Zweites
Blatt.
115 .
Der Enztäler.
Neuenbürg, Mittwoch den 25. Juli 1906.
Zweites
Blatt.
64. Jahrgang.
vermischtes.
Flotten marken. Um seine Mittel für patriotische Zwecke zu erhöhen, hat der Deutsche Flottenverein auf Anregung der Freifrau von Königswarter- Formes in Frankfurt a. Ni. Flottenmarken geschaffen, die als Briefsiegel, Paketverschluß und als Heftmarke für Akten dienen sollen. Die erste dieser Marken trügt die Silhouette von Frankfurt, der künstlerische Entwurf stammt von Professor Wetzet. Sie ist in einer Auflage von einer Million erschienen und man rechnet daraus auf einen Reingewinn von 75 000 -/A Es wird erwartet, daß sich auch in anderen Städten patriotische Gönner finden, die ihrer Vaterstadt eine eigene charakteristische Flottenmarke stiften. Der Kaiser bringt, wie wir hören, der Idee reges Jnteresfe entgegen. Der bekannte Marinemaler Professor Bohrdt hat dem Deutschen Flottenverein bereits einige Entwürfe zu neuen Marken zur Verfügung gestellt. Der eine dieser Entwürfe zeigt das Reiterstandbild des „Großen Kurfürsten", des Begründers der brandenburgischen Flotte, ihm zur Seite die Fregatte Berlin. Eine zweite Skizze zeigt den neuen Kreuzer Berlin — eine sinnvolle Gegenüberstellnng der alten und der neuen Zeit; eine dritte bringt in der Mitte den Hamburger Kirchturm, flankiert auf beiden Seiten von einem Segelschiff und einem Dampfer, den Vertretern des Seeverkehrs — kurz, jede Marke lenkt den Sinn auf irgend eine Begebenheit aus Vergangenheit und Gegenwart unserer Seemacht.
Berlin. Ueber 30000 Gänse sind am Sonntag abend und Montag morgen auf dem Friedrichsfelder Magerviehhof, wo von jetzt ab an jedem Montag und Donnerstag der Hauptmarkt abgehalten wird, angekommen und fanden guten Absatz. Es find Magergünse im Gewichte von 5 bis 7 Pfund. Der Preis pro Stück schwankte zwischen 2,60 und 3,72 ^ Die Tiere stammen meist aus Rußland, dann aber auch aus Posen und Westpreußen. Die russischen Gänse gehen zum Teil nach dem Oderbruch, von wo sie als Oderbrucher Fettgünse wieder zurückkommen.
Halle, 23. Juli. Der Dauerfahrer Hukendorf stürzte bei dem Rennen um das kleine goldene Rad so schwer, daß er auf der Stelle tot blieb.
Rrisebttder ans den Alpen.
Von W. F.
- (Nachdruck verboten.)
3. Auf der Grawandhütte.
Es gehört zum guten Ton in Mairhofen, daß jeder Kurgast einmal in die Gletscherwelt des Schwarzensteingrundes, zur Berliner Hütte wandert. Nach dem Bädeker beträgt die Entfernung acht Stunden; der Fuchs hat aber seinen Schwanz mehrmals dazu gegeben. Wer nicht gut zu Fuß ist, läßt sich von einem der behenden Stammrosse dahin tragen, fahren kann man nicht.
Eines schönen Morgens machten auch wir uns auf den Weg. Nach scharfem Aufstieg geht's hinein in die nachtdunkle D ornaubergklamm, wo der wilde Zemmbach donnernd über riesige Steinblöcke schäumt und gegen die Felswände brüllt. Der Saumpfad ist schmal und steinig, denn für Wegverbesserungen scheinen sie in den „Gründen" nicht sonderlich zu schwärmen; was bis jetzt geschehen ist, das haben meist die Sektionen des deutsch-österreichischen Alpenvereins geleistet. Mit ihrem wärmsten Gruß empfängt uns die Sonne beim Austritt aus dem Walde; es wird ein heißer Tag heute. Wir übersteigen kolossale Geröllfelder, Steinhaufen, die das Hochwasser von den Bergwänden in das enge Tal herabführt, wo sie Weg und Steg versperren. Dort eine hochgewölbte Brücke über den Bergbach, der Ueberrest einer Lawine, durch welche sich das Wasser seinen Weg gefressen hat. Und trotz der gewaltigen Firmfelder dahinten und der näher und näher rückenden Gletscher wird es immer heißer, immer schwüler. Glänzend weiß flimmern die Bergfchuhe im Schmuck der feinen Silberplättchen, die sich vom schieferigen Glimmergestein ab- lösen. Die Zillertaler Berge sind ein Paradies
Aus Köln wird berichtet: In dem Dorfe Birkenbach kam das blinde Töchterlein einer Familie, das beim Herd beschäftigt war, dem Feuer zu nahe, das seine Kleider ergriff. Der auf das Hilfegeschrei der Tochter herbeigeeilte Vater brach in dem Anblick der lichterloh brennenden Tochter zusammen. Die Tochter verstarb alsbald. Das Kind verbrannte, da außer den beiden Personen niemand im Hause war.
In Obermoschel feierte der frühere Wagner und jetzige Privatmann Jakob Böppel dieser Tage seinen 100. Geburtstag in voller geistiger und körperlicher Rüstigkeit. — In Zw ei brücken beging der bekannte Professor Krafft seinen 95. Geburtstag ebenfalls noch sehr rüstig. — 100 Jahre zurückgelegt hat auch der Priv. Hüter in Ensheim (Bezirksamt St. Ingbert.) — „Erst" 81 Jahre und doch schon 25mal Urgroßmutter wurde die Witwe Maria Bleis in St. Ingbert.
Wien, 19. Juli. (Die Wocheiner Bahn.) Die Monarchie ist um einen wichtigen Kulturfaktor reicher geworden. Heute, Donuerstag, wird die zweite Schienenstraße, die Jnnerösterreich mit dem Meere verbindet, dem Verkehr übergeben. Noch ist die Gesamtkette der neuen österreichischen Alpenbahnen nicht vollendet — ausständig sind noch der 8520 Meter lange und im Jahre 1908 fertig zu stellende Tauerntunnel, der Karawankentunnel (7960 Meter) und der Bosrucktunnel (4770 Meter) —, aber schon ist ein wichtiges Stück der neuen Alpenbahnen, die Linie Aßling-Görz-Wien, die sogenannte krainisch- küstenländische Wocheiner Bahn fertig und damit eine neue direkte Verbindung zwischen Wien und Triest geschaffen worden. Freilich benötigt die Konkurrenzlinie der Südbahn vorläufig 16 Fahrstunden, um die Reisenden von der Reichshaupt- und Residenzstadt zum wichtigsten und größten Hafen Oesterreichs zu befördern. Allerdings bemerkt dazu das „N. W. Tagbl.", dem wir diese Angabe entnehmen, wird noch im Laufe des heurigen Jahres diese Strecke durch die Eröffnung des Klagenfurter Flügels der Karawankenbahn bedeutend verkürzt. Ihren eigentlichen Zweck, die Verkürzung des Verkehrsweges zwischen Deutschland und Triest, wird die neue Alpenbahn erst mit dem Ausbau der Tauernbahn erfüllen. Bisher konnte Triest von Deutschland aus nur auf Umwegen über Wien oder Innsbruck er-
sür Mineralogen, und die Damenwelt wird es besonders interessieren, daß man dort auch Granaten findet.
Endlich sind wir auf dem Breitlahner, wo Mittag gemacht und etwas geruht wird. Aber wir müssen weiter. Wir nehmen die Terrasse zur Klausenalm. Eine Wetterwolke lugt unheilverkündend über die „Gfrornewand-Spitzen" herein! Also rasch weiter zur nassen Schwemm-Alm! Wir springen von Stein zu Stein oder stemmen den Bergstock mitten ins Wasser und schwingen uns hinüber. Aber das Gewitter rückt näher; in dem vorhin noch so strahlenden Zemmtal ist's unheimlich düster geworden. Dumpf grollend bricht sich der Donner an den Felswänden des Schwarzensteingrundes. Ja, wenn wir dort oben wären, dort in jenem Holzhaus, das so verwegen an den Bergvorsprung geklebt ist! Aber wir schaffens nicht mehr: das Wetter bricht los, und schutzlos sind wir dem entfesselten Elemente preisgegeben. Wir hängen zwar die sog. wasserdichten Mäntel um, aber einem jolch wütenden sturmgepeitschten Gebirgsregen halten auch diese auf die Dauer nicht stand. Immer steiler wird der Pfad. Aber nur vorwärts! vorwärts! Eilends vorüber an den gefährlichen Zir- ben, die sich der Blitz so gerne als Opfer wählt. Doch es geht nimmer! Wir müssen Pausen machen, wir müssen Atem schöpfen. Jetzt noch die letzte, die steilste Kurve! Halbtot sinken wir auf die nächste Bank in der Grawandhütte. Mechanisch geben wir alles her, was uns die dienstfertigen Wirtsmädchen abnehmen: die wasserschweren Mäntel, den Rucksack, die Schuhe, die Juppe, die Bluse. Ich glaube, ich hätte mich willenlos von jedem Räuber bis aufs Hemd plündern lassen. Da paradiert meine Frau in der Viktl' (Viktoria) Lila-Bluse, die ihr überall zu kurz und zu eng ist, und das bringt meine
reicht werden; künftighin wird man mit dem Schnellzug von Salzburg nach Triest in acht Stunden gelangen können. Aber, abgesehen von den verkehrstechnischen Vorteilen, kommt noch ein anderes nicht zu unterschätzendes Moment in Betracht: eine Fülle von hochalpinen, bezaubernden Landschaften, malerische Täler und Seen und genußreiche Ausblicke auf bisher wenig gekannte Gebirgszüge werden dem allgemeinen Verkehr nähergerückt und die wirtschaftlich zurückgebliebenen Alpenländer werden zu neuem Leben erblühen.
(Serenissimus bei Begas.) Eine noch unbekannte Episode von einem fürstlichen Besuch bei Reinhold Begas wird man nicht ohne Vergnügen lesen. Zu den Verehrern des 75jährigen Meisters zählte ein Fürst, der nicht mehr unter den Lebenden weilt. Wenn er nach Berlin kam, erschien er gern im Atelier des Bildhauers. Einst fesselte in dort ganz besonders die Aktfigur des Hermes, der Geld in seinen Beutel zählt. „Das ist ja eine wundervolle Figur", rief er, „schicken Sie mir die!" Der Professor sehr erfreut, das Werk endlich an den Mann zu bringen, fragte: In welchem Material wünschen Hoheit die Figur? „Photographie, Photographie!" lautete die Antwort.
(Gesunder Schlaf.) Ein Automobil-Unfall ereignete sich, wie aus Duisburg gemeldet wird, dieser Tage auf der Mühlheimer Straße. Ein Kraftwagen fuhr in voller Fahrt gegen einen Mast der elektrischen Straßenbahnanlage, wobei das Vorderteil des Wagens mit dem Motor infolge des fürchterlichen Anpralls vollständig zertrümmert wurde. Passanten, die gegen 3 Uhr nachts bei der Unfallstelle eintrafen, fanden das verunglückte Automobil auf der Straße auf. Der Chauffeur und zwei weitere Insassen — schliefen in den weichen Polstern des Autos; sie waren bei dem Unfall sämtlich unverletzt geblieben.
(135 Kilometer in der Stunde.) Mit einer neuen Schnellzugslokomotive hat die ungarische Staatsbahn-Verwaltung auf der 231 Kilometer langen Strecke Budapest-Preßburg Schnellfahrversuche veranstalten lassen, die ein ähnlich günstiges Resultat ergaben wie die Probefahrten zwischen Spandau und Lehrte. Die in der Form eines Torpedos in Ungarn gebaute Maschine läuft auf 24 Rädern, sie leistet 1400 Pferdekräfte und be-
Lebensgeister wieder zurück; ich stimme ein in das herzliche Lachen, womit die Weiblichkeit der Grawandhütte dem komischen Aufzug der gnädigen Frau die gebührende Bewunderung zollt.
Hier auf der Hütte haust den Sommer über die kindergesegnete Familie Wegscheider, welcher die Almen in der Gegend gehören. Die Mutter, eine kugelrunde Frau und vorzügliche Köchin, steht meist am Herde, wenn sie nicht den Würfelbecher handhabt oder mit den Jagern Karten spielt, was die Weiberleute in Tirol für ihr Leben gern tun. Die Vik'l, die Kart'l und die Th'res'l besorgen die Wirtschaft, die Zimmer und die Wäsche. Der Vater und die Söhne sind auf den Almen und die jüngste, das 13jährige Annerl, macht die Gänge zur Alm.
Die Kat'l bedient uns. Wo wir her seien, möchte sie gerne wissen.
„Bei Stuttgart sind wir zu Hause."
„Woaß i nit."
„Straßburg?"
„Na!"
„Ja, singt Ihr denn in der Schule nicht: „O Straßburg, du wunderschöne Stadt?"
„Na!"
„Aber vom Bodensee habt Ihr doch gehört in der Schul'?"
„Na! Wir lernen doch nix in der Schul'!" Das mag stimmen, sie gehen ja nur im Winter zur Schule, d. h. wenn's der Schnee erlaubt.
„Bregenz weißt Du doch, Kat'l? Gehört ja zu Tirol."
„Bregenz? — „Jo!"
„Sieh', Kat'l", schulmeistere ich weiter, „Bregenz liegt am Bodensee; dann kommt das Schwabenland, dort sind wir zu Hause. Hast noch nichts von Württemberg g'hört?"