Erscheint
Montag, Mittwoch, .Freiraa und Samstag.
K'rcis Vierteljahr!.: in Neue .bürg „L 1.20. Durch d' Post bezogen: im Grts- und Nachbar- orts-verkehr 1.15; im sonstigen inländ. Verkehr ^ 1.25; hiezu je 2V «s Bestellgeld.
Abonnements nehmen alle pofianstalten und ssostboten jederzeit entgegen.
Der «nzläler.
Anzeiger für das Lnztcil und Umgebung.
Amtsblatt kür Sen Vbsramtsbezirk Neuenbürg.
Kuzeigenpreis:
die 5 gespaltene Zeile oder deren Raum 10 bei Auskunfterteilung durch die Erped. 12 Reklamen die 3gesp. Zeile 25
Bei öfterer Insertion entsprech. Rabatt.
Fernsprecher Nr. 4.
M 138.
Neuenbürg, Montag den 3. September 1906.
64. Jahrgang.
SunSschau.
Berlin, 1. Sept. Die Herbstparade der Berliner Garnison fand heute bei herrlichstem Werter statt. Bei beiden Vorbeimärschen führte der Kaiser das 1. Garderegiment zu Fuß an der Kaiserin vorbei. Nach der Rückkehr von der Parade nahm der Kaiser eine größere Reihe von Meldungen entgegen, u. a. diejenige des kommandierenden Generals v. Kessel, als ü In suite des t. Garderegiments gestellt, des Prinzen August Wilhelm als Oberleutnant und des Prinzen Albert zu Holstein als Kommandeur des Kürassier-Regiments, welchem der Kaiser den Schwarzen Adlerorden verlieh.
Berlin, 1. Sept. Wie das „Bert. Tagbl." mitteilt, hat vor der gestrigen Sitzung des preußischen Staatsministeriums der Landwirtschaftsminister von Podbielski den Besuch des Herrn von Lucanus, mit dem er eine längere Unterredung hatte, empfangen. Das „Berl. Tagbl." meint, „das sieht verdächtig aus", doch solle man daraus nicht zu weitgehende Schlüsse ziehen.
Das Attentat aufStolypin hat ein weiteres Opfer gefordert: In der Nacht zum Samstag verschied in Petersburg Fürst Schachowskoi, einer der Direktoren der Pet. Tel.-Ag., der bei der Explosion in der Villa Stolypins verwundet worden war.
Am 4. September werden die französischen Bischöfe wiederum zu einer gemeinsamen Konferenz betr. das Verhalten der sranzös. Katholiken zum Trennungsgesetz zwischen Staat und Kirche zn- sammentreten. Einstweilen wird unter dem Vorsitz des Bischofs von Periqueux eine größere Kommission hervorragender katholischer Juristen die gleiche Frage beraten. Die Beschlüsse dieser Kommission sollen dann der Vollversammlung der französischen Bischöfe vorgelegt werden. Heute schon ist sicher, daß irgend eine Abweichung von den Instruktionen des Papstes nicht stattfinden wird; es handelt sich aber um eine ganze Anzahl von Detailfragen, die durch das französische Konzil zur Regelung gelangen sollen.
London, 30. Aug. Große Aufregung ruft in der englischen Presse die Nachricht hervor, daß das Geheimsignalbuch des Kreuzers „Vindictive", der augenblicklich in Sheerneß liegt, verloren ging. Das Buch enthält die Geheimsignale der Kanalslotte und sein Verlust trifft nicht nur die Flotte, sondern das Reich. Der Matrose, der das Geheimbuch zu bewahren hatte, wurde verhaftet. Sämtlichen Offizieren und Mannschaften ist vorläufig verboten worden, das Schiff zu verlassen. Welche Bedeutung man dem Buch beimißt, geht daraus hervor, daß Taucher nach demselben suchen. Diese Geheimsignalbücher würden für jede Großmacht, mit der England möglicherweise in Krieg kommen könnte, von größtem Wert sein. Sie werden deshalb aufs schärfste bewacht. Sollte sich das Buch nicht wiederfinden, so würde eine vollständige Aenderung der Geheimsignale notwendig werden. Dies würde große Kosten und sehr viel Arbeit verursachen.
Auf einer sozialdemokratischen Versammlung in Essen hat sich „Genosse" Hoffmann" als Lateiner gezeigt oder vielmehr blamiert. „Genosse" Hofmann, dessen Geist den Katholikentag in Essen tief in den Schatten stellen sollte, wies in seiner Rede u. a. darauf hin, daß schon die „Römlinge" im alten Rom dem Volke nur „puneni 6t eireonses" geboten hätten, und übersetzte das mit „Zuckerbrot und Peitsche". Diese lateinischen Worte bedeuten aber „Brot und Spiele", und es ist für den normalen Menschenverstand unbeschreiblich komisch, wie Herr Hoffmann es sich vorstellt, daß die alten „Römlinge" das Volk durch die Peitsche angelockt haben sollen. Kein Mensch nimmt es einem einfachen Manne übel, wenn er nicht Latein versteht. Wer aber seine Rede mit lateinischen Floskeln schmückt, ohne sie zu verstehen, macht sich lächerlich. 81 taeuisses . . .
Jnterlaken, 1. Sept. Im Hotel Jungfrau hat heute mittag während der Table d'hote eine etwa 22 jährige russische Dame einen Herrn durch mehrere Revolverschüsse getötet. Das Opfer ist ein Rentier aus Paris namens Charles Müller im Alter von 73 Jahren. Der Verwundete starb nach einer Stunde. Die Russin wurde sofort verhaftet. Bei der Untersuchung erklärte sie, sie sei beauftragt, den früheren russischen Minister Durnowo zu erschießen, verweigerte aber jede weitere Auskunft. Die Dame war vor vier Tagen in Begleitung eines älteren Herrn hier eingetroffen. Die beiden ließen sich unter dem Namen Herr und Frau Stafford einschreiben. Ersterer verließ gestern das Hotel und sagte, er wolle einen Ausflug nach den Bergen machen.
Wien, 30. Aug. Unfälle in den Bergen werden fast Tag für Tag gemeldet. In den Rieser- fernern ist ein deutscher Tourist in eine Spalte gestürzt. Er wurde von fremden Touristen gerettet, welche das Geheul des Hundes des Verunglückten herbeigelockt hatte. Drei Leipziger Touristen hatten sich in den Zillertaler Alpen verirrt und sind abgestürzt. Einer von ihnen ist bedeutend verletzt. Eine Frau Eichler aus Berlin ist in den Tabaretta- wänden im Ortlergebiet abgestürzt und hat mehrfache Verletzungen, hauptsächlich Kopfwunden davongetragen. Sie ist schwer, aber nicht lebensgefährlich verletzt. Bei der vom Reichsgrafen von Harnoncourt in Volajatal (Kärnthen) veranstalteten Gemsjagd ist der als Treiber beschäftigte Grundbesitzersjohn Heinrich Webhofer aus eigener Unvorsichtigkeit 50 m tief abgestürzt und hat schwere Verletzungen erlitten. Eine Gruppe italienischer Touristen verlor in der Brentagruppe infolge Schneewehens den Pfad. Drei stürzten ab.
Wie aus Helsingfors gemeldet wird, wurde der Eisenbahnkassierer des Wiborger Bahndistrikts, der den Arbeitern einer Bahnwerkstätte ihren Lohn auszahlen wollte, auf dem Weg dorthin von 4 maskierten Männern überfallen und einer Geldsumme von 20 000 beraubt; die Räuber entkamen. — Unweit der Stadt Moschansk wurden dem Kassierer einer staatlichen Branntwein-Niederlage von einer bewaffneten Bande t7 000 Rubel geraubt.
Württemberg.
Stuttgart, 2. September. Auch in diesem Jahre fand wieder auf dem Fangelsbachsriedhof eine Totenfeier am Kriegerdenkmal statt, der neben einem zahlreichen Publikum eine größere Anzahl aktiver und inaktiver Offiziere, Vertreter der staatlichen uud der städtischen Behörden u. s. w. beiwohnten. Nach einem Gesang des Krieger- und Sängerbundes Herzogin Wera hielt Hosprediger Dr. Hoffmann eine warm empfundene Ansprache. Kränze wurden niedergelegt namens der Stadtgemeiude Stuttgart von dem Vorstand des Militäranwärtervereins Schramm und im Namen der Kriegerund Veteranen-Vereine des Stadtdirektionsbezirks Stuttgart von Major v. Manch. Mit dem Lied „Ueber den Sternen" schloß die ernste Feier.
Tettnang, 2. September. In einem hiesigen Gasthof wurde während der Nacht einem Geistlichen, der sein Zimmer zu schließen versäumt hatte, seine auf dem Nachttisch liegende goldene Taschenuhr und einem anderen Herrn seine Stiefel vor der Türe gestohlen. Der freche Dieb, ein 15jühriger vagierender Hausbursche aus Böhringen, wurde verhaftet.
Bus SlaSt» Bezirk uns Umgebung
Neuenbürg, 2. Sept. Die ursprünglich so hochgehenden Wogen der Sedanfestsreude sind in unserem Vaterlande im Lause der Jahre ruhiger geworden, ja man glaubt von einer ferneren Begehung der Sedanfeier absehen zu müssen. Wenn nun aber auch rauschende Festklänge zum 2. Sept.
nicht mehr angebracht sein mögen, wie es in den ersten Jahren nach dem großen Kriege von 1870/71 der Fall war, so hat es doch sicherlich der Sedantag nicht verdient, daß man ihn ganz zu einem gewöhnlichen Tage des Jahres degradiere, daß inan das Bewußtsein dessen, was' er unserem Vaterlande und Volke gebracht hat, einfach aus dem nationalen Gedächtnis streichen will. Schon die Rücksicht auf das Heranwachsende Geschlecht gebietet, daß an der Sedanseier festgehalten werde, möge sie sich gleich in noch so einfachem Rahmen halten. Die deutsche Jugend soll dessen stets gedenken, was einstmals die Väter bei Sedan schwer errungen haben. Und nicht minder heischt die Pietät gegenüber den Streitern von Sedan, daß ihre Talen sortleben in der Erinnerung des deutschen Volkes, daß die Nachwelt nie vergesse, wie sie mit ihrem Blute, ihrem Leben das neue Reich aus der Feuertaufe von Sedan heben halfen. In diesem doppelten Sinne ist auch hier das Gedächtnis an den Ruhmestag von Sedan begangen worden, und zwar durch eine gesellige Vereinigung mit unseren Kriegsveteranen. Die Feier durfte sich gestern abend im „Bären" einer zahlreichen Teilnahme von patriotischen Männern aus allen Kreisen erfreuen, ein schöner Beweis dafür, welch lebhaften Anklang die allgemeine Einladung zur geselligen Vereinigung zu Ehren unserer Krieger anläßlich der 35. Wiederkehr des nationalen Gedenktages gefunden hat und, wie Hr. Stadtschultheiß Stirn in seiner Begrüßungsansprache sagte, welch warmer Sympathieen in der Bürgerschaft sich unsere werten Veteranen mit Recht erfreuen dürfen. Die Festrede hielt Hr. Sladtvikar Paulus über „Sedau, wie es geworden ist und was es uns gebracht hat". Er begann mit einer Schilderung des eigentümlichen Naturells der Franzosen und einem Rückblick auf die fortwährende Beunruhigung, die dieses Jahrhunderte hindurch für uns gewesen, führte in kurzen, kräftigen Zügen die Politik Kaiser Napoleons 111., der beschattet vom Ruhmesglanz seines großen Oheims, darauf angewiesen war, gleich diesem mit dem Lauf seiner schimmernden Bajonette seinen Willen Europa auszuzwingen. Ilebermütig geworden durch seine Erfolge in den Krimkriegen und Italien und zur Auswetzung der mexikanischen Scharte versuchte er unter deutlichem Säbelgerassel schon in der schleswig-holsteinischen Frage, weiterhin im preußisch-österreichischen Krieg und endlich in der Luxemburger Frage, Deutschland zum Sprungbrett seiner ehrgeizigen Wünsche zu machen, aber alles scheiterte an der diplomatischen Meisterschaft unseres Bismarck. Durch die verhängnisvolle Täuschung einer angeblich festen Bundesgenossenschast mit dem eingeschüchterten Oesterreich und dem schwachen Italien in unbegreifliche Siegeszuversicht eingewiegt, riß er anläßlich der spanischen Königsfrage mutwillig den blutigen Krieg von 1870 vom Zaun, zu dem er weder polnisch noch militärisch vorbereitet war. Der sicheren Ruhe des Preußenkönigs, der staats- männischen Kunst seines Kanzlers, der militärischen Gewandtheit seines Moltke, der starken Einigkeit des gesamten deutschen Volkes, der Tapferkeit unserer Soldaten war Napoleon nicht gewachsen. Der Krieg war eine unaufhörliche Kette von deutschen Heldentaten von Weißenburg und Wörth an über die blutigen Höhen von Spichern weg und am kampsumtobten Metz vorbei bis zum glorreichen Sedan. Ja, „das war einmal ein Jubeltag, bei Sedan fiel der große Schlag, Mac Mahon war ins Garn gegangen, der Kaiser und sein Heer gefangen!" so klangs begeistert durch die deutschen Lande, und das zähneknirschende Welschland mußte erkennen die Wahrheit des alten Satzes „Hochmut kommt vordem Fall", weiter die Lehre, daß eines Volkes Schicksal nicht gesichert ist im Spiel ehrgeiziger Pläne eines einzelnen, sondern in der Gewalt der aus sicherer Tiefe sprudelnd hervorquellenden Volksseele und endlich die Macht des das Wellregiment führen-