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Neuenbürg, Mittwoch den 2. Januar 1907

65. Jahrgang.

Politische Iahrssrrrndscha«.

i.

Ein Rückblick auf die Geschichte Deutschlands im abgelaufenen Jahre 1966 läßt vor allem noch­mals die Erinnerung an die mancherlei bemerkens­werten Vorgänge im Schoße unseres allverehrten Kaiserhauses hervortreten. An ihrer Spitze erscheint die am 27. Februar gefeierte Silberhochzeit des Kaiserpaares, an welchem festlichen Ereignisse das deutsche Volk in seinen weitesten Schichten frohen Anteil nahm. Gemeinsam mit dem silbernen Hoch­zeitsjubiläum der kaiserlichen Majestäten fand am Berliner Hofe die Vermählung des Prinzen'Eitel Friedrich, zweiten Sohnes des Kaiserpaares, mit der Herzogin Sophie Charlotte von Oldenburg statt. Am 4. Juli erblickte der erste Sohn des deutschen kronprinzlichen Paares und somit der erste Enkel Kaiser.Wilhelms, Prinz Wilhelm, das Licht der Welt. Zu beklagen hatte dis deutsche Kaiser- und preußische Königssamilie das Hinscheiden der ver­witweten Prinzessin Friedrich Karl und des Prinzen Albrecht von Preußen, Regenten von Braunschweig; der Tod des Prinzen Albrecht rollte von neuem die braunschweigische Thronsolgefrage auf, die ungelöst mit in das neue Jahr 1907 hinüber genommen worden ist. Kaiser Wilhelm führte im Jahre 1806 seine gewohnte allsommerliche Erholungsreise nach Norwegen., die im Jahre 1905 wegen des zuge­spitzten Unionskonfliktes zwischen Norwegen und Schweden unterblieben war, wieder aus; hierbei begrüßte rr -in -Drontheim als erster der europäischen Herrscher den neuen König Haakon von Norwegen zu seiner Thronbesteigung. Aon fürstlichen Gästen empfing der .Kaiser bei sich in Berlin resp. in Potsdam u. a. die Könige von Dänemark und von Norwegen nebst deren Gemahlinnen; ferner hatte er mit seinem erlauchten Oheim, dem König Eduard von England, nach mehrjähriger Pause wieder eine Begegnung, die in Schloß Friedrichshos im Taunus vor sich ging; das Ereignis besiegelte ersichtlich die Wiederannäherung zwischen Deutschland und Eng­land nach längerer gegenseitiger Entfremdung. Von sonstigen erwähnenswerteren Begebenheiten, welche das Jahr 1906 in den fürstlichen Kreisen Deutsch­lands zeitigte, sind zu verzeichnen der 80. Geburts­tag des Großherzogs Friedrich von Baden und das gleichzeitig gefeierte goldene Ehejubiläum des Groß­herzogs und seiner Gemahlin, der 80. Geburtstag des Herzogs von Altenburg, die Geburt des ersten » Sohnes des Großherzogs von Hessen wie des Herzogspaares von Kobnrg und Gotha und die in Cannes vollzogene Vermählung des Prinzen Johann Georg von Sachsen mit der Prinzessin Maria Immaculata von Bourbon-Sizilien.

Mehrfache Personalveränderungen brachte das Jahr 1906 in den obersten Posten des Reiches und Preußens. Die politisch wichtigste von ihnen war zweifellos diejenige im Kolonialamte, dessen Leitung von dem zurückgetretenen Kolonialdirektor Erbprinzen von Hohenlohe-Langenburg an den bis­herigen Bankdirektor Dernburg überging. Weiter fand ein Wechsel im Staatssekretariat des Aeußeren statt, dessen bisheriger Inhaber, Frhr. v. Richthofen, mit Tod abging, an seine Stelle trat der preußische Gesandte bei den Hansestädten, Frhr. v. Tschirschky und Bögendorss. Durch den Tod wurden ferner abberufen der preußische Eisenbahnminister v. Budde und der Präsident des Reichsversicherungsamtes Wirkt. Geheimrat Gaebel. Nachfolger v. Buddes wurde Breitenbach, bisher Eisenbahndirektions­präsident in Köln, und Hrn. Gaebel ersetzte der Direktor im Reichsamte des Inneren, Kaufmann. Einen Personalwechsel gab es schließlich noch im preußischen Landwirtschaftsministerium und im Präsidium des Reichsmilitärgerichts. Der Chef des ersteren, der vielgenannte Minister v. Podbielski, demissionierte, weil seine Stellung infolge der Ver­wickelung seines Namens m verschiedene fatale

Affären unhaltbar geworden war; zu seinem Nach­folger wurde der bisherige brandenburgische Ritter- tchaftsrat s. Arnim-Kriewen ernannt. Wegen vor­gerückten Alters trat der Präsident des Reichs­militärgerichts v. Massow zurück, ihm folgte auf seinem Posten der kommandierende General des 11. Armeekorps, General v. Linde.

Aus dem Gebiete der inneren Reichstagspolitik charakterisierte sich als das wichtigste Ereignis die noch im letzten Monat des alten Jahres erfolgte Auflösung des 1903 gewählten Reichstages; die Reichsregierung griff zur Auflösung, weil die Mehr­heit des.Reichsparlamentes die notwendigen Nach- sorderungen zur Bekämpfung des Aufstandes in Deutsch-Südwestafrika ablehnte. Die Reichstags­auflösung hat einen lebhaften Wahlkampf nach sich gezogen, in dessen Zeichen Deutschland in das neue Jahr eintritt; die Entscheidung bringt bekanntlich der 25. Januar möge sie eine für die Zukunft des Reiches und des deutschen Volkes glückliche sein! Der Reichstag verlor auch im alten Jahr wieder mehrere seiner Mitglieder, unter ihnen den frei­sinnigen Parteiführer Eugen Richter. Am 1. März 1906 trat der in der vorigen Reichstagsseffion ge­nehmigte neue Zolltarif in Wirksamkeit und drei Monate später, am 1. Juli, erfolgte das Inkraft­treten der neuen Reichssteuergesetze und hiermit also der so lange erstrebten Reichssinanzresorm. Zu nennen sind von sonstigen wichtigeren Gesetzen, die im aufgelösten Reichstage zu stände kamen, noch diejenige über die Gewährung von Anwesenheits­geldern (Diäten) an die Neichstagsmitglieder und über die Flottenverstärkung. Im preußischen Land­tag kam nach Ueberwindung mannigfacher Hinder­nisse das Volksschulunterhaltungsgesetz unter Dach und Fach, im württembergischen Landtag wurde die Verfassungsrevision zu stände gebracht. In München wurde unter Beteiligung zahlreicher Schützenbrüder aus allen Gauen des Reiches das 15. deutsche Bundesschießen gefeiert. Was die allgemeine wirt­schaftliche Lage in Deutschland während des Jahres 1906 anbelangt, so wies sie fast allenthalben eine überaus günstige Konjunktur auf, die auch noch fernerhin anzuhalten verspricht; anderseits dauert freilich auch eine unangenehme Erscheinung fort, die noch immer nicht gebannte Fleischteuerung. In seiner südwestafrikanischen Kolonie mußte Deutschland den langwierigen Kamps gegen die rebellischen Eingeborenen auch im Jahre 1907 noch weiterführen; doch naht nunmehr das Ende dieses opferreichen Kampfes allmählich heran, ist doch noch gerade in den letzten Tagen des alten Jahres aus Südwestasrika die erfreuliche Kunde von der Unter­werfung der aufständischen Bondelzwarts eingetroffen.

ZmnSschau.

Der stellvertretende Kolonialdirektor, Herr Bern­hard Dernburg, scheint auch in der Wahlbeweg­ung mit den abgedroschenen und veralteten Tradi­tionen unserer Bureaukratie brechen zu wollen. Aehnlich wie die Mitglieder der Regierung in Eng­land und in Frankreich während der Wahlperiode in Meetings und bei Banketten ihr Programm ent­wickeln, wird Herr Dernburg in einer Versammlung einen Vortrag über die Kolonialpolitik halten. Der Vorstand des Deutschen Handelstages, hat, wie vernommen wird, den stellvertretenden Kolonial­direktor eingeladen, von den Mitgliedern des Handels­tages und den Berliner Kaufleuten und Industriellen über den gegenwärtigen Stand der Kolonialverwalt­ung und über Kolonialpolitik zu sprechen, und Herr Bernhard Dernburg hat diese Einladung angenommen. Die Versammlung, zu welcher der Deutsche Handels­tag Einlaßkarten versenden wird, soll am 11. Jan. stattfinden. In dem Rundschreiben, das der Vor­stand des Deutschen Handelstags versendet, wird auf das große Interesse hingewiesen, das gegen­wärtig für koloniale Fragen bestehe.

Ein erfahrener früherer Offizier der Schutz­truppe warnt vor dem zu frühen Zurückgehen unserer Truppen aus Südwestasrika. Im Jahre 1903 haben die Bondelzwarts auch zahlreiche Gewehre abgegeben und doch sind sie 1904 schon wieder aufständisch geworden. Der Offizier sieht eine große Gefahr darin, daß die Bondelzwarts bei Kalkfontein und Keetmanshoop angesiedelt werden sollen, nur 40 Kilometer von Warmbad, wo man sie 1903 beließ und von wo aus sie die Ansiedler überfielen und niedermachten.

Der am meisten aufgestellte Neichstags- kandidat ist der Zentrumsmann Erzberger. Er kandidiert nicht bloß in seinem württ. Biberach, sondern er dient auch in sämtlichen Berliner, sächsischen und verschiedenen anderen Wahlkreisen als Zähl­kandidat.

Die Sozialdemokraten in Essen sind, sozialdemokratischen Blättern zufolge, durch den be­kannten Kohlenbaron Stinnes in eine fatale Lage gebracht worden. Sie hatten ein Grundstück erworben und auf diesem einen Neubau aufgeführt, in dem schon nächstens Verlag, Druckerei und Redaktion des Essener Parteiblattes untergebracht werden sollten. Der Bau war auf den Namen eines gewissen Janzen aus Gelsenkirchen eingetragen, der nun das ganze Anwesen an Mathias Stinnes verkaufte. Wenn auch die Essener Genossen dabei nicht finanziell zu Schaden kommen, so sind sie doch jetzt übel daran. Sie müssen sich anders umsehen, wenn sie ihr Par­teiblatt im eigenen Hause unterbringen wollen. Der sozialdemokratische Vertrauensmann Janzen hat da­bei jedenfalls das beste Geschäft gemacht. Daß es das reinlichste war, wird man auch als Gegner der Sozialdemokratie nicht anzuerkennen brauchen.

Ein russisches, aus drei Schiffen bestehendes Geschwader ist, von Gibraltar kommend, in Bi- zerta eingetroffen, dem Kriegshafen Frankreichs in Thunesien.

Präsident Falliores von Frankreich hat an­läßlich des Neujahrsfestes 69 Verurteilte begnadigt, resp. hat er ihre Strafen herabgesetzt. Der französische Senat genehmigte am Sonntag definitiv das Gesetz über die Ausübung der Kulte mit 190 gegen 100 Stimmen und nahm hierauf das Gesetz über das provisorische Budgetzwölftel an, woraus die Tagung geschlossen wurde.

Zum französischen Kulturkampf verlauten aus Paris Nachrichten über neue Details. So haben die Bürgermeister mehrerer Provinzstädte be­schlossen, das kirchliche Glockengeläute zu untersagen, solange nicht die Geistlichen den Forderungen des Gesetzes entsprochen haben.

Berlin, 31. Dez. Aus Petersburg wird der Tügl. Rundsch." gemeldet: Demnächst werden, wie wir zuverlässig erfahren, die Beratungen eines Finanzkomitees hier beginnen, an denen die Groß­fürsten, Ministerpräsident Stolypin, der Finanzminister und eine Reihe russischer Staatsmänner, u. a. auch Graf Witte, teilnehmen werden.

Peking, 31. Dez. Die Hungersnot, welche infolge der durch übermäßige Regenfälle herbei- gesührten Mißernte im Norden der Provinz Anhui, im östlichen Teil des Gouvernements Honau, im südlichen Teil des Gouvernements Schangtung und im ganzen Norden von Kingsu herrscht, ist viel schlimmer, als irgend eine in den letzten 40 Jahren. Vier Millionen Menschen sind dem Verschmachten nahe. Zehntausende befinden sich auf der Wander­ung, die Gefahr wird vermehrt durch die Tätigkeit der Geheimgesellschaften, denen das Volk sich willig anschließt, um Reis zu erhalten. Bei dem Vize­könig sind wiederholt Bittschriften wegen der Ge-, heimgesellschasten eingegangen. 50000 Flüchtlinge sind in bejammernswertem Zustande in Nanking an­gekommen. Die Behörden sind außer stände, dem Elend wirksam abz'uhelfen. Ausländische Hilfe ist willkommen. Heute ist ein Edikt erlassen worden.