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ebenso den hoch verpönten Baumschädlingen ein jähes Ende bereitet. Der Pessimismus jener Zeit war genau so wie der der Gegenwart, möchten wir aber auch so zu Schanden werden mit unsern Befürchtungen, wie damals! Denn der enorme Obstreichtum jenes Jahres ist sozusagen sprichwörtlich geworden; denn jeder Baum und alle seine holzigen Stammverwandten — edle und unedle — der Schlee- dorn und die Haselnußstaude so gut wie der Eichbaum und die Buche u. s. w. lieferten reichliche Frucht und alles in bester Vollkommenheit."
Tuttlingen, 18. April. Aus Anlaß der Anwesenheit des Staatsministers I)r. v. Pisch ek, der im Hotel zur Post abgestiegen ist, fand gestern hier in der städtischen, festlich geschmückten Turnhalle ein Bankett statt, das außergewöhnlich stark besucht war. Die Stadtkapelle konzertierte; sechs Gesangvereine trugen Massenchöre vor. Nach der Begrüßung durch Stadtschultheißenamtsverweser Nüßle sprachen Fabrikdirektor Ehr. Scheerer (Königstoast), Bürgerausschußobmann Hilzinger (Toast auf den Minister), Landtagsabg. Schnekenburger zieht einen Vergleich zwischen Tuttlingen von heute und dessen Stand im vorigen Jahrhundert (Toast auf die Regierung), Dekan Fischer (Toast auf die Jugend). Der Minister dankt in seiner Rede für die freundliche Aufnahme und rühmt den schönen Stand von Industrie und Gewerbe, wovon er sich gestern mit eigenen Augen überzeugt habe. Die Regierung werde stets bestrebt sein, daS Wohl der aufblühenden Industriestadt Tuttlingen aufs beste zu fördern. Er trinkt auf das Gedeihen von Bezirk und Stadt.
München, 17. April. Im Kreuzbräu fand gestern Abend eine vom allgemeinen Gewerbeverein und vom Schutzverein für Handel und Gewerbe einberufene Versammlung gegen die Warenhäuser statt, in der Rechtsanwalt Rauchenberger und der Gemeindebevollmächtigte Hermann sprachen. Am Schluß kam eine Resolution zur Verlesung. Als jedoch über dieselbe diskutiert werden sollte, entstand ein ungeheurer Tumult, der alsbald in ein Handgemenge und schließlich in eine große Schlägerei überging, wobei mit Bier-Untcr- sätzen rc. geworfen wurde. Schließlich erschien ein Schutzmannsausgebot von 20 Mann und besetzte den Saal und die Treppen. Auf Veranlassung des Polizeikommissars wurde dann die Versammlung durch den Vorsitzenden geschlossen.
Berlin, 17. April. Die Wiederherstellung der Kaiserin wird dem „Berliner Tageblatt" zufolge erst Mitte Mai eine vollkommene sein, wenn auch die Absicht besteht, den Gipsverband bereits in nächster Woche zu entfernen. Zur Beschleunigung der Rekonvalescenz wird die Kaiserin Ende dieses Monats in das neue Palais überfledeln. Ihr erster Ausflug wird voraussichtlich der Teilnahme an der Kieler Woche gelten. Ein Aufenthalt in Kadinen kommt erst im Monat Juli in Frage.
Berlin, 17. April. Ueber den Fall Hüß - ner hat, wie der „Lokalanzeiger" meldet, der Kaiser
genaueste Untersuchung befohlen und einen eingehenden Bericht über das Ergebnis eingefordert.
Berlin, 17. April. Aus Könitz wird dem „Berliner Tageblatt" telegraphiert: Kreisarzt vr. König stellte fest, daß die gestern gefundenen Gliedmassen menschliche Knochen sind. Ferner wurde konstatiert, daß die jetzt entdeckten Knochen diejenigen sind, welche an der Leiche des Winters fehlten. An einem Armknochen hing ein Herrengamasche, die entweder Winter gehört hat oder von dem Täter bei der Verbergung verloren wurde. Von dem Skelett Winters fehlen nur noch die Knochen der Handwurzel und die Finger.
Pirmasens, 18. April. Die Arbeiter der Schuhfabriken haben die Bedingungen der Arbeitgeber betr. die Aufhebung der Sperre abgelehnt. Infolge dessen werden heute Abend 63 Fabriken, deren Besitzer sämtlich Mitglieder des Fabrikantenvereins sind, geschlossen.
Amsterdam, 18. April. Die Vereinigungen der Arbeitgeber des Transportgewerbes machen bekannt, die Aussperrung der Arbeiter werde am Montag abends 6 Uhr aufgehoben werden.
Paris, 17. April. Der Direktor der Sicherheitspolizei, Hammard, und der Gcrichtsarzt Locquet untersuchen gegenwärtig einen geheimnisvollen Vergiftungsfall. Am 1. Januar erhielt ein Angestellter des Credit Lyonnais, der mit seiner Frau in einem Ehescheidungsprozeß liegt und getrennt von derselben lebt, ein Packet mit Kuchen zugeschickt. Da er die Süßigkeiten nicht liebt, kostete er den Kuchen nicht, sondern verschenkte ihn an verschiedene Kinder im Hans. Dieselben erkrankten sämtlich an mehr oder weniger schweren Vergiftungserscheinungen und man fand in dem übrig gebliebenen Kuchen Arsenik. Der Absender ober ist noch nicht ermittelt. — In Marseille herrschte gestern nacht und heute ein außergewöhnlich heftiger Sturm, der gestern abend 10 Uhr mit einem fürchterlichen Graupelwetter begann. Alle Schiffe im Hafen verdoppelten ihre Ankerung, was nicht verhinderte, daß mehrere von ihnen losrissen und aufeinander geworfen wurden. Unter letzteren befand sich auch der große Ozeandampfer „Orenoque", der durch den Sturm gegen die am Quai de la Joliette vor Anker liegenden kleineren Dampfer „Ville der Madrid", „Ville de Bastia" und „Cyrnos" getrieben wurde. Es mußten 8 Schleppdampfer an ihn angespannt werden, denen es jedoch nicht gelang, ihn abzubringen. Sie konnten nur verhindern, daß die genannten Schiffe nicht zerquetscht wurden. Der Sturmwind war so stark, daß er Waren ins Meer wehte und am Quai St. Jean der Wagenverkehr eingestellt werden mußte. Heute früh dauerte der Sturm fort, so daß man in großer Sorge um den „Gönöral Chancy" war, der den Kammerpräsidenten Bourgeois an Bord hat und von Algier erwartet wurde. Bei der Einfahrt des Dampfers „SyriuS" wurde derselbe heute so heftig gegen den Quai geworfen, daß er schwere Havarie erlitt.
Vermischtes.
Wieder ein unwahrer Bericht. Die „Schwäb. Tagwacht" gibt in ihrer Freitagsnummer folgende Erklärung ab: „Die Redaktion der „ Schwäb. Tagwacht" nimmt den in dem Artikel „Die Fälle mehren sich" in Nr. 31 vom 7. Febr. 1903 enthaltenen Bezicht, Herr Stadtpfarrer Mangold hier habe eine bedürftige Bittstellerin abgewiesen und dann zwei Fahnder zitiert, um dieselbe eventuell festnehmen und verhaften zu lassen, mit dem Ausdruck des Bedauerns als unwahr zurück und bedauert insbesondere, ohne nähere Prüfung des Sachverhalts den fraglichen Artikel ausgenommen zu haben." Dazu macht die Redaktion folgende Bemerkung: „Die folgende Erklärung giebt uns Veranlassung, einmal zu zeigen, mit welcher Unverfrorenheit hier und da einem sozialdemokratischen Blatte Angaben gemacht werden, welche dann der betreffende Redakteur zu verantworten hat. Der Sachverhalt in dem obigen Fall ist kurz der: Am Freitag den 6. Februar kam eine Fron Rosine Bücher auf unsere Redaktion, um in Gegenwart eines Zeugen unter heftigem Träucnstrom die oben zitierte Mitteilung zu machen, wobei sie versicherte, daß sie eben von Herrn Mangold herkomme, wo der Fall, daß sie infolge eines Bittgesuchs zwei Fahnder verhaften wollten, passiert sei. Auf ihre direkte Behauptung, daß der Herr Stadtpfarrer die Fahnder geholt habe, wurde sie von dem verantwortlichen Redakteur sofort gefragt, wie sie das wissen könne. Die Frau versicherte dann unter Angabe näherer Umstände, daß dies so sei. Eine Möglichkeit, die „nähere Prüfung des Sachverhalts" vorzunehmcn, stand nicht zu Gebot. In der Voruntersuchung stellte sich nun das Unglaubliche heraus, daß die betreffende Frau als Zeugin des Herrn Stadtpfarrers nicht nur nicht den Herrn Stadtpfarrer Mangold als denjenigen bezeichnet haben wollte, der die Fahnder herbeigeholt habe, sondern sogar behauptete, daß sie von der Redaktion veranlaßt worden sei, in diesem Sinn ihre Mitteilung zu machen!"
Die Wahlkuverts. Der Vertrag über die Lieferung des Wahlkuverts ist nunmehr abgeschlossen, was. nebenbei erwähnt, beweisen dürfte, daß man mit keinen Schwierigkeiten von seiten des Reichstags rechnen zu müssen glaubt. Der „Verband deutscher Briefumschlagfabrikanten", der seinen Sitz zu Barmen hat, übernimmt bei hohen Konventionalstrafen für den Fall verspäteter oder nicht bedingungsgemäßer Lieferung Fabrikation und Expedition der Kuverts, die beide bis zum 9. Juni erledigt sein müssen. Alles in allem kosten die 17 Millionen Kuverts, die Preußen braucht, etwa 70000
Das Unglück auf dem Hochschwab. Aus Wien wird gemeldet: Die am Ostersonntag auf den Hochschwab gestiegenen drei Wiener Touristen, die Brüder Teufelsbauer (beide sind Volksschullehrer) und der bekannte Tourist Ferdinand Fleischer, sind gestern tot aufgefunden worden; sie lagen auf dem Plateau
dem Ermordeten und dem Angeklagten durch Beispiele belegten. Sie gaben alle beide dem Unteroffizier Schuld, der in der letzten Zeit sehr zerstreut und zerfahren gewesen sei. Anders sagte der Feldwebel aus, der zwar die Zerfahrenheit Schumann's zugab, sie aber nicht als Ursache, sondern als Wirkung des immer mehr sich zuspitzenden Konfliktes zwischen dem Angeklagten und seinem Hauptmann hinstellte. Schumann sei — er habe ihm dies einmal unter vier Augen, als ihm der Feldwebel wohlmeinende Vorhaltungen gemacht habe, anvertraut — in großer Sorge wegen seiner Zukunft gewesen. Schumann habe ihm auch gesagt, daß der Hauptmann sich fortgesetzt in so gereizter Stimmung gegen ihn befinde, daß er gar nicht mehr wisse, wie er es ihm recht machen solle und der Hauptmann habe ihm auch schon gedroht, er werde nicht weiter mit ihm kapitulieren, dann könne er Steine klopfen gehen. Auf eine Frage des Staatsanwaltes, ob er in diesem Verhalten des Hauptmanns irgendwelche Eifersucht gesehen habe, erklärte der Zeuge, er halte dies für ausgeschloffen, da damals noch Lagorge mit Louise verlobt gewesen sei. Und der brave Mann sagte ganz offen seine Meinung darüber, die Animosität des Hauptmanns gegen Schumann stamme noch von vor zwei Jahren her, da Schumann's Vater noch Feldwebel der „Vierten" war. Die Richter wie die Offiziere schüttelten wegen dieser freimütigen Aussage bedenklich die Köpfe, als wollten sie sagen: „Wenn das nur gut geht" und sie schielten verstohlen nach dem Gerichtsherrn, dem Oberst und Regimentskommandeur hinüber, der steif auf seinem Stuhle saß und zwischen dessen Brauen eine böse Falte eingegraben war. Bedenklicher waren die Aussagen der Unteroffiziere, die im Wesentlichen das wiederholten, was sie bei der Voruntersuchung zu Protokoll gegeben hatten.
Auf die Frage des Staatsanwaltes aber, ob sie an einem Mittag nicht
den Eindruck gehabt hätten, es könnte bei dem Schumann irgend etwas passieren, antworteten sie indessen alle mit „Nein!" Schumann sei manchmal so aufgeregt gewesen, aber er habe sich immer wieder rasch beruhigt.
Die Mannschaften — fast die halbe Kompagnie — hatten schon in der Voruntersuchung fast gar nichts auszusagen gewußt. Erst später war ein gewisser Bencke vorgetreten, der allerhand Verdächtiges bemerkt haben wollte. Er wollte beide, Geyer und Schumann, beobachtet haben, als sie das Exerzierhaus betreten, und zwar dieser vom Kasernenhofe, jener von dem Gerätschuppen aus. Beide sollten geisterbleich, ja geistesabwesend ausgesehen haben, mit weitaufgeriffenen Augen und verzerrten Gesichtszügen erschienen sein. Außer diesen, wohl auf persönlichen Kombinationen ruhenden Aussagen des einzelnen Mannes ging aus der Beweisaufnahme nur Folgendes hervor: das gespannte Verhältnis des Angeklagten Schumann zum Ermordeten, die Verschärfung des Konfliktes, die Strafpredigt des Hauptmanns am Mittag vor der Tat, die Arreststrafe und Schumanns Wut, die er bei Tische geäußert. Dann die Aussagen der Leute auf der Munitionskammer, die da bekundeten, die beiden Unteroffiziere hätten sich fortgesetzt mit gedämpfter Stimme unterhalten — „verstehe hat mer awer nix gekönnt," hatte Murgendahler gesagt, der aber bekanntlich überhaupt schwer Deutsch verstand, sie seien dann zum Vespern nach der Kantine hinuntergegangen, aber nur Meinke allein sei wieder heraufgekommen. Da sei er aber sehr unruhig gewesen, sei hin- und her-, auf- und abgegangen, habe sehr oft aus dem Fenster gesehen und zuletzt einen Mann hinuntergeschickt, der nach Schumann fragen sollte. Dann war das aigeschossene Gewehr gefunden worden und Schumann hatte sich zur Zeit des Mordes in dem Anbau befunden, von dem man durch die beiden Fenstern in den Gerätschuppen des Exerzierhauses gelangen konnte. (F. f.)