Run-schau.

Berlin, 30. Dezbr. Hier herrschte gestern grimmige Kälte. Das Thermometer zeigte 18 Grad unter Null. Infolgedessen sind die Asyle für Ob­dachlose überfüllt. Strenge Kälte herrscht auch seit 3 Tagen im Weichselgebiet. Hier erlitten Bahnzüge infolge der Schienenglätte und vieler Radreifenbrüche oft mehrstündige Verspätungen. Wegen Eisgangs mußte auch die Schiffahrt auf der Weser, der Saar, der Mosel und dem Neckar eingestellt werden. Auch der Elbe-Trave-Kanal ist wegen Eisbildung für die Schiffahrt geschlossen worden.

Berlin, 30. Dezbr. Der Temperatursturz hat weiter angehalten, und die Quecksilbersäule ist, wenn auch langsam, so doch ununterbrochen gefallen, bis zu einem Tiefstand von 18 Grad Celsius, den das registrierende Thermometer am Dienstag morgen um 8 Uhr verzeichnete. In den Außenbezirken und Vororten werden Temperaturen bis zu 20 Grad Kälte gemeldet, es ist dies die niedrigste Temperatur, die wir seit Jahrzehnten aufzuweisen haben, und eine strengere Kälte ist nur an einzelnen Tagen in den Wintern der siebziger Jahre des vorigen Jahr­hunderts beobachtet worden. Der Eiswuchs ist bei dieser Kälte ein ganz enormer.

DieHamburg-Amerika-Linie" in Hamburg, derNorddeutsche Lloyd" in Bremen, dieHolland- Amerika-Linie" in Rotterdam und dieRed Star- Linie" in Antwerpen haben die Zwischendecksraten nach Nordamerika um durchschnittlich 30 Mk. erhöht.

Mainz, 30. Dez. Die Beerdigung des ehe­maligen Reichs- und Landtagsabgeordneten Nicola Rackä und seiner drei mit ihm ermordeten Töchter fand gestern vormittag auf dem Mainzer Friedhof unter Teilnahme einer großen Menschenmenge statt. Der Mörder Josef Racks wird dem Vernehmen nach zur Untersuchung seines Geisteszustandes in eine Irrenanstalt gebracht werden.

In einem Berliner Blatte hat sich eine Frau über die Frauenfrage geäußert und ist dabei zu dem Schluß gekommen, daß es eine solche eigentlich gar nicht gibt. Recht deutlich führt sie dazu u. a. aus: Man soll den Frauen nicht immer mehr und mehr neue Berufsarten erschließen, sondern man soll für den Mann die Heiratsmöglichkeiten wieder er­weitern, damit die Hauptzahl der Frauen zu ihrem natürlichen Beruf gelangen kann, zu dem der Haus­frau und Mutter, denn das ist ihre Aufgabe und ihr eigentlicher Beruf. Hat sie einen Mann gefunden, dann, meine Damen, pfeift sie auf die ganze Frauen­bewegung, auf das allgemeine Stimmrecht usw., für sie ist die Frauenfrage gelöst. Wohl uns, wenn wir wieder dahin kommen, daß sie für jede Frau in dieser Weise gelöst werden könnte I" Wie ver­ständig diese Frau ist, das geht z. B. auch aus der weiteren Bemerkung hervor, daß es nicht des Weibes Art ist, sich auf dem politischen Kampfplatze herum­zuschlagen, die Frau gehöre in das Haus. Was werden die blutige Rosa und die sogenanntenfort­schrittlichen" Frauen dazu sagen!

Aachen, 23. Dez. Wie dieAachener Post" berichtet, hat der mißlungeneDoppelte Moral"-Trick hier in einem Ehescheidungsprozeß eine erhei­ternde Rolle gespielt. Es stand vor dem Landgerichte ein Sühnetermin in einer Ehescheidungsklage an. Der Vorsitzende hatte schon vergeblich versucht, die klagende Ehefrau zur Nachsicht gegen den sündigen Galten zu bestimmen, als die Entrüstete plötzlich in ihr Handtäschchen griff und voller Wut einen Brief auf den Richtertisch schleuderte:Da seht, Herr Rat, was für ein Kerl mein Mann ist, seine Schand­taten sind so bekannt, daß schon Bücher über ihn geschrieben wurden!" Ueberrascht nahm der Richter das Schreiben an sich, um lächelnd zu erwidern: Ja liebe Frau, da dürfen Sie sich nichts daraus machen, man hat von mir genau dasselbe geschrieben!" Allgemeine Heiterkeit. Das so wichtige Beweisstück der Klägerin war einer jener ominösenGanter-Briefe".

Hannover, 22. Dezbr. Aus Lehe wird dem Hannoo. Kurier" gemeldet: Ungeheuerliche Kur­pfuschereien hat sich der Arbeiter Knicziak hier zuschulden kommen lassen. Das Maß hatte eine Pferdekur vollgemacht, die er mit einem lungen­schwindsüchtigen Arbeiter vornahm, dem der Arzt immer noch ein paar Monate leidlichen Befindens vorausgesagt hatte. Er verordnte ihm eine Packung von heißen Ziegelsteinen und Einreiben einer scharfen Salbe. Die Folge war ein riesiger Schweißausbruch, sechzehnstündiger Schlaf und Tod durch Versagen des Herzens. Knicziak, der jetzt angeblich nach Amerika geflüchtet ist, hat vor etwa einem Jahre seinePraxis" hier ausgenommen, nachdem er fünf Wochen Gefängnis wegen Körperverletzung hinter sich hatte. Die Leute strömten nur so zu ihm, und

der Ruf desLehrer Wunderdoktors" ging über die Grenzen unseres Ortes hinaus. Das Vertrauen auf ihn stand bei einer großen Menge unerschütterlich fest, trotzdem der berühmte Mann sehr oft betrunken war. Blinde und stumme Kinder mußte er wunder­tätig berühren. Es ist geradezu rätselhaft, was hier wieder die Massenhypnose bewirkt hat, aber das Er­staunen wächst ins Ungemessene, wenn man hört, wie sogar gebildete und angesehene Personen sich den Händen dieses Menschen anvertraut haben.

Bei Bracht gerieten vier junge Leute auf einem Feldweg mit dem Jagdhüter in Streit. Der Jagd­hüter gab auf zwei Brüder Schüsse aus seiner Doppelflinte ab, einem drang die Kugel in den Unterleib, er starb im Krankenhause, dem anderen in den Oberschenkel, sodaß das Bein amputiert werden muß.

Ueber die Wiederzunahme der amerikanischen Einwanderung enthalten die Newyorker Zeitungen interessante Angaben. Danach hat die größte Zahl von Auswanderern, die bisher während dieser Saison an einem einzelnen Tage auf Ellis Island ein­getroffen ist, kürzlich immerhin schon wieder 2623 Köpfe betragen, wozu freilich die gleichzeitige An­kunft von sechs großen Ozeandampfern verschiedener Nationalitäten nötig war. Der größte Zwischen­deckertransport eines einzelnen Dampfers während des ganzen Jahres wurde mit 1054 Personen bei dem im November eingetroffenen DampferKaiserin Auguste Viktoria" der Hamburg-Amerika-Linie fest­gestellt. Seit dem Beginn der geschäftlichen De­pression hält noch immer den Rekord der Dampfer Präsident Grant" derselben Linie, der am 1. Dez. v. I. mit 1458 Zwischendeckspassagieren nach New- Dork abging.

Eine förmliche Schlacht fand in einer der letzten Nächte auf der Insel Lessino bei Moskau zwischen in einem Hause verschanzten Verbrechern und Polizisten statt. Ganze Gewehrsalven wurden zwischen den kämpfenden Parteien gewechselt, ein Versuch des Chefs der Moskauer Sicherheitspolizei, mit einigen seiner Leute durch das Dach in das Haus einzudringen, wurde von den Belagerten durch heftiges Gewehrfeuer vereitelt. Erst am nächsten Nachmittag drang die Polizei in das Haus ein, fand dort aber nur einen Mann mit durchschossener Schläfe vor. Der Besitzer des Hauses ist verhaftet worden. Mehrere Polizeibeamte, darunter der Chef der Sicherheitspolizei, sind schwer verwundet. Ein Beamter ist seinen Verletzungen erlegen.

Ernst Zahn, der gefeierte Schweizer Dichter, läßt seinen neuesten RomanEinsamkeit" in Velhagen und Klassings Monatsheften erscheinen.

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Neuenbürg. Von allen Türmen und Türmchen tönt feierliches Glockengeläuts herab ein Grab­gesang dem alten, ein Wiegelied dem neuen Jahre. UndProsit Neujahr!" hört man auf den Straßen rufen;Prosit Neujahr!" wird in den Hütten, Häusern und Palästen von Mund zu Mund gewünscht. Wieviel Wünsche im alten Jahre auch unerfüllt bleiben, das neue Jahr senkt wieder ein Samenkorn der Hoffnung ins Menschenherz. Mit frischem Mute ergreift Jung und Alt die gewöhnte Tätigkeit, um im neuen Jahre zu erringen, was im alten Jahre nicht erreicht werden konnte. Wer sein Werk mit Mut beginnt und den Mut bei der Durch­führung nicht verliert, der wird das gesteckte Ziel auch erreichen. Jeder sollte am Jahresschluß auf seine unerfüllt gebliebenen Wünsche zurückblicken und objektiv prüfen, inwieweit er selbst die Schuld daran trägt, daß die Wünsche sich nicht erfüllten, prüft er ohne jede Beschönigung und Schonung seines eigenen Jchs, dann wird er zu wunderbaren Resultaten ge­langen. Er wird finden, daß er selbst sehr häufig der Schuldige war. Entweder hat er die Flinte zu früh ins Korn geworfen, oder er war zu rasch, hat es an der zur Durchführung des Begonnenen nötigen Energie fehlen lassen, oder er hat nicht haus­hälterisch gewirtschaftet, über seine Verhältnisse hin­aus gelebt und wie die Ursachen alle heißen mögen. Eine solche Jahresbilanz resp. Jahresrechnung ist sehr heilsam. Man geht dadurch von der Wirkung auf die Ursachen zurück, lernt die schädigenden Hemmnisse kennen und vermeidet sie im kommenden Jahre. Dann werden sich auch alle Wünsche im neuen Jahre verwirklichen. Letzteres wünschen wir den Lesern desEnztälers" von Herzen und in diesem Sinne rufen wir ihnen zu: Prosit Neujahr!

Aufgabe.

Welche Zahl ist um ebenso viel kleiner als 1909, wie ihr 82faches größer als 1909 ist?

Redaktion. VrM »«d V«ÄSK ss« L Mssh i» WmssRSsrA

Regiere wild Md d«che gut!

Von Wilhelm Busch.

Als der Buschrezitator Schacht kürzlich in Leipzig einen Buschabend veranstaltete, wurde ihm von einer Dame ein Kochbuch überreicht, das sie 1833 zu ihrer Hochzeit von Wilhelm Busch bekommen hatte. Auf der ersten Seite des Kochbuches finden sich, wie dieLeipz. N. N." mitteilen, in der charakteristischen Handschrift des Alten von Mechtshausen folgende hübsche Verse:

Es wird behauptet und mit Grund, ein nützlich Werkzeug sei der Mund!

Zum ersten läßt das Ding sich dehnen, wie Guttapercha um zu gähnen!

Ach, Grete, wenn du dieses mußt, tu es im Stillen und mit Lust!

Zum zweiten: Wenn es grad von Nöten kann man ihn spitzen um zu flöten.

Sitzt dann der Schatz auch mal allein, dies wird ihm Unterhaltung sein!

Zum dritten läßt der Mund sich brauchen, wenn's irgend passend, um zu rauchen.

Dies kannst du deinem guten Galten, der darum bittet wohl gestatten.

Zum vierten ist es kein Verbrechen, den Mund zu öffnen, um zu sprechen.

Vermeide auch Gemütserregung, sprich lieber sanft mit Ueberlegung, denn mancher hat sich schon beklagt:

ach hält' ich das doch nicht gesagt!"

Zum fünften: Wie wir alle wissen: so eignet sich der Mund zum Küssen.

Sei's offen, oder sei's verhohlen, gegeben oder nur gestohlen, ausdrücklich oder nebenher, bei Scheiden oder Wiederkehr.

In Frieden und in Kriegeszeiten: ein Kuß hat seine guten Seiten!

Zum Schluß jedoch nicht zu vergessen hauptsächlich dient der Mund zum Essen!

Gar lieblich dringen aus der Küche bis in das Herz die Wohlgerüche.

Hier kann die Zunge fein und scharf sich nützlich machen und sie darf:

Hier durch Gebrätel und Gebrittel bereitet man die Zaubermittel, in Töpfen, Pfannen oder Kesseln, um ewig den Gemahl zu fesseln.

Von hier aus herrscht mit schlauem Sinn, die Haus- und Herzenskönigin.

Lieb's Gleichen! Halt dich wohlgemut.

Regiere mild und koche gut!

Zum Jahreswechsel.

Nun schließen sich des Jahres Pforten, Und leise sinkt die Nacht herab;

Zum Greise ist das Kind geworden.

Die Blütenflur zum öden Grab.

Und fragend rauscht zur Jahreswende Manch Rätselspiel im Erdental,

Ob nicht bald alle Not zu Ende, Verstummt nicht all die herbe Qual.

Da, horch, zu mitternächt'ger Stunde Wie Donnerhall der Glockenschlag Verkündet mit prophet'schem Munde Des neuen Jahres ersten Tag.

Wie sich die Staubgebornen träumen Des jungen Jahres Zauberbild I Wie wenn in maiengrünen Bäumen Zu Blüt' und Frucht die Knospe schwillt.

Und doch, wer zählt sie all, die Tränen, Die nur ein einzig Jahr verschweigt? Wer kennt der Armut heimlich Sehnen, Die Not, die still vorüberschleicht?

Wer hätte Hände g'nug, zu retten.

Wenn Unglück laut um Hilfe schreit? Wer kennt sie all die Jammerstätten,

Da nie der Freude Morgen mait?

So weiß ich an der Jahreswende Zum Heren der Welt nur ein Gebet:

O führe alles du zu Ende,

Wie es in Deiner Weisheit steht!

Zum Kämpfen gib uns neue Stärke,

Im Leiden Trost und Zuversicht,

Und tu das größte deiner Werke,

Wenn einst dies müde Auge bricht!