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^ 3.

Neuenbürg, Freitag den 4. Januar 1907

65. Jahrgang.

Politische Iahresrrrnd schau.

ii.

Wenden wir uns nun den hervorragendsten Jahresereignissen in den übrigen europäischen Ländern zu, so steht uns von letzteren das verbündete Oesterreich-Ungarn und das ebenfalls alliierte Italien am nächsten. In der zisleithanischen Reichshälfte des habsburgischen Doppelreiches fanden nicht weniger als drei Kabinettswechsel statt; dem Ministerium Gautsch folgte das Kabinett unter Prinz Hohenlohe und letzterem wiederum das Koalitionsministerium Beck nach. Die überaus schwierige Wahlreform­frage für Oesterreich, die Reform der Reichsrats­wahlen, wurde von der Beck'schen Regierung in der Hauptsache glücklich durchgeführt. Der lange politische und wirtschaftliche Konflikt zwischen Oesterreich und Ungarn infolge der wachsenden Selbständigkeits­bestrebungen Ungarns wurde durch einen neuen Ausgleich vorläufig beendigt. Im Zusammenhangs hiermit erschien in Transleithanien ein neues Mini­sterium auf der politischen Bühne, das aus Mit­gliedern der bisherigen Oppositionsparteien zu­sammengesetzte Weckerle. Auch in Italien er­eignete sich ein mehrfacher Kabinettswechsel; das Ministerium Fortis wurde durch das Ministerium Sennino, und letzteres wieder durch das Ministerium Giolitti abgelöst. Die Beziehungen Italiens zu dem verbündeten Deutschland, welche seit der bekannten Extratour" Italiens auf der Marokko-Konferenz etwas kühle'.e geworden waren, wurden durch den offiziellen Besuch, welchen der deutsche Staatssekretär des Auswärtigen v. Tschirschky im Spätherbst in Rom abstattete, wieder neugekräftigt. Auch die be­standenen leisen Trübungen im Verhältnisse Italiens zu Oesterreich-Ungarn verschwanden wieder, so daß der Dreibund wieder neugefestigt erscheint, was im Interesse der Erhaltung des europäischen Friedens sicherlich nur mit Genugtuung zu begrüßen ist. Eine große Elementarkatastrophe stellte der gewaltige Vesuv-Ausbruch im Frühjahr 1906 dar; er hatte den Verlust zahlreicher Menschenleben und große Verwüstungen im Gefolge.

Frankreich sah im Jahre 1906 vor allem einen Wechsel in seinem obersten Beamtenposten; der Präsident der Republik, Loubet, trat nach Ablauf seiner siebenjährigen Präsidentschaftsperiode zurück, zu seinem Nachfolger wurde vom Nationalkongreß in Versailles der Senatspräsident Fallieres gewählt. Im März sah sich das Ministerium Rouvier infolge der parlamentarischen Schwierigkeiten, welche ihm aus feinem schroffen Vorgehen in der Angelegenheit der Kircheninventaraufnahme erwuchsen, zum Rück­tritte genötigt. Doch auch das ihm nachgefolgte Ministerium Sarrien vermochte sich nicht lange zu halten, es wurde im Oktober durch das jetzige Ministerium Clomenceau abgelöst. Die Clomenceau- sche Regierung hat mit Entschlossenheit die Durch­führung des Gesetzes über die Trennung von Kirche und Staat begonnen und ist dadurch freilich in einen hartnäckigen kirchenpolitischen Kampf mit dem katho­lischen Klerus und dem Vatikan geraten. Die vor­genommenen allgemeinen Neuwahlen zur Deputierten­kammer ergaben einen Sieg der im republikanischen Block" vereinigten regierungsfreundlichen Parteien. Die vieljährige Dreyfusaffäre fand ihre Erledigung durch die Rehabilitierung des Hauptmann ^ Drepfus und dessen Beförderung zum Major; sein Leidens­genosse, Oberst Piquart, wurde sogar zum Kriegs­minister ernannt. Allgemeine Teilnahme weit über die Grenzen Frankreichs hinaus fand das schreckliche Grubenunglück von Courriöres, dasselbe rief eine umfassende Hilfsaktion hervor, an der auch Deutsch­land hervorragend mitwirkte.

In England bildeten das bemerkenswerteste Jahresereignis die Neuwahlen zum Parlament, sie ergaben einen großen Sieg der Liberalen und hatten mithin eine Festigung der Stellung des liberalen Kabinetts Campbell-Bannermann zur Folge. Trotz­

dem verhinderte dieser Erfolg nicht, daß die Regier­ung infolge des Scheiterns der Schulbill im Ober­hause noch im Ausgange des alten Jahres in eine ziemlich schwierige Lage geriet. In der auswärtigen Politik Englands waren die Besserung in dessen Verhältnis zu Deutschland und die weitere freund­schaftliche Gestaltung der Beziehungen des Insel- reiches besonders zu Frankreich, dies hauptsächlich durch das Abkommen über die Neuen Hebriden und die verschiedenen gegenseitigen Grenzregulier­ungen in Afrika, erwähnenswert. In Rußland blieb die innere Lage eine schwierige; noch jetzt dauert die Aera der politischen Attentate fort; sah sich doch der Ministerpräsident Stolypin selber samt feiner Familie einem grauenvollen Bomhenanschlag der fanatischen Revolutionäre ausgesetzt. Neben dem Unwesen der Revolutionäre und der Räuber­banden gingen schreckliche Judenmetzeleien einher, von denen das Massacre in Bjelostock wohl die entsetzlichste war. Die erstmaligen Neuwahlen zur Reichsduma hatten im Mai den Rücktritt des Ministeriums Witte und die Bildung des Kabinetts Goremykin zur Folge. Doch auch das Ministerium Goremykin konnte mit der in ihrer Mehrheit oppo­sitionellen Reichsduma zu keinem Einverständnis gelangen und löste die Duma auf. Welches Er­gebnis die angeordneten anderweitigen Neuwahlen zur Reichsduma haben werden, das bleibt abzu­warten. Schließlich trat das Ministerium Goremykin wegen der fortdauernden inneren Schwierigkeiten zurück und erhielt das Ministerium Stolypin zum Nachfolger.

MtmSschau.

Berlin, 2. Jan. Der Kaiser begab sich heute morgen zum Reichskanzler und verweilte bei ihm etwa eine Stunde.

Großadmiral von Köster, Generalinspekteur der Marine, ist in Genehmigung seines Abschieds­gesuchs mit der gesetzlichen Pension zur Disposition gestellt worden.

Berlin, 2. Januar. Der Reichskanzler Fürst v. Bülow hat an den Vorstand des Reichs - verbands gegen die Sozialdemokratie zu Händen des Generalleutnant v. Liebert ein Schreiben gerichtet, worin er in ausführlicher Weise rine aufklärende Kundgebung zu den Reichstags­wahlen erläßt.

Karlsruhe, 30. Dez. Die größte Regsamkeit im Wahlkampf entwickelt bis jetzt die Sozial­demokratie. Am letzten Sonntag hat sie in Mann­heim innerhalb weniger Stunden das erste Flugblatt in einer Auflage von 65 000 Exemplaren verteilt. Die Gewerkfchafts- und Parteigenossen wurden bei der Verteilung von dem Verband junger Arbeiter, der freien Turnerschaft und der Arbeiterradfahrer unterstützt. Heute wurde Karlsruhe mit dem ersten sozialdemokratischen Flugblatt geradezu überschwemmt. Dieses Flugblatt bespricht die Reichstagsauflösung, die Kolonialpolitik und die Forderungen der Sozial­demokratie in so einseitiger und entstellter Weise, daß man ein ganzes Buch schreiben müßte, wenn man die Unrichtigkeiten alle wiederlegen wollte. Be­sonders aufzuregen sucht man die Wähler mit der Behauptung, daß es auf die Vernichtung des Wahl­rechts abgesehen sei. Eine besondere Schonung des Zentrums ist schon in der Bebelversammlung aus­gefallen. Sie wird einigermaßen erklärlich, wenn man berücksichtigt, daß das Zentrum in den drei Wahlkreisen Mannheim, Karlsruhe und Pforzheim, in denen die Sozialdemokratie den Sieg erhofft, den Ausschlag gibt. Es war den Sozialdemokraten deshalb auch recht unbequem, als in der Bebelver­sammlung der frühere Pfarrer Gottfried Schwarz, der jetzt für ein freies Christentum schwärmt und agitiert, das Zentrum und den Ultramontanismus als die größte Gefahr bezeichnete. Bebel suchte diesen unbequemen Redner abzuschütteln und erklärte.

daß er einem Zentrumskandidaten vor einem Na­tionalliberalen den Vorzug geben würde, wenn er zwischen beiden zu entscheiden hätte. Bezeichnend für die Redefreiheit, deren sich die Sozialdemokraten stets rühmen, ist dann der gewaltsame Schluß jener Versammlung gewesen, der den Herrn Schwarz an dem nochmaligen Auftreten verhinderte.

In einer Wahlrede, die Abg. Bebel, der Kan­didat im 1. hamburgischen Wahlkreise, hielt, meinte er, die Sozialdemokratie würde 20 Mandate gewinnen, das Zentrum 8 bis 10 verlieren, der Linksliberalismus würde nahezu zerrieben werden. Herr Bebel prophezeit gern, aber er ist dabei regel­mäßig hineingefallen.

Wie die Sozialdemokraten Abstimmungen vornehmen zeigt folgender Vorfall: Im Charlotten­burger Volkshause fand die Generalversammlung des Zentralwahlvereins für Teltow-Beeskow-Storkow statt, in der etwa gegen 4 Uhr nachmittags über die Aufstellung eines Reichstagskandidaten abgestimmt und der bisherige Vertreter des Kreises Fritz Zubeil wieder ausgestellt wurde. Um 6 Uhr morgens, also zehn Stunden vorher, ehe noch das Volk gesprochen hatte, wurde schon in einem großen Teile des Kreises ein Massenflugblatt an die Reichstagswähler zu­gunsten von Zubeil verbreitet, das ihn offiziell als Kandidaten bezeichnete.

Berlin, 3. Januar. Der Gouverneur a. D. v. Bennigsen hat wegen der in der Kolonial­broschüre des bekannten Zentrumsmitglieds Erz- berg er enthaltenen, mit seinem Namen in Ver­bindung gebrachten Ausführungen gegen Erzberger eine Klage wegen verleumderischer Beleidigung an­gestrengt.

Berlin, 28. Dez. DieKattowitzer Zeitung" berichtet: Wie verlautet, beabsichtigt der bisherige Präsident des deutschen Reichstags Graf Ballestrem, in Ruda (Regierungsbezirk Oppeln) eine Nieder­lassung der Jesuiten zu gründen. Zu diesem Zwecke soll nach den Feiertagen das Pfarrhaus an der alten Kirche, das jetzt leer steht, vollständig auf Kosten des Grafen restauriert werden. In dieses Haus sollen mit Anfang des nächsten Jahres zwei oder drei Jesuitmpatres aus Galazien einziehen und ständig wohnen bleiben. Auch soll dieses Haus zugleich ein Absteigquartier für alle durch Schlesien durchreisenden Jesuiten aus Galazien sein.

In der Union geht man an eine Reform des Einwandererwesens. Handelsminister Strauß hat einen Ausschuß eingesetzt, welcher die Gesetze der Vereinigten Staaten und anderer Nationen über die Behandlung von Zwischendeckpassagieren einer Prüfung unterziehen soll. Der Handelssekretär ist der Ansicht, daß das Schiffspassagiergesetz der Ver­einigten Staaten vom Jahre 1882 infolge der durch die Verwendung von Stahl hervorgerufenen Um­wälzung im Schiffbau auf die modernen Verhältnisse nicht mehr paffe und hält auch eine Abänderung der Strafbestimmungen, von denen einzelne zu hoch, andere unzureichend seien, für nötig.

Die Verhandlungen Rußlands mit Japan über die zwischen beiden Ländern schwebenden Streitfragen sollten nach aufgetauchten Gerüchten abgebrochen worden sein. Dem gegenüber ist nun ein Kommunique der russischen Regierung veröffent­licht worden, aus welcher zu entnehmen ist, daß die russisch-japanischen Verhandlungen einen guten Fort­gang nehmen. Ministerpräsident Stolypin empfing eine Abordnung von Pastoren der lutherischen Gemeinden des Wolgagebietes und nahm von ihnen verschiedene Beschwerden entgegen. Nonnenkloster Mameseffka im Gouvernement Nischni- Nowgorod wurde von etwa 30 Räubern überfallen; zwischen ihnen und zur Hilfe herbeieilenden Bauern entstand ein blutiger Kampf, in welchem 9 Räuber getötet und 5 verwundet wurden, während die übrigen entkamen.

Etwas post, kestum haben jetzt eine Anzahl