RunSschau.
s i s m a r ck.
Zum 1. April.
Bismarcks Geburtstag, einst ein Tag nationaler Freude für alle Deutschen auf dem Erdball, ist jetzt ein stiller, ernster Gedenktag. Dem Manne, der seit bald acht Jahren in r>er kleinen Gruftkapelle unter den Eichenwipfeln des Sachsenwaldes ruht, war es nicht vergönnt, das hohe Alter seines kaiserlichen Herrn zu erreichen. Sein Name aber ist so fest gegründet in unserem Gefühl, daß er sich fast von der Person, die ihn getragen hat, loslöst und zum Begriffe eines gewaltigen, stolzen und teuer» nationalen Besitzes wird, eines neuen Rolands, dessen Schwertfläche uns vor jedem Schlage deckt.
Auf den Ostermontag fällt diesmal Bismarcks Geburtstag, in die Zeit der Auferstehung. Und ein Held der Auferstehung war Bismarck: seinem politischen Geiste dankt die deutsche Nation ihre Wiedergeburt, ihren nationalen Lenz. Nach Jahrhunderten der Ohnmacht, der Zerrissenheit und der Abhängigkeit von fremden Mächten hat Bismarck Deutschland zur Einheit) Macht und Größe erstehen lassen; aus dem Dunkel eines vielfach schattenhaften politischen und stattlichen Daseins hat er es ans Licht der machtbewußten Selbständigkeit gebracht. Seines Volkes Kräfte, die in der Winternacht schlummerten, hat er geweckt, gestählt, gesammelt und zu kühnsten, herrlichsten Frühlingstaten und blütenreichstem Frühlingsleben emporgeführt. In der Zeit des Frühlingsanfangs ist Bismarck geboren, und sein Schaffen und Wirken gaben dem Deutschtum Ostern und Auferstehung, indem er den Neubau des Deutschen Reiches, den deutschnationalen Staat in seinen politischen und rechtlichen, sozialen und wirtschaftlichen Grundlagen errichtete.
An die Osterbotschaft eines neuen Deutschen Reiches ist auch schon vor der Vollendung durch Bismarck geglaubt worden; die Besten und Edelsten haben versucht, sie zur Tat werden zu lassen. Aber keiner fand vor Bismarck den Weg und die Mittel zur nationalen Auferstehung. Um den deutschen Völkerfrühling zur Reife zu bringen, war mehr nötig als der starke Glaube an die Einigung und die Zukunft des deutschen Volkes: dazu bedurfte es der urwüchsigen nationalen Kraft, die in Bismarck verkörpert war und die durch ihn für die politische und staatliche Wiedergeburt Deutschlands dienstbar gemacht wurde.
Vor Bismarck waren wir Deutschen ein Volk der Denker und Dichter, der politischen Schwärmer und Philister, der Krämer und Kleinbürger, die sich außer vor Gott auch noch vor vielem anderen in der Welt fürchteten und beugten. Bismarck erst hat aus uns ein einiges, starkes, selbstbewußtes Volk der Wirklichkeit, ein politffches Volk gemacht, das nur Gott und sich selber zu vertrauen braucht, das nur die ihm von Gott verliehenen Güter und Kräfte zu benutzen hat, um sein staatliches und nationales Dasein zu erringen, zu behaupten und zu befestigen. Bismarck ist mehr als der Baumeister des Deutschen Reiches, er ist und bleibt der Schöpfer der deutschen Politik, der Lehrmeister seines Volkes zu politischem Denken und Handeln.
Am Abend des 1. April werden von zahllosen Bergeshöhen, wo sich Bismarcksäulen erheben, Flammen gleich flatternden Fahnen durch das schwarze Dunkel emporsteigen zum ehrenden Gedächtnis des unvergeßlichen Recken, dessen Name für das deutsche Volk ein Sinnbild geworden ist und der, wie mit Recht an seinem 80. Geburtstage gesungen wurde, dastand als „eine Säule, überragend das Jahrhundert."
Berlin, 23. März. Was Diäten im Reichstag vermögen, wird in der „Deutschen Tageszeitung" wie folgt geschildert: „Wenn man jetzt den Reichstag betritt, so zeigt sich ein völlig anderes Bild als in all den trüben Zeiten, in denen man täglich in den Blättern von der Reichstagsmüdigkeit erzählte und grimmige Anklagen gegen die Volksvertreter erhob, die im Wahlkampfe nicht eifrig genug um das Mandat buhlen und später nicht eifrig genug schwänzen könnten. Denn wo früher einsam und verlassen ein Volksvertreter durch die Hallen irrte, da drängen sich jetzt die Träger der schwarzen Mappe, und wenn der Reichstagswirt alljährlich Tausende setzen mußte, weil zu dem Gastmahle, das er täglich zu rüsten verpflichtet war, nur ein Dutzend Hungrige erschienen, so sind jetzt die gedeckten Tische umlagert und mehr als 200 Menüs zu 1 Mk. bis zu 1,50 Mk. werden täglich von den Erwählten der Nation vertilgt. In den beiden großen Schreib- und Lesezimmern aber ist der Andrang, namentlich, wenn im Saale ein
Dauerredner wütet, so gewaltig, daß man schon über die Notwendigkeit von Erweiterungen spricht und namentlich auch dafür eintritt, die vorhandenen Zeitungen und Zeitschriften je in einer größer» Zahl von Exemplaren aufzulegen. Auch die Arbeitsräume wollen nicht mehr reichen, und selbst unten in den Baderäumen führt der Drang nach Reinlichkeit, der hier unentgeltlich befriedigt werden kann, zu wilden Konkurrenzkämpfen. Und in dem Turnsaal, dieser neuesten Errungenschaft des Parlamentes, sieht man das künstliche Veloziped, das stehende Ruderboot und die andern Maschinen zur Kräftigung der Körper fast immer umlagert. Welcher Zauber hat diese Wandlung herbeigeführt? Ohne Zweifel die Bewilligung der Diäten. Sie haben es fertig gebracht, daß die Tribünenbesucher, die sich seit den letzten Wahlen in weitaus stärkerer Zahl einfinden als früher, nicht immer auf einen leeren Saal blicken und dann zu Hause schreckliche Schilderungen von der Oede des Reichstags geben müssen. Den Diäten ists zu danken, daß die Redner, die vor einem leeren Saale nicht gerade mit Begeisterung sprechen, durch die Anwesenheit eines größeren Zuhörerkreises angeregt und belebt werden. Die günstigste Wirkung aber besteht darin, daß jetzt ein beschlußfähiges Haus wohl regelmäßig vorhanden und daß so die Möglichkeit gegeben ist, uferlose Debatten und Schlußanträge gebührend abzukürzen. Der Versuch ist schon zweimal gemacht worden, und wenn er auch das eine Mal mißlang, weil die Freisinnige Volkspartei sich über die Situation nicht völlig klar war, so ist er doch ein anderes Mal gelungen. Es sind eben nur wenige die gern auf die Doppelkrone verzichten, die ihnen als Lohn ihrer Anwesenheit winkt. Vor dem Buche am Eingänge des Sitzungssaales, in das sich jeder einzutragen hat, der die Gebühr erheben will, herrscht darum stets zu Anfang ein lebhaftes Gedränge. Bringen aber die neuen Diäten auch irgend einen Nachteil? Höchstens vom Standpunkte des Reichssäcksls aus. Rechnet man als Summen der Diäten etwa 1200000 Mk. und erwägt man, daß hundert Sitzungen etwa den Durchschnitt bilden, und jede Sitzung fünf Stunden dauert, so bezahlt das deutsche Volk für den Genuß, eine einstündige Rede anzuhören, nicht weniger als 2400 Mk., also etwa die Summe, die ein älterer Assessor als Jahresgehalt bezieht."
Der Abgeordnete Bebel leitete jüngst eine Rede im Reichstag damit ein, daß er sagte, er werde diesmal nur Dinge Vorbringen, die er beweisen könne. Jnbezug auf seine Reichstagsrede am Dienstag hat er nun einen solchen Vorbehalt nicht gemacht, und daher kommt es auch wohl, daß ihm folgendes passiert ist. Er behauptete am Dienstag, die „Münch.- Gladbacher Ztg." habe für die Berichtigung einer Nachricht über ein angebliches Champagnergelage Bebels und Singers am Kaisersgeburtstag 20 Mark verlangt. Demgegenüber stellt aber die „M.-Glad- bacher Ztg." fest, daß sie die Nachricht über das Gelage überhaupt nicht gebracht habe, daß niemand mit dem Wunsch eine Berichtigung zu bringen, an sie herangetreten sei, und daß sie selbstverständlich kein Geld für eine derartige Berichtigung verlangt oder erhalten habe. Sie bezeichnet die betreffenden Mitteilungen Bebels als in allen Teilen unwahr. Ferner hat in der Reichstagssitzung vom 19. März nach Ausweis des stenographischen Berichts Bebel mit Bezug auf die Auflösung des Reichstags geäußert: „In jenen Tagen war die Nachricht verbreitet worden, es solle aus Bückeburg ein Telegramm eingetroffen sein, in dem es geheißen habe: ich werde die ganze „Bande" auseinanderjagen. Der das telegraphiert haben soll, war aber ein ganz anderer als ein Sozialdemokrat." Bebel spielte damit auf die vornehmlich von Blättern der Sozialdemokratie und des Zentrums verbreitete Legende an, der Reichskanzler habe vor der Auflösung des Reichstags von dem Kaiser ein Telegramm solchen oder ähnlichen Inhalts erhalten. Die „Nordd. Allg. Ztg." hatte aber bereits in ihrer Nummer vom 18. Dezember diese Geschichte als eine plumpe Erfindung bezeichnet. Indem Bebel sie aufs neue in Umlauf setzte, bekundet er wieder den oft an ihm beobachteten Mangel an Gewissenhaftigkeit in der Benutzung von Zeitungsnachrichten. In der Tat wieder zwei recht drastische Beispiele für die Wahrheitsliebe des sozialdemokratischen Parteipapstes!
Berlin, 26. März. Der Verein Berliner Kaufleute und Industrieller und der Zentral-Aus- schuß Berliner kaufmännischer, gewerblicher und industrieller Vereine nahm übereinstimmend zu dem Plane einer Berliner Weltausstellung eine Resolution an, in welcher der Gedanke einer solchen Ausstellung auf das lebhafteste begrüßt und der Entschluß ausgesprochen wird, diesen Plan mit allen
Mitteln zu fördern. Zunächst soll durch eine Enquete die Stimmung der Regierung sowie der übrigen gesetzgebenden und wirtschaftlichen Körperschaften sestgestellt werden.
Bremen, 27. März. Der Nordd. Lloyd hat bei der Werft A.G. Weser einen großen Passagier- und Frachtdampfer in Auftrag gegeben. Der Dampfer soll ein Deplacement von 27 000 Tonnen, eine größte Länge von 186 m und Maschinen von 15 000 Pferdekrästen erhalten. Durch große Breite soll eine besondere Geräumigkeit für 500 Kajüt- und 3000 Zwischendeckpassagiere, sowie die auf 400 Mann berechnete Besatzung erzielt werden.
Bremen, 28. März. Infolge von Lohndifferenzen mit den Schmieden wurden heute nachmittag 4 Uhr sämtliche Arbeiter der Werft-Akl.- Ges. „Weser", ungefähr 4000, ausgesperrt. Dem Vernehmen nach beabsichtigt die Norddeutsche Armaturenfabrik, am Samstag ebenfalls wegen der 'Lohndifferenzen mit den Schmieden ihre Arbeiter auszusperren.
Reichenberg i. Böhmen, 28. März. Die nordböhmischen Tuchindustriellen beschlossen wegen der am Osterdienstag erfolgenden Betriebseinstellung sämtlicher Webereien, auch alle übrigen Arbeiter ihrer Betriebe vom 6. April an auszusperren. Die Aussperrung betrifft mehrere Tausende.
Eine steuertechnische Neuerung hat die Stadtkasse in Essen eingeführt; sie hat nämlich mit vier Privatbanken, der Essener Kreditanstalt, dem Essener Bankverein, der Rheinischen Bank und dem Bankhause Simon Hirschland ein Abkommen getroffen, wodurch diese Banken ermächtigt werden, für die Stadtgemeinde Steuern und alle sonstigen Gefälle in Empfang zu nehmen. In industriellen und gewerblichen Kreisen wird diese Neuerung als sehr zweckmäßig begrüßt.
Karlsruhe, 27. März. Gestern nachmittag wurde bei der Restauration zum „Lautersee" ein 5 Jahre altes Kind von einem Zuge der Alb talbahn überfahren und getötet. Dem bedauernswerten Kinde wurde der Kopf vorn Rumpfe getrennt.
Von der oberen Donau, 28. März. In Sigmaringen beabsichtigen die Geschäftsleute die Einführung des Achtuhr-Ladenschluffes.
Eine Hexengeschichte beschäftigte die Konstanzer Strafkammer und führte zur Verurteilung der 74 Jahre alten Crescentia Winter, geb. Reinhard, Witwe aus Schelklingen (Oberamt Blaubeuren) wegen Betrugs in wiederholtem Rückfall zu einer Zuchthausstrafe von 1 Jahr 6 Monaten und zu einer Geldstrafe von 300 sowie den Kosten. Die mehrfach vorbestrafte „weise Frau" hatte einem leichtgläubigen jungen Ehepaar im Ueberlinger Bezirk mehrere hundert Märk abgeschwindelt unter dem Vorgeben, die Kuh sei „verhext" und im Keller sei ein „Schatz" verborgen.
Vom Rhein, 24. März. (Holz-Wochenbericht.) Am Holzmarkt des Rheins hielt die feste Stimmung an. Am oberrheinischen Rundholzmarkt fanden nur vereinzelt kleinere Abschlüsse statt. Schon die Stockung in der Flößerei übte nachteiligen Einfluß auf das Geschäft aus, aber dann stimmte auch die hohe Preislage für Rundholz die Säge-Industrie Rheinlands und Westfalens zurückhaltend. Im Angebot hat sich keine Aenderung vollzogen. Die Langholzhändler selbst vertrauen auf die Beständigkeit des Marktes und lehnten deshalb Untergebote der Sägewerke allgemein ab. Wie bestimmt verlautet, sind von der niederrheinischen Säge-Industrie stattliche Posten russischen (Rigaer) Rundholzes in der Preislage von 25—27 Mk. frei Rotterdam gekauft worden. Vor Mai/Juni ist aber auf das Eintreffen dieser Ware nicht zu rechnen. Ob dieses ausländische Holz einen Druck auf den süddeutschen Rundholzmarkt ausüben wird, bleibt abzuwarten. Der Rundholzeinkauf in den süddeutschen Waldungen verlief wohl in letzter Zeit etwas ruhiger als bisher, indes war immer noch ziemlich große Kauflust wahrzunehmen. Die Preistreibereien dauerten ebenfalls fort, und die forstamtlichen Einschätzungen wurden in der Regel überschritten. Der Verbrauch in Schnittwaren bessert sich nach und nach, doch ist die Zunahme noch nicht bedeutend im Zusammenhang mit der noch ruhigen Tätigkeit im Baufach. Die Händler Rheinlands und Westfalens decken sich inzwischen aber doch ein, weil zu erwarten ist, daß die Anforderungen des Baufachs ganz plötzlich kommen. Am rheinischen Hobelholzmarkt gibt die andauernd feste Lage des nordischen Weißholz- und amerikanischen Pitch Pine-Marktes den Ton an.
Eine einschneidende Aenderung auf dem Gebiete der Patentierung plant die englische Regierung. Dies ist besonders für Deutschland von Bedeutung, da nahezu fünfzig Prozent der in