Stuttgart, 1. FelWuar. Die Anfechtung der Wahl des Landtagsabg. für Oberndorf, Arbeitersekretär Andre-Stuttgart, soll nunmehr beim Ständischen Ausschuß eingereicht sein. Sie zählt unter Berufung auf die den amtlichen Akten einverleibten Beweismittel eine Reihe von Verstößen gegen das Landtagswahlgesetz und gegen verfassungsrechtliche Bestimmungen auf. Der Ständische Ausschuß wird am nächsten Montag voraussichtlich zur Prüfung der Legitimationen zusammentreten. Der Ständische Ausschuß hat das Recht, einen Abgeordneten, dessen Wahl mit so starken Gründen angefochten wird, daß sie aller Voraussicht nach zu einer Kassierung führt, für vorläufig nicht legitimiert zu erklären. Die endgültige Entscheidung liegt aber in den Händen des Landtags.
Stuttgart, 30. Jan. Die Frage der sechsjährigen Bildungszeit für die Volksschullehrer scheint nun in Württemberg in Fluß zu kommen, denn nach einem Erlaß des Kultminifteriums beabsichtigt, wie wir hören, die württembergische Regierung, mit dem Frühjahr 1908 als künftige Bildungszeit der Volksschullehrer 6 Jahre festzulegen. Darnach würde sich die Sache etwa wie folgt gestalten: Der im Frühjahr 1908 in die Präparandenanstalten eintretende erste Kurs wird zu 6 Bildungsjahren verpflichtet, welche 3 auf die Präparandie entfallen und 3 aufs Seminar. Nach Ablauf des 5. Jahres hat der Zögling die theoretische Prüfung abzulegen und das 6. Jahr dient in der Hauptsache der Schulpraxis. Im Jahre 1914 würden also erstmals die Kandidaten mit sechsjähriger Bildungszeit das Seminar verlassen. Die Durchführung dieses Planes wird natürlich manche Neuorganisation zur Folge haben, nämlich die der Lehrpläne, bauliche Veränderungen der Lehrerbildungsanstalten u. a. m.
Stuttgart, 30. Januar. Das Ende der Landeskarten. In der Sitzung der Süddeutschen Verkehrskommission des Verbands reisender Kaufleute Deutschlands wurde die abschlägige Antwort kgl. württ. Ministeriums der Auswärtigen Angelegenheiten auf die Petitionen um fernere Beibehaltung der beliebten Landeskarten mit Bedauern entgegengenommen. Die Landeskarten hören mit dem 1. Mai ds. Js. definitiv auf.
Stuttgart, 1. Febr. Die Landesversammlung der Deutschen Partei, die seither immer im Januar stattfand, in diesem Jahre aber wegen der Wahlen verschoben werden mußte, soll nun an einem Sonntag um Ostern tagen. Die genaue Bestimmung des Tages hängt noch von der Geschäftslage der Parlamente ab.
Stuttgart, 1. Febr. Im ganzen übereinstimmende Meldungen aus ganz Württemberg, aus Bayern, Baden, Elsaß-Lothringen und Norddeutschland berichten über anhaltend starken Schneefall und über hieraus resultierende, schwere Verkehrsstockungen. Schneeverwehungen von Wegen und Gleisen, umfangreiche Störungen im Telephon- und Telegraphenverkehr sind an vielen Orlen eingetreten. Obgleich der Schnee bei mäßig kühler Temperatur tagsüber wieder großenteils zerrinnt, ist eine Abnahme der Massen infolge umfangreicher Schneefälle während der Nacht doch nicht wahrzunehmen. Besonders im Schwarzwald find reichliche Schneefälle eingetreten. In Freudenstadt geriet der mit acht Pferden bespannte Bahnschlitten in die Gefahr, stecken zu bleiben; in den Straßen lagert eine Unmenge Schnee. Meterhoch liegt er bei Villingen. In Altensteig kommen zu den bedeutenden alten Schneemassen stets neue und nicht weniger umfangreiche; gleiches wird aus Hohenzollern gemeldet. Die Züge der Allgäubahn rc. erlitten ganz erhebliche Verspätungen; der Zugsverkehr auf der Strecke Roßberg-Wurzach mußte infolge überaus reichlichen Schneefalls eingestellt werden. — Angesichts der vorliegenden Bieldungen, nach welchen Stadt und Land im weitesten Umkreis tief verschneit sind, erscheint es angebracht, an unsere kleinen Sänger in Wald und Feld, auch an die bereits da und dort eingetroffenen Frühlingsboten (Staren rc.), zu erinnern. Den Staren, als Vertilger von Kerbtieren, Schnecken, Würmern rc. vorteilhafte Dienste leisten, sollten jetzt kleingeschnittene Fleischüberreste rc. gefüttert werden. — Es ist ein Winter, wie man ihn seit Jahren nicht mehr kannte. Der Sturm trieb die Schneemasfen zu hohen Wehen zusammen, so daß der Schnee oft 2 Meter und höher liegt. Die Post von Triberg nach Schönwald blieb im Schnee stecken. Während der vorletzten Nacht fielen solche Schneemassen, daß die Frühzüge von Villingen große Verspätungen erlitten und mit Vorspann stellenweise durchgearbeitet werden mußten.
Stuttgart, 31. Jan. Am 14. Nov. war in Böblingen Stadtschultheißen - Wahl, wobei
Ratschreiber Carl bekanntlich gewählt wurde. Die Wahl wurde jedoch angefochten seitens des Wahlkomitees des Gegenkandidaten Kassiers Klingler, weil Unregelmäßigkeiten vorgekommen sein sollen. Die Bestätigung ist noch nicht erfolgt. Nunmehr wurde auch bekannt, daß von dem Wahlkomitee Klinglers Freibier verabreicht wurde. Auch sollen den Wählern kleinere Geldbeträge eingehändigt worden sein. Am Tage vor der Wahl kam der ledige Kaufmann Albert Schlecht zu dem Löwenwirt Adolf Geck, der ihn aufforderte, einen Schlechts Bruder Otto geliehenen Geldbetrag zu bezahlen, worauf ihm dieser antwortete, er bezahle das Geld, aber er, der Löwenwirt, müsse Carl wählen, worauf Geck äußerte, er wähle keinen andern als Carl. Gegen die beiden wurde nun Anklage wegen Wahlstimmenhandel erhoben. Bei der gestrigen Verhandlung vor der Strafkammer machte Schlecht geltend, er habe die Stimme von Geck nicht kaufen wollen. Er habe für seinen Bruder schon öfter Schulden bezahlt. Geck sprach sich dahin aus, daß es ihm mit seiner Aeußer- ung nicht ernst gewesen sei, er gab bei der Verhandlung zu, daß er im Gegenteil Klingler gewählt habe. Die Strafkammer hielt jedoch nicht als erwiesen, daß eine Willenseinigung erfolgt sei und erkannte auf Freisprechung.
Stuttgart, 1. Febr. Mit dem heutigen Tage hat in Stuttgart der Ladenpreis für Schweinefleisch wieder um 5 Pfg. abgeschlagen und ist einstweilen auf 75 Pfg. festgesetzt worden. Bei allen übrigen Fleischsorten ist der Preis der gleiche geblieben.
Heilbronn, 1. Febr. In der heutigen Sitzung drückte Oberbürgermeister Dr. Göbel die Teilnahme der Stadtverwaltung an dem Grubenunglück im Saargebiet aus, aus welchem Gebiet die Stadt seit Jahren ihren Kohlenbedarf deckt.
Lauffen a. N., 31. Jan. Ueber rohe Tierquälereien von Handelsleuten, die einen Viehtransport bei Glatteis von Talheim auf den hiesigen Bahnhof brachten, um die Tiere auf dem Kochendorfer Viehmarkt abzusetzen, wird berichtet: Schon wenige Schritte hinter Talheim wurde ein gestürztes Stück Vieh noch weitergetrieben. Eine ältere Kuh stürzte gleichfalls, renkte sich die Beckenknochen aus und wurde halb zu Tode geprügelt. Ein mitleidiger Metzger erlöste sie später von ihren furchtbaren Qualen. Ein anderes Tier, das mit dem Transport der schlechten Wege halber nicht mehr mitkommen konnte, wurde kurzerhand eine Strecke auf dem Boden fortgezerrt. An sich ist es schon eine Tierquälerei, Zweihufer bei Glatteis im Transport Stunden zu treiben. Wenn die Herren Treiber den Weg ungangbar finden und dies am eigenen Leib unangenehm empfinden, dann hielten sie die zur Schlachtbank geführten Tiere noch gerade für gut genug, ihrem Unmut in brutalster Form Luft zu machen. (Traurig aber wahr!)
Freudenftadt, 29. Januar. Beim gestrigen Di'özesanverein in der Post war auch der Generalsuperintendent der Diözese, Prälat von Hermann, anwesend. Derselbe hatte schon im voriger? Sommer einmal seinen Besuch zugesagt, war aber damals unvermutet verhindert worden. Nun hatte er Gelegenheit, mit den Geistlichen der Diözese, die fast vollzählig erschienen waren, Bekanntschaft zu machen. Der Vorstand des Diözesanvereins, Pfarrer Sauter-Baiersbronn (vorher in Gräfen- hausen), begrüßte den Hrn. Prälaten und sprach die Freude der Kollegen aus über seinen Besuch. Hierauf hielt der Hr. Prälat eine längere Ansprache, worin er sich über die Aufgaben verbreitete, die das geistliche Amt in unserer Zeit seinen Trägem stellt und gab beherzigenswerte Winke der Ermunterung und Ermutigung. Daran schloß sich eine Besprechung über einige besondere Fragen. Nachher, als auch die Frauen zugegen waren, hielt Pfarrer Zeller-Grüntal einen überaus interessanten Vortrag über Helen Keller, die amerikanische Taubstummblinde, die es, dank der treuen Arbeit ihrer genialen Erzieherin und Lehrerin, einer Fräulein Sulivan, so weit gebracht hat, daß sie das Gymnasium und die Hochschule durchlaufen konnte und nun eben daran ist, sich die Doktorwürde zu erwerben ; sie spricht mehrere Sprachen und ist in der Literatur der wichtigsten Völker sehr bewandert, liebt besonders auch die deutsche Sprache und Literatur. Sie hat in höchst anziehender Weise ihr Leben (geb. 1880) selber beschrieben. Dieses merkwürdige Buch lag hauptsächlich dem Vortrag zu Grund, der den wunderbaren Weg eines dreifach, scheinbar hoffnungslos, gebundenen Menschengeistes aus der tiefsten Nacht zu Hellem Licht in feinster Weise schilderte und zum Verständnis brachte. Außer ihrer Lebensbeschreibung hat Helen Keller ein prächtiges Büchlein: „Optimismus, ein Glaubens
bekenntnis" geschrieben, das bereits in 5. deutscher Auflage vorliegt.
Klosterreichenbach, 31. Januar. Eine unverhoffte, aber wohlverdiente Ueberraschung wurde dem hiesigen Postboten Günther in diesen Tagen zuteil. Die Versicherungsgesellschaft „Helvetia" in St. Gallen, deren Agentur Postbote Günther seid 25 Jahren geführt hat, ließ ihm als Anerkennung für 25jährige ersprießliche Dienste eine besondere Ehrengabe von 75 Mark zukommen. — Postbote Günther (Vater des Forstwarts G. in /Waldrennach) ist Kriegsveterane von 1870/71 und seit 35 Jahren Vorstand des Veteranenvereins zu Klosterreichenbach.
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Neuenbürg, 1. Febr. Heute abend kurz nach ' i/-7 Uhr entstand auf dem Marktplatz plötzlich Feuerlärm. In dem Comptoir der Apotheke schlugen die Flammen auf. Ein größerer Glasbehälter mit Spirituslack war explodiert; die Flüssigkeit wurde durch das Ofenfeuer entzündet und brannte lichterloh. Durch das rasche besonnene Eingreifen des Hrn. Apothekers Bozenhardt und durch rasch vom Personal der nebenanliegenden Buchdruckerei beigebrachtes Wasser wurde das Feuer schnell gelöscht.
Neuenbürg, 31. Jan. Von den Blättern des württembergischen Schwarzwald-Vereins ist soeben die Januar-Nummer ausgegeben worden. Sie enthält einen interessanten Aufsatz „Studien aus Kentheim OA. Calw" von Max Bach, der die Aufmerksamkeit der Leser in unserer Gegend besonders auf sich ziehen dürfte. „Aus Liebenzell" werden uns 4 schöne Aufnahmen von dem bekannten Schwarzwald-Photographen Blumenthal in Wildbad mit begleitenden Worten von C. M. vorgeführt. „Im Gebiet der Teufelsmühle (Wirklichkeit und Sage)" ist G. A. Vvlz-Heilbronn wohlbekannt und sucht auch die Schwarzwaldfreunde damit bekannt zu machen. Schullehrer Huber teilt auf Grund einer Handschrift von dem verstorbenen Pfarrer Köhler in Marschalkenzimmern eine „Beschreibung Dornhans vor 100 Jahren" mit K. Koch beklagt den Untergang der Ruine „Urnberg", eine Viertelstunde südlich von Rohrdorf bei Eutingen gelegen. „Was vor 300 Jahren beim Graben in und um Stuttgart alles gefunden wurde" schildert Theodor Schön. Dem. verstorbenen Oberförster Schauwecker in Wildberg widmet L. einen warmen Nachruf. Der Schriftleiter wünscht in einer Zuschrift an die Leser, es möge ihm zur Bearbeitung eines Aufsatzes Material über die Schliche und Gänge der Wilderer mitgeteilt werden. In starkem Aufblühen ist der Pforzheimer Bezirksverein begriffen, es sind ihm nach dem Mitgliederverzeichnis 165 neue Mitglieder beigetreten. Die verschiedenen Vereinsberichte aus Alpirsbach, Dornstetten und Neuenbürg, Rottweil und Weilderstadt zeugen von frischpulsierendem Leben, die Fortsetzung des Mitgliederverzeichnisses von erfreulichem Zuwachs.
Dermlschies.
Wunderliche Weisheit haben unsere Vorfahren entwickelt, als es sich um Einführung der Straßenbeleuchtung mit Leuchtgas einst handelte. Die „Kölnische Zeitung" bekämpfte am 28. März 1819 diese Straßenbeleuchtung, sie sei verwerflich einmal aus theologischen Gründen, weil sie einen Eingriff in die göttliche Ordnung bedeute, einen Versuch, den Weltplan zu Hofmeistern, der doch die Finsternis der Nacht angeordnet habe; zum andern aus juristischen Gründen, denn es sei Unrecht, die Kosten dieser Beleuchtung auch denen aufzubürden, die sie gar nicht wollen; ferner aus medizinischen Gründen, denn der Gasgeruch sei der Gesundheit schädlich und durch die Beleuchtung werde man nur veranlaßt, länger auf den Straßen zu verweilen und da sich zu erkälten; weiter aus moralischen Gründen, weil die Beleuchtung das Grauen vor der Finsternis verscheuche, welches den Schwachen von mancher Sünde abhalte, und weil Trunksucht und Unzucht durch die Helle in den Straßen gefördert werde. Weiter aus polizeilichen Gründen, weil die Helle die Pferde scheu und die Diebe kühn mache! Dann aus staatswirtschaftlichen Gründen, da für das zur Beleuchtung nötige Material viel Geld ins Ausland gehe; endlich aus volkstümlichen Gründen, weil der Eindruck festlicher Illuminationen, die das Nationalgefühl heben und fördern sollen, durch diese „Illuminationen", die jeden Abend stattfinden, abgeschwächt werden müsse und diese so an Wert verlieren! Wie wunderbar weise waren jene Gelehrten vor bald 100 Jahren! Wir lächeln jetzt über solche Gründe. Aber wie werden