Der «nztäler.
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Renerrhürg, Freitag den 20. Oktober 1905.
63. Jahrgang.
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AunSschau.
Berlin, 19. Okt. Der Staatsanzeiger meldet: Dem Handelsminister Möller wurde die nachge- suchte Entlassung aus seinem Amt unter Belassung des Titels und Rangs eines Staatsministers und unter Verleihung des erblichen Adels erteilt. Der Oberprästdent der Provinz Preußen, Delbrück, wurde zum Staats- und Handelsminister, Regierungspräsident v. Jagow in Marienwcrder zum Ober- Präsidenten der Provinz Westpreußen ernannt.
Karlsruhe, 17. Okt. So bedeutsam war für Baden schon seit Jahrzehnten keine Landtagswahl mehr, als diejenige, die sich am Donnerstag, den 19. Oktober, vollziehen wird. Bedeutsam deshalb, weil das badische Volk jetzt zum ersten Male seit Einführung der konstitutionellen Verfassung im Jahre 1818 seine Abgeordneten zum Landtag direkt wählen wird, bedeutsam, weil es sich entscheiden muß, ob Baden weiter wandeln oder verlassen will die Bahne» einer freiheitlichen und fortschrittlichen Politik, bedeutsam deshalb, weil der Ausfall dieser Wahl nicht ohne Rückwirkung bleiben wird auf den Gang der Dinge in anderen Teilen unseres deutschen Vaterlandes. Wird ebenso wie in Bayern nunmehr auch in Baden das Zentrum vollends Trumpf werden, oder wird es dem liberalen Bürgertum gelingen, die Angriffe seiner schwarzen und roten Gegner aufs neue siegreich abzuschlagcn?, das ist die große Frage, auf die der kommende Wahltag die Antwort zu geben hat. Um Wahlprophezeihungen ist es immer ein eigen Ding, die scharfsinnigsten Berechnungen gehe« nicht selten gewaltig daneben, und man tut deshalb am beste»: ruhig abzuwarlen! Soviel aber ist außer allem Zweifel, daß der badische Liberalismus diesmal die Lage rechtzeitig erkannt und durch sein geschlossenes, entschiedenes Auftreten in diesem Wahlkampfe manche alte Freunde sich zurückerobert, manche neue hinzugewonnen hat. Selbst wenn seine Fahnen diesmal nicht siegreich bleiben sollten, könnte er mit dem er- rungenen Erfolge immer noch zufrieden sein, denn nach langer Zeit stand er wieder einmal in der Stunde der Gefahr einig da, er erlebte eine Wiedergeburt, eine innere Stärkung, die es ihm trotz allem gestatten würde, vertrauensvoll der Zukunft entgegenzugehen. Vorerst aber erscheint es noch keineswegs als ausgemacht, daß die Entscheidung derart zu Unguusten des Liberalismus ausfallen wird, wie Zentrum und Sozialdemokratie es sich wünschen. Wer lebt, wird sehen!
Das englische Ministerium Balfour be- findet sich noch immer in großer Verlegenheit Wege« des angeblichen englischen Anerbietens einer direkten Teilnahme an einem etwaigen Krieg Frankreichs gegen Deutschland. Da die deutsche Regierung offiziös und wohl auch durch den deutschen Botschafter m London erklären ließ, daß sie die deutschfeindlichen Ountreibereien englischer Blätter ignoriere und das englische Kabinett nicht dafür verantwortlich mache, so hat sich Deutschland England gegenüber auf den Standpunkt gestellt, daß es immer noch eine frei- willige Erklärung abwarte, wie Delcasso zu der Meinung kommen konnte, daß er von England eine tatkräftige Kriegshilfe erhalten werde. Das ist für England ein recht unangenehmer Fall; denn das Kabinett Balfour kann doch unmöglich zugeben, daß König Eduard unverantwortlicherweise einer anderen Regierung so schwerwiegende Versprechungen gemacht habe. Für schwerwiegende Politische Entscheidungen ist zwar der König von England verfassungsgemäß eine Null und so brauchen wir Deutschen uns keinerlei Kriegsbefürchtungen hiogeben. Aber König Eduard hätte dieses tolle Anerbieten nicht machen können, wenn er nicht die besten Gründe hatte, anzunehmen, daß das Kabinett Balfour gegebenenfalls die Pläne des Königs gutheißen würde. Durch die völlige Verständigung Deutschlands und Frankreichs in der Marokkofrage sind freilich die gehässigen Pläne gegen
^ Deutschland wieder zu Wasser geworden und schon s wissen die Blätter verschiedener Länder offiziös zu berichten, daß für den Fall einer Revolution in russisch. Polen je zwei deutsche und zwei österreichische Divisionen die Russen dortselbst unterstützen werden. Diese Nachricht sieht aus wie ein Deckmantel für eine ernstere Vereinbarung zwischen den 3 genannten Mächten. Rußland würde über einen Polenaufstand sicher allein Meister werden, aber wenn Deutschland und Oesterreich in diesen Punkten Rußland ihre > direkte Unterstützung anbieten, so haben sie das offenbar nur für eine direkte Gegenleistung Rußlands getan und diese Gegenleistung würde im Falle eines deutsch-euglischen Krieges zweifellos darin bestehen, daß Rußland Deutschlands Verbündeter würde, in diesem Fall könnte Deutschland die russische Bahn, die nach Indien führt, für seine eigenen Truppentransporte dorthin verwenden. Bei der vieljährigen Freundschaft Deutschlands mit der Pforte wären auch die schon nach Angora führenden kleinastatischen Bahnen, die bekanntlich mit deutschem Geld gebaut sind und weitergebaut werden, zu Truppentransporten Deutschlands in der Richtung nach Persien und von dort aus nach Indien verwendbar. Angesichts einer solchen Perspektive werden die Engländer wohl in der Kriegslust gegen Deutschland etwas abgekühlt werden.
In Ungarn ist insofern eine kleine Klärung der Verhältnisse eingetreten, als Frhr. v Fejervary und seine Ministerkollegen, die bekanntlich ihren Abschied erbeten hatten, vom Kaiser neuerdings in ihren Aemtern bestätigt wurden. Bekanntlich haben die ungarischen Minister an ihr Verbleiben die Bedingung geknüpft, daß sie das allgemeine gleiche und geheime Wahlrecht in Ungarn einführen dürfen. Demnach wird es also in Ungarn zu einer Art Staatsstreich kommen, wenn die Neuwahlen ohne Genehmigung beider Häuser des Landtags nach einem neuen Wahlrecht vorgeuommen werden. Auch im österreichischen Landtag machen sich lebhafte Bestrebungen nach Einführung des gleichen Wahlrechts geltend und mit großer, wenn auch nicht Zweidrittel- Mehrheit hat das Wiener Abgeordnetenhaus einen diesbezüglichen Antrag angenommen. Gegen dieses Wahlrecht wurde von der Minderheit geltend gemacht, daß dann für die Minderheit gar kein Schutz mehr bestehe. Der mährische Landtag in Brünn hat gleich- falls einen Antrag auf Einführung des allgemeinen und geheimen Wahlrechts angenommen. Das Ministerium Gautsch hat bisher noch keine Stellung zu diesen Beschlüssen genommen.
Kopenhagen, 18. Oktbr. In den hiesigen politischen Kreisen gilt die Wahl des Prinzen Karl von Dänemark zum König von Norwegen als sicher. (Einem schwedischen Prinzen will König Oskar die Besteigung des bisher von ihm selbst eingenommenen Thrones nicht gestatten.) Wahrscheinlich wird noch in dieser Woche die Königswahl im Storthing vorgenommen werden. Der König von Dänemark hat dem Prinzen Karl die Erlaubnis zur Annahme der norwegischen Königskrooe gegeben, wenn sie ihm angetragen würde. Der Chef der Kopenhagener Werft hat den Befehl erhalten, die königliche Dacht „Danebrog" und die Kreuzer „Heimdal" und „Geysir" zum Auslaufen bereit zu halten; es handelt sich dabei ohne Zweifel um eine Vorkehrung für die Fahrt des Prinzen nach Norwegen.
Petersburg, 18. Okt. Wie der „Invalid" meldet, ist General Linewitsch unter Belassung auf seinem Posten zum Generaladjudanten ernannt worden.
Dem Großfürsten Kyrill, der soeben wegen seiner Verheiratung mit der geschiedenen Großherzogin Melitta von Hessen von der russischen Armee aus- gestoßen worden war, ist jede Apanage entzogen worden. Er behält zwar seine großfürstliche Würde, darf aber bis auf weiteres Rußland nicht betreten. Großfürst Kyrill rangierte in der russischen Armee als Flügeladjutant, Chef des 52. Infanterie-Regiments
j Wilna und Kapitän zweiten Grades der Gardeequipage der Marine. Er wird übrigens auch u lg. suite der deutschen Marine geführt und sicherlich nun aus den Listen ebenfalls entfernt werden, genau, wie es dem Großfürsten Paul widerfuhr, der Chef des 6. Kürassier-Regiments in Brandenburg a. H. war und dieser Stellung sofort nach seiner Streichung aus der russischen Armee enthoben wurde — während gleichzeitig das Regiment dem Zaren selbst verliehen wurde.
Die Monarchen von Rußland und Japan haben nunmehr den abgeschlossenen Friedensvertrag ratifiziert, so daß keine feindseligen Aktionen auf beiden Seiten mehr Vorkommen können. Die russischen und japanischen Blätter sprechen jetzt von einer Freundschaft zwischen Rußland und Japan. Das sind aber Redensarten, die bei jedem Denkenden ein Lächeln Hervorrufen müssen. Rußland möchte begreiflicherweise über kurz oder lang leine Revanche holen und Japan sorgt dafür, für einen etwaigen Krieg wieder vollauf gerüstet zu sein.
London, 17. Oktbr. Am 15. Oktober wurde durch König Eduard unter großer Feierlichkeit der Grundstein zu einem neuen Generalpostgebäude in London gelegt, das, den Verhältnissen des Weltreichs entsprechend, einen gewaltigen Umfang haben wird. Das Gebäude wird, wenn es fertig ist, mehr Grundfläche bedecken, als alle Regierungsgebäude in White Hall zusammen. Der Generalpostmeister machte in seiner Begrüßung des Königs einige interessante statistische Angaben über das Wachsen des Postverkehrs. Während die Bevölker- ung von London sich im Verlauf der letzten 75 Jahre nicht ganz vervierfachte, hat sich die Zahl der in London ausgetragenen Briefe verfünfzigfacht. Im Jahre 1829 hatten 564 Briefträger wöchentlich etwa 400000 Briefe auszutragen. Heute erreicht die zu bewältigende Brieflast die enorme Höhe vou 20 Millionen Briefen pro Woche. Der König sagte bei der Grundsteinlegung: „Ich hoffe, daß der Bau dieses neuen Gebäudes dazu beitragen wird, die verschiedene» Teile meines Reichs mit noch festeren Banden zu umschlingen und unter den Nationen der Welt jenen Frieden und jene Freundschaft zu schaffen, die mir so sehr am Herzen liegen". Er äußerte später noch, daß er sich vor allen Dingen über die starke Benützung der Postsparkasse durch die Arbeiter- bevölkerung freue.
New-Dork, 18. Okt. Präsident Roosevelt entschied, daß seine Tochter Alice den gleichen Ein- gangszoll, wie jeder andere Reisende, für die vou ihrer ostasiatischen Reise mitgebrachten kostbaren Geschenke der Staatsoberhäupter und sonstigen Personen bezahlen müsse. Die Zollgebühren würde» sich angeblich mindestens auf 250000 belaufen. Es war nämlich gemeldet worden, Präsident Roosevelt plane an den Kongreß ein Gesuch einzubringe«, wonach seiner Tochter die Zahlung dieses Eingangszolls erlassen werde.
Berlin, 19. Okt. Der Verein Berliner Wäsche- fabrikanten beschloß, die gesamte Arbeiterschaft ihrer Fabriken am Montag auszusperren, wenn bis dahin die streikenden Arbeiter die Arbeit nicht aufnehmen.
Größer als jede Steuer, die der Staat fordert, ist diejenige Steuer, die sich die Leute selbst auferlegen: die Getränkesteuer. Das deutsche Volk gibt jährlich für Bier, Wein und Schlipps 3000 Millionen Mark aus. Um wie vieles könnte sich das Volk besser kleiden, wie viel besser könnte es essen und wohnen, wie viel leichter und friedlicher könnte sich das Leben der Familien gestalten, wenn die freiwillige Getränkesteuer nicht wäre. In einer Vergleichung der Lebensführung deutscher und amen- kanischer Arbeiter ist in der Leipziger sozialdemo- kratischen Volkszeitung zu lesen, daß in amerikanischen Arbeiterfamilien nur 1,62 Prozent des Einkommens für geistige Getränke ausgegeden werden, deutsche Arbeiterfamilien aber vertrinken das Vielfache,