Zweites

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Blatt.

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Blatt.

.1» 1IX Neuenbürg, Samstag de» 9. November 1907.

65. Aahrgana

Rundschau.

Entschädigung des Grafen Zeppelin. Ueber die Beziehungen der Reichsregierung zum Grafen Zeppelin erfährt dieVossische Ztg." von unterrichteter Seite folgendes: Sogleich bei seinem Zusammentritt wird dem Reichstag ein Nachtrags­etat vorgelegt werden, durch den dem Grafen Zeppelin die Mittel zum Bau seines zweiten Luftschiffes zur Verfügung gestellt werden. Die Höhe dieser Summe wird die im laufenden Etat bereits für Unterstützung der Zeppelinschen Bestreb­ungen ausgeworfene Summe von 50.0 000 Mk. nicht erreichen. Außerdem schweben z. Zt. Erwägungen darüber, wie die jahrelangen Bemühungen des Grafen und seine großen Geldopfer in angemessener Weise entschädigt werden sollen. Auch hierüber wird dem Reichstag in Bälde eine Vorlage zugehen. Daß durch diese Aufwendungen aus Reichsmitteln das bereits vorhandene wie auch das im Laufe dieses Winters neu zu erbauende Luftschiff in den Besitz des Reiches übergehen werden, darf dabei als selbstverständlich angenommen werden. Hieraus geht hervor, daß die in einer Korrespondenz zum Aus­druck gebrachte Auffassung von der Unzulänglichkeit der Unterstützung der Zeppelinschen Bestrebungen durch das Reich irrtümlich ist. Vielmehr ist Graf Zeppelin persönlich über das bei seinem letzten Auf­enthalt in Berlin an maßgebender Stelle erwiesene Entgegenkommen überrascht, das seine allerdings bescheidenen Erwartungen nicht unerheblich übertraf.

Ueber die Serienlos- und Spielgesell­schaften gibt der Reichskanzler den Polizeibehörden zur Nachachtung ein Urteil des Reichsgerichts bekannt, nachdem in der Bildung sogenannter Serienlosgesell­schaften, bei denen einzelne Lose oder Losanteile nicht in das Eigentum oder Gesamteigentum der Gesell­schafter gelangen, diesen vielmehr lediglich der obli­gatorische Anspruch auf Auszahlung des auf ein»Los entfallenden Gewinnes nach Verhältnis der Beteilig­ung eingeräumt wird, die Anstellung einer Lotterie zu erblicken ist.

Eine recht erfreuliche Verfügung gegen anonyme Denunziationen hat die König!. Eisenbahndirektion Berlin erlassen. Sie lautet:In der letzten Zeit ist zu unserem Bedauern ein auffallend starker Eingang anonymer Anzeigen gegen Beamte festgestellt worden. Wir vermuten, daß häufig Angestellte der eigenen Verwaltung die Urheber der Anzeigen sind und sehen uns deshalb veranlaßt, an dieser Stelle unserer Ver­urteilung einer derartigen Handlungsweise Ausdruck zu geben. Die Verdächtigungen anderer Personen aus dem Hinterhalt, ohne mit dem eigenen Namen für die aufgestellten Behauptungen eintreten zu wollen, verrät eine derart niedrige und verwerfliche Gesinn­ung, daß solche Anschuldigungen auf Berücksichtigung keinerlei Anspruch machen können. Wir weisen des­halb erneut darauf hin, daß anonyme Eingaben ohne irgendwelche Behandlung der Vernichtung anheim­fallen."

Berlin, 8. November. Der Kassenführer des Deutschen Gastwirteverbands hat, wie schon früher gemeldet wurde,Unterschlagungen begangen. Es war mitgeteilt worden, daß in der Kasse 65 000 Mk. fehlten, die aber durch eine Hypothek gedeckt seien. Eine Broschüre, die vom Verband der Gast- und Schankwirte für Berlin und die Provinz Bran­denburg herausgegeben worden ist, bringt nun neue Enthüllungen. Danach sind die Unterschlagungen noch erheblich höher. Es ist jetzt ein Wechsel mit der Bürgschaft des Präsidenten des Gastwirte­verbandes in Höhe von 120 000 Mk. fällig. Um diesen Betrag ist also die Kasse des Gastwirte­verbandes geschädigt worden.

Tief schneidet der Konkurs des Konsumvereins Karlsruhe, der unter sozialdemokratischer Leitung stand, in den Haushalt vieler Arbeiterfamilien ein. Die Mitglieder müssen zunächst die vielfach nur teil­weise eingezahlten Anteile bis zur vollen Höhe von 50 Mark erlegen und haben außerdem, da sie bis zur Höhe dieses Anteils haften, nochmals den gleichen Betrag an den Konkursverwalter abzuliefern. Viele haben jetzt die Aufforderung zur Zahlung von 80

und noch mehr Mark erhalten. Zahlen sie nicht, so steht ihnen Klage und der Gerichtsvollzieher in Aus­sicht. Das Defizit des bankrotten Vereins beträgt über 141000 Mark. Die leichtsinnige, gewissenlose Wirtschaft, die in diesem Unternehmen geherrscht hat, muß null von zumeist unbemittelten Familien gebüßt werden. Auch wer den Zusammenbruch voraussah und sich noch durch Austritt zu sichern glaubte, sieht sich getäuscht, da laut Statut die Haftpflicht sich auch noch über die dem Austritt folgenden 6 Monate erstreckt. Unter den Betroffenen befinden sich auch Pforzheimer Familien.

Die Strafkammer in Frankfurt a. M. verurteilte den sozialdemokratischen Vertrauensmann Georg wegen Vergehens gegen den tz 153 deb Gewerbe­ordnung zu 3 Wochen Gefängnis und zwei Mit­angeklagte Genossen zu je zehn Tagen Gefängnis. Die Verurteilten hatten durch Drohung mit Arbeits­einstellung erreicht, daß ein Mitglied des christlichen Verbandes, das mit ihnen zusammen arbeitete, ent­lassen wurde. Der Entlassene stellte Strafantrag und das Gericht kam zu dem oben mitgeteilten Urteil.

Wegen Mädchenhandels wurde in Saar­burg in Lothringen der angebliche Louis Berger aus Paris und sein Chauffeur verhaftet. Berger wohnte mit Frau und Kindern linier dem Namen Vicomte de Vilasanes in einem Saarburger Hotel, lebte auf großem Fuße und versuchte, unter glänzenden Ver­sprechungen junge Mädchen für Pariser Freudenhäuser zu gewinnen.

Wiesloch, 7. Novbr. Einen Kampf mit Löwen hatte ein hiesiger Fuhrunternehmer zu be­stehen. Die Menagerie Wieser wurde gestern von hier mit ihren Löwenwagen nach Schwetzingen ge­fahren. - Aus dem dritten Wagen, den Fuhrmann Karl Dangel jun. führte, brachen in der Nähe des Staatsbahnhofs auf bisher noch unaufgeklärte Weise drei große Löwen aus-und überfielen die Pferde. Hr. Dangel warf sich den Löwen entgegen und be­arbeitete die wilden Tiere mit der Peitsche und den Füßen, während er um Hilfe rief. Es dauerte einige Zeit, bis die Angestellten der Menagerie er­schienen und die drei Löwen wieder einfingen. Ein Pferd hat mehrere Wunden erhalten, auch Hr. Dangel ist nach derWlch. Ztg." an der linken Hand durch einen Krallenhieb verwundet. Die auf dem Feld arbeitenden Leute, welche dem Kampf zusahen, wurden von Furcht ergriffen und entflohen.

Die größte Talsperre Europas ist be­kanntlich die 45'/- Mill. Kubikmeter fassende Urf- talsperre bei Gmünd in der Eifel. Sie wird zunächst durch die seit 1904 im Bau begriffene Bober­talsperre im Riesengebirge mit 50 Mill. Kubikmeter übertroffen, aber nach dem Bau der Möhnetalsperre nur mehr den Anspruch erheben können, eine von den vielen Stauwerken des Westens zu sein; denn die Mauer der genannten Sperre, deren architektonische Ausschmückung auf Grund eines Wettbewerbs soeben dem Kölner Architekten Franz Brantzky unter 73 Bewerbern übertragen worden ist, wird einen See von nicht weniger als 130 Mill. Kubikmeter schaffen. Sie wird also den Laachersee, das größte Eifelmeer um 23 Mill. Kubikmeter Inhalt übertreffen. Unterhalb der westfälischen Stadt Arnsberg bei Neheim nimmt die Ruhr das Flüßchen Möhne auf, in dessen Tale, etwa 10 Kilometer aufwärts, die Dörfer Günne und Brüningsen einander gegenüber liegen. Etwas ober­halb dieser Ansiedelung ist eine Stelle, wo die Tal­wände in etwa 30 Meter Höhe bis auf 600 Meter zusammengekommen und die sich zur Anlage einer Sperrmauer sehr gut eignet. Der Bau ist von dem Ruhrtalsperrverein geplant, der die Klagen der Trieb­werksbesitzer an der Ruhr über Entziehung des Wassers für ihre Turbinenanlagen verstummen lassen will. Während nämlich die Wasserentnahme aus der Ruhr 1897 nur 185 Mill. ebm betrug, ist sie jetzt auf jährlich etwa 215 Mill. gestiegen und das Ende der fortgesetzten Bedarfssteigerung ist noch nicht abzusehen. Die Mauer der neuen Sperre soll in diesem Falle nicht in einem Kreisbogen, sondern in einer Paranel gekrümmt werden. Nach den Ermittel­ungen der Ingenieure wird es möglich sein, am Fuße der Sperre durch eine etwa 1 lew lange Rohr­

leitung eine Leistung bis zu 2000 ,k8 bei Tag und Nacht zu erzielen. Der Bau, der natürlich Jahre in Anspruch nehmen wird, soll in absehbarer Zeit begonnen werden.

Paderborn, 8. Nov. Gestern abend gerieten im Altenbeckener Tunnel bei der regelmäßigen Revision des Tunnels, die mittels eines Profilwagens vorgenommen wurde, die daran beteiligten Beamten an die Drähte einer außer Betrieb gesetzten elektrischen Leitung und erlitten durch Abstreifung und Absturz schwere Verletzungen. Geh. Regierungs- und Baurat Estkowsky aus Kassel wurde am Kopf erheblich ver­letzt. Bahnmeister Ohms und Diätar Fandet aus Altenbecken wurden gleichfalls schwer verletzt.

Ein entsetzliches Unglück ereignete sich auf der Besitzung des Stellenbesitzers Neuhauser in Alland. Neuhauser kam angetrunken nach Hause und bekam deswegen mit seiner Frau Streit. Er ergriff die brennende Erdöllampe und schleu­derte sie gegen die zur Seite springende Frau. Im Nu stand die Stube in Flammen und in kurzer Zeit brannte die Besitzung ab. Aus den Flammen konnte nur die Frau gerettet werden, während Neuhauser und seine drei Kinder im Alter von vier und neun Jahren verbrannten. Frau Neuhauser erlitt lebensgefährliche Brandwunden.

Beziers, 8 Nov. Infolge der Ueberschwemm- ung sind mehrere Häuser eingestürzt, die neun Personen unter ihren Trümmern begruben. Mehrere Personen verloren auf andere Weise während der Hochwasser das Leben.

Bourbourg (Dep. Nord), 7. Nov. Die hies. Kapuzinerinnen wurden gestern aus ihrem Kloster vertrieben. Die Menge bereitete den Nonnen bei ihrer Abfahrt nach dem Bahnhof eine große Sym­pathiekundgebung.

Vermischtes.

Neuenbürg. (Martinstag.) Am 10. Nov. haben wir den Martinstag. Er ist dem hl. Martin, dem Bischof von Tours, geweiht, und da zu seiner Feier ein guter Bissen gehört, so ist die Gans von unseren Vätern zum Martinsvogel erkoren worden, da sie, gut gebraten, eine gute Gabe Gottes ist. Und ebenfalls ist es uralter Brauch, daß zu Mar­tini das erste Faß des neuen Weines angezapft wird. So ist Sankt Martin der Schutzpatron der Gänse, und Weintrinker geworden. Martinssingen und Martinsfeuer sind uralte, aber auch heute noch in manchen Gegenden übliche Sitten. Das Singen zu Ehren Luthers, der, gleich Schiller und Scharn­horst, am 10. November geboren wurde, die Feuer als Ueberreste eines altgermanischen Herbstfestes, das zu Ehren Wotans durch Schmausereien und Tier­opfer von den alten Deutschen gefeiert wurde. Als Zahl- und Termintag hat Martini seit Jahrhunderten eine volkstümliche Bedeutung. Wie früher die Bürger und, Bauern an ihm ihre Steuern, Zehnten und Pachtbeträge entrichten mußten, so gilt er in vielen Orten ans dem Lande noch heute als Termin für derlei Verpflichtungen. Martinimärkte finden in zahlreichen Städten statt und sie sind wohl die meist- belebtesten des ganzen Jahres. In der Geschichte Preußens ist der 10. November insofern ein Ge­denktag, als an ihm, Reichsfreiherr Minister vom Stein, dessen 150. Geburtstag aiff den 26. Oktober d. I. fiel, ein Edikt erließ, nach welchem von diesem Tage ab alle Gutsuntertänigkeit aufzuhören hatte und in Preußen nur freie Leute sein sollten. Die Bauernregeln sagen vom Martinstage:Au Mar­tini Sonnenschein tritt ein kalter Winter ein".

Neues aus der Blinddarm forschung. Die gerade in den letzten Jahren zunehmende Häufigkeit der Blinddarmerkrankungen hat die man­nigfaltigsten Theorien über ihre Entstehungsursachen gezeitigt. So hat Professor Metschnikoff die An­sicht vertreten,daß es sich um ein in Entartung begriffenes, dem Menschen nur als Tradition aus seiner Herkunft von niederen Formen verbliebenes Gebilde handle". Demgegenüber behaupten die Frankfurter Professoren Dr. Albrecht und Dr. Flesch, daß dem viele anatomische Beschaffenheiten deS Organs widersprechen, sowie auch zahlreiche