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Neuenbürg, Freitag den
12. Oktober 1906.
64. Jahrgang.
«rmSschau»
Hohenlohes Memoiren über die Entlassung Bismarcks.
Die Veröffentlichung aus den Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe, des ehemaligen Statthalters von Elsaß-Lothringen und dritten Reichskanzlers, über die Entlassung Bismarcks erregt nicht geringes Aufsehen. Die gesamte Presse sowohl Deutschlands wie des Auslands beschäftigt sich damit:
Die „Berliner Neuesten Nachrichten" schreiben u. a.: „Unerbaulich im höchsten Grade, wird die Enthüllung über die Vorgänge von 1890 geradezu bedenklich, indem vom Kaiser sowohl wie vom Großherzog von Baden eine Auffassung bekannt wird, die, wenn sie richtig wäre, das geschichtliche Bild des großen Kanzlers hätte verunstalten müssen. Der Kaiser selbst sagt zu Hohenlohe, es habe sich daruni gehandelt, „ob die „Dynastie Hohenzollern oder die Dynastie Bismarck regieren solle". Der Großherzog braucht dieselben Worte und fügt hinzu: „Hätte der Kaiser diesmal nachgegeben, so hätte er jede Autorität verloren, und alles würde lediglich nach Bismarck geblickt und ihm gehorcht haben. Das sei nicht mehr zum Aushalten gewesen." Sind sich, so fragen wir, Hohenlohes Erben darüber klar, daß gegen die dokumentarische Festlegung einer derartigen, aus inneren Gründen unhaltbaren Auffassung jeder gute Deutsche leidenschaftlichen Widerspruch erheben muß, selbst wenn er die Erregung jener Tage in Rechnung zieht! Wird man sich wundern, wenn aus dem Hause Bismarck nunmehr geantwortet werden sollte mit der Herausgabe des dritten Bandes der Gedanken und Erinnerungen . . . Wie auch immer wir diese Publikation betrachten, sie ist nicht zu rechtfertigen, sie kann nur verwirrend, zersetzend wirken. Die Träger des Hohenlohe'schen Namens können eine solche Wirkung nicht verantworten."
Wie aus London gemeldet wird, machen dort die Aufzeichnungen des Fürsten Hohenlohe über Bismarcks Abgang viel von sich reden, im Privatgespräch mehr noch als in de« Blättern. „Niemand zweifelt an der Richtigkeit der Mitteilungen, aber man wundert sich über die starken Abweichungen von der nachgerade allgemein angenommenen Legendenbildung. Was die zwei Hauptfragen, die der Rückversicherung und die des Empfangs der Minister ohne besondere Zustimmung des Ministerpräsidenten, anbelangt, so ist durchweg hier die Ansicht in den politischen Kreisen wie in zwei von einander so weit abweichenden Blättern wie der konservativen „Morning Post" und der radikalen „Tribüne", der Auffassung des Kaisers günstig. Im übrigen zerbrechen die politischen Zeichendeuter sich und andern den Kopf darüber, ob von oben und zu welchem Zwecke die Zustimmung zu dieser Veröffentlichung erteilt worden sei.
Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" schreibt offiziös: Gegenüber der in einem Prager Blatt enthaltenen ungenauen Wiedergabe eines Telegramms des Kaisers an den Fürsten Hohenlohe- Schillingsfürst, sind wir ermächtigt, den Wortlaut des kaiserlichen Telegramms in folgendem mitzuteilen: Lese soeben mit Erstaunen und Entrüstung die Veröffentlichung der intimsten Privatgespräche zwischen deinem Vater und mir, den Abgang des Fürsten Bismarck betreffend. Wie konnte es zugehen, daß dergleichen Material der Oeffentlichkeit übergeben werden konnte, ohne zuvor meine Erlaubnis einzuholen? Ich muß dieses Vorgehen als im höchsten Grade taktlos, indiskret und völlig inopportun bezeichnen, da es unerhört ist, daß Vorgänge, die den zur Zeit regierenden Souverän betreffen, ohne seine Genehmigung veröffentlicht werden."
Berlin, 9. Sept. Ueber die Entstehungsgeschichte der Hohenlohe'schen Memoiren erfährt
die „National-Zeitung" von wohl unterrichteter Seite folgendes: Fürst Chlodwig Hohenlohe, der ehemalige Reichskanzler, hatte die Bearbeitung seiner Memoiren einer bestimmten Persönlichkeit übertragen in der Erwartung, er werde die Herausgabe noch erleben und überwachen können. Darüber ist er indes gestorben. Die Bearbeitung wurde fortgeführt unter Aufsicht des Prinzen Alexander. Schon bei Erscheinen der ersten Abschnitte in der „Deuischen Revue" hatte Fürst Philipp, der älteste Sohn des Fürsten Chlodwig, Bedenken gegen die Veröffentlichung geäußert, die aber trotzdem fortgesetzt wurde. Es ist wichtig, festzustellen, daß die Memoiren in dem Kapitel über die Märztage von 1890 im Wesentlichen Gehörtes wiedergeben. Daraus ist es zu erklären, daß sie auch tatsächlich Unrichtiges enthalten, vor allem über die russische Angelegenheit. Die Geschichte jener Märztage mit Ausnahme dessen, was sich zwischen dem Kaiser und Bismarck ganz Persönlich abspielte, ist auf Befehl des Kaisers von einem damals noch aktiven Staatsmanne ausführlich Niedergeschrieben worden. Diese Darstellung wird aber jedenfalls erst dann veröffentlicht, wenn sie ein rein geschichtliches Interesse haben wird.
Der diesjährige Oktober ist reich an wichtigen Fest- und Gedenktagen. Am 10. Oktober haben Königin Charlotte von Württemberg ihren 42. Geburtstag und Fürst Georg zu Schaumburg- Lippe seinen HO. Geburtstag begangen. Am 22. Oktober begeht Auguste Viktoria, deutsche Kaiserin und Königin von Preußen ihren 48. Geburtstag. Am 8. Oktober ist oer 250. Geburtstag des sächsischen Kurfürsten Johann Georg l., dessen Heer in Verbindung mit dem schwedischen unter Gustav Adolf über Tilly bei Breitenfeld siegte, am 14. Oktober der 150. Jahrestag der Kapitulation der sächsischen Armee bei Pirna, am 18. Oktober der 75. Geburtstag Kaisers Friedrich. Was die geschichtlichen Gedenktage ans der Zeit vor 100 Jahren anlangt, so fällt auf den 9. Okiober der hundertste Jahrtag der Publikation des Kriegsmanifestes Friedrich Wilhelm 1I>. gegen Napoleon, Es jähren sich ferner im Oktober zum 100. Male und zwar am 10. Oktober das Gefecht bei Saalfeld, in dem Prinz Louis Ferdinand von Preußen den Heldentod fand, am 14. Okiober die Niederlage bei Jena und Auerstadt, am 25. Oktober die Kapitulation von Spandau, am 27. Oktober der Einzug Napoleons in Berlin, am 28. Oktober die Kapitulation von Prenzlau, am 29. Oktober die Kapitulation von Pasewalk und Stettin.
Berlin, 10. Okt. Die „Nordd. Allg. Ztg." veröffentlicht den Briefwechsel zwischen dem Kaiser, dem Herzog von Cumberland und dem Reichskanzler, woraus hervorgeht, daß der Herzog sich bereit erklärt, für sich und seinen ältesten Sohn aus die Rechte der Regierung in Braunschweig zu verzichten, falls der Uebernahme der Regierung durch jeinen jüngsten volljährigen Sohn kein Hindernis entgegenstehe und ihm und seinem ältesten Sohn die Sukzession im Falle des Aussterbens der Linie des jüngsten Sohnes bleibe. Der Kaiser und der Reichskanzler erwiderten ablehnend, da die bestehende Rechts- und Sachlage durch das Schreiben des Herzogs nicht verändert sei.
Der am 13. Oktober erfolgende Besuch Mannheims durch das Großherzogspaar soll eine möglichst getreue Kopie des Einzugs der Großherzogin im Jahre 1856 sein. Der Einzug wird, wie damals, durch die Rheinstraße gehen, und die Dekorationen und Triumphbogen werden genau nach den Vorbildern von 1856 errichtet. Sogar das Zollhäuschen, das ehemals am Eingang der Rheinstraße stand, wird wieder erstellt.
Nach einer Haager Meldung des Reuter'schen Bureaus ist die für 1907 geplante internationale Friedenskonferenz im Haag keineswegs aufge
geben. Die Zurückziehung des von der holländischen Regierung für die 1906 geplant gewesene Friedenskonferenz geforderten Kredits sei lediglich wegen des Nichtzustandekommens der Konferenz in diesem Jahr erfolgt.
Die russischen Finanzen weisen z. Zt. ein Defizit von 10 Millionen Rubel auf, die aber, laut einer öffentlichen Bekanntmachung, durch Ueber- schüffe aus dem letzten Finanzjahr vollständig gedeckt seien. Einige russische Blätter jammern darüber, daß die deutsche Finanzwelt sich an der letzten russischen Anleihe nicht beteiligt habe, weshalb diese bei weitem nicht voll gezeichnet worden sei. Die unfreundliche Haltung Rußlands in Algeziras gegen Deutschland hat bekanntlich dazu beigetragen, daß Deutschlands Kapital der letzten russischen Anleihe fern blieb.
Auf der Insel Kreta ist statt des zurückgetretenen Prinzen Georg von Griechenland der frühere griechische Minister Zaimis als Nachfolger des Prinzen eingesetzt worden und hat mit Zustimmung der Großmächte sein Amt bereits übernommen.
Der zur Zeit in London weilende japanische Finanzminister Takarhaschi hat in einer Unterredung erklärt, Japan beabsichtige eine weitere Anleihe von 25 Millionen Pfund Sterling zur Konvertierung seiner 6prozentigen äußeren Anleihen aufzunehmen. Er versicherte ferner, die Japaner träfen Vorbereitungen zu großartigen Unternehmungen. — Laut einer Timesmeldung aus Peking hat China die Aufforderung Japans, sich an der südmandschurischen Eisenbahn zu beteiligen, abgelehnt. Das Kapital der südmandschurischen Eisenbahn soll in Tokio mehrfach überzeichnet worden sein.
Berlin, 10. Okt. Die Reichsbank hat heute den Diskontsatz, der bekanntlich am 18. September von 4h '2 Prozent aus 5 Prozent erhöht worden war, sofort um ein volles Prozent, also auf 6 Prozent hinaufgesetzt. Der Lombardzinsfuß ist 7 Prozent.
Graudenz, 10. Oktober. In der heutigen Hauptversammlung des Evang. Bundes gedachte der stellvertretende Vorsitzende der vor 20 Jahren erfolgten Gründung und jetzigen Bedeutung des Bundes, der für die höchsten und teuersten Güter unseres Volkes eintrete. Sein evangelischer, konfessioneller Charakter werde ihm zwar gelegentlich zum Vorwurf gemacht, er beeinflusse aber nicht die wahre und rechte Weitherzigkeit des Bundes. Direktor Everling sprach über „Parität als Schlagwort und Kritik", wobei er betonte, daß eine gleiche rechtliche Behandlung der römischen und evangelischen Religionsgemeinschaft zur größten Ungerechtigkeit werde. — Für die nächstjährige Generalversammlung des Evang. Bundes sind aus Mannheim und Worms Einladungen ergangen. Die Versammlung entschied sich für die Annahme der zuerst eingegangenen Einladung nach Mannheim.
Auf dem Verbandstag des mitteldeutschen Gastwirteverbands wurde beschlossen, sämtliche Verbandsvereine aufzufordern, darauf hinzuwirken, daß die Bierbrauereien ihr Bier wieder zum alten liefern.
Berlin, 10. Okt. Die Festlichkeiten anläßlich des 25 jährigen Bestehens des Berliner Vereins für Luftschisfahrt begannen heute mittag bei schönem Wetter mit einer Ballonwettfahrt mit Automobil-Verfolgung. Vier Ballons wurden verfolgt von 17 Automobilen des freiwilligen Automobilkorps. Bei der Wettfahrt lies der Wagen des Direktors Sierke gegen einen Baum. Die vier Insassen, darunter der unparteiische Freiherr von Schleinitz, wurden herausgeschleudert. Der Chauffeur brach den Oberschenkel. Ein Mitfahrender wurde mit dem Kopf gegen einen Baum geschleudert und erlitt eine schwere Gehirnerschütterung. Das Automobil wurde zertrümmert. Der Leiter der Veranstaltung, Hauptmann Hildebrandt, wurde zu