Zweites

Blatt.

Der Lnztäler.

Zweites

Blatt.

^ 48.

Neuenbürg. Mittwoch den 2». März 1908.

66. Jahrgang.

RunSsehau.

Berlin, 23. März. Eine bestialische Tat an seinem eigenen Kinde, die heute früh zur Kenntnis der Polizei gelangte, verübte der Gelegen­heitsarbeiter Afred Dittmar in der Wohnung seiner Geliebten, der Arbeiterin Emma Schönikowsky. Das Kind, ein 3 Wochen alter Knabe, hatte in der Nacht andauernd geschrieen, worüber der rohe Vater, der schlafen wollte, so in Wut geriet, daß er den Säug­ling ergriff, hoch in die Luft hob und mit aller Gewalt auf den Boden warf. Das Kind war so­fort tot. Dittmar und seine Geliebte verabredeten dann, um den Tod des Knaben zu erklären, zu sagen, daß das Kind an den Folgen eines Stoßes gestorben sei. Als die Schönikowsky am Morgen allein war (Dittmar war fortgegangen, um einen Arzt zu holen), fühlte sie Gewissensbisse und teilte dem im Hause wohnenden Milchhändler Wespen­mayer den Vorgang mit. Dieser erstattete sofort bei der Polizei Anzeige und Dittmar wurde bei seiner Rückkehr in die Wohnung festgenommen.

118 Millionen für den Umbau der Leipziger Bahnhöfe. In der sächsischen Zweiten Kammer ist die vierte Rate für den Umbau der Leipziger Bahnhöfe mit 5465 000 Mk. einstimmig genehmigt worden. Dabei gab der Abgeordnete Zeidler nähere Daten über den gewaltigen Bau, die besonders auch in Stuttgart großes Interesse verdienen. Im laufen­den Jahre sollten die Arbeiten am Personenhaupt­bahnhof in Angriff genommen werden. Dieser Zeit­punkt ist eingehalten worden. Das Empfangsgebäude wird eine Länge von ungefähr 300 Meter erhalten. Hinter dem Empfangsgebäude soll sich auf dessen ganzer Länge ein 20 Meter breiter Bahnsteig er­strecken. Auf diesen Bahnsteig werden 26 Bahn­steiggleise mit 12 Zwischenbahnsteigen und 2 Rand- bahnsteigen stoßen, die je 270 Meter Länge erhalten. Für den Gepäckverkehr werden besondere Gepäck­bahnsteige hergestellt, die mit-den Räumen für die Gepäckabfertigung durch Gepäcktunnel und Aufzüge mit elektrischem Antrieb verbunden werden. Es sind im ganzen angekaust worden zum Umbau der Leip­ziger Bahnhöfe 1529 885 Quadratmeter. Hiervon sind wieder verkauft worden an die Stadt Leipzig, die Reichspost, die preußische Eisenbahnverwaltung usw., Arbeiterpensionskasse 165011 Quadratmeter. Die größte Fläche ist zu dem Rangierbahnhof in Engelsdorf gekauft worden. Es dürften noch An­gaben über die Aufwendungen interessieren, die der preußische Staat für den Bau der Leipziger Bahn­höfe gehabt hat. Der Hauptanschlag der preußischen

Teure Wrrchernmre.

Humoreske von Adolf Thiele.

- (Nachdruck verboten.)

Seufzend stieg der ältere Herr drei Treppen des eleganten Wohnhauses empor. Nachdem er auf den Klingelknopf gedrückt, erschien eine würdige Dame. Verzeihen Sie", sagte der Besucher,ist vielleicht der Herr Professor zu sprechen?"Wen darf ich melden?" fragte die Dame.Willibald Hinzmann, Maler!" erwiderte der Fremde schüchtern.Der Herr Professor kennt mich schon."Bitte, warten Sie hier im Vorzimmer l" entschied die Dame.Ich weiß noch nicht, ob der Herr Professor zu sprechen ist." Bald kehrte sie zurück:Der Herr Professor läßt bitten." Etwas zaghaft folgte der Eingeladene; seinen abgenützten Ueberzieher legte er indessen nicht, ab.Bitte, bemühen Sie sich nicht!" sagte er.Ich kenne den Weg schon." Er ging nun einen Gang entlang in's Hintergebäude, wo Professor v. Menzel sein Atelier hatte, einen besonderen Bau, den der Hausherr dem berühmten Maler zuliebe hatte er­richten lassen. Hinzmann klopfte leise an.Herein I" ertönte eine scharfe Stimme. Der Eintretende fand den großen Kollegen mit einer jener kleinen Skizzen beschäftigt, bei denen der Laie nicht einzusehen ver­mag, daß der Schöpfer so gewaltiger Gemälde erst so peinliche Vorstudien 'macht.Recht lange nicht gesehen, lieber Kollege!" äußerte Menzel mit einer, scharfen Stimme, ohne seine Gestalt zu erheben. Bitte, nehmen Sie Platz!" Hinzmann setzte sich

Eisenbahnverwaltung beziffert sich auf 52432210 Mark. Sächsischerseits sind sie veranschlagt auf 49 500 000 Mk. Die Stadt Leipzig trägt außerdem zu den Bahnhofsumbauten in Leipzig 17 Millionen Mark bei.

Ein wirksames Mittel der Selbsthilfe hat der Detaillistenstand gefunden, indem er sich zu lokalen Vereinigungen zusammenschließt und durch gemeinsames Vorgehen alle Unlauterkeiten im Ge­schäftsleben auszumerzen und die gemeinsamen An­gelegenheiten gemeinsam zu regeln bestrebt ist. Solche Detaillistenkonventionen haben sich bisher gebildet in Nürnberg, Köln, Frankfurt, Wiesbaden, Ham­burg, Bremen usw. Insbesondere befassen sie sich mit der Regelung der Reklame, des Ausverkaufs­wesens, des Borgwesens, der Preisfestsetzung für manche Artikel usw. Hiebei ist das Novum ein­getreten, daß Spezialgeschäfte und Warenhäuser gemeinsame Sachen machen. Ob man nicht auch in Stuttgart und Württemberg diesen Weg der Selbst­hilfe beschreiten wird, statt immer nur sich gegen­seitig zu bekämpfen?

Daxlanden, 19. März. Ein Schwindler, der sehr wahrscheinlich am 12. d. M. in einem Spezereiladen in Mühlburg unter dem Vorgeben, daß falsches Geld im Umlauf sei, als falscher Kriminalschutzmann 60 Mk.beschlagnahmte", glaubte auch seine Betrügereien hier betreiben zu können. Er erschien gestern mittag in dem Spezereiladen der Frau Blank Witwe und gab auch dieser an, daß er beauftragt sei, die Kaffe zu untersuchen, da hier falsches Geld kursiere. Die gutgläubige Frau gab ihre Kasse im Betrag von 58 Mark heraus, mit welchen der Schwindler verschwand. Da man aber nachher der Sache nicht recht traute, wurde die Gen­darmerie verständigt und die Verfolgung des Be­trügers ausgenommen. Er wurde dann auch in der Richtung gegen den Rheinhafen eingeholt und ver­haftet.

Aus Bayern, 19. März. Der Bezirksamt­mann Miller in Kaufbeuren hat bei seinem Ein­treten für Beibehaltung der BezeichnungBauer" bedauerlicherweise scharfe Gegnerschaft bei den Land­wirten selbst gefunden. Von dieser Seite wurde besonders auf die vielfache Verspottung der Be­zeichnungBauer" hingewiesen. Regierungsrat Miller ergreift nun zu der Sache nochmal das Wort und führt u. a. aus: Daß der Spott, den der Bauer" sich gelegentlich gefallen lassen muß, am Verschwinden des NamensBauer" schuld sei, ist nicht wahr; jeder Stand ohne Unterschied wird ver­spottet; deshalb aber den Stand verleugnen und

auf einen Fauteuil, während Menzel sich eifrig eichnend über seine Skizze beugte, sodaß man von einem Haupte nur die mächtige Glatze sah. Nach einer Weile erhob er sich und gab dem Besucher die Hand, ohne daß sich in seinem ehernen Gesicht eine Bewegung kundgab.Was führt Sie zu mir, Kollege?"Verzeihen Sie, Herr Professor!" be­gann Hinzmann stockend.Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll"Nur heraus damit!" brummte Menzel, indem er mit der Hand in den großen Hambacher Bart" fuhr, d«r sein Gesicht umrahmte. Nun denn, es geht mir schlecht, mein Hauswirt will mich pfänden lassen!"Hm!" brummte Menzel und blickte ihn durchdringend an.Ich verdiene jetzt nicht mehr viel", fuhr der Besucher fort,und da mußte ich die Miete schuldig bleiben. Natürlich will ich nichts geschenkt haben, aber bei einer solchen Pfändung geht manches zu Spottpreisen fort, woran man hängt . . . Wenn Sie, Herr Professor" Lieber Herr Hinzmann", sagte Menzel,für's erste bin ich für Sie nicht der Herr Professor, sondern wie früher, wo wir noch miteinander verkehrten, einfach Menzel. Hätten sich schon längst einmal an mich wenden sollen!"Unsere Lebenswege gingen

auseinander, Herr Pro.Herr Menzel!"

Ach was, wir sind noch immer die Alten! Was ist's denn für ein Kerl, Ihr Hauswirt?"Ach Gott, ein vermögender Mann, aber die Mieter schraubt er auf jede Weise, und mit dem Pfänden ist er gleich bei der Hand."So'n richtiger Hauspascha, wie's hier so manchen gibt!" murrte Menzel, indem sich

etwa sich anders zu nennen, wäre doch grundfalsch. Das sind doch wahrhaftig keine Gründe, mit denen man einen wohlgemeinten Rat bekämpfen kann. Man sollte doch aus meiner Kundgebung zuallererst das herauslesen, was auch dazu bewogen hat: die Hochachtung vor dem Stand des Bauern, dessen Name ein Ehrenname ist, weil er die für die Menschheit so wichtige Tätigkeit des Landmanns ausdrückt, was der NameOekonom" oderGuts­besitzer" nicht tut. Ehre, wem Ehre gebührt, und jeder ist umso geehrter, je mehr er sich selbst achtet. Es lebe der Bauer!

Hirschberg (Schlesien), 18. März. Eine eigen­artige Operation hat Sanitätsrat Dr. Middel- dorpf in seiner Privatklinik an einem aus Bunzlau stammenden, noch nicht sechzehnjährigen Mädchen vorgenommen. Bei der Patientin hatte sich im Unterleibe am Magen eine große Geschwulst gebildet. Nach'Oeffnung der Geschwulst fand man darin, wie dieSchief. Ztg." berichtet, 1410 einzöllige Nägel, 160 krumm gebogene Stecknadeln, 70 doppeltgespitzte Nadeln, 7 Nagelköpfe und 4 Glassplitter. Die Fremdkörper haben ein Gesamtgewicht von zwei Pfund. Das Mädchen hat die Operation gut über­standen und auch sonst keinen weiteren Schaden an seiner Gesundheit genommen.

Madrid, 18. März. Der König und der Anarchist. Von einem bekannten spanischen Fabrik­besitzer, der Augenzeuge einer interessanten Szene gewesen ist, die sich zwischen dem jungen König von Spanien und einem Anarchisten abgespielt hat, erfährt Fredöric Fehvre eine Episode, die er imGaulois" wiedergibt.Von einem Freunde hatte König Alfons erfahren, daß in einer Fabrik in der Umgebung von Barzelona ein Anarchist arbeitete, der als einer der gefährlichsten seiner Genossen galt und der sich offen gerühmt hatte, mit dem König ein Hühnchen zu rupfen, sobald er ihm einmal per­sönlich gegenüberträte. Der König fuhr darauf, nur von einem Freund begleitet, mit seinem Auto bei der Fabrik vor und begab sich sofort in den Arbeits­raum, in welchem der Anarchist am Werke war. Er näherte sich dem Manne, befragte ihn nach seiner Arbeit und schien sich für die Schwierigkeit der Tätigkeit sehr zu interessieren. Der Arbeiter erkannte den König und war sehr erstaunt zu sehen, daß der junge Monarch sich ihm allein und ohne Verteidigungs- mittel näherte; aber er blieb schweigsam und erstaunt. Der König fragte ihn, ob er eine Mutter, eine Frau und Kinder besäße.Ich habe keine Mutter mehr", antwortete der Anarchist,aber eine Frau, die ich erst kürzlich geheiratet habe." Das Erstaunen des

die Furchen auf seiner hohen Stirn tiefer zogen. Nun, ich helfe Ihnen, aber unter einer Bedingung: daß Sie mir nicht in den Weg treten, wenn ich dem Kerl eine Lektion gebe für sein schofles Ver­halten." Hinzmann versprach dies, worauf ihm der berühmte Kollege noch einige Weisungen gab.Ge­lingt es nicht, geb ich Ihnen einen Vorschuß", sagte er, und dann führte er ihn vor ein Bild.Was ist Ihr Urteil über diese Vase!" fragte er ihn. Aber Herr Menzel, ich kann mir doch nicht er­lauben ..."Dummes Zeug", brummte Menzel, ich lerne von jedem; Sie sind ja in Keramik sicher . . ."Aber Herr Menzel, woher wissen Sie das noch?"Ich vergesse überhaupt nichts", sagte der Professor; nach einigen sachlichen Bemerkungen entließ er dann seinen Kollegen, und dieser verab­schiedete sich höflichst von der Dame, die dem Haus­wesen des nur seiner Kunst lebenden großen Malers Vorstand.

Im Auktionslokale befanden sich unter zahlreichen anderen Dingen auch einige Bilder, die Hinzmann gehörten. Der Hauswirt, der unter einer Anzahl von Kauflustigen auch mit zugegen war, hatte sich von seinem ebenfalls anwesenden Mieter die Gegen­stände, die diesem gehörten, angeben lassen. Zehn Minuten vor Beginn der Auktion erschien ein ele­gant gekleideter, kleiner, älterer Herr im Saale, schenkte jedoch den Anwesenden und den Möbeln nicht einen Blick, sondern steuerte auf einige Bilder zu, die auf Stellagen dortstanden. Unter diesen fesselte eins, ein anscheinend sehr altes, gebräuntes