Zweites
Blatt.
IS».
Der Enztäler. s
Neuenbürg, Mittwoch den 10. Oktober 1906.
64. Jahrgang.
RunSschau.
„Wir leben im Zeitalter des Verkehrs." Die „Straßb. Post" veröffentlicht folgendes: „Wir werden von Zuschriften überschwemmt, die für und gegen das jüngste Kind des modernen Verkehres, den Automobilismus, sich aussprechen. Ja, das ist eine heikle Sache! Die Automobilisten behaupten, die Bevölkerung werde gegen sie aufgehetzt, so daß es hie und da vorkomme, daß man den Autlern Steine nachwerfe oder sie auf sonstige Weise belästige. Das Publikum auf der anderen Seite klagt über zu schnelles rücksichtsloses Fahren der Automobile, daß man jeder Zeit in der Gefahr schwebe, von einem solchen heranbrausenden Ungetüm überfahren zu werden, klagt über die lästige Staubentwicklung und den atembenehmenden Benzingeruch, zwei Uebelstände, die allen hygienischen Vorschriften geradezu Hohn sprechen. Beide Parteien mögen recht haben, auf welcher Seite das größte Recht liegt, können wir nicht feststellen. Aber das Automobil ist einmal da und wird auch niemals wieder verschwinden, und wie nun der Lauf der Dinge ist, werden die Klagen auf beiden Seiten nimmermehr aufhören. Im Gegenteil, sie werden immer noch größer werden, je zahlreicher die Automobile mit der Zeit zu Reisezwecken benutzt werden. Bei dieser Lage der Dinge wird man sich der Ansicht nicht länger mehr verschließen können, daß es das beste wäre, besondere Fahrstraßen für Automobile anzulegen. Wie ein solcher Schritt zu bewerkstelligen ist, kann man getrost den zuständigen Stellen überlassen. Aber wir sind der Meinung, nur so ist es möglich, zu bewirken, daß die beiderseitigen Klagen verstummen. Ist es auch richtig, daß wohl die meisten Automobilisten in gemessenem Tempo fahren, besonders auf verkehrsreichen Straßen und Wegen, sowie innerhalb der Städte, so gibt es natürlich auch zahlreiche Autler, die ohne Rücksicht auf ihre lieben Mitmenschen mit ihren knatternden und schnaubenden Maschinen wie ungescheit darauf losfahren. Wie beim Militär ist es auch beim Autler, der Unschuldige muß -mit dem Schuldigen leiden, in jedem Automobilisten wird vom Volke ein Feind seiner Gesundheit und seines Lebens gesehen. Das ist natürlich und zu verstehen. Aber der vernünftige Automobilbesitzer empfindet es als Belästigung, mit dem vom „Automobilwahnsinn" Behafteten indenti- fiziert zu werden und jederzeit gewärtig sein zu müssen, einen Stein, ein Stück Holz oder ein sonstiges Wurfgeschoß an den Kopf geworfen zu bekommen, obwohl er sich immer in den Grenzen einer
Die gnädige Fra«.
2) Erzählung von A. Mrg.
- (Nachdruck verboten).
Inge wollte eigentlich fragen, wer die Assessoren waren, aber sie traute sich nicht recht, auch wurde ihr Gespräch jäh unterbrochen dadurch, daß Balzer auf einen Wink des Forstmeisters die Zügel anzog und der Wagen hielt.
Dicht bei der Chaussee in einer Lichtung des Waldes waren Arbeiter beim Holzaufsetzen beschäftigt. Die scharfen Augen des Forstmeisters hatten den Förster, der dit Arbeiten beaufsichtigte, erkannt, und er ries den Beamten heran, um ihm einen Auftrag zu geben.
Inge blickte auf das ungewohnte Bild vor sich hin. Nicht weit von der Chaussee lief ein anderer Fahrweg, diese kreuzend, in entgegengesetzter Richtung, und auf ihm wurde, von einer Staubwolke umgeben, ein hocheleganter Landauer sichtbar. Zwei hübsch geschirrte Apfelschimmel zogen ihn, und auf dem Bock thronten Kutjcher und Diener in reicher brauner Livree, mit goldenen Fangschnüren um den linken Arm.
In dem Wagen lehnte eine Dame, grau angezogen, mit grauem Schleier, und das Ganze bot das Bild absolutester Vornehmheit dar.
Inge, die den Onkel in sehr wichtigem Gespräch sah und nicht stören wollte, tippte mit ihrem Schirm dem Kutscher auf die Schulter. Balzer sah sich um.
vernünftigen Fahrgeschwindigkeit hält. Deshalb ist es, wie schon gesagt, ein Gebot der Notwendigkeit, im Laufe der Zeit besondere Automobilstraßen anzulegen, die ausschließlich für den Automobilverkehr bestimmt sind. Dieser Ansicht wird jetzt auch in der „Franks. Ztg." Ausdruck gegeben. Wir lesen dort: Man kann die Automobile nicht abschaffen, sie werden im Gegenteil von Jahr zu Jahr an Kräften und Zahl zunehmen. Deshalb bleibt nichts übrig, als das Uebel an der Wurzel zu fassen: man muß an eine Verstärkung des Straßenkörpers und die Verwendung von geeigneten Spreng- und Staubbindemitteln denken und man muß für besonders häufig befahrene Gegenden, wo der internationale Durchgangsverkehr die Pferde zu Durchgängern und die Menschen rasend macht, eigene Automobilwege schaffen. Dann ist allen Teilen geholfen. Die Fahrer und die Fußgänger werden dann besser „fahren".
Berlin. Die Sterblichkeit in den Alkoholberufen. Daß die Sterblichkeit in denjenigen Berufen, die geistige Getränke Herstellen und verkaufen (kurz Alkoholberufe genannt) die allgemeine Sterblichkeit weit übertrifft, ist wiederholt statistisch nachgewiesen worden. Nun veröffentlicht Albert Andrä in Gotha die diesbezüglichen Erfahrungen der Gothaer Lebensversicherungs-Gesellschaft in der Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft (1905, Bd. 5, H. 3). Danach beträgt, wenn die erwartungsmüßige mittlere Sterblichkeit der Männer — 100 gesetzt wird, die Sterblichkeit bei: Brauereibediensteten 162, Schankwirten, Restaurateuren rc. 155, Gastwirten 147, Weinküfern, Kellermeistern 144, Brauereibesitzern rc. 141, Hoteliers 131, Brauern rc. 121, Weinhändlern, Weinbergsbesitzern 104. Es übertrifft also die Sterblichkeit der Branereibediensteten, sowie der Restaurateure und Schankwirte die allgemeine Sterblichkeit um mehr als die Hälfte, die der Gastwirte, Weinküser, Kellermeister, Brauereibesitzern um beinahe die Hälfte.
VLrmisclML.
Gemeinnützige, kostenfreie Unterrichtskurse für jeden Vorwärtsstrebenden zur Erlernung der englischen und französischen Umgangssprachen, sowie doppelten und einfachen Buchführung, Handelskorrespondenz, Rechnen, Wechsellehre und Stenographie finden in diesem Semester an der Berliner Handels- Akademie Reil statt. Auswärtige erhalten den Unterricht nach genauer Anleitung schriftlich, am Schluß findet eine Prüfung statt. Kostenfreie Ueberwachung aller Arbeiten durch erstklassige Fachlehrer. Die zum Unterricht nötigen Materialien hat sich jeder
Teilnehmer selbst zu beschaffen, weitere Kosten als Porto erwachsen dann nicht. Höhere Schulbildung nicht erforderlich. Unterrichtsdauer 4—6 Monate pro Fach. Anfragen unter Beifügung des Rückportos sind an die Direktion der Berliner Handels-Akademie Reil, Berlin, S. W. 68. Markgrafenstraße 19 zu richten.
In Hayin gen in Lothringen fanden Kinder eine Dynamitpatrone, die sie anzündeten. Infolge der Explosion wurden 3 Kinder furchtbar verstümmelt. 4 erlitten leichtere Verletzungen.
Ein Großfeuer hat die Ortschaft Dölsach bei Lienz in Tirol teilweise zerstört. Dabei wurde ein Briefträger und ein Postillon von stürzenden Trümmern erschlagen. Der Stationsdiener Achhorner wurde schwer verletzt.
Von Winzernöten und Winzererinnerungen wird aus Baden geschrieben: Die Gegend um Offenburg, die als weingesegnet bekannte Ortenau, ist in diesem Jahre übel daran: die Ernte ist so gering ausgefallen, daß die Wirte sogar um die nötige Menge an „neuem Süßen" verlegen sind und nach dem Kaiserstuhl und nach dem Markgräfler Lande reisen, um die nötige Menge des beliebten frischen Rebensaftes bereit zu haben. In der Ortenau werden im allgemeinen jährlich über hunderttausend Hektoliter geerntet; und da man auf einzelnen guten Rebstücken diesmal nur den zehnten Teil des Ertrages erhält, so sind die Rebbauern übel daran. Bei der Mißernte werden die alten Weinstraßen, die früher sogar in Kriegszeiten die schweren, mit Fässern beladenen Fuhrwerke sahen, nicht viel Ausfuhr sehen. Verhältnismäßig besser sind die Seegegend und das Elsaß daran; die Seegegend, in der man (z. B. in Konstanz) zu Ende des 18. Jahrhunderts bei Werbungen im Türkenkrieg mächtige Weinkannen und Gläser durch die Gassen trug, um Handwerksgesellen und Landleute als Söldlinge anzulocken. Jeder Rekrut, so erzählt Lucian Reich, erhielt 25 Gulden Handgeld und einen Trunk. „Vivat Maria Theresia! — Vivat Kaiser Joseph!" rief er, und fort gings unter Jubel und Geschrei auf eine städtische Zunft, wo die Leute wohl gespeist und von neuem mit der süßen Bachusgabe versehen wurden. Danach wurden sie unter Aufsicht eines Ratsdieners dem Kommando zugeführt. Das Elsaß ist in den letzten Jahrzenten mit seinem Weinhandel besser daran als vor dem Kriege. Der Absatz ist erleichtert, und der Wein guter Lagen erfreut sich höherer Wertschätzung. In alten Zeiten war ja der Elsäßer so bekannt und geschätzt, daß beispielsweise die Züricher Weinwirte Ende des 14. Jahrhunderts
Nun zeigte sie mit der Hand in die Richtung des ,
näherkommenden Wagens. I
„Wer ist das, Balzer?" Sie hatte sich des ' Kutschers Namen gut gemerkt.
„O, die Apfelschimmels? Ja, gnädiges Fräulein, das ist wohl die gnädige Frau."
Damit war Inge genau so klug, wie vorher. Es gab hier herum gewiß mehr als eine „gnädige ! Frau". Das Bild, die Dame im Wagen hatte ihr einen anderen, einen mehr fürstlichen Eindruck ge- ! macht. Ob sie den Onkel fragte? Der machte ihr aber den Eindruck, als könnte er sie dann für allzu neugierig halten, und das wollte sie nicht. >
Außerdem bog ihr Wagen nun von der Chaussee ab, fuhr an einem idyllisch gelegenen Forsthause vorüber und hatte nach kaum zehn Minuten das j Dorf erreicht, an dessen Eingang, umschattet von ^ alten, herrlichen Kastanienbäumen, das Forstmeisterhaus in zierlich gehaltenem Vorgarten lag. ;
Am Staketenzaun standen Tante Christine und j Sophie, die Inge von einen: längeren Besuch in Berlin schon sehr lieb und vertraut waren, und die ^ Begrüßung fiel so herzlich aus, daß im Augenblick alles andere für Inge in den Hintergrund trat. j Man ist nicht umsonst einmal 19 Jahre alt, wo jeder Augenblick, der Neues und Ungewohntes bringt, etwas Herrliches ist. !
„Bist Du gern gekommen, Kind?" fragte die Tante leise und zog Inge fest ans Herz.
Die Forstmeisterin war eine durch und durch mütterliche Natur, und mit dieser wahrhaft mütter
lichen Liebe und Sorge umgab sie alle, die in ihr Haus kamen. Junge Frauen und Mädchen der näheren und ferneren Verwandtschaft verkehrten nirgends lieber, als bei Tante Christine, die das Vertrauen, das ihr entgegengebracht wurde, durch Verständnis, Liebe, guten Rat und Freundschaft lohnte.
Die Forstassessoren, die zum Zweck von Vermessungen oder zur Hilfe des Forstmeisters einige Zeit unter dem Dache zubrachten, fühlten sich bald wie Kinder des Hauses; den jungen Forstbeflissenen, die sich auf die höhere Forstkarriere vorbereiteten, und den jungen Forstlehrlingen, die die untere Forstlausbahn einschlugen, ersetzte sie gleicherweise durch verständnisvolles Entgegenkommen die Mutter.
Wie hätte die weichherzige, mehr träumerisch angelegte Inge sich dem Zauber dieser Frau entziehen können!
Und dann Kousine Sophie, die, voll ausgezeichneten Verstandes, ihren Namen mit vollem Rechte trug, und die doch, trotz ihrer großen Geistesgaben und hervorragender Talente, die Seele der Hauswirtschaft war. Auch nicht die kleinste Pflicht war ihr zu klein und zu gering, sie erfüllte sie mit demselben Eifer und derselben Treue wie die großen.
Das alles wußte Inge nicht nur durch ihre Mutter, sie fühlte es beim ersten Schritt, den sie über die Schwelle des Forstmeisterhauses setzte.
Alles war so schön, so heimisch hier. Es schien Inge, als sei sie hier lange bekannt.