Der Enzläler. s
143.
Neuenbürg, Mittwoch den 12. September 1906.
64. Jahrgang.
vermischtes.
Die Mitarbeit der Aerzte in sozialhygienischen Fragen den Gemeinden und gemeinnützigen Veranstaltungen zu sichern, ist der Zweck eines Aerzteausschusses, den die Stuttgarter Aerzte eigens hierfür begründet haben. Unter den Unterkommissionen, die für brennende Gegenwartsfragen gebildet werden sollen, findet sich auch eine Alkoholkommission. Die Stuttgarter Aerzteschaft verrät hiermit ein erfreuliches Maß von praktisch-sozialem Interesse und hat hier einen Vorgang geschaffen, der hoffentlich anderwärts recht viel Nachahmung finden wird. Die Aerzte sind die berufensten Fachmänner auf dem Gebiet der Alkoholfrage. Wenn von ihrer Beratung in den mancherlei Zweigen dieser Frage ausgiebig Gebrauch gemacht wird, dürfte viel Gutes hiervon zu erwarten sein.
Die Prüfungsfahrt für Dauerwaren nach Australien und zurück, die von der deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft anläßlich ihrer diesjährigen Wanderausstellung veranstaltet wurde, hat u. a. auch Maggi's Würze glänzend bestanden. Das anerkennende Urteil der Preisrichter war übrigens vorauszusehen: weiß doch jeder Fachmann, daß unbegrenzte Haltbarkeit und stets gleichmäßige Zusammensetzung zwei Haupt-Vorzüge des genannten Produktes sind. Diese Eigenschaften finden wir auch in den amtlichen Berichten der Lebensmittel-Untersuchungsanstalt der Stadt Konstanz wiederholt hervorgehoben. Bekanntlich hat Maggi seit vielen Jahren sein Erzeugnis unter die Kontrolle dieses Instituts gestellt.
Nach dem Genuß von Pilzen ist in Mannheim eine 26jährige Frau, Mutter von zwei kleinen Kindern, unter Vergiftungserscheinungen gestorben.
Ueber das Luftschiff im Kriege veröffentlicht der englische Waffentechniker Maxim einen Artikel in der „Daily Mail." Er bezeichnet darin das Gelingen der deutschen Versuche, ein kriegsbrauchbares lenkbares Luftschiff herzustellen, als sicher- bevorstehend und stellt mit Bedauern fest, daß Deutschland auf diesem Gebiete die Führung gelassen wurde. „Während die Engländer aus Mangel an Mitteln und weil ihnen die Unterstützung und Ermutigung durch ihre Regierung fehlte, den Kampf um das Luftschiff aufgaben, seien die Deutschen, dank der tatkräftigen Förderung, die der Kaiser dem Plane zuwende, eifrig am Werke, das Problem zu lösen. Die deutsche Regierung spare kein Geld, um alle technischen und wissenschaftlichen Kräfte dem Streben nach Gewinnung des Naturgeheimnisses, das den Bau eines lenkbaren Luftschiffes ermög
lichen werde, dienstbar zu machen. Der Besitz der rechten Lösung des Problems würde Deutschland zum unbeschränkten Herrn der Welt machen."
Amtmann und Herzog. Wie die „Straßburger Bürgerzeitung" erzählt, macht jetzt in Kehl folgendes Geschichtchen die Runde: Mit seinem prachtvollen „Töff-töff" passierte dieser Tage ein Autler Kehl. Wie viele andere, hatte er das Schicksal, wegen zu schnellen Fahrens von den tüchtigen Kehler Polizeibeamten „gestellt" zu werden. Da er ein Ausländer war, führte ihn der Herr Gendarm sofort znm Amtmann hin, auf daß er gerichtet werde. Der Spaß sollte den Autler 30 kosten. Man versteht Preise zu machen in Kehl. „Was?" sagte der elegante Autlersmann, „30 M Strafe? Wissen Sie, wer ich bin? Ich bin der Herzog von Aosta und zahle überhaupt nischt! Verstanden?" „So?" entgegnete hierauf der Richter, „wissen Sie, wer ich bin? Nein? Ich bin der Amtmann 2. und verurteile Sie zu 30 -/E Geldstrafe! Und wissen Sie noch was? Wenn Sie nicht zahlen wollen, so wird Ihr Automobil in Ortsgewahrsam gebracht, und Sie selber werden eingespunnen!" Bums, das war deutlich und wurde von dem Amomobilisten, einem Sprossen des italienischen Königshauses, schließlich respektiert.
(Der „Iltis"-Schornstein.) Bei dem Beginn der Chinawirren bestand bekanntlich der Kreuzer „Iltis" ein Gefecht mit den Takuforts, wobei dem deutschen Kreuzer der Schornstein derartig von chinesischen Kugeln durchlöchert wurde, daß in Schanghai bei den Restaurationsarbeiten auf einer englischen Werft der Schornstein des „Iltis" durch einen neuen ersetzt werden mußte. Jetzt ist dieser alte Schornstein von einem in Schanghai ansässigen Deutschen gekauft und der Marine zum Geschenk angeboten worden. Die Alarme hat das Geschenk dankend angenommen und wird das mit dem nächsten Heimtransport in Kiel eintreffende Erinnerungsstück im Garten der Marineakademie, wo schon manche Andenken an Ehrentage der Marine Platz gefunden haben, aufstellen lassen.
(Das Liederbuch des Kaisers.) Wir lesen im „B. T.": Wie wir erfahren, sind die Arbeiten der vor drei Jahren vom Kaiser eingesetzten, unter dem Vorsitz des Freiherrn R. von Liliencron stehenden Kommission zur Herausgabe eines Volksliederbuches für Männerchor so weit gefördert, daß das über 600 Volkslieder umfassende Manuskript, an dem die ersten deutschen Autoritäten auf musikalischem Gebiete mitgearbeitet haben, vor einigen Wochen zum Druck gegeben werden konnte. Die ehrenamt
liche Mitwirkung hervorragender Bearbeiter bei Herstellung des Manuskriptes, das Entgegenkommen von Verlegern und Komponisten bei der Ueberlassung bereits anderweit veröffentlichter Chöre und nicht zuletzt die überaus günstigen Bedingungen der Firma C. F. Peters in Leipzig (Inhaber Henri Hinrichsen), welche in entgegenkommendster und völlig uneigennütziger Weise den Verlag übernommen hat, werden es möglich machen, die Ausgabe des Volksliederbuches bei würdiger Ausstattung besonders wohlseil herzustellen. Von den 610 Chören der neueren Sammlung erscheinen über 430 in der hier gebotenen Form zum ersten Male gedruckt. Es ist zu hoffen, daß das Liederbuch Ende dieses oder Anfang des folgenden Jahres im Buchhandel erscheint.
Eine Nacht unter Löwen. Man schreibt der „Voss. Ztg.": Prof. A"gve Sjöstedt, der von seiner Forschungsreise zum Kilimandscharo wieder in Schweden eingetroffen ist, hat ein volles Jahr in Südafrika geweilt. Auf seiner Reise rings um den Riesenberg, an der auch der Konservator des Reichsmuseums in Stockholm, Sandberg, teilnahm, hatte der schwedische Gelehrte ein aufregendes Erlebnis, das er, wie folgt, erzählt: Eines Nachmittags gelang es uns, eine Giraffe zu erlegen. Wir waren gerade damit fertig geworden, dem Tier das Fell abzuziehen, als die Nacht anbrach, und wir sahen uns daher genötigt, in der Nähe der toten Giraffe unser Lager anfzuschlagen. Ich stecke neben dem Kadaver einen Spieß in die Erde und befestige an dem Spieß eine Laterne, um die Hyänen zu verscheuchen. Darauf gingen wir schlafen. Gegen 2 Uhr nachts erwachte ich durch ein dumpfes Gebrüll. Ich weckte sofort Sandberg und sagte ihm, daß sich vor unserem Zelt Löwen befänden. Wir lauschten aufmerksam, hörten aber lange Zeit nichts und legten uns daher wieder aufs Ohr. Doch wir sollten nicht lange schlafen. Jetzt war es Sandberg, der mich weckte. „Die Löwen sind in nächster Nähe!" rief er mir zu. Ja, ein Irrtum war ausgeschlossen. Ich kleidete mich schnell an, ergriff rasch mein Gewehr und schlich aus der Zelttür. Es war stockfinster. Nur die Laterne neben der toten Giraffe leuchtete schwach. Und in ihrem Lichtschein sah ich einen mächtigen grauweißen Schatten. Ich schoß sofort, fast ohne zu zielen, aufs Geratewohl. Ein dumpfes Gebrüll war die Antwort, und ich sah, daß ein großes Tier in die Höhe sprang. Ein paar Tatzen schienen sich in die Luft zu strecken, dann war alles still und ruhig. Ich wartete eine Weile, dann konnte ich es mir nicht versagen, eine Erkundung vorzunehmen. Sandberg folgte mir und
Hcimch Mfiin's i>ti>kimi>M Nacht.
Von Alfred Meißner.
I) - (Nachdruck verboten).
Die Maler waren vergnügt beisammen gesessen. Heinrich Martin, der vor wenigen Tagen sein großes Gemälde: „Die Korallenfischer von Alghero" vollendet und an den Ersteher abgeschickt hatte, bewirtete die beiden Freunde, mit denen ihn der Zufall in Perugia zusammen geführt, in der Taverne, in der sie Quartier genommen hatten. Man war schon bei der sechsten Flasche alten, starken Mon- tepulciano's angelangt.
„Ja, Martin ist ein Glücksvogel," wandte sich der alte Landschafter Kranzler im breiten Schweizer- Deutsch an seinen Nachbar, den kleinen Berliner- Gilbert, indem er, wie es seine Art war, die breiten glänzenden Zähne zusammenbiß und mit der Hand in seinen grauen Einsidlerbart griff, als ob dieser ein Theaterbart wäre, den er abzureißen und unter den Tisch zu werfen gedenke. „Ein impertinenter Glücksvogel ischt er. Die Stoffe kommen ihm nur so zugeflogen, die Farben laufen ihm nur >o von selbst unter dem Pinsel zusammen und hat er ein Bild fertig, wie geht es ihm damit? Zuerst betrachtete er wohlgefällig und vergnüglich das Ganze, die Erde und den Himmel, das feste Land und das Wasser, die Bäume, Tiere und Menschlein, das grüne Kraut und das junge Gras, und sieht alles an, was er gemacht und spricht wie Gott: siehe, es
ist sehr gut! Dabei schmunzelt er, wie sie ihn jetzt schmunzeln sehen! Er erwartet nun das beste, es kömmt aber jedesmal noch besser, als er denkt! Da malt er z. B. vor einem halben Jahre in Rom seine „Orangenweiber von Catania" und läßt sie bei Alagni vor's Fenster stellen. Nun, das haben wir alle getan und keinen sonderlichen Erfolg davon gesehen. Wie geht es aber bei ihm zu, dem ausbündigen Glückssohn? Eben, da der Kommis das Bild an's Fenster bringt, kömmt auch schon Tim- Trim, der Wochenplauderer, daher. Das ist ein Mensch, die Unruhe selbst, immer in Eile, nicht festzuhalten, nicht einzufangen. Diesmal aber hat er sich mit einem Freunde ein Rendezvous vor Alagni's Laden gegeben und muß sich nun — nolens volons das Bild eine halbe Stunde lang von allen Seiten ansehen. Was ist die Folge davon? Eine ausführliche Plauderei in der Sonntagsnummer des Pungolo. Und kaum ist der Artikel heraus, da läuft schon ein großer Herr, hoher Beamter und reicher Mann nebenbei, zu Alagni. Die Orangenweiber interessieren ihn, denn — er ist aus Catania gebürtig. Ungeheure Rührung! 9tun will aber der Zufall, daß Martin im Hintergrund seiner Obstweiber das Vaterhaus des alten Herrn ganz natürlich und erkennbar abkonterfeit hat. Natürlich kauft der Mann das Bild und läßt den Maler rufen. Und nun meinen Sie wohl, mein lieber Herr Gilbert, es sei des Glückes genug? O nein! So ruhig und prosaisch läuft das bei einem Alaune wie unserem verehrten Heinrich
Martin nicht ab! Herr Vittori entdeckt jetzt im Gesicht unseres jungen Freundes eine gewisse Ähnlichkeit mit seinem unlängst verstorbenen Sohne. Er schließ ihn an das Herz. Große Theaterszene. Haben Sie Acht, er macht unseren Freund vielleicht noch gar zu seinem Erben! Nun, das neune ich doch ein unverschämtes Glück — eine Reihe von Zufällen, bei denen unsereinem der Verstand ausgeht?" —
„Ja, das ist schon Göttergunst zu nennen," fiel Gilbert kichernd in's Wort, „Heinrich Martin ist der moderne Polykrates."
Und will er sich vor Leid bewahren,
So fleh' er zu den Unsichtbaren,
Daß sie zum Glück ihm Schmerz verleih'n Doch Keinen sah ich fröhlich enden,
Auf den mit immer vollen Händen Die Götter ihre Gaben streu'n."
Man lachte. Kranzler hatte in der Tat nur auf wirkliche Vorfälle, die sich jüngst ereignet hatten, angespielt. Aber Heinrich Martin warf den Kopf zurück und sagte gutmütig:
„Laßt es des Scherzes genug sein. Kennet Ihr mein Leben, wüßtet Ihr, wie es mir sauer gemacht wurde, etwas zu lernen, zu etwas zu kommen, Ihr würdet mit dem Worte Glücksvogel zurückhaltender sein. Allerdings verketten sich die Zufälle manchmal eigens: es ist, als ob lustige Gnomen, der eine durch den andern herangelockt, uns mit Früchten bewürfen — laßt es gut sein! Laßt es gut sein. Es kommen zu bald nur wieder Zeiten, wo die schadenfrohen Gnomen heranspringen, Zeiten, da