Zweites

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Blatt.

Der EnztSler

Blatt.

28.

Neuenbürg, Mittwoch den 19. Februar 1908.

66. Jahrgang

RunSschau.

Berlin, 15. Febr. Eine neue Warnungs­vorrichtung vor dem Haltesignal ist auf Anordnung des Ministers der öffentlichen Arbeiten auf der Strecke Bitterfeld-Halle erprobt worden. Sie besteht im wesentlichen aus zwei an der Lokomotive ange­brachten Röhren, die im Vorbeifahren mit zwei am Gestänge liegenden Pedalen in Berührung kommen, sofern das weiterhin folgende Signal auf Halt steht und dieses seine Stellung auf die Pedale übertragen hat. Ein einfacher Mechanismus bewirkt in diesem Falle, daß bei der Berührung die Dampfpfeife er­tönt und ein rotes Signal auf dem Führerstande sichtbar wird. Gleichzeitig ist auch schon die Bremse der Lokomotive selbst in Tätigkeit gesetzt. Am Haltesignal selbst wiederholt sich dieser Vorgang, nur daß hier die Zugbremsen in Aktion treten. So ist ein Ueberfahren des Haltesignals ausgeschlossen. Bei den Versuchen, die in Gegenwart von Vertretern des Ministeriums stattfanden, bewährte sich die Warnungsvorrichtung selbst bei einer Fahrgeschwin­digkeit bis zu 110 Kilometer per Stunde. Der Minister hat daher angeordnet, daß die Vorrichtung in (vereinfachter Form) auf einer größeren Zahl von Lokomotiven angebracht und längere Zeit im Betrieb beobachtet werden soll.

Berlin, 15. Febr. Von spät erwachten Ge­wissensbedenken spricht eine Bekanntgabe des Kriegs­ministeriums: Darnach ist am 20. Januar 1908 in einem Briefumschlag Poststempel Köln 18. 1. 08 mit einem Anschreiben ohne Unterschrift ein Hundertmarkschein als Ersatz für einige durch die Schuld des Einsenders während des Krieges von 1870/71 in Verlust geratene Ausrüstungs­gegenstände an das Ministerium gelangt, das den Betrag den Einnahmen des Reichs zugeführt hat.

Berlin, 17. Februar. Der am 7. Dezember 1907 hier verstorbene Rentner Friedrich Wilhelm Bolle hat ein ansehnliches Vermögen von'annähernd einer Mill. Mark hinterlasfen und der Stadt Berlin ver­macht. Nach Abzug von etwa 240000 ^ Legaten, Erbschaftssteuer usw. verbleiben rund 750000 deren Zinsen für Wohlfahrtszwecke verwandt werden sollen.

Berlin, 18. Febr. Unter dem Ehrenvorsitz des Bürgermeisters Dr. Mönckeberg ist gestern in Hamburg ein Verein für Luftschiffahrt gegründet worden, dem jetzt schon über 300 Mitglieder bei­getreten sind. Dem Verein wurden bereits große Stiftungen gemacht und u. a. auch ein vollständiger Ballon geschenkt.

Trier, 14. Febr. In dem benachbarten Büd­lich stießen zwei Bauern beim Ausschachten eines Grabens auf dem Kirchhof einen halben Meter unter der Oberfläche auf ein mit alten Münzen ange­fülltes irdenes Gefäß, in dem nach derTrier. Ztg." ungefähr 1400 Münzen aus Silberblech im Gesamt­gewicht von annähernd zwei Pfund gefunden wurden. Die Münzen stammen aus dem 13. Jahrhundert.

London, 14. Febr. Der Abenteurer v. V elt- heim ist gestern zu der außerordentlich hohen Strafe von 20 Jahren Gefängnis verurteilt worden, weil das Gericht in ihm einen gemeingefährlichen Ver­brecher von höchst gemeiner Gesinnung sah und auch den bedrohten Salomon Joel vor dem Revolver seines Verfolgers schützen wollte. Veltheims Er­zählungen über sein Verhältnis zu Barnato fanden keinen Glauben, besonders nachdem ein Detektiv- Inspektor einen auf genauen Nachforschungen be­ruhenden Bericht über das Vorleben des Angeklagten dem Gericht mitgeteilt hatte. Nach diesem Bericht heißt v. Veltheim tatsächlich Kurtz, ist 50 Jahre alt und zu Hohausen in Braunschweig geboren. Schon als Knabe war er ein Taugenichts. Seine Aben­teurerlust trieb ihn zur See und er trat, nachdem er auf verschiedenen Kauffahrteischiffen gedient, in die deutsche Marine ein. Einer seiner Vorgesetzten hieß v. Veltheim. Lange hielt er es bei der Marine nicht aus, er desertierte, nahm wieder Dienst aus anderen Schiffen und beteiligte sich an dem serbisch­bulgarischen Kriege. Darauf ging er nach Australien und später nach Amerika, wo er als Konsularagent von Kolumbien in Revolutionen machte und endlich

seinen Posten unter Mitnahme fremder Gelder ver­ließ. Nach einem Aufenthalt in Europa, wo er verschiedene Heiratsschwindeleien verübte, reiste er nach Südafrika, trat in die Polizeitruppe ein, wurde wegen seines schlechten Rufs entlassen und suchte dann seinen Lebensunterhalt durch Erpressungen gegen reiche Uitlanders zu erwerben. Sein Erlebnis mit Woolf Joel, dessen Ermordung und den darauf folgenden Prozeß, der mit der Freisprechung Velt­heims endete, haben wir schon erwähnt. Während des Burenkriegs wurde er von der englischen Re­gierung des Landes verwiesen; er tauchte in Triest auf und erschwindelte dort unter dem Vorgeben, er werde den verborgenen Schatz Krügers ausgraben, große Summen. Dann heiratete er wieder einigemal, um die Mitgift einzustecken, u. a. eine deutsche Witwe, die ihm eine halbe Million Mark einbrachte und Selbstmord beging, nachdem sie erfahren, in welche Hände sie gefallen. Einige Zeitungen malen aus, was wohl aus Veltheim geworden wäre, wenn er nicht in der gesitteten Gegenwart geboren wäre, son­dern zu den wilden Zeiten, als Seeheld, Eroberer, Freibeuter und Räuber oft in einer Person vereinigt waren. Wahrscheinlich wäre er damals bald auf­geknüpft worden, denn kein Zug seines Lebens weist darauf hin, daß er neben gemeiner Hochstaplerschlau- heit irgendwelche große Eigenschaften besaß.

Der Eisenbahnbeamte Laurent in La Mure bei Grenoble erwürgte seine Frau und seine beiden Töchter und entleibte sich dann selbst. Das Motiv der Tat ist unbekannt.

Eine Millionärstochter ohne Mitgift. Fräu­lein Theodora Shonts, die Tochter des Millionärs Shonts, der jetzt Präsident der Newporker Straßen­bahngesellschaft ist und früher den Panamakanalbau leitete, hat sich mit dem Herzog von Dechaulnes vermählt. Die Trauung fand vorgestern mittag in der denkbar einfachsten Weise nach katholischem Ritus statt. Der Vater der Braut war lange Zeit hin­durch gegen die Heirat gewesen und hatte wiederholt in Abrede gestellt, daß sich seine Tochter mit dem Herzog verlobt habe. Schließlich hatte er seinen Widerstand abgegeben, aber seine Kapitulation mit der für das junge Paar nicht gerade erfreulichen Ankündigung begleitet, daß er seiner Tochter keine Mitgift geben werde.

Driburg, 17. Febr. Infolge des Genusses von anscheinend verdorbenem Handkäse sind hier etwa 80 Personen zum Teil schwer erkrankt. .Unter den Erkrankten befinden sich viele Arbeiter der beiden hiesigen Glashütten, die teilweise den Betrieb einstellen mußten.

Württemberg.

Staatsschuldentilgung. Die Rückzahlung der am 10. Februar 1908 ausgelosten 3ffs°/oigen Staatsschuldenverschreibungen beginnt bei der Staats­schuldenkasse oder bei den auf den Schuldverschreib­ungen genannten Bankhäusern am 18. ds. Mts. Wer das gekündigte Kapital vor dem 31. März bei der Staatsschuldenkasse erhebt, erhält die Zinsen bis zu diesem Tag einschließlich vergütet. Die gezogenen Nummern veröffentlicht derStaatsanzeiger" in seiner Nummer 37 vom 14. Februar.

Tübingen, 17. Febr. Vor dem Schwurgericht wurde am Samstag gegen drei junge Burschen von Althengstett OA. Calw eine Verhandlung geführt, die des öfteren in Heiterkeit auslöste. Die An­geklagten sind in einer Lichtstube im Vorsitz gegen ein junges Mädchen allzu aufdringlich gewesen. Die Sache kam zur Anzeige und endete jetzt mit der Verurteilung zu zwei Monaten Gefängnis für jeden der allzu begehrlichen Burschen.

Friedrichshafen, 17. Febr. Das Resultat der heutigen Stadtschultheißenwahl ist folgendes: Wahlberechtigt sind 672 Bürger. Von diesen haben 614 abgestimmt. Stimmen entfielen auf Amtmann- Mayer-Saulgau 543, auf Regierungsassessor Dr. Schmid-Stuttgart 66, auf Amtmann Doll-Biberach 4. Ungültig war 1 Stimme.

Vom Schwarzwald, 16. Febr. Mit Bezug auf die in den Blättern die Runde machende Nach­richt von dem schlechten Geschäftsgang in der Uhren­industrie des Schwarzwaldes, wo durch Betriebs­

einschränkungen Arbeiterentlassungen verursacht worden seien, wird uns von wohl unterrichteter Seite mit­geteilt, daß sich zwar die nachteiligen Folgen der amerikanischen Krise auch in der Uhrenindustrie be­merkbar machen, daß aber die oben erwähnte Notiz in der Hauptsache nur für die Verhältnisse in Schram­berg zutrifft, während in anderen, zur Beurteilung der Lage in Frage kommenden Orten, wie Schwenn­ingen, Villingen, Si. Georgen, Triberg, Fnrtwangen usw., die Betriebe bis jetzt noch aufrecht erhalten werden konnten.

Biberach, 18. Febr. Nachdem der Versuch der hiesigen Friseure, den Preis für das Rasieren von 10 auf 15 Pfg. zu erhöhen, an der Uneinigkeit der Gewerbsgenossen selbst gescheitert ist, sieht man in den Auslagen der Friseure Plakate, die die Bei­behaltung des alten Preises ankündigen. Einer kündigt sogar an:Hier wird um 5 Pfg. rasiert", den Vogel aber schoß der Friseur ab, der ein Pla­kat ausstellte mit der Inschrift:Eine Seite rasieren kostet 5 Pfg., die andere Seite auch 5 Pfg. und Nachrasieren 15 Pfg." Da kann mans also um alle Preise haben.

Ravensburg, 13. Februar. Von einem un­glaublich dreisten Gauner wurden, wie sich jetzt herausstellte, in den Dezembertagen mehrere hiesige Geschäftsleute geprellt. Der Spitzbube ließ sich auf Rechnung des Fürsten Maximilian zu Waldburg- Wolfegg-Waldsee eine Dienerlivree und Uniform­mütze mit gräflicher Krone anfertigen und bestellte in dieser Verkleidung zunächst Visitenkarten mit dem Namen des Fürsten. Dann begab er sich mit den aus den fürstlichen Visitenkarten notierten Waren­bestellungen in verschiedene Läden. Nirgends wurde der Auftrag oder der Beauftragte beanstandet, da der geschäftliche Verkehr mir der fürstlichen Hofhalt­ung in Wolfegg schon seit Jahren besteht und ge­pflegt wird, und das sichere und unauffällige Be­nehmen des redegewandtenDieners" einen Zweifel gar nicht aufkommen ließ. So wußte der freche Kerl namentlich Schuhlager, Herrengarderoben, Wäschekonfektionen, Hutgeschäfte und namentlich ähn­liche zu hintergehen. Der Gauner war etwa 20 bis 25 Jahre alt. Die Schwindelangelegenheit ist bei der K. Staatsanwaltschaft anhängig.

Stuttgart. fLandesProdnktenbörse.j (Bericht vom 17. Febr.) Mit Ausnahme der hochgelegenen Teile des Landes ist die Schneedecke wieder verschwunden. Witterung und Temperatur waren uneinheitlich, wogegen sich der mäßige Wasserstand wenig verändert hat. Ueber die Herbstsaaten in ihrem dermaligen Stadium sind keinerlei ungünstige Nach­richten eingelaufen. Auf dem ganzen Weltmarkt hat die Bewegung nach unten weitere Fortschritte zu verzeichnen, wenn auch nicht unerwähnt bleiben darf, daß momentan ein Stillstand, ja sogar eine kleine Besserung gegenüber den billigsten (Freitags-)Preisen eingetreten ist. Meh lp reise per 100 Kilogramm inkl. Sack: Mehl Nr. 0: 33 Mk. 5V Pfg. bis 34 Mk. 50 Pfg., Nr. I: 32 Mk. 50 Pfg. bis 33 Mk. 50 Pfg., Nr. 2 : 31 Mk. 50 Pfg. bis 32 Mk. 50 Pfg., Nr. 3: 30 Mk. ü0 Pfg. bis 31 Mk. 50Pfg., Nr. 4: 29 Mk. Pfg. bis 30 Mk. Pfg. Kleie 11 Mk. - Pfg. (ohne Sack)

vermischiLs.

Folgendewahre Geschichlchen" erzählt dieJugend": In Stuttgart am Prinzenpalais steht eines der beliebtenKompagniekamöler" auf Posten. Es naht sich ihm eine elegante jüngere Dame; der wackere Grenadier kennt sienatürlich" nicht, es ist Prinzessin P., ein Glied des könig­lichen Hauses. Zehn Schritte hinter ihr eilt ein Unteroffizier, der durch gewaltiges Augenrollen, Arm- fchwenken und sonstige Grimassen ein Staatsver­brechen verhüten und dem Posten noch das Zeichen zur erforderlichen Ehrenbezeugung geben will. Dieser nickt zuerst wohlwollend und freundlich dem Vor­gesetzten zu, dann schreitet er mit seinem verbind­lichsten Lächeln auf die eben vorübergehende Prin­zessin zu, zupft sie vertraulich am Mantel und flüstert: He, Sie, schönes Fräulein, Se sollet au wart«,

dahinten winkt Ihnen Ihr Schatz!" Ein Prinz aus dem Hause Hohenzollern wohnt an Bord eines Linienschiffes dem Torpedoschießen bei und gibt zum Schluß dem verantwoetlichen Leiter gegenüber seinem Unwillen über das etwas ungünstige Resultat unverhohlenen Ausdruck. Als der Offizier

Mayer war sein Name kurz darauf in der