* Neuenbürg, 5. Nov. Ein hochinteressanter Missionsvortrag des im Dienste der Basler Judenmission tätigen Pastors Laub aus Straßburg fand heute abend eine dankbare Zuhörerschaft in unserer Kirche. Ausgehend von dem Schriftwort Ps. 53, 7 beantwortete der Redner zunächst die Frage, wo der eigentliche Sitz desJudenvolkes" sei. Nicht im Westen Europas, sondern im Osten, in Rußland, und zwar genauer in dem alten König­reich Polen, dessen größter Teil ja zum heutigen Rußland gehört. Im Ganzen leben jetzt etwa 12 Millionen Juden; davon sind im deutschen Reich kaum Million, in Württemberg rund 12 000. Man pflegt zu sagen, die Juden seien in aller Welt zerstreut. Dies berichtigt sich dahin, daß der weitaus größte Teil in Rußland ansässig ist. Und zwar sind dies keineswegs reiche Leute, Großkauf­leute, Bankiers oder was man sich sonst unter geld­besitzendenJuden" vorstellt, sondern blutarme Menschen, die in den Städten zusammengepfercht als Kleinhandwerker, Fabrikarbeiter, Taglöhner, Kutscher, Gepäckträger u. ä. ein unsäglich dürftiges und entsagungsvolles Dasein führen. Ihr Elend wird verschärft durch die besonderen jüdischenAus­nahmegesetze". Die Juden dürfen sich im großen russischen Reich nur in 18 Gouvernements ansiedeln und aufhalten, und dazu noch nur in den Städten, wo sie dann naturgemäß durch ihre Ueberfüllung der Plätze die Arbeitslöhne bis ins Unglaubliche herunterdrücken, um nur wenigstens existieren zu können und das nackte Dasein davonzuschlagen. Manchem muß ein Stück Brot und ein halber Hering den Hunger des Tages stillen! In den Haushaltungen herrscht eine Armseligkeit an Habe und Bequemlichkeit, die jeder Beschreibung spottet. Seit dem Jahre 1881 ist inmitten jener hartlebenden Juden unter dem Druck der von dem Vater des jetzigen Zaren und seinem Berater, dem zum Ober­prokurator desheiligen Spnod" erhobenen Pobje- donoszefs, ausgegangenen Maßregeln eine merkwür­dige Sehnsucht erwacht, ins Land der Väter zurück­zukehren, der sogen.Zionismus". Ein ernstes Streben nach Gerechtigkeit, wie das jüdische Gesetz sie vorschreibt, und ein Hoffen auf den Messias, der erst kommen soll, ist die Signatur dieser Leute. Nicht Rennen und Jagen nach dem Mammon diesen kennen sie nicht sondern ein entschieden religiöses Interesse beherrscht ihr Dichten und Trachten. Warum aber werden diese armen Leute, die das Gros des gesamten Judenvolkes auf Erden aus­machen, so grausam verfolgt? Warum haben sie so Schreckliches zu leiden, zumal in den letzten Jahren, daß man sich nicht begnügt sie zu töten, sondern seine Freude darin sucht, sie vorher zu mar­tern und zwar auf die raffinierteste Weise? Sind sie etwa Blutsauger pnd Schacherjuden, die von der Benachteiligung des Nächsten ihren Gewinn suchen und deswegen der Streiche wert sind? Gewiß nicht. Ja, es gibt unter den Juden wirkliche Blutsauger", aber das sind die wenigen Reichen, die Großkaufleute, die Bankiers, die Advokaten, im Vergleich zur großen Masse nur Vereinzelte, und gerade diesen geschieht kein Leid. Die Reichen werden von der Regierung und der Polizei begün­stigt. Denn in Rußland ist Bestechung und Partei­nahme Trumpf, die hohen Behörden und die Be­amten aller Gattungen Hausen auf das arme Volk hinein in unverantwortlicher Weise, die Reichen da­gegen sucht man zu schützen, um sich immer wieder

an ihnen wärmen zu können. Die Polizei weiß z. B. genau, an welchem Tage ein Aufstand gegen die Juden losgehen soll. Da geht sie in der Nacht vorher zu den Häusern der reichen Juden, soweit diese etwa unter ihren armen Glaubensgenossen zerstreut wohnen, und hängt ein Heiligenbild ans Haus, damit beim Ausbruch der blutigen Szene der Pöbel beruhigt werden könne mit der Versicherung, hier wohnen ja russische Christen! Wenn nun die armen Juden nicht als Blutsauger verfolgt werden, warum dann? Etwa als Revolutionäre? Auch nicht. Gewiß, es gibt unter den jungen Juden solche, die sich der Revolutionspartei angeschlossen haben. Es sind Leute, die sich sagen:Zu verlieren haben wir nichts, sondern nur zu gewinnen!" Häufig sind diese jungen Leute begabte, aufgeweckte Köpfe, denen besonders die russische Verordnung, daß immer nur 6°/o der jüdischen Bevölkerung An­spruch auf Schule und Unterricht hat, mithin der größere Teil der in einer vielleicht über die Hälfte jüdischen Russenstadt wohnenden Juden auf Schul­ung der Kinder verzichten muß, ein Dorn im Auge ist, und gerade daher erklärt es sich, daß diese jungen jüdischen Revolutionäre von der Partei vor­geschoben und ins Vordertreffen aufrührerischer Be­wegungen gestellt werden. Aber auch da sind es immer nur wenige. Was bedeuten sie gegenüber der Masse des Judenvolkes? So gibt es schließ­lich nur eine Erklärung für die russische Juden­verfolgung: es ist der Panslavismus. Alles soll russisch" werden, undrussisch werden" heißt nicht etwa, dem Zar untertan sein dies sind ja die russischen Juden sondern: russisch-katholischen Glauben haben. Entweder sollen die Juden ihren Glauben abschwören oder sollen sie auswandern. Wollen sie beides nicht, nun, dann werden sie ge­tötet! Das ist russische Weisheit. Aehnlich geht man ja mit den evangelischen Christen in Rußland um, nur mit dem Unterschied, daß man diese eben doch alsChristen" gelten lassen muß, während den Juden beständig vorgeworfen wird:Ihr seid's, die unfern Gott gekreuzigt haben!" Von reichem Segen begleitet ist die Mission unter den russischen Juden. Viele lesen jetzt das Neue Testament und finden daraus ihren Heiland. Aber persönliche Missionsarbeit unter diesenMillionen" Aermster tut not. Pastor Laub, von Geburt selbst Jude, aus Galizien stammend, mit 17 Jahren zum Christentum bekehrt (nicht durch die Mission, sondern durch einen württembergischen Ansiedler!) wird wohl nicht zum letzten Mal in Neuenbürg Zeugnis abgelegt haben.

* Neuenbürg. Wie wir hören, ist bei dem hiesigen Kirchengemeinderat der Antrag gestellt worden, das Kirchenopfer am Emte- und Dankfest (18. November) der Sammlung für bedürftige Veteranen von 187071, sowie aus den Kämpfen in Süd­westafrika (KönigWilhelm-Trost") zuzuwenden. Ohne Zweifel trägt der nahende 2. Dezember der Gedüchtnistag von Villiers dazu bei, die Herzen zu öffnen und sich derer dankend zu erinnern, welche für das Vaterland gestritten und geblutet haben und jetzt, da bei dem Einen oder Andern die Kräfte Nachlassen, oder sich die Folgen der Strapazen und Entbehrungen einstellen, einer nachhaltigeren Unterstützung bedürfen, als es die Mittel des Württ. Kriegerbundes erlauben.

):( Neuenbürg, 6. Nov. Der letzte Samstag abend vereinigte eine stattliche Anzahl Mitglieder des Turnvereins im Gasthaus z.Palmenhof". Galt es doch, 5 seiner Mitglieder zu ehren, welche nunmehr 25 Jahre dem Verein angehören; es sind dies die HH. Karl Finkbeiner, Karl Knöller, Wilh. Bauer, Friedr. Fix und Ehr. Blaich. Nachdem nun seitens des Vorstandes, Hrn. Vogt, den Jubilaren die Glückwünsche des Vereins dar- aebracht wurden unter Ueberreichung eines Diploms, sowie eines Geschenkes in Gestalt eines hübschen Turnerkruges, wofür die Jubilare herzlich dankten, griff bald eine frohe Stimmung Platz und es wech­selten Gesangsvorträge des Turnergesangvereins mit verschiedenen Couplets miteinander ab. Der Abend verlief so in animierter Weise und gestaltete sich für die Jubilare zu einem wahren Freudentage. Gut Heil!

Neuenbürg, 6. Nov. Der gestrigen Notiz über den plötzlichen Einsturz des hohen Dampf­kamins der Firma Gollmer u. Hummel tragen wir nach, daß als Ursache lediglich eine Explosion von Gasen zu bezeichnen ist. Von dem Betrieb des Sauggasmotors hatten sich, wie man annimmt, in­folge des vormittags eingetretenen regnerischen Wetters, welches den freien Luftabzug beeinträchtigt

habe, in dem hohen Schlote Gase angesammelt, welche zur Explosion kamen. Ein Nachbar habe zufällig deutlich beobachtet, wie sich der Schornstein plötzlich gehoben habe und geborsten sei. Glücklicher­weise hat der Einsturz nur wenig beträchtliche Be­schädigungen am Gebäude verursacht; als ein be­sonderes Glück ist es zu bezeichnen, daß von den Bewohnern des Hauses Niemand zu Schaden ge­kommen ist.

** Pfinzweiler, 7. Nov. Gemäß Beschlusses der bürgerlichen Kollegien Feldrennachs findet behufs Einbaus eines Zwilchenstocks für Schulsäle die Hebung des hiesigen Schulhauses durch Werk­meister Erasmus Rückgauer aus Stuttgart statt. Die Vorarbeiten hiezu werden morgen früh be­ginnen. Die in unserem Bezirk unseres Wissens nur einmal (Haus Kloß in Wildbad) gesehene Ar­beit der Gebäudehebung, welche im ganzen ca. 3 Wochen beanspruchen wird, dürfte in unseren sonst so ruhigen Ort in den nächsten Wochen ein bewegtes Leben bringen.

(:) Dobel, 6. Nov. (Korr.) Wie wir gestern zufällig vernahmen, sah Samstag abend den 4. Nov. der große Sonnensaal hier eine kleine Zahl Wähler zwischen seinen 4 Wänden. Der sozialdemokratische Landtagskandidat Wasner hielt nämlich eine Ver­sammlung ab, bei der nur 6 (sage sechs) Zuhörer zugegen gewesen. Was dabei zur Sprache kam, konnte von einem der Zuhörer, der befragt wurde, nicht so recht ermittelt werden.

Bernbach, 3. November. Das Gasthaus zur LindeAltehof" bei Moosbronn, Besitzer Karl König von Dobel, ging heute um die Summe von 44000 in den Besitz des Joses Kubon aus Darmstadt über. Inbegriffen ist das Wirtschafts­inventar, sowie ca. 8 Morgen Aecker und Wiesen. Die Uebergabe erfolgt am i. April k. Js.

** Pforzheim, 7. Novbr. Heute vollendet Pforzheims ältester Arzt, Geh. Hosrat Wilhelm Thumm, in voller Rüstigkeit des Geistes und des Körpers sein 80. Lebensjahr. Der Jubilar ist heute noch praktisch tätig und Leiter des Kinder­krankenhauses Siloah. Von seinen 53 Jahren Praxis entfallen 45 auf Pforzheim.

Leiste Nachrichten u. Telegramme

Berlin, 6. Nov. Der preußische Landwirt­schaftminister v. Podbielski, der noch immer leidend ist, hat sich, demLok.-Anz." zufolge, auf Anraten seiner Aerzte nach seinem Gute Dalmin begeben, um dort seine Genesung abzuwarten.

Madrid, 6. Nov. Nachrichten aus Marokko zufolge sind die Europäer dort in großer Gefahr. Der Gouverneur von Melilla, General Marinas, läßt in der Umgebung der Stadt Truppenübungen mit verstärkten Mannschaften vornehmen.

Literarisches.

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