Zweites

Blatt.

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Der «nztäler.

Neuenbürg, Mittwoch den 20. Juni 1906.

Zweites

Blatt.

64. Jahrgang.

RunSschau.

Die Entwicklung der deutschen Automobil- Industrie. Gerade im jetzigen Augenblick, wo die Herkomersche Tourenfahrt ihren Verlauf genommen hat, dürfte es angezeigt sein, daran zu erinnern, daß daS Automobilwesen den Glanzpunkt der Mailänder Ausstellung bildet und daß es noch auf keiner früheren Weltausstellung so gut wie dort vertreten war. Während unbeschadet ihrer sonstigen Reichhaltigkeit die Nürnberger Ausstellung an Automobilen ziemlich arm ist, hat die deutsche Automobil-Industrie alle Ursache, auf ihre Abteilung in Mailand, die derjenigen Italiens und Frankreichs ebenbürtig zur Seite steht, stolz zu sein. Der amtliche deutsche Katalog hebt mit berechtigtem Stolz die bekannte Tatsache hervor, daß Deutsche die unbestrittenen Erfinder des modernen Automobils sind, die Ingenieure Gottlieb Daimler und Karl Benz. Aber die Entwicklung der daraus sich ergebenden Industrie ist von den Erfindern und zunächst überhaupt von deutscher Seite durchaus nicht m entsprechender Weise beeinflußt worden. Eine französische Firma erwarb von Daimler das Recht, dessen Konstruktion nachzubauen, und aus dem ur­sprünglichen schweren deutschen Wagen wurde in Frankreich ein vorwiegend dem Sport dienendes leichtes Luxusgefährt. Allmählich und dann in immer steigendem Maße traten auch in Deutschland die Sportkreise als Träger und Förderer des Automil- Wesens hervor. In industrieller Hinsicht haben sich zuerst einige der alten Fahrradfabriken, wie z. B. Adler, Dürkopp, Opel, Stoewcr u. s. w. dem neuen Verkehrsmittel Angewandt. Sie bilden noch heute nebst den Fabriken der Erfinder Daimler und Benz den Grundstock der heutigen großen, über 60 Fabrikanlagen umfassenden Automobil - Industrie Deutschlands. Der erwähnte Mailänder Katalog schätzt die deutsche Automobilerzeugung für daS Jahr 1905 auf 4000 Stück, wovon gegen 2200 ins Aus­land ausgeführt wurden. Der Wert der deutschen Ausfuhr einschließlich der Motorwagenteile wird für 1905 auf 30 Millionen Mark berechnet. Die Motor­zweiräder, von denen 1905 für 1560000 ^ aus­geführt wurden, sind dabei mit eingerechnet. Wäh­rend bei der Ausfuhr die der Lastenbeförderung dienenden Motorwagen einstweilen stark hinter den Personen- und Luxuswagen zurücktreten, öffnet sich der deutschen Industrie ein neues großes Arbeitsfeld durch die schnell fortschreitende Verwendung des Selbstfahrers beim militärischen Train- und Etappen- dienst, beim Schießbedarf, und Lebensmittelersatz, sowie bei Post, Feuerwehr und Straßenreinigung. Auch die Ersetzung der von Pferden gezogenen

" Geraubt.

Kriminal-Novelle von Dr. L. Lange, Geh. Kriminalrat.

.Sie haben recht, ich bitte Sie, mich zu ent­schuldigen aber wenn einem so direkt in das Ge- ficht gesagt wird, daß man eines Schurkenstreiches erster Sorte verdächtig sei, dann bleibe der Teufel ruhig!'

.Sie müssen sich hierzu zwingen, wen» Sie wollen, daß ich fortfahre. Man kann nicht wissen, ob nicht hier die Wände Ohre» haben.'

»Gut, ich werde ruhig bleiben so gut wenig­stens, als ich es kann!'

Fahren wir fort! Nimmt man an, daß Ge- winusucht, die Hoffnung, von der Familie ein Löse­geld zu erpressen, die Triebfeder zu dem Verbrechen gewesen sei, nebenbei bemerkt, diejenige Annahme, welche am meisten Wahrscheinlichkeit für sich hat, so richtet sich ebenfalls ein starker Verdacht gegen Sie.' , ,

»Darf ich fragen inwiefern?' Seefeld kämpfte gewaltsam eine Erregung nieder, die sich seiner zu bemächtigen drohte.

»Ich will ganz davon absehen, daß Sie über Ihre Verhältnisse hinaus gelebt haben sollen,' lautete die Antwort. »Nur nebenbei möchte ich die Frage stellen, ob dies wahr sei?'

»Ich habe allerdings mehr als die Zinsen meines kleinen Vermögens verbraucht,' gestand Seefeld offen zu. »Wissen Sie, ich war früher Offizier, und da

Droschken, Omnibusse, Last- und Lieferungswagen durch Selbstfahrer vollzieht sich in schnellem Tempo. Zur eigentlichen Automobil-Industrie gesellt sich außerdem die nicht minder wichtige, die sich die Be­schaffung des Zubehörs an Gummiteilen, Benzin und Spiritus, Zündapparaten, Laternen, Brillen und Automobilbekleidung zur Aufgabe gemacht hat.

Ganz Wider Erwarten hat die Herkomer Kon­kurrenz ein Resultat gezeitigt, auf welches niemand gerechnet hatte. Nicht nur die beteiligten Fahrer, sondern jedermann war früher der Ansicht, daß die allergrößten Wagen von 60, 80 oder gar 100 Pferde- stärken den Sieg gewinnen könnten statt dessen mußte dem Wagen Nr. 155, der auf den einzelnen Etappen stets als letzter startete, ein 18/20 ?8, der Siegerpreis zuerkauut werden. Das Resultat ist um so überraschender, als tatsächlich in der automobili- stischen Welt der Kampf gegen die kleinen Wagen systematisch geführt worden ist, man wollte bisher Dauerhaftigkeit, Sicherheit und Widerstandsfähigkeit nur für Riesenmaschinen gelten lassen. Der Sieges­wagen ist keineswegs ein kleines Gefährt, sondern ein Wagen von mittleren Dimensionen. Sein Fahrer war Dr. Rudolf Stöß, Rechtsanwalt ans Zwickau.

München, 18. Juni. Die Polizeidirektion gibt amtlich bekannt, daß sie sich mit Rücksicht auf das immer mehr überhandnehmende Schnellfahren der Lenkern von Motorfahrzeugen veranlaßt sehe, den Vor- schrifteu über die Höchstfahrgeschwindigkeit der Motor- fahrzeuge mit aller Strenge Geltung zu verschaffen.

Darmstadt, 10. Juni. Der Student Hans Krastel auS Offenbach, zurzeit au der Darmstädter Technischen Hochschule, wurde vom Großherzog in längerer Privataudieuz im Neuen Palais empfangen, um einen von ihm erfundene» Automobilschutzreifen vorzuführen. Der Reifen schützt die Pneumatiks vor mechanischen Beschädigungen und Ueberhitzung, ferner gegen das gefährliche Gleiten auf nassen Straßen und vermindert vor allem die Staubentwicklung des Autos um 7080°/»; dabei ist der Reifen dauerhafter und billiger als Gummireifen. Der Großherzog, dem die Erfindung sehr gut gefiel, interessierte, wie die O. Z. schreibt, sich lebhaft und mit großem Sachverständnis für alle technischen Einzelheiten und bestellte sofort solche Reifen für sein Auto.

Kiel, 14. Juni. 240 Mitglieder des Flotten- Vereins aus Bayer« sind heute in Kiel eingetroffeu, um den Kriegshafen kennen zu lernen. Diesmal waren es ausnahmsweise nur Erwachsene, Damen und Herren. Der Flottenchef und der Stationschef haben ihnen gestattet, die Schlachtschiffe und die Reichsbetriebe zu besichtigen. Die bayerischen Gäste

stecken einem noch allerhand Mucken im Kopf, die

man nicht so leicht los wird. Das Haus des Kom­merzienrats wurde im großen Stil geführt, ich ver­kehrte viel in demselben das ist eine schlechte Schule, um Sparsamkeit zu lernen. Jetzt, da ich bei G. Oswald angestellt bin und Geld verdiene, brauche ich nicht mehr, als was ich einnehme. Aber wenn auch das Gegenteil der Fall wäre das ist doch doch kein Grund, mich eines so schauderhaften Ver­brechens für fähig zu halten!"

»Das allein gewiß nicht. Aber nun sage» Sie mir, was hatten Sie am Abend des Begräbnistages allein au der Gruft zu tun?'

»Ah, man hat mich da beobachtet!' rief See­feld unmutig. »Nun gut, ich will es Ihnen sagen, Ihnen allein! Als ich hörte, daß der alte Herr Plötzlich entschlafen sei, regte sich in mir die Reue, daß ich damals, als er mich ersucht hatte, mich nicht mehr um Agathe zu bemühen, ihm so schroff ent- egengetreten war. Ich war damals sehr erregt, enn ich liebte Agathe von ganzem Herzen, ja, ich liebe sie noch ebenso, und der alte Herr, wohl von mir übelwollender Seite aufgehctzt, sprach da von Glücksrittern, die nach Goldfischen angelten und der- gleichen. Das mußte mich tief kränken, denn ich hätte Agathe ebenso lieb, wenn sie nicht einen Pfennig Vermögen hätte. Es wäre mir sogar lieber, denn dann würde nichts sie hindern, mich zu heiraten! Jene ungerechte Beschuldigung hatte mich so aufge- regt, daß ich auch scharf antwortete, von Geldprotzen sprach na, die Folge war natürlich, daß ich gehen

besuchen morgen die Linienschiffe der Braunschweig, und Vrandenburgklasfe.

Der Verband deutscher Handlungsgehilfen beging am Samstag und Sonntag seine 25. Stift­ungsfeier in Leipzig unter zahlreicher Beteiligung seiner Mitglieder.

Die in Stuttgart erscheinende »Süd- und Mittel- deutsche Fleischerzeitung" schreibt nach einem ihr zu­gegangenen Stimmuugsbericht über den Skandal im amerikanischen Fleischtrust: »Die Enthüllungen über die Zustände in den Betrieben des Rindfleisch­trusts haben zunächst die Wirkung gehabt, daß im ganzen Lande der Verbrauch von > Erzeugnissen deS Trusts erheblich zurückgegangen ist, und infolge dessen die Preise stark gefallen sind. Die Erzählungen, daß Menschen in die Siedekessel der Chicagoer Fleischver­sandhäuser gefallen und mit zerkocht worden seien, werden von Mr. A. M. Simons, einem höheren Be­amten des Verbands der Chicagoer WohltätigkeitS- vereine, bestätigt. Mr. Simons war drei Jahre laug unter den Arbeitern in de« Chicagoer Packhäuseru tätig. In dieser Zeit kamen, wie er sagt, zwei der­artige Fälle direkt zu seiner Kenntnis. Ein Knabe, der seinem Vater das Frühstück ins Siedhaus brachte, fiel in einen mit kochender Masse gefüllten Schmalz, kessel und konnte nicht mehr gerettet werde». Nach- dem der Dampf abgelassen worden war, wurden nur noch einige Knochen herausgefischt. Einige Wochen später fiel der Vater des Knaben in denselben Kessel, und erlitt das gleiche Schicksal. Beide Male wurde der Inhalt des Kessels, als ob nichts geschehen wäre, in Büchsen gefüllt und verkauft." Mit Recht bemerkt das genannte Blatt zum Schluß: »Es wird heute bei uns wohl niemand mehr Lust habe», wissentlich amerikanische Fleischprodukte zu genießen. ES wäre aber auch vielleicht angezeigt die Verhältnisse in der amerikanischen Schmalzproduktion einer eingehenden Untersuchung zu unterwerfen. Wenn beim Fleisch solche Zustände herrschen, werden dieselben beim Schmalz nicht viel besser sein. Eine scharfe Kontrolle der amerikanischen Schmalz- und Speckeiufuhr ist zweifellos dringend nötig.

Nürnberg, 15. Juni. Die Fleischeriuuuug hat beschlossen, dem Verein zum Schutze von Handel und Gewerbe beizutreten und daun mit dessen Hilfe gegen diejenigen Fleischer wegen unlauteren Wettbe- Werkes gerichtlich vorzugchen, diebestes Ochseufieisch" zu 60 und 70 ^ das Pfund aupreisen, obwohl der Einkaufpreis bis zu 88 ^ betrage; zu 60 und 70 sei gegenwärtig nicht einmal gutes Kuhfleisch zu habe».

Karlsruhe, 15. Juni. Der Konkurs deS Konsumvereins hat begreiflicherweise in der gesamte»

mußte. Als nun die Todesnachricht kam, erschütterte

sie mich doch; ich hätte viel darum gegeben, hätte ich den alten Herrn, der sonst immer sehr lieb und freundlich zu mir gewesen war, vor seinem Hin- scheiden noch versöhnen können. Da dies aber nicht möglich war, wollte ich wenigstens an seinem Grabe ihn um Verzeihung bitte».'

Warum schlossen Sie sich da»u nicht bei dem Begräbnis dem Zuge der Leidtragenden au?'

»Es war mir unmöglich, ganz unmöglich. Mau hätte da Glossen über mich gemacht, mich vielleicht gar für einen Heuchler gehalten, der aus diese Weise Agathes Gunst wieder zu gewinnen suchte uei», es war wirklich nicht möglich! Deshalb ging ich in der Dämmerung hinaus, als niemand mich sehe» konnte!'

»Aber Sie erschraken lebhaft, als der Toten- gräbcr Sie aufforderte, den Friedhof zu verlassen?'

»Es mag sein, daß ich erschrak. Ich war. tief m Gedanken versunken, in eine weiche Stimmung gekommen, fern der Gegenwart mit einemmal krächzt der Alte auf mich ein im Abenddunkel deS Friedhofs ich glaube, ich habe ihm gar »icht geantwortet.

So berichtet er. Nu» aber »och eiuS: Kennen Sie diesen Meißel?'

Er zeigte das von ihm aufgefundene Instrument.

»Dieser Meißel ist mein Eigentum!' erklärte Seefeld nach kurzer Besichtigung. »Ich erkenne ihn an der Abflachung hier. Ich habe ihn einmal im Scherz unter den großen Dampfhammer gelegt, um