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Schreibhefte

L. Need.

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4.

Neuenbürg, Samstag den 5. Januar 1967.

65. Jahrgang.

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Der diesmalige Jahreswechsel hat eine sehr be­deutsame politische Kundgebung des Reichskanzlers Fürsten Bülow gezeitigt, welche sich auf die be­vorstehenden. Reichstagsneuwahlen bezieht und die füglich als die Wahlparole der Reichsregierung be­zeichnet werden kann. Diese Kundgebung ist in einem Briefe enthalten, welchen der Reichskanzler am Silvestertage des alten Jahres an den General­leutnant v. Liebert, Vorsitzenden des Reichsverbands gegen die Sozialdemokratie, gerichtet hat. Der Kanzler wünscht selber im Eingänge seines Schreibens, daß es als eine aufklärende Kundgebung im Hin­blick auf die Reichstagswahlen betrachtet werde, und ersucht um, ihre öffentliche Verbreitung. Dann .läßt er sich über die parlamentarisch-politische Lage bei seinem Amtsantritte aus, hebt die schon damals bestandene außerordentliche Machtstellung des Zen­trums hervor, und erinnert daran, daß eine ganze Reihe wichtiger gesetzgeberischer Ausgaben im Reiche nur mit Hilfe letzterer -Partei gelöst werden konnten. Offen gesteht Fürst Bülow zu, er habe diesen Zu­stand der Abhängigkeit der parlamentarischen Er­gebnisse vom guten.Willen einer Partei immer als nicht unbedenklich empfunden, jedoch so lange keine Ursache gehabt ihn zu ändern, als das Zentrum sich zu positivem Zusammenarbeiten mit den verbündeten Regierungen bereit erklärte. Das sei aber anders geworden , als im vorigen Frühjahr im Reichstag die so notwendigen Forderungen für die südwest­afrikanische Eisenbahn Kubub-Keetmanshoop, für sie Entschädigung der südwestafrikanischen Farmer und für ein besonderes Reichskolonialamt vom Zentrum mit Unterstützung der Sozialdemokratie abgelehnt worden seien, und schon damals sei in ihm, dem Kanzler, der Entschluß herangereift, jedem neuen Versuche zu Liner solchen parlamentarischen Machtprobe in wichtigen Reichsangelegenheiten mit aller Kraft entgegenzutreten. Weiter prüft der Kanzler das Verhältnis zwischen den Parteien der Rechten und der liberalen Parteien, erklärt, daß bereits eine gute Brücke über die sie trennenden Gegensätze führe, und spricht seine Zuversicht aus, daß diese Brücke eine immer festere werden würde. Im ferneren wendet sich der Reichskanzler gegen Zentrum und Sozialdemokratie, erwähnt die bekannte Ursache der Reichstagsauflösung, weist die Behaupt­ung im Wahlaufrufe des Zentrums, es handele sich bei den bevorstehenden Wahlen um einen neuen Kulturkampf, als vollkommen unbegründet zurück und schließt mit der Aufforderung an Konservative und Liberale, im Kampfe für Ehre und Gut der Nation gegen Sozialdemokraten, Polen, Welfen und Zentrum znsammenzuhalten. Man darf wohl ohne weiteres annehmen, daß diese jetzt vom leiten­den Staatsmanne des Reiches in aller Form aus­gegebene Parole für die Reichstagswahlen bei allen wirklich national empfindenden Männern Deutsch­lands die gebührende Beachtung finden wird.

Berlin, 4. Januar. DieNordd. All. Ztg." meldet: Wie der Truppenkommandeur von Süd­westafrika, Oberst v. Deimling, meldet, ist die Rücksendung von weiteren 600 Mann, und zwar vor dem 1. April in die Wege geleitet.

Der französische Kriegsminister Piquart be­findet sich auf einer militärischen Inspektionsreise nach Tunesien.

General Kuropatkin ist Donnerstag vom Kaiser von Rußland in Audienz empfangen worden.

Württemberg»

Evang. Landessynode. Das älteste Mit­glied der am 10. Jan. zusammentretenden 7. evang. Landessynode ist der frühere ritterschaftliche Land- tagsabg. Oberforstrat a. D. Graf Uexküll, der jetzt 72 Jahre alt ist. Ihm folgt im Alter der jetzt 71 Jahre alte Oberschulrat a. D. Pfäfflin, sodann Professor v. Buder, der 1836 geboren ist

und der Sypode als Abgeordneter der evangeiisch- theologischen Fakultät der Landesuniversität an­gehört, hierauf Frhr. v. Wöllwarth, Prälat von Berg ufw. Das jüngste Mitglied ist der jetzt im 40. Lebensjahre stehende Professor Dr. Schöll, dann Oberbürgermeister Dr. Hartenstein-Ludwigs­burg und Ministerialrat Dr. Marquardt, die beiden letzteren 1864 geboren.

Ueber das Verfahren bei der Proportionalwahl

geben wir in Folgendem unfern Lesern eine gemein­verständliche Darstellung, nach welcher sich der Wähler am Wahltag richten möge:

In Bezug aus das äußere Wahlgeschäst, d. h. aus die Abgabe des Wahlzettels hat sich der Wähler nichts Neues zu merken: Hier ist alles wie bisher. Für den Wähler ist der Landesproporz nach außen eigentlich nichts anderes, als eine Nachwahl. Der Unterschied besteht bloß darin, daß auf seinem Wahl­zettel nicht bloß 1, sondern 8 bezw. 9 Namen stehen müssen, und daß es mit dieser einmaligen Stimm­abgabe sein Bewenden hat. Eine Nachwahl erfolgt nicht, denn die abgegebenen Stimmen werden nach dem Verhältnis der Höchstziffern, also proportionalster auf die einzelnen Parteien verteilt, daher der Name Proporz.

Wie dies geschieht und was dabei für die ein­zelne» Parteien herauskommt, hat man praktisch be­reits au dem Stuttgarter Proporz gesehen, der ersten Proporzwahl, dir in Deutschland überhaupt für ein Parlament vorgenoumren worden ist. Beim Stutt­garter Proporz mußten ans jedem Wahlzettel 6 Namen stehen, weil nach der Verfassungsrevision vom 16. Juli 1906 die Stadt Stuttgart als sogen, gute Stadt nicht mehr bloß 1, sondern, ihrer Ein­wohnerzahl entsprechend, 6 Abgeordnete für sich in den Landtag zu wählen hat. Dasselbe Verfahren, wie es die Parteien in Stuttgart für ihren Stadt­proporz einzuschlagen hatten, haben sie nun auch für das ganze Land anläßlich des bevorstehenden Landes­proporzes zu beobachten.

Die Verfaffungsurkunde vom 16. Juli 1906 ge­währt in 8 133 dem allgemeinen Wahlrecht außer den 75 Abgeordneten der Oberamtsbezirke (63) und guten Städte (12) noch weitere 17 Abgeordnete, die in zwei Landeswahlkreisen nach dem Grundsatz der Listen- und Verhältniswahl zu wählen sind. Diese beiden Landeswahlkreise sind aber O der Neckar- und Jagstkreis, L. der Schwarzwald- und Donaukreis. Der erste (^) wählt 9, der zweite (L) 8 Abgeordnete.

So, wie die Verhältnisse heute liegen, ist also je ein vorwiegend industrieller und bevölkerter mit einem vorwiegend landwirtschaftlichen und weniger bevölkerten Kreis zusammengelegt und jeder der beiden altwürttembergischen Landesteile bekommt als Zwil­ling zugesellt einen neuwürttembergischen Landesteil, oder je ein vorwiegend evangelischer einen vorwiegend katholischen Landeskreis. Dadurch ist glücklich er­reicht, daß in beiden Landeswahlkreisen die Zu­sammensetzung der Wählerschaft und die Stärke der einzelnen politischen Parteien so ziemlich gleichmäßig gemischt ist. Um aber eine einheitliche Leitung und Zählung heim Landesproporz zu bekommen, ist durch das Landtagswahlgesetz vom 16. Juli 1906, Art. 42, bestimmt, daß jedesmal eine gemeinsame Landeswahl­kommission mit dem Sitze in Stuttgart zu bilden ist.

Sind die Wahlen zum Landesproporz aus­geschrieben, so sind von den einzelnen Parteigruppen innerhalb der beiden Landeswahlkreise Wahlvor­schläge so zeitig einzureichen, daß zwischen Ein- reichungs- und Wahltag zwölf volle Tage dazwischen liegen. Die Parteigruppe, Wählervereinigung vom Gesetz genannt, muß auch ihren Namen an die Spitze des Wahlvorschlags setzen, der von ihr ein­gereicht wird, also: Bauernbund, Volkspartei, Zen­

trum u. s. w. u. s. w. Es ist natürlich, daß die beiden Landeswahlkreise gesonderte Namen bringen müssen, d. h. es kann nicht ein und derselbe Bewerber in den beiden Landeswahlkreisen zugleich auf die Wahl- Vorschläge gebracht werden. Verschiedene Partei­gruppen können, wenn sie wollen, wie dies beim Stuttgarter Stadtproporz am 5. Dez. 1906 seitens der Konservativen und des Zentrums schon geschehen ist, ihre Wahlvorschläge zu einem gemeinsamen ver­einigen, der dadurch bunt gemischt oder panachiert wird.

Die Zusammenstellung der Stimmzettel bildet den Angelpunkt der Listen- und Verhältnis-Wahl. Das Wahlverfahren heißt ja eben Listenwahl, weil der einzelne Wähler eine Liste und zwar eine freie Liste aus seinem Zettel aufstellen darf und diese Liste in die Urne legt, und Verhältniswahl heißt das Verfahren, weil die 17 Abgeordnetensitze, die nach diesem Verfahren gewählt werden, im Verhält­nis der erreichten Stimmenziffer unter die konkur­rierenden Parteien und innerhalb dieser wieder unter die konkurrierenden Bewerber verteilt werden. Stirbt nämlich z. B. ein solcher Proporzabgeordneter wäh­rend seiner Landtagsperiode, so rückt ohne weiteres derjenige Bewerber seines Parteivorschlags ganz von selbst an seine Stelle, der nach dem Verstorbenen die nächst höchste Stimmenzahl erreicht hatte. Wer dies ist, läßt sich jederzeit mit Leichtigkeit feststellen, da die Akten der Landeswahlkommission beim Mini­sterium des Innern aufbewahrt bleiben. Wir sagten, daß der Wähler eine freie Liste ausstellen dürfe, d. h. die sogen, gebundene Listenwahl bei uns zum Gesetz geworden ist. Dies ist näherhin so zu ver­stehen, daß der Wähler die Namen- und Reihenfolge eines der offiziellen Wahlvorschlüge nicht streng ein­zuhalten braucht, nicht ausschließlich an dieselbe ge­bunden ist, sondern daß er eine gewisse Freiheit in der eigenen Zusammenstellung hat, bloß mit der einzigen Einschränkung, daß seine Liste bloß 8 Namen enthalten darf und daß diese Namen den offiziellen Wahlvorschlägen seines Landeswahlkreises entnommen sein müssen, ungebunden schalten und walten darf er also nicht. Wir haben nicht die gebundene, aber auch nicht die ungebundene, wohl aber also die freie Zusammenstellung des Stimmzettels. Worin besteht nun dieses gewisse Maß von Freiheit? Antwort darin, daß der einzelne Wähler dekapitieren, kumu­lieren und panachieren darf oder mit deutschen Worten, daß er Bewerbernamen köpfen, d. h. strei­chen, Bewerbernamen häufen und Bewerbernamen gegenseitig austauschen darf. Er darf aber wie gesagt nur die für seinen Landeswahlkreis vor­geschriebene Zahl von Bewerbernamen und von diesen nur die für seinen Landeswahlkreis prokla­mierten auf seinem Stimmzettel ausgeführt haben. Ein Beispiel: Einem Wähler im Schwarzwald- Donau-Landeswahlkreis werden 4 Wahlvorschläge ins Haus geschickt. Er sieht sich dieselben an. Er kennt viele der Namen. Sie sind ihm alle gleich lieb. Er will aber seiner Partei treu bleiben. Also gibt er dann den Wahlvorschlag seiner Partei als Stimmzettel unverändert ab. Oder aber er will innerhalb seiner Partei einem Mann besonders in den Halbmondsaal verhelfen; in diesem Falle de- kapitiert er, d. h. dann streicht er 2 Namen aus und kumuliert dafür den Namen des Mannes seines be­sonderen Vertrauens, indem er denselben 3mal nach­einander schreibt, also häuft. Ein anderer will dekapitieren oder panachieren, d. h. köpfen oder streichen und austauschen. Wieder einem anderen gefallen einige Namen aus allen 4 Wahlvorschlügen. Er macht bunte Reihe, er panachiert.

Bei der Zählung werden zuerst alle Stimmen, die auf Kandidaten einer Partei gefallen sind, ohne Rücksicht auf die Namen dieser Kandidaten zusammen­gezählt, hierauf werden die 8 Abgeordnetensitze auf die einzelnen Parteien nach ihrer Stimmenzahl ver­teilt, und nun erst werden innerhalb der Partei die