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der von Pforzheim aus genährten starken sozial­demokratischen Strömung im Bezirk kann der Kandi­dat mit dem seitherigen Verlauf der Versammlungen wohl zufrieden sein. Der Hauptstützpunkt seiner Kandidatur liegt ja allerdings wie die letzte Reichstagswahl bewiesen hat in den drei übrigen Obcrämtern des VII. Wahlkreises.

Stuttgart, 18. Mai. Wie in der Frage der Handelsverträge, so trennen sich bekanntlich auch bei der Steuerreform die Wege der Sozialdemo- kratie von denen der Vollspartei. Die demokra­tische Presse, voran der Beob. und die Frkf. Ztg., halten sich darüber auf, daß die Genossen eine Po­litik mit doppeltem Boden treiben. In der Sitzung des Gemeinderats vom letzten Donnerstag wies der Gemeinderat Kloß darauf hin, daß die begründete Aussicht auf das Zustandekommen der Steuerreform die Aussicht auf baldige Abschaffung der Fleisch- stcuer eröffne, und daß daher die sozialdemokr. Gemeinderäte dem Gemeindeetat zustimmen könnten. In der Abgeordnetenkammer aber hielt ungefähr zur gleichen Zeit sein Fraktionsgenosse Keil eine flammende Rede gegen die Steuerreform, die er auch im Hinblick auf die Bedürfnisse der Gemeinden als unzureichend bekämpfte. Und eine halbe Stunde später stimmte mit ihm auch der Abg. Kloß, der soeben das Zustandekommen der Reform im Ge­meinderat freundlich erwähnt hatte, gegen das Gesetz! Uebrigens spielt derdoppelte Boden" auch anderwärts seine Rolle. DerBeobachter" schreibt unter dem StichwortPopularitätspolitik" am letzten Samstag:Der kons. Abg. Kraut im württ. Land­tag tritt für die W a r enh a us st eu e r ein, ob­gleich er die Ueberzeugung hat und ausspricht, daß sie den erhofften Erfolg nicht haben werde. Da sie aber durch eine rege Agitation populär gemacht worden ist, tut er den Schritt, den er für zwecklos erachtete." Und um dieselbe Stunde, da der Beob. dies schreibt, stimmen auch fünf Volksparteiler für die obligatorische Warenhaussteuer und der Führer der Partei, K. Haußmann, enthält sich der Abstimmung!! (Schwäb. Merk.)

Brackenheim, 18. Mai. Am Samstag morgen entstand in Cleebronn durch Brand­stiftung seitens einer geistesgestörten Ehefrau ein Brand, der trotz angestrengter Tätigkeit der Feuer­wehren auch der Nachbarorte 2 Wohnhäuser, 1 Scheuer und 1 Schuppen in Asche legte. Die Ab­gebrannten sind mit ihrem Mobiliar versichert. Gestern abend kam, ehe noch die Trümmer der am Samstag abgebrannten Gebäude erkaltet waren, wieder ein Brand aus, dem eines der größten Häuser des Orts, die sogen. Kaserne, zum Opfer fiel. Das von vier Familien bewohnte Anwesen ist bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Die Leute sollen schlecht versichert sein. Brandstiftung ist wahrscheinlich.

Dresden, 16. Mai. Der Prozeß gegen die Wahrsagerin Plauer endigte mit der Verurteilung der Angeklagten zu 8 Jahren Zuchthaus. Bekanntlich hat die Angeklagte ihrer Kundschaft vorgespiegelt, sie stehe mit einem Herrn v. Sonden in Verbindung, der eine große Erbschaft zu erwarten habe und dann zu heiraten beabsichtige, wobei er die ihn während seiner Warte­zeit unterstützenden Damen in erster Linie berück­sichtigen würden. Daraufhin hat die Angeklagte dann nach und nach 25779 ^ von ihren Opfern zur Weitergabe an denHerrn Baron" erhalten. Das Aussehen des Herrn v. Sanden beschreibt die Angeklagte sehr verschieden, so daß man sich kein rechtes Bild von ihm machen kann. Tatsächlich haben denn auch, wie der Vorsitzende mitteilte, alle Nachforschungen nach dem mysteriösen Baron ein negatives Resultat gehabt. Mit malitiösem Lächeln schilderte die Angeklagte vor Gericht, wie alle Damen ihrer Kundschaft, selbst bis in die höchsten Kreise hinauf, sofort zur Hergabe von Geld, an denHerrn Baron" bereit gewesen seien und ihr Beiträge bis zu 10000 zur Verfügung gestellt hätten, nachdem sie ihnen vorher aus den Linien ihrer Hände geweissagt hatte, daß der Herr Baron" sicher sie und keine andere heiraten werde. Die Zeugenvernehmung ergab, daß sie den Baron nicht weniger als 22 Damenversprochen" hatte. Sogar eine Nätherin und eine Masseuse bekundeten, daß sie fest daran geglaubt hätten, dereinst mit demHerrn Baron" auf dessen Schloß

wohnen zu können. Von besonderem Interesse waren die Aussagen einer Geheimen Baurätin und deren Tochter, einer Gesangslehrerin in Chemnitz. Die elftere hat der Angeklagten 300 die letztere sogar ihr ganzes Vermögen im Betrage von 4000 geopfert. Das Fräulein mußte fast täg­lich Liebesbriefe an ihrenSchatz" nach Dresden senden, die dann von der Angeklagten in Empfang genommen und mit verstellter Handschrift in den glühendsten Worten erwidert wurden. Aber nicht nur gebildete und besitzende Damen narrte die An­geklagte auf diese Weise, auch arme Stickerinnen, Konfektioneusen und Fabrikarbeiterinnen aus den Dresdener Vororten mußten ihre kleinen Erspar­nissen zur Unterstützung desHerrn Baron" her­geben, selbst wenn sie darüber zu Bettlerinnen wurden. Alle Zeugen und Zeuginnen haben nie­mals denBaron" gesehen, an dessen Existenz die Angeklagte mit zäher Energie bis zuletzt festhielt.

Berlin, 19. Mai. Die ehemalige Stifts­oberin Elise von Heusler wurde nach einer Münchener Depesche zur Verbüßung ihrer Strafe, die ihr wegen des bekannten Giftmordversuches zndiktiert wurde, gestern in das Würzburger Zucht­haus transportiert. Alfred Beit, der Diamanten­könig, überwies dem Hamburger Sportklub 600,000 Mark zu Rennzwccken. Aus den Zinsen in Höhe von 20,000 sollen Rennpreise gestiftet werden. -- Aus Wien wird gemeldet: Der Fürst Alader Porcia in Görz und Kärnten, bestieg am 16. ds. bei Reinigungsarbeiten einen Baum seines alten Schloßparks und stürzte aus einer Höhe von 8 m herab. Er brach ein Schlüßelbein und mehrere Rippen und erlitt schwere innere Verletzungen. Man hofft aber, den 36 Jahre alten Fürsten am Leben zu erhalten.

Berlin, 19. Mai. Nach einer Meldung aus Kischinew fanden bereits mehrere gerichtliche Verhandlungen gegen Personen statt, in deren Wohn­ungen bei Juden geraubte Gegenstände gefunden wurden. Im Ganzen sind bis jetzt 62 Personen zu Gefängnisstrafen von 14 Tagen bis 3 Monaten ver­urteilt worden.

Berlin, 19. Mai. Wie derLokalanzeiger" aus Petersburg meldet, erschoß sich in Kronstadt ein junger Offizier des kaspischen Regiments. Die Polizei hatte bei Nachforschungen nach den Trägern der revolutionären Propaganda mehrere Personen verhaftet, darunter einen Bruder und eine Schwester des Offiziers. Man fand bei ihnen eine Menge von kompromittierenden Schriften und Briefe, darunter auch solche, die den Bruder blos stellten. Der Kommandeur des Regiments ließ den jungen Offizier rufen und soll ihm unter vier Augen den Rat erteilt hoben, seinem Leben ein Ende zu machen, um weiterer Schande aus dem Wege zu gehen. Der Vorfall erregt in militärischen Kreisen das peinlichste Aufsehen. Auch verschiedene Offiziere sollen verhaftet sein. Ferner melden Privat­nachrichten aus dem Gouvernement Saratow von großen Bauernunruhen, bei denen die Revoltanten einige Gutshöfe in Brand steckten. Es wurden sofort energische Maßregeln durch den Gouverneur zur Anwendung gebracht.

Berlin, 19. Mai. Nach einer Londons Depesche des Berliner Tageblattes erklärte eine dem spanischen Hofe nahestehende Persönlichkeit, daß die republikanische Bewegung in Spa­nien immmer aussichtsvoller auftrete. Der König verhalte sich durchaus passiv und habe persönlich die Fühlung mit dem Volke verloren. Wenn er reist, so geschieht dies höchst unauffällig. Die Schuld hierfür wird der Mutter des Königs beigemessen. So groß die Verehrung für die Köni­gin als Regentin war, so sehr wünscht man heute ihre Entfernung von der Seite des jungen Königs.

London, 19. Mai. Nach einer Meldung aus Kopenhagen werden König Eduard, der Zar und Kaiser Wilhelm gleichzeitig nach Schloß Fredensborg eingeladen werden.

Gemeinnütziges.

Um Glasscheiben zu reinigen, nehme man verdünntes Scheidewosser, etwa so kräftig wie starker Essig, und fahre damit über die Glasscheibe, lasse es eine Minute wirken und streue dann pulverisierte Schlemmkreide darauf, jedoch nur so wenig, daß die Kreide zischt; hierauf

verreibe man beides mit der Hand über die ganze Scheibe. Nun putze man mit einem trockenen Lappen nach, spüle mit reinem Wasser und etwas Spiritus die Scheibe ab und putze sie schließlich trocken und klar; ebenso die andere Seite.

Um schlechte Malerpinsel wieder brauchbar zu machen, stecke man dieselben in Oel streiche sie dann einigemal über ein heißes Eisen, daß die Haare von jeder Seite das Eisen berühren und tauche sie dann schnellstens in bereit- stehendes kaltes Wasser. Auf diese Weise behan­delte Pinsel sind dann oft besser als zuvor.

Gedanken eines Bauern über die nächste Neichstagswahl.

Jetzt naht die Neichstagswahl und da heißt es, wer die Wahl hat, hat die Qual, und die Qual empfindet, oder richtiger gesagt, den Widerspruch in sich selbst, empfindet am meisten der kleine Bauer und Handwerker und zwar aus dem Grunde, weil er früher in politischer Hinsicht nie auf eigenen Füßen gestanden ist, sondern das eine Mal von dieser, das andere Mal von der anderen Partei ins Schlepptau genommen wurde; die letzten Wahlen haben aber gezeigt, daß die zwei obengenannten Berufe doch auch anfangen politisch selbst zu denken und sich nicht mehr als Wahlbäbies behandeln lassen. Zu uns kommt gewöhnlich zuerst der Sozial­demokrat.Bim k'ling! heute abend ist bei N. sozialdemokratische Wahlversammlung, freie Dis­kussion." Ich gehe hin, das Lokal ist dicht besetzt, der Redner stellt sich vor, referiert über Reichstag und Landtag, schimpft über zu große Militärlasten, Soldatcmnißhandlungen, ost-elbische Agrarier, Brot­verteuerung, Fleischnot und noch viele andere schöne Sachen, ich gebe ihm stillschweigend in den zwei elfteren Punkten einigermaßen Recht, aber denke nachher, der hätt' jetzt eine geschickte Kindsmagd gegeben, dem störrischen dabz- den Brei einzutrichtern. Nun, nach meiner Ansicht ist dieser erste Mann für uns noch lange nicht so gefährlich, als der zweite, welcher nach ihm kommt, denn dem elfteren sein Hauptziel ist, die zwei genannten Berufe revolutionär, unzufrieden, arbeitsscheu und dann bankerott zu machen, und dann hätte er mehr im Gefolge; aber das weiß der richtige Sozialdemokrat sehr gut, daß sein Reich noch lange nicht von dieser Welt ist. Jetzt kommt unser zweiter Mann, der Demokrat. Er tritt zuerst nicht so grob auf als unser erster, denn er ist pfiffiger; bis er sich aber etwas warm gesprochen, übertrifft er Mann 1 am Schimpfen, nur sind seine Motive anderer Natur, denn bei ihm spielt das eigene Ich die Hauptrolle, er will keinen oder nur geringen Schutzzoll auf die landwirtschaft­lichen Erzeugnisse, von ihm kommt das Geschrei, Deutschland kann sich nicht selbst ernähren. Aber einen kräftigen Jndustriezoll wollen sie; nun den gönnen wir ihnen von Herzen, denn wir und das Reich haben davon blos Nutzen. Was aber den Einfuhrzoll von Getreide, Fleisch, Schmalz, leben­dem Vieh und Schweinen anbelangt, wer hat denn da den Nutzen davon, wenn er so bleibt wie jetzt? Die Händler, d. h. die Großhändler, die Riesen­mühlen, welch elftere meistens jüdischer Abkunft sind oder solche wo man sagt: aus dem hätt' mer kenna 2 Jude mache. Die Zeit lehrt, seit unsere Grenzen wieder einigermaßen geschlossen sind, haben wir wieder wenigstens stabile Fleischpreise, wer würde jetzt unsere Schweine kaufen, wenn die Grenzen offen wären? Wahrscheinlich das Pfund Lebend­gewicht wie bei Caprivi's Zeit zu 2830 A? Und wie steht es mit der Maul- und Klauenseuche? Wie manches 100 000 war dem Bauern kaput, da gewissenlose Händler aus verseuchten äußer- deutschen Ländern krankes Vieh anstandslos ein­führen durften und unseres damit ansteckten. ES ist ja eine bewiesene und statistisch nachgewiesene Tatsache, daß sich Deutschland selbst ernähren kann, darum kräftigen Schutzzoll für landwirtschaftliche Erzeugnisse, daß der Bauer auch wieder eine Freude an seiner Scholle bekommt. Dafür trat unser seit­heriger Abgeordneter Schrempf kräftig ein, deshalb ist er auch der bestgehaßte Mann bei den Gegen­parteien geworden, aber tröste Dich Schrempf, je mehr Feinde, desto mehr Glück! Darum geht am Wahltage zur Urne, Mann für Mann, und kämpft um Eure Existenz indem Ihr Herrn Schrempf wählt.

Ein Bauer und Handwerker.