsblatt kür Sen Vberamtsbezirk Neuenbürg.
Arrzekgenpreis:
die 5 gespaltene Zeile oder deren Raum 12 «l bei Auskunfterteilung durch die Exped. 12 Reklamen die Sgesp. Zeile 25
Bei öfterer Insertion entsxrech. Rabatt.
Fernsprecher Nr. 4.
Telegramm-Adreffe: ^Enztäler, Neuenbürg".
^ 3.
Neuenbürg, Montag den 4. Zanuar 19V9.
politische Iahresrundschau.
ii.
Für Lesterreich-Ungarn bildete das 60jäh- rige Regsrungsjubiläum des Kaisers Franz Josef ein freudizes Ereignis von nationaler Bedeutung, welches sch die Völker und Parteien der habsburgischen Monarchie zur begeisterten Huldigung vor dem greiser Monarchen einen ließ. Doch vermochte dies seltenschöne Ereignis den bedauerlichen Natio- nalitätenzaik, der namentlich in Oesterreich das politische Lben zu vergiften droht, keineswegs zu bannen, uni besonders in Böhmen, speziell in Prag, wurden von den Tschechen brutale Ausschreitungen gegen die Deutschen begangen, welche für die böhmische Hiuptstadt die Verhängung des Standrechtes zur Alge hatten. Aeußerlich herrscht seitdem wieder Ruhe in Prag, und das Standrecht konnte wieder aufgehben 'werden. Im November trat das Ministerium Heck infolge der wachsenden Schwierigkeiten, welche ihm aus der Nationalitätenfrage erwuchsen, zurük. Es wurde vorläufig durch ein bloßes Beamtnkabinett unter dem Präsidium des bisherigen Minsters des Inneren, v. Bienerth, ersetzt, doch wirdes zweifellos bald wieder durch ein parlamentarische Ministerium abgelöst werden. Zwischen Oestereich und Ungarn sind Ausgleichsverhandlungen z>r Schlichtung der bestehenden militärischen Differetzen eingeleitet worden. Ein Verwandter des Kasers Franz Josef, der Großherzog Ferdinand IV. rm Toskana ging mit Tode ab, mit ihm ist die mänlliche Linie des Hauses Toskana ausgestorben. Dis hervorragendste Ereignis in der auswärtigen Poltik Oesterreich-Ungarns war die Erklärung der Amexion Bosniens und der Herzegowina im Oktaler 1908. Die Annexion dieser Provinzen bekräftige allerdings nur einen längst bestehenden Zustand, trotzdem sind aber die Wellenkreise, welche diess Vorgehen Oesterreich-Ungarns, besonders auf der galkanhalbinsel gezogen hat, noch nicht verschwunden und kann die Annexionsfrage noch nicht als volltändig gelöst betrachtet werden. Doch gab der Vorgmg für Deutschland Anlaß, seine Bündnistreue gegenüber Oesterreich-Ungarn erneut zu beweisen.
Was Italien mbelangt, so hat das abgelaufene Jahr weder in der auswärtigen noch in der inneren Politik dieses Staues besonders wichtige Begebenheiten gezeitigt. Hichstens könnte erwähnt werden, daß an zahlreichen talienischen Orten anläßlich der Raufereien zwischen italienischen und deutschen Studenten der Wiener Unversität erneut eine scharf ausgeprägte antiösterreiqische Stimmung zu Tage trat. In den letzten Tacen des alten Jahres wurde Italien von dem nationalen Unglück der Erdbeben auf Sizilien schwer himgesucht.
Wenden wir uns nun zu Frankreich, so sind die Besuche des Presidenten Fallier es an den Höfen von London, Kopenhagen, Stockholm und Christiania, sowie seine Begegnung mit dem Zaren Nikolaus in Reval als beachtenswerte Vorgänge zu registrieren. Der abenteuerliche Feldzug der Franzosen in Marokko verlief im wahrsten Sinne des Wortes im Sande, nachdem ihr Schützling, der bisherige Sultan Abdul Asis, den Thron des scherifi- schen Reiches seinem erfolgreicheren Bruder Mulay Hafid hatte überlassen müssen. Nur drohte die marokanische Affäre durch den bekannten Zwischenfall von Casablanca zu guterletzt noch zu einem ernsten Konflikt zwischen Deutschland und Frankreich zu führen; indessen einigten sich die beiden Mächte schließlich dahin, ihren Streit einem Schiedsgericht zur Entscheidung zu übergeben.
Die inneren Zustände Rußlands ließen auch im Jahre 1908 viel zu wünschen übrig, obwohl die revolutionären Bewegungen in dem Riesenreiche nicht mehr so scharf hervortraten, wie noch im Jahre 1907. Die Hoffnungen, welche auf die neue Reichsduma bezüglich einer inneren Wiedergeburt des Zaren
reiches gesetzt wurden, haben sich bis jetzt nur in sehr ungenügendem Grade erfüllt. Eine spezielle Heimsuchung für das Land bedeutete die Choleraepidemie, welche während eines großen Teil des Jahres in einer ganzen Reihe von Gouvernements und ganz besonders auch in der Hauptstadt Petersburg auftrat, wo sie zahlreiche Opfer forderte.
In England zog der Rücktritt des schwerkranken Premierministers Campbell-Bannermann, der dann wenige Wochen nach seiner Demission starb, eine teilweise Umbildung des liberalen Kabinetts nach sich; Chef des neuen Ministeriums wurde Mr. Asquith, der seitherige Minister des Innern. In der auswärtigen Politik des Jnselreiches machte sich namentlich eine Annäherung Englands einerseits an Frankreich, anderseits an Rußland bemerklich, während das Verhältnis zu Deutschland trotz der Monarchenbegegnung von Friedrichshof und ungeachtet zahlreicher privater Veranstaltungen zur Herbeiführung einer Besserung in den deutsch-englischen Beziehungen ein kühles blieb. In Indien, dem wichtigsten englischen Kolonialbesitz machten sich revolutionäre Bewegungen mit teilweise anarchistischem Einschlag geltend, indessen wurden sie von der Regierung ohne größere Krastanstrengung wieder unterdrückt.
Berlin, 2. Jan. Der Kaiser empfing heute den Reichskanzler zum Vortrag. Die Kaiserin empfing gestern die Gemahlin des amerikanischen Botschafters Hill im Kaiserlichen Schloß.
Berlin, 2. Jan. Heute abend fand in der Bildergalerie des Schlosses eine Tafel für die kommandierenden Generale statt. Die Majestäten saßen einander gegenüber. Rechts von der Kaiserin saß Prinz Rupprecht von Bayern, links Prinz Heinrich. Rechts vom Kaiser saß General- feldmarschall v. Hahnke, links Generalfeldmarschall Graf Häseler.
Berlin, 3. Jan. Die „Nordd. Allgem. Ztg." schreibt: Prinz Heinrich von Preußen besuchte gestern nachmittag den Reichskanzler Fürsten Bülow.
Der neue deutsche Botschafter in Washington wurde am Mittwoch vom Präsidenten Roosevelt empfangen, wobei zwischen beiden verbindliche Reden gewechselt wurden.
Paris, 2. Jan. In seiner Kandidatenrede für den Senat sprach Clemenceau über die auswärtige Politik und wies darauf hin, daß es die Regierung verstanden habe, das Einverständnis mit den Verbündeten aufrecht zu erhalten im Interesse eines Friedens, der würdig, ehrenvoll und für niemand verletzend sei. Clemenceau erklärte ferner, er nehme für sich die Ehre in Anspruch, den Anti- patriotismus bekämpft zu haben.
Die Offiziere des dritten türkischen Armeekorps haben an die Pforte die Bitte gerichtet, sie möge versuchen, den deutschen General v. d. Goltz Pascha wieder für den türkischen Armeedienst zu gewinnen. Der genannte deutsche Offizier hat bekanntlich die türkische Armee auf moderner Grundlage reorganisiert.
Privatstunden auf städtische Kosten erhalten demnächst 24 Knaben der untersten Volksschulklaffe in Hannover-Münden. Dieser beachtenswerte Entschluß entspringt allerdings weniger besonderem Interesse für die Schüler als — Sparsamkeitsgründen. Ohne Nachhilfe können die 24 Schüler zu Ostern nicht versetzt werden, so daß mit Rücksicht auf die zu erwartenden neuen Schüler eine weitere Klasse eingerichtet werden müßte. Um dies zu verhindern, wurde obiger Beschluß gefaßt.
Die größte Talsperre Europas erbaut zurzeit der Ruhr-Talsperrenverein an der Möhne. Das Möhnetalsperren-Staubecken wird 130 Millionen Kubikmeter Wasser fassen. Die Bauzeit ist auf
7 Jahre berechnet, die Kosten sind aus 20 Millionen Mark veranschlagt. Um Platz zu schaffen für das Staubecken müssen 200 Häuser verschwinden; die überstaute Fläche umfaßt mehr als 4000 Morgen. Eine große Verkehrsstraße Neheim-Belecke wird auf eine Länge von 14 Kilometer verlegt und für die Zeit der Erbauung der Sperrmauer werden zwei Flußläufe umgeleitet. Die Sperrmauer selbst wird an der Krone 632 Meter lang und 40 Meter hoch werden, die Mauerstärke beträgt 34 Meter. Das Bauland liegt zwischen Soest und Arnsberg, da wo die Höfe in die Möhne fließt.
Bei der strengen Kälte in den letzten Tagen sind in der Neumark 4 Personen erfroren.
Chaumont, 2. Jan. Gestern abend stieß der Schnellzug Basel-Paris in der Nähe von Chaumont mit einem Güterzug zusammen. Drei Reisende und zwei Eisenbahnbeamte wurden getötet.
Budapest, 2. Jan. Aus Oedenburg wird gemeldet: Heute 4 Uhr morgens wurde im Walde bei Kapuva ein gelbes Luftschiff bemerkt, welches in einer Baumkrone verwickelt war. Die Insassen des Ballons konnten nur mit großer Mühe bei großer Finsternis und schneidender Kälte von den Bäumen herabklettern. Sie waren am Tage vor Neujahr bei Berlin mit ihrem Luftschiff aufgestiegen. Es sind ein preußischer Leutnant und ein junger Mann in Zivil. Sie verbrachten volle 36 Stunden in der Luft, im Schneesturm und Orkan. Das Luftschiff, welches deutsches Wappen und Fahne trägt, konnte bisher nicht freigemacht werden. Beide Luftschiffer wurden im Schlosse des Barons Berg eines herzlichen Empfanges teilhaftig.
Die Hilfsaktion für Sizilien
hat sich am Samstag nachmittag im Reichstag konstituiert. Es waren u. a. zugegen: Staatssekretär v. Schön, Unterstaatssekretär v. Löbell als Vertreter des Reichskanzlers, der Vizepräsident des Reichstags, die Chefredakteure der größeren Berliner Blätter, Oberbürgermeister Kirschner u. a. Die Versammlung wurde von dem Einberufer, Kommerzienrat Selb erg eröffnet. Auf seinen Vorschlag wurden in das Präsidium gewählt: Adolf Friedrich, Herzog von Mecklenburg, Reichstagspräsident Graf Stolberg, der bayerische Gesandte Graf Lerchenfeld, der sächsische Gesandte Graf Vitzthum, sowie der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Vereine vom Roten Kreuz, von dem Knesebeck. Darauf übernahm Herzog Adolf Friedrich das Präsidium und dankte der Kaiserin für die Uebernahme des Protektorats, sowie dem Reichskanzler für die Uebernahme des Ehrenpräsidiums. Sodann wurde Kommerzienrat Selberg zum Vorsitzenden gewählt. Es wurde beschlossen, sofort vier Sonderzüge mit Lebensmitteln, wollenen Decken, Kleidungsstücken und Material zur Verpflegung von Kranken und Verwunderen unter Begleitung von Sanitätspersonen in das Unglücksgebiet zu entsenden. Innerhalb der Versammlung erfolgte dann die Zeichnung bedeutender Beiträge, darunter Krupp von Bohlen und Hal- bach 40000 Mk., die Großbanken mit je 20000 Mk. Herzog Adolf Friedrich schloß darauf dis Versammlung mit einem Dank an die Anwesenden.
Die „Hamburg-Amerika-Linie" wird dem Dampfer „Jllyria" ein beträchtliches Quantum Liebesgaben nach Sizilien überbringen und Lebensmittel zur Verpflegung von 1000 Personen für eine Woche ausreichend, sowie das nötige Eß- geschirr mitgeben. Diese Lebensmittel dienen gleichzeitig zur Vervollständigung der Ausrüstung der sechs Baracken, die als Geschenk des Kaisers auf der „Jllyria" verladen werden. — Nach einer Meldung aus New-Jork befördert die „Hamburg-Amerika-Linie" mit dem am 5. Januar von New-Aork nach Italien abgehenden Dampfer „Hamburg" gleichfalls Liebesgaben für Sizilien.