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Zweites

Blatt.

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Neuenbürg, Freitag den 6. September 1907.

65. Jahrgang.

RunSschau.

Die Leistungen der deutschen Arbeiter­versicherung läßt der soeben herausgegebene Ge­schäftsbericht des Neichsversicherungsamts für das Jahr 1906 erkennen. Danach waren im Berichts­jahre gegen Unfall über 20 Millionen Personen versichert. Die Zahl der gemeldeten Unfälle hat sich gegenüber dem Vorjahre auffallend vermehrt. Sie betrug 645 611 gegen 609160 im Jahre 1905. Die Zahl der erstmalig entschädigten Unfälle ist ebenfalls gewachsen, und zwar auf 140270 gegen 139 785. Die Summe der im Jahre 1906 gezahlten Renten und sonstigen Entschädigungen, einschließlich der laufenden Renten aus früheren Jahren, betrug 142 Millionen Mark gegen 135 Millionen Mark im Jahre 1905. Diese Entschädigungen wurden ge­zahlt: an 854680 Verletzte, 73 599 Witwen, 103 564 Kinder und Enkel, endlich an 3882 sonstige Ver­wandte Getöteter. Die gesetzliche Unterstützung für die Dauer der Heilbehandlung von Verletzten er­hielten 14 362 Ehegatten, 32 326 Kinder und Enkel sowie 227 sonstige Verwandte. In der Inva­lidenversicherung sind vom 1. Januar 1891 bis zum 31. September 1906 bei allen Versicher­ungsträgern 1,9 Millionen Rentenansprüche aner­kannt worden. Hiervon entfiel die Mehrzahl, näm­lich 1,4 Millionen, auf Invalidenrenten, während die Zahl der Altersrenten sich auf nur 448 580, die der Krankenrenten auf 67 000 belief. Im Jahre 1906 sind im ganzen 134057, davon 110 969 In­validen-, 12422 Kranken- und 10666 Altersrenten bewilligt worden. Bis zum Jahre 1905 sind für die deutsche Arbeiterversicherung nicht weniger als 4379 Millionen Mark aufgewendet worden. Welche Fülle von Segen umfaßt diese Zahl!

Wieder ist von einemfliegenden Genossen" zu berichten. Die Generalversammlung des sozial­demokratischen Vereins des Kreises Kronach hat beschlossen, den früheren Parteikassierer Wunder wegenParteiverrates" aus der Sozialdemokratie auszuschließen und ihm zu verbieten, jemals wieder einer Parteiorganisation beizutreten. Wunder hat denParteiverrat dadurch begangen, daß er bei der Landtagswahl für einen liberalen Kandidaten eingetreten ist.

Auf der Strecke RehfeldeStrausberg (Reg.-Bez. Potsdam) ist am Dienstag ein Zug ent­gleist und in Brand geraten. Die Anzahl der Verwundeten beträgt 8, getötet ist niemand. Als Ursache des Unglücks verlautet, daß in zwei Wagen Feuer ausgebrochen ist und daß, als darauf stark gebremst wurde, die Entgleisung von 4 Wagen, die gleichfalls in Brand geraten waren, erfolgte. Amt­lich wird mitgeteilt:Nach einem Telegramm des vom Minister der öffentlichen Arbeiten nach Straus­berg entsandten Kommissärs ist die Entgleisung des Schnellzuges 6 unzweifelhaft durch die Verlegung einer Schiene in dem ganz neuen, erst vor 6 Wochen in guter Steinlagbettung ausgeführten Oberbau her­beigeführt worden. Anhaltspunkte für die Täterschaft sind bisher nicht ermittelt worden. Der Staats­anwalt ist zur Untersuchung am Tatort anwesend. Auf die Ergreifung der Urheber des Eisenbahn­unfalls sind 2000 ^ Belohnung ausgesetzt. Die, Untersuchung ist eröffnet. DasBerl. Tageblatt" berichtet: Es haben sich Mehrere Zeugen gemeldet, die einen jungen Mann beobachtet haben, der die Schrauben an den Schienen löste. Der Täter ist anscheinend ein entlassener Bahnarbeiter, der die Tat aus Rache begangen hat.

Berlin, 5. Sept. Der Materialschaden, der durch das Eisenbahnunglück bei Strausberg ange­richtet worden ist, wird auf l'/s Millionen Mark geschützt. Die Wagen sind derart demoliert, daß sie nicht mehr verwendet werden können. Die Loko­motive wird an Ort und Stelle auseinander ge­nommen werden und zum Teil wieder verwendet. Wie aus Königsberg gemeldet wird- wird der Bankdirektor Craschutzci von der Ostbank in Königs­berg vermißt. Er wollte sich mit dem verunglückten Zuge auf den Bankiertag nach Hamburg begeben, ist aber noch nicht eingetroffen.

Stkausberg, 4. Sept. Zu dem Eisenbahn­unfall zwischen Rehselde und Strausberg wird der Voss. Ztg." noch berichtet: Daß ein verbrecherischer Anschlag vorliegt, bestätigte auch die genaue Be­sichtigung. Der Täter hat die gelockerte Schiene nach links, nach der anderen Schiene hin, etwas verschoben. Er konnte an der Stelle, die in einer kleinen Senkung liegt, ungesehen sein Werk beginnen. Um zu verhindern, daß der Lokomotivführer unter Beleuchtung des Scheinwerfers die Lösung und Ver­schiebung der Schienen etwa zeitig bemerkte, belegte er die Stelle mit Gras, das er von der Böschung abriß. So war er sicher, daß die Maschine ent­gleisen mußte. Die Polsterung in den Abteilen 2. Klasse fing zuerst Feuer und gab ihm gute Nahrung. Der Speisewagen, der nun folgte, brannte bis auf die Eisenteile vollständig aus. Die drei Wagen hinter dem Speisewagen blieben stehen, so daß die Reisenden aussteigen konnten. Diese wurden mit den Hilfszügen sobald als möglich nach Straus­berg und Berlin gebracht. Viel Mühe verursachte die Bergung der Postbeutel, Pakete, Briefe und des Gepäcks der Reisenden. Alles wurde dann mit den Hilfszügen nach Berlin weiter befördert. Der Ver­kehr wird nach Möglichkeit aufrecht erhalten. An der Böschung ist eine Treppe angebracht, auf der die Reisenden umsteigen können. Die Aufräumung wurde sofort tatkräftig in Angriff genommen. Von Berlin und anderen Stationen kamen Ingenieure, Bahnmeister und Arbeiter mit Werkzeugen in großer Zahl. Große Schwierigkeiten macht die Wegschaff­ung der Maschine. Sie muß erst auseinander­genommen werden und das beansprucht viel Zeit.

Berlin, 4. Sept. Das sich bessernde Wetter erlaubte heute abend noch einen kurzen Aufstieg mit dem Parsevalschen Motorballon, welcher durch­aus zufriedenstellend verlief. Der Ballon wurde geführt von Hauptmann v. Kehler und Hauptmann v.- Krogh. Er wurde bedient von dem Maschinisten Keibel. Außerdem befand sich als Gast das Mit­glied des Aufsichtsrats der Motorluftschiffahrts- Studiengesellschaft, Fabrikbesitzer Gradenwitz, im Ballon.. Der Ballon fuhr bis an den Tegeler See und zurück bei einer Windgeschwindigkeit von etwa 5 Meter pro Sekunde. Er kam schnell gegen den Wind und landete, wie er beabsichtigt hatte, an seinem Aufstiegsort.

Berlin, 4. Sept. DasBerliner Tageblatt" meldet aus Augsburg: Sämtliche Brauerei­arbeiter traten in den Ausstand, weil eine ein­zelne Brauerei Verhandlungen mit dem Arbeitnehmer­verband ablehnte. Die Gastwirtschaften werden, vom Kontorpersonal unterstützt, von Böttchern mit Bier versorgt.

Baden-Baden, 4. Sept. Der Sieg von Hammurabi hat auch beim Kaiser große Freude bereitet. Kaiser Wilhelm, der sofort nach der Entscheidung von dem Erfolg des Graditzer Hengstes Hammurabi durch ein Telegramm in Kenntnis ge­setzt worden war, depeschierte noch am gleichen Abend dem obersten Leiter der kgl. preußischen Gestütsverwaltung, Grafen Georg Lehndorff in Baden, zurück, er habe sich sehr über den Sieg im großen Preis mit Goldpokal gefreut, einen Sieg, der nur der hohen Einsicht und rastlosen Tätigkeit des Grafen zu danken sei. Die Depesche schloß mit den Worten:Möge das Glück auch ferner mit unseren Farben sein."

Vi klingen, 2. Septbr. Dieser Tage besuchte der Großherzog bekanntlich die Villinger Jndustrie- und Gewerbeausstellung. Eingehend und mit großem Interesse besichtigte er dabei, wie derGränzb." be­richtet, unter Führung des Bergrats Reichert die ausgestellten Erzeugnisse des Hüttenwerks Lud­wig stal. Er sprach sich auch hier sehr lobend und anerkennend über die ausgestellten Gegenstände aus. Als beredtes Zeichen seiner Bescheidenheit mag hier noch folgendes beigefügt sein: Bergrat Reichert hatte u. a. auch Medaillen von Eisenguß ausgestellt mit den Bildnissen des Großherzogs, Kaiser Wilhelm des Ersten u. a. Das Bild des Großherzogs schmückte in edler Einfachheit ein silbernes Lorbeer- krünzlein. Als der Großherzog diese kleine Huldig­

ung wahrnahm, sprach er in herzlich warmem Ton: Nehmen Sie nur, bitte, Herr Bergrat, den Lor­beerkranz weg und schmücken Sie das Bildnis des alten Kaisers, der würdiger ist als ich." Bergrat Reichert mußte der Bitte willfahren.

Essen a. R., 5. Sept. Im hiesigen Garnisons­lazarett wurde gestern ein Unteroffizier vom 59. Feldartillerie-Regiment eingeliefert, der im Manöver in der Eifel von einem plötzlich losgelassenen Ka­nonenschuß ins Bein getroffen wurde. Sein Pferd wurde gleichfalls schwer verletzt und mußte getötet werden.

Göttingen, 5. Septbr. Bei Reinstein stürzte ein Ulan des 7. Regiments durch einen Zufall in seine eigene Lanze. Die Waffe durchbohrte ihn, so daß er auf der Stelle tot war.

Metz, 3. Sept. Vielbesprochen wird die Ver­haftung des Feldwebels Klein vom 8. bayerischen Infanterie-Regiment, die im Manöverfelde erfolgte. Von der einen Seite wird behauptet. Klein habe sich Unterschlagungen zu Schulden kommen lassen, von anderer Seite, es liege eine Spionageaffäre vor und Kleins Verhaftung stände mit der des franzö­sischen Spions in Aachen in Verbindung, die auch schon zur Verhaftung eines Unteroffiziers in Koblenz führte. Klein gilt als der dienstälteste Feldwebel der Metzer Garnison.

Klein-Rosseln, 3. Sept. Eine grausige Tat ist hier zur Entdeckung gelangt. Der 26 Jahre alte, aus der Pfalz stammende Bergmann Stemmler, der neulich verhaftet wurde, weil er seine erst 18 Jahre alte Frau furchtbar mißhandelt hatte, wurde von anonymer Seite bei der Staatsanwaltschaft verdächtigt, daß er auch sein wenige Monate altes Kind, das im Juli starb, mißhandelt und dadurch dessen Tod verursacht habe. Es fand nun die Ausgrabung der Leiche des Kindes statt, und der geäußerte Verdacht hat sich vollkommen bestätigt. Dem Kinde waren vier Rippen und das eine Bein zweimal und das andere einmal gebrochen.

Aach, 3. Sept. Die Hegauer Aach ist seit heute früh völlig grün gefärbt; der Färbungs­versuch an der Versinkungsstelle bei Fridingen ist damit gelungen. Dazu wird von fachmännischer 'Seite geschrieben: Das zu Beginn der vorigen Woche an einer Versinkungsstelle der Donau bei Fridingen durch Baurat Gugenhan eigeführte Uranin­kali hat sich nach Verfluß von rund 200 Stunden (8ffs Tage) in der der Luftlinie nach stark 20 km entfernten Quelle der Hegauer Aach, in der die ganze Jmmendinger Donau zur Trockenzeit austritt, wie nunmehr 2 Versuche 1877 und 1907 erwiesen haben, ebenfalls eingestellt. Damit ist ein hochbedeuffamer Versuch geglückt, der aufs glänzendste die von Pro­fessor Dr. Endriß-Stuttgart vertretene Ansicht einer größeren Ausdehnung des Donauversinkungsprozesses zur Aach, als es bisher angenommen wurde, bestätigt. Das Fridinger Versinkungsgebiet befindet sich auf württembergischem Boden, unweit der hohenzollerifch- preußischen Grenze, und daraus-ergiebt sich hier die- felbe allgemeine Lage in staats- und volkswirtschaft­licher Richtung für Preußen gegenüber Württemberg, wie bei der Hauptversinkung zwischen Jmmendingen und Möhringen für Württemberg gegenüber Baden. Da 3 Staaten nunmehr an der Donauversinkung Inte­resse haben müssen, wird auch die Zeit früher kom­men, welche eine gebührende Erforschung und recht­liche Regelung des wichtigen Vorgangs bringt.

Winter bürg bei Kreuznach, 3. Septbr. 16 Schulkinder ließen sich in einem Pflugkarren einen Berg Hinunterrollen; sie verloren die Gewalt über den Karren, welcher umschlug, das Bachgeländer durchbrach und in den Bach stürzte. 11 Kinder er­litten schwere Verletzungen, der Zustand einiger ist hoffnungslos.

Wien, 5. Septbr. Der Personenzug von Stanislau in Galizien entgleiste heute früh 3 Uhr aus unbekannter Ursache auf freiem Feld bei Nowo- sielica. Die Lokomotive sprang aus dem Gleis und riß die Wagen mit. Die ersten Wagen fielen um und verbrannten. Die Zahl der Opfer beträgt 2 Tote, 13 Schwer- und 30 Leichtverletzte.