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Der Lnztäler.
Anzeiger für das Enztal und Umgebung.
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Celegramm-Adreffe: „Enztäler, Neuenbürg".
196.
Neuenbürg, Mittwoch den 11. Dezember 1907.
65. Jahrgang.
Der plötzliche Sturm im Reichstage, welcher die noch zarte Blüte der Blockherrlichkeit rauh zu knicken drohte, ist unschädlich wieder vorüber gebraust. Die Drohung des Reichskanzlers, demissionieren zu wollen, falls sich die Blockparteien nicht endlich geeinigt zeigen oder wenn sie noch fernerhin der Regierung unangenehme Ueberraschungen bereiten sollten, wie solche der „Husarenritt" des Abg. Paasche gegen die Minister v. Rheinbaben und v. Einem war, hat gewirkt. Die Blockparteien haben dem Fürsten Bülow ein förmliches Vertrauensvotum erteilt und ihm zugesichert, auch weiter an der Blockpolitik festhalten zu wollen, die in Aussicht gestandene Parlamentsund Kanzlerkrisis ist also wieder beschworen. Freilich, die inneren Widersprüche zwischen den so verschiedenartigen Elementen der Blockmehrheit sind doch nicht beseitigt, sondern nur übertüncht und ob bei ihrem etwaigen Wiederauftauchen eine abermalige Demissionsdrohung des Kanzlers nochmals so wirken würde wie jetzt, das möchte fast zu bezweifeln sein. Uebrigens versichert ein hochoffiziöses Berliner Telegramm der „Köln. Ztg.", daß Fürst Bülow tatsächlich sein Entlassungsgesuch eingereicht haben würde, wenn die Hoffnung, mit der Blockmehrheit detz Reichstages auch noch weiter gedeihlich zusammen arbeiten zu können, sich jetzt als trügerisch herausgestellt hätte. Ferner erklärt das Telegramm, die aufgetauchte Mutmaßung, der Reichskanzer habe, ehe er den Führern der Mehrheitsparteien die bekannte Mitteilung machte, sich Weisungen vom Kaiser erbeten, für ganz unbegründet, Fürst Bülow sei durchaus selbständig vorgegangen.
Berlin, 7. Dez. Gegenüber den im Reichstag vorgebrachten, infolge des Schluffes der Etatsberatung dortselbst nicht mehr widerlegbaren unrichtigen Behauptungen über die Prozesse Liebknecht, Moltke-Harden und Gädke hebt die „Nordd. Mg. Ztg." hervor, die Anklage gegen Liebknecht sei von dem Oberreichsanwalt als dem dazu allein zuständigen Beamten gänzlich aus eigener Entschließung erhoben worden. Die Uebernahme der Verfolgung im Prozeß Moltke-Harden seitens der Staatsanwaltschaft beruhe auf völlig selbständiger und von keiner Seite beeinflußter Entschließung der preußischen Justizbehörden. Sie mußte erfolgen, nachdem der Gang des Verfahrens vor dem Schöffengericht klar ergeben hatte, daß das öffentliche Interesse an dieser Sache in hohem Maße beteiligt war. Nachdem die Staatsanwaltschaft dem Gerichte angezeigt hatte, daß sie die Verfolgung übernehme, habe letzteres, der Rechtsprechung des Reichsgerichts folgend, das Verfahren eingestellt.
Im Auslande wird es nicht verstanden, wie man bei uns den Schmutz so breit treten und sittliche Verfehlungen einzelner verallgemeinern und als Kennzeichen unserer innern Zustände oder ganzer Klassen hinstellen kann. Andere hängen ihre Gobelins und Teppiche heraus, wir unsere schmutzige Wäsche. Das homosexuelle Uebel oder Laster kommt bei uns nicht häufiger vor als in Frankreich oder England oder gar in den südlichen Ländern. Bebel hat zugegeben, daß es sich unter Arbeitern ebenso findet wie in den oberen Klassen. Am schlimmsten hat sich im Falle Harden und was damit zusammenhängt die Witzpresse benommen. Die „Deutsche Zeitung in den Niederlanden" nennt die Art der Karikierung anstößiger Vorfälle das Werk eines Wahnsinnigen, der seine Familie mordet. Der Fremdling, der nur nach den Bildern urteilt, muß glauben, ganze deutsche Regimenter seien verseucht. Fürst Bülow und der Kriegsminister v. Einem sind den Uebertreibungen und Verallgemeinerungen scharf entgegengetreten. Dabei sagte Herr v. Einem, daß doch nun endlich mit dem Klatsch und Tratsch Schicht gemacht werden möchte. Der höchst nachteilige Eindruck im Auslande ist hauptsächlich durch die suggestive Kraft solcher geheimnisvollen Andeutungen, wie homosexueller Ring >
am Hose, hervorgerufen worden. Machen wir mit diesem unmännlichen, undeutschen Wesen ein Ende!
Wie schon als Telegramm in der letzten Nummer ds. Bl. mitgeteilt, ist am vergangenen Sonntag vormittag König Oskar II. von Schweden seiner jüngsten schweren Erkrankung erlegen. König Oskar hat ein Alter von nahezu 78 Jahren erreicht, er regierte seit 18. September 1872. Vermählt war er mit Prinzessin Sophie von Nassau, welcher Ehe sieben Kinder entstammen, deren ältestes der jetzige König Gustav ist. Der hohe Verstorbene huldigte lebhaft literarischen und künstlerischen Neigungen und hiermit hing es wohl zusammen, daß er ein ausgesprochener Mann des Friedens und der Versöhnlichkeit bis zum äußersten Grade war. Letzterem Charakterzuge des verewigten Monarchen ist es auch zu danken, daß sich das hervorragendste Ereignis seiner 35 jährigen Regierungszeit, die Trennung Norwegens von Schweden, ohne Blutvergießen und gewaltsame Erschütterungen vollzogen hat. Mit Kaiser Wilhelm II. verband den verstorbenen Schwedenkönig eine intime persönliche Freundschaft, auch war ja Oskar II. der Pate des vorletzten Sohnes des deutschen Kaiserpaares, der nach seinem königlichen Paten seinen Namen trägt. Der neue Herrscher Schwedens, der bei seinem Regierungsantritte den Namen Gustav V. angenommen hat, steht im 56. Lebensjahre, seit 26 Jahren ist er mit Viktoria von Baden, einer Schwester des jetzigen Großherzogs Friedrich II. vermählt. Der Ehe sind drei Söhne entsprossen, die Prinzen Gustav Adolf, Wilhelm und Erich.
Die französische Deputiertenkammer hat mit Hochdruck an der Erledigung des Budgets und des neuen Finanz- und Steuergesetzes gearbeitet. In einer am Sonntag abgehaltenen Kammersitzung wurden die noch restierenden Artikel des letzteren Gesetzes durchberaten und genehmigt, worauf das Haus das Budget im ganzen mit 456 gegen 45 Stimmen annahm und sich dann bis zum 17. Dezember vertagte.
Petersburg, 9. Dez. Heute beginnt im Gebäude des großen Militärkasinos das Militärgericht gegen General Stössel unter Vorsitz des Generals Dukmassow. Ankläger ist Oberst Gurski, Verteidiger der ehemalige Militärrichter, jetzige Dumaabgeordnete Syrtlanow. Geladen sind 125 Zeugen, darunter General Kuropatkin und Admiral Wiren. Die meisten Zeugen haben einen weiten Weg zurückgelegt.
Mürllemberg.
Stuttgart, 10. Dez. Der bayerische Staatsminister der Verkehrsangelegenheiten v. Frauendorfer war gestern hier, um dem Chef der württ. Verkehrsanstalten, Staatsminister Dr. v. Weizsäcker, einen Besuch abzustatten. Wie der „S1.-A." berichtet, kam bei dieser Gelegenheit eine Reihe von Fragen zur Besprechung, die gemeinschaftliche Interessen berühren. Es darf festgestellt werden, daß das Ergebnis der Erörterungen den freundschaftlichen Beziehungen der beiden Verwaltungen durchaus entsprach.
König Wilhelm-Trost. In der letzten Sitzung des Präsidiums des Württemberg. Kriegerbundes wurden auch die Ergebnisse der Bewerbungen um Spenden aus dem König Wilhelm-Trost besprochen. Nach einem Bericht von Oberforstrat v. Keller sind zusammen 2340 Gesuche eingegangen, und zwar von Veteranen 1830, von Hinterbliebenen 510. Berücksichtigt konnten 876 Gesuche werden, abzulehnen waren 181, weil nicht bedürftig oder nicht berechtigt, oder an die Bundeskaffe gehörig. Unerledigt sind noch 1283 Gesuche (von Veteranen 1127, von Hinterbliebenen 156). Verwilligt wurden bis jetzt an 530 Feldzugsteilnehmer 14234 Mk., an 323 Hinterbliebene 8226 Mk., im ganzen 22460 Mk.
Leonberg, 9. Dez. Der bei Leonberg gelegene „Rappenhof" ging in den Besitz der früheren Löwen
bändigerin, Miß Helliot, um den Preis von 79 000 Mk. über. Der seitherige Besitzer hat das Anwesen um 51000 Mk. vor sieben Jahren gekauft.
Schwenningen, 10. Dez. Wie große Aufgaben Schwenningen vor seinem Eintritt in die Reihe der mittleren Städte Württembergs zu bewältigen hatte, geht daraus hervor, daß es in den letzten Jahren neben der Realanstalt und einigen großen Volksschulhäusern ein Elektrizitätswerk mit einem Betriebskapital von 469 400 Mk., ein Wasserwerk mit einem Anlagekapital von 750 000 Mk. errichtete und im letzten Jahr ein Krankenhaus mit einem Kostenaufwand von 340 000 Mk. erbaut hat.
Aus ^taSI, Bezirk uns Angrdung
Das Stuttgarter Wasserversorgungsprojett aus dem Euztal.
Der sogenannte Beschwichtigungsvortrag vom 30. November ds. Js. in Neuenbürg hat das vorhandene Mißtrauen der Enztäler gegen das Projekt nicht sehr zerstreut, sondern vielseitig noch mehr vergrößert, da derselbe das dem Enzgebiet zu entziehende Wasserquantum möglichst klein darzustellen versucht hat. Es ist doch nicht anzunehmen, daß die Bevölkerung von Alt-Stuttgart nach dem Jahre 1925 nicht mehr wächst und daß Stuttgart jetzt mit großem Aufwand ein Wasserversorgungswerk baut, das nur bis zum Jahre 1925 reichen soll. Auch wird niemand glauben, daß Stuttgart, wenn einmal 500 Sekundenliter Quellwasser gefaßt und abzuleiten sind, noch mit großem Aufwand das bisherige Neckar- und das Seewasserwerk weiter betreiben und auf einen Teil der gefaßten Quellen verzichten werde. Nach dem neuesten Bericht von Stuttgart (Merkur vom 4. Dez.) werden schon Stimmen laut, nach welchen die vorhandenen Wasserversorgungen für Cannstatt, Untertürkheim und Wangen nicht einwandfrei und auf die Dauer nicht haltbar seien und daher jetzt richtiger eine neue Wasserversorgungsanlage für Groß- Stuttgart in Aussicht genommen werden solle; für Groß - Stuttgart aber, würden selbst alle nur irgendwie aufzutreibenden Quellen des Groß- und Kleinenztales (sowie des Eyachtales kaum ausreichen (s. Enztäler Nr. 192 oben, wonach die Leitung jetzt über das Kleinenztal geführt werden soll, das gibt zu denken). Was soll aber aus unserem Bezirk werden, wenn ihm der ganze Lebensnerv abgeschnitten würde? In dem heurigen abnorm trockenen Jahre konnte man sich einigermaßen ein Bild machen von dem künftigen Zustande unserer lieblichen Täler, welchen nach Ableitung der Quellen alles Belebende genommen wäre und die geradezu veröden würden.
Wegen der künftigen leichten Eisbildung und der Unmöglichkeit einer fruchtbaren Bewässerung der Wiesen nach Wegnahme der Quellen, was von Seiten der Stadt kurzer Hand bestritten wurde, ebenso wegen der Schnakengefahr, vertrauen wir auf das Urteil unparteiischer Sachverständiger.
Wenn sodann in dem Vortrag erwähnt wird, daß der Stauweiher im heurigen Frühjahr 4mal hätte gefüllt werden können, so ist eben damit zu rechnen, daß nur eine Füllung für den Sommer und das Spätjahr zur Verfügung gestanden wäre, von welcher bei der langandauernden Trockenheit und bei Berücksichtigung der großen Verdunstung schon längst kein Wasser mehr hätte abgegeben werden können. Welch' trostlosen Anblick hätte jetzt unsere Enz geboten, wenn die Quellen schon abgeleitet gewesen wären?
Dieser Stauweiher soll aber nicht bloß, wie oben die Wasserversorgung, nur etwa für 18 Jahre wirken, sondern dauernd! Nun erinnern wir uns noch ganz gut der Verheerungen des großen Hochwassers von 1896, das viele Tausende von Kubikmetern Geröll vom oberen Enztal mitbrachte, welche von der Enz bis über Pforzheim hinaus abgelagert wurden und