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S ch o r n d o r f, 22. April. Eine Spuk­geschichte macht hier und in der Umgegend gegenwärtig viel von sich reden. Im benachbarten Dorfe Steinenberg wird ein neunjähriges Schulmädchen vonGeistern" heim- gesucht. Sie gebärdet sich ganz wie ein spiri­tistisches Medium; auch behauptet eine große An­zahl Personen, an deren Glaubwürdigkeit im allge­meinen nicht zu zweifeln ist, daß der Stuhl, auf dem das Mädchen saß, ganz deutliche Klopflaute von sich gegeben habe. Es wurde auch der Versuch gemacht, in Gegenwart mehrerer einwandfreier Personen die Manifestation desGeistes" abends bei Heller Beleuchtung abzuwarten. Dabei mußte das Mädchen die Hände, für jedermann sichtbar, in den Schoß legen. Trotzdem sollen ganz intensive Kratz- und Klopflaute hörbar gewesen sein, ja man habe zu aller Entsetzen furchtbares Knallen gehört, und am Kopfe des Mädchen sei eine Hand zum Vorschein gekommen. Auch ein Domizilwechsel des Mädchens nach Beutelsbach soll diesem keine Ruhe verschafft haben, indem derGeist" eben auch dort­hin mitging und auch an letzterem Orte sein Un­wesen trieb, ja teilweise noch ärger denn zuvor; denn in Beutelsbach soll ein Sofa, auf dem das Mädchen mit einigen Personen saß, sich von selbst fortbewegt haben. Das Mädchen hat nun zu Cannstatt in der Villa Seckendorf Aufnahme ge­funden, und man sieht dem weiteren Verlauf der Dinge mit Spannung entgegen. Wie verlautet, soll es derGeist" an diesem neuen Aufenthaltsort noch ärger treiben und selbst die gebetskräftigsten Personen in Furcht und Schrecken jagen. Bemerkt sei noch, daß das Mädchen in Steincnberg in die Wohnung des Lehrers verbracht und dort einige Nächte hindurch beobachtet wurde, und man be­hauptet steif und fest, die Manifestationen kämen nicht von dem Mädchen. (N. Tagbl.)

Backnang, 22. April. Der Landtagsabg. Käß-Backnang hat, wie derBeob." berichtet, die ihm von der Volkspartei angetragene Kandidatur für den 11. W.Kr. (Backnang, Hall, Oehringen, WeinSberg,) auf ärztliches Anraten wegen seiner an­gegriffenen Gesundheit abgelehnt.

Brackenheim, 22. April. Zur gestrigen staatlichen Viehprämierung wurden zugeführt 13 Farren (i. Vorj. 5) und 25 Kühe i. Vorj. 13). Preise konnten zuerkannt werden für 5 Farren und 10 Kühe. Der Gesamtgeldbetrag der erteilten Preise beläuft sich auf 920 Bei den Kühen war wahrzunehmen, daß auch mittlere und kleinere Bauern mit ihren Tieren sich mehr und mehr an der Schau beteiligen und nicht wie anfänglich miß­trauisch bei Seite stehen.

Vom Zabergäu, 22. April. Das rauhe, unfreundliche Wetter, das auch in unserem milden Klima Frost und Schnee, wenn auch nur für kurze Zeit, brachte, scheint nun einem wärmeren Frühling weichen zu wollen. Schon haben sich die ensten Schwalben eingestellt und der Kuckuck hat seinen Ruf in dcu bald grünen Wäldern ertönen lassen. Möge

er dem Landwirt und Weingärtner ein gutes Jahr ansagen!

Wiesbaden, 22. April. Der König und die Königin von Württemberg trafen heute Abend 6 Uhr zu längerem Kuraufenthalt hier ein. Zum Empfang auf dem Bahnhof waren er­schienen Fürst und Fürstin von Wied sowie der Erbprinz und die Erbprinzessin von Wied, ferner Polizei-Direktor von Schenck.

Frankfurt a. M., 23. April. (Sänger- Wettstreit.) Der Verkauf der Dauerkarten geht recht flott; einzelne Sorten sind fast vergriffen. Der Verkauf der Karten wird bestimmt am 30. April geschlossen. Für den Abend des 3. Juni nach dem Begrüßungskonzert ist eine Illumination in Aussicht genommen. Der Kaiser fährt nach dem Konzert den Schaumainkanal hinauf über die Unter­mainbrücke, die neue Mainzerstraße am Schauspiel­hause vorbei und über die äußere Kaiserstraße nach dem Bahnhof. Auf dem Maine nehmen die Ruder­gesellschaften Aufstellung und die Uferbrücken, die Kuppel des Schauspielhauses, die Türme des Rat­hauses und der Dom werden bengalisch erleuchret. Zum Besuche des Konzerts selbst fährt der Kaiser vom Bahnhof über die Wilhelmsbrücke.

Berlin, 22. April. Die Nachricht, daß amerikanische Matrosen zur Teilnahme an der Kieler Ruder-Regatta eingeladen werden sollen, wurde dem Berliner Tageblatt zu­folge in amtlichen Kreisen Washingtons mit großer Befriedigung ausgenommen. Präsident Roosevelt versichert vor seiner Abreise dem Gesandten Speck von Sternburg, er sowohl wie das Kabinet würden bestrebt sein, die besten Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland zu fördern.

Berlin, 23. April. Der Lokal-Anzeiger meldet aus New-Gork: Auf dem Diner, welches die Besitzer der New-Iorker Staats-Zeitung zu Ehren des deutschen Gesandten Baron Speck von Stern­burg gaben, brachte der Bürgermeister das Kaiser­hoch aus. Er sagte u. A.: Vor Jahresfrist gewann Prinz Heinrich unsere Herzen. Wir Amerikaner sind keine Schauspieler, sondern fühlen die damals aus­gesprochene Freundschaft für Deutschland noch heute. Es ist die Pflicht der beiderseitigen Diplomatie und Presse, die gegenseitige Freundschaft zu fördern. Ich rechne es mir zur Ehre an, auf das Wohl des deut­schen Kaisers trinken zu dürfen, der uns Achtung und Bewunderung als Mann wie als würdiger Souverän eines großen Volkes gebietet. Vorher wies Baron Speck von Sternburg darauf hin, daß Frictionen zwischen Deutschland und der Union wie in der Samoa- und Venezuela-Affäre sich stets als Mißverständniß herausgestellt hätten. Er leerte sein Glas auf das Wohl des großen Landes und seines Präsidenten, der den Frieden, den Fortschritt und die Freundschaft mit Deutschland personificire.

Paris, 22. April. Die Subscription zu Gunsten der Buren ist nunmehr geschlossen worden und hat insgesammt 2,575,481 Francs er­geben, die Herr Bretner nach Südafrika überbringt.

St. Petersburg, 23. April. Am 19. und 20. fanden in Kischineff Arbeiter­ausschreitungen gegen die Juden statt, wobei 25 Menschen getötet, gegen 70 schwer und gegen 200 leicht verwundet wurden. Der Minister des Innern erklärte für die Stadt und den Kreis Kischineff den Zustand des verstärkten Schutzes (das heißt den Belage­rungszustand).

Ueber die Not der Fischer an der französischen Riviera schreibt man derFrkf. Ztg.": Alle Welt kennt die Not der bretonischen Fischer! Aber die Fischer der französischen Riviera find noch weit übler dran, da sie, die an die leichtere Lebensführung des Südens gewöhnt sind, plötzlich vor dem Verhungern stehen. 16 Familien werden täglich von Nizza aus mit Lebensmitteln versorgt, weil die Männer seit Wochen mit leeren Netzen heim­kehren und die Hotels seit Monaten ihren Bedarf von auswärts kommen lassen müssen. Und warum bleiben die Netze leer? Jetzt, da sich das Marine­ministerium und die verschiedenen Syndikate zu­sammentun, um ein Fischschutzgesetz zu erlassen, kann man offen darüber reden, ohne als Feind, alsLsirsngUsr", als zuHängender", wie das WortLtrsvAsr" nizzardisch ausgesprochen wird, angesehen zu werden. Karl Vogt hat seinerzeit den Fischern viele gute und böse Worte gegeben, um den Raubfang mit ganz feinen Schleppnetzen zu ver­hindern, aber umsonst, die Bevölkerung liebt die Buttina", die kaum fischgewordenen Laiche, und so werden Millionen davon gekocht und verzehrt. Die Freigabe des Meeres an die Fischer datiert vom Jahre 1820, zu welcher Zeit die Monegasken und Nizzarden Revolution machten und sich das Fischrccht erstritten. Als Nizza französisch wurde ließ man die Bewohner im Besitz ihrer Sonderrechte Es wird nun angestrebt, den Fischen eine Schonzeit zu sichern und denButtina"-Fang ganz zu verbieten. Auf diese Weise würde vielleicht in 45 Jahren wieder ein reichlicher Fischfang zu erwarten sein.

Mwirtslhaftt. Kchrksmew Calw.

Am Feiertag, 1. Mai -s. Js., nach­mittags 2 Uhr, findet in Deckenpfron« im

Hirsch" eine landwirtschaftliche Versammlung statt, wobei Herr Professor Dr. Sieglin in Hohenheim einen Vortrag über Schweinezucht halten wird. Jedermann ist hiezu freundlichst eingeladen.

Calw, 24. April 1903.

Der Vereinsvorstand

Reg.-Rat Voelter.

Gottesdienste

am Sonntag Llissrieoräias Domini, 26. April. Vom Turm: 606. Predigtlied: 128. 9','s Uhr: Vormitt.-Predigt, Herr Stadtpfarrer Schmid. l Uhr: Christenlehre mit den Söhnen.

Donnerstag, 30. April.

8 Uhr abends: Vortrag im Vereinshaus von Pfarrer Kappus iu Mürzzuschlag über die evangel. Bewegung in Oesterreich.

Aeiertag AHikippt und Zakovt, 1. Mai.

9'/- Uhr: Predigt im Vereinshaus, Hr. Stadt­pfarrer Schmid.

und Meinke sein Helfershelfer. Ein Murmeln des Unwillens im Publikum folgte diesen Worten, so daß der Vorsitzende drohen mußte, den Saal räumen zu lassen.

Die Mehrheit, fuhr der Vorsitzende fort, das wolle er gern glauben, habe ihren Spruch nach bestem Gewissen gefällt, aber sie habe sich lediglich an die tatsächlichen Beweise gehalten. Und in der Tat, der Beweis der Schuld der Angeklagten sei nicht erbracht, allerdings nur in sofern nicht, als Niemand gesehen, wie Schumann durch das Anbau- und Exerzierhausfenster in den Gerätschuppen gestiegen, dort den Schuß akgefeuert und sich dann auf demselben Wege wieder entfernt habe. Auch habe Niemand gesehen, wie Meinke ihm die Patrone in die Hand gedrückt habe, daß er also der Beihülfe schuldig sei. Allein alles andere spreche so sehr gegen die beiden Angeklagten, daß man nach guter persönlicher Ueberzeugung es aussprechen könne: Kein Anderer als Schumann ist der Mörder und Meinke hat ihm dabei hilfreiche Hand geleistet. Von diesem Recht, nach der durch den Indizienbeweis gewonnenen Ueberzeugung den Wahlspruch zu fällen, hätte die Minderheit Gebrauch gemacht, nicht aber die Mehrheit, die cs mit ihrem Gewissen nicht habe vereinbaren können, zu verurteilen, wo sie nichts gesehen. Da­gegen sei freilich nichts zu sagen. Wohl aber sei vorauszusehen, daß weder der Gerichtsherr noch der Herr Staatsanwalt sich bei diesem Wahlspruch beruhigen könnten und würden, sie würden jedenfalls sicher Revision einlegen und sei dies geschehen, so schwebe gegen die beiden jetzt Freigesprochenen wieder die Unter­suchung wegen Mordes und Beihilfe zum Morde und Personen, gegen die ein solcher Verdacht schwebe, seien in Haft zu nehmen. ES stehe aber zu befürchten, daß die Freigesprochenen, um einer nochmaligen Verhandlung aus dem Wege zu gehen, sich einfach aus dem Staube machen würden. Deshalb müsse von einer

Haftentlassung Abstand genommen werden, bis die Berufungsfrist abgelaufen sei.

Nach dieser Rede erhob sich ein solcher Sturm des Unwillens, daß der Vorsitzende nun wirklich den Saal von den Zuschauern räumen ließ:

Die Wirkung der letzten Worte des Vorsitzenden auf die beiden Frei­gesprochenen war eine unbeschreibliche. Schumanns Gesicht wurde purpurrot vor Entrüstung. Seine Lippen bewegten sich krampfhaft und seine Fäuste ballten sich. Es war, als ob er sich auf den Vorsitzenden des Gerichts stürzen wollte. Aber er bezwang sich und folgte den Soldaten, die ihn wieder in Hast absührten. Aber im Abgehen warf er noch einen flammenden Blick nach dem Richtertisch. Günz anders Meinke, der bei der Ankündigung, er werde nicht aus der Haft entlassen werden, kreidebleich wurde und geradezu in sich zusammenklappte. Er gedachte seiner Frau, die sich um ihn abgrämte und seiner drei kleinen Kinder, die nach dem Vater schrieen. Völlig apatisch ließ er sich abführen.

Die Aufregung, die dieser Vorgang in der Stadt wachrief, war ungeheuer. Man murrte und schimpfte erst leise, dann laut, und einzelne wohlmeinende Leute mußten das Publikum davon abhalten, seinen Unwillen allzu laut zu äußern, um sich nicht einer Anklage wegen unbefugter Kritik eines richterlichen Urteils­spruches auszusetzen, auf welchem Vergehen bekanntlich Gefängnis steht. Die Popu­larität, welche der alte Schumann namentlich bei den niederen Klassen der Bevöl­kerung genoß, trat hier recht zu Tage. Leute, die ihm ganz fremd waren, traten auf ihn zu, schüttelten ihm die Hand, sprachen ihre Befriedigung über den Urteils­spruch und ihre Entrüstung über die Jnhaftbehaltung der beiden Freigesprochenen aus. Man knüpfte daran die Hoffnung, daß die zweite Instanz denselben Spruch fällen möchte, wie die erste. (Fortsetzung folgt)