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beiden Brüder gerieten dabei in einen heftigen Streit, in dessen Verlauf jeder der Streitenden für sich die größten Verdienste um die Partei in Anspruch nahm. Auf dem Nachhauseweg entbrannte der Streit von neuem, wobei Georg Süß derartig in Zorn geriet, daß er auf seinen Bruder einen Schuß abgab. Nur leicht verletzt eilte dieser in seine Wohnung, um sein Gewehr zu holen. Er feuerte sofort einen Schuß auf seinen Bruder ab, der leblos zusammenstürzte. Der Brudermörder ^wurde verhaftet.
Dresden, 7' Febr. Das Gesuch der ehemaligen Kronprinzessin Louise, ihren erkrankten Sohn besuchen zu dürfen, ist heute Mittag im Ministerrat unter dem Vorsitz des Königs in ernsthafte Erwägung gezogen worden. Man kam jedoch zu dem Entschluß, daß eine Rückkehr der Prinzessin auch zu einem ganz kurzen Besuch keinesfalls angängig sei. Tie Prinzessin erwartet in Genf den Bescheid. Alle Gerüchte, daß sie schon unterwegs oder gar schon in Dresden sei, sind daher unbegründet. Aus den Gang des Prozesses wird die Trennung von Giron keinen Einfluß haben.
Berlin, 7. Febr. Ueber die Trennung der Kronprinzessin Louise von Giron wird aus Wien berichtet: Am Sonntag trifft hier die Großherzogin von Toscana mit ihrer Tochter zu mehrtägigem Aufenthalte ein. Ihr Besuch hängt mit der Regelung der Angelegenheit der Kronprinzessin Louise zusammen. Auch wird behauptet, die Großherzogin räume der Kronprinzessin das Feld, damit sie nach Salzburg kommen könne. Die Trennung wurde insbesondere durch die Erkrankung des Lieblingssohnes der Kronprinzessin und durch die Aktion bewirkt, die der Advokat Lachenal in Genf in den letzten Tagen durchführte, indem er für das zukünftige Leben der Kronprinzessin günstige schriftliche Zusagen seitens des österreichischen und sächsischen Hofes erzielte. Nach Genfer Depeschen ging der endgültigen Trennung der Kronprinzessin von Giron eine äußerst bewegte Szene im Bureau des Advokaten Lachenal voraus.
Berlin, 8. Febr. Zur Affäre der ehemaligen Kronprinzessin von Sachsen wird aus Dresden gemeldet, daß nach Informationen in maßgebenden Regierungskreisen im Termin am 11. Februar nicht auf Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft sondern auf Scheidung erkannt werden dürfte. Die „Wiener Neue Freie Presse" will wissen, daß die Zusammenkunft der Prinzessin Luise mit ihrer Mutter, der Großherzogin von Toscana in der bayerisch-österreichischen Grenzstation Rosenheim erfolgen und vor allem den Zweck haben soll, festzustellen, ob die Trennung der Prinzessin von Giron eine zeitliche oder dauernde ist. In letzterem Falle wäre eine Milderung der von den Höfen in Wien und Dresden über die Prinzessin verhängten Maßregeln möglich, insbesondere in dem Sinne, daß die Vaterlandslosigkeit, welche die Folge dieser Maßregeln ist, aufgehoben und es der Prinzessin
möglich gemacht würde, einen Namen zu führen. Die Prinzessin soll das telegraphische Ersuchen ihrer Anwälte an den Kronprinzen zur Erlangung der Erlaubnis eines Besuches ihres kranken Sohnes mit einem eigenhändigen Briefe unterstützt haben, der sehr bußfertig gehalten und in reuevollem Tone von ihrem Fehler sprechen soll.
Berlin, 8. Febr. Wie dem „Lokalanzeiger" aus Brüssel telegraphiert wird, hat Giron einigen seiner Freunde mitgeteilt, daß die Trennung von der Prinzessin Louise nur eine augenblickliche sei, hervorgegangen aus seinem Wunsche, die Prinzessin aus ihrer zweifelhaften Lage befreit zu sehen. Was die Prinzessin für die Zukunft beschließe, stehe ihr allein anheim.
Berlin, 7. Febr. Nach den nunmehr auch an hiesiger amtlicher Stelle eingegangenen Berichten hatten die Verhandlungen in Washington, wie der „Lokalanzeiger" berichtet, folgenden Verlauf. Der deutsche Vertreter hatte den Vorschlag gemacht, den Blockademächten drei Monate lang Vorzugsbedingungen bei der Gesamtschuldentilgung Venezuelas zu gewähren. Der Vorschlag hatte einige Aussicht auf Annahme. Nunmehr trat aber der englische Geschäftsträger Herbert auf und forderte weitergehende Konzessionen an die Blockademächte. Bowen habe sich mit Herbert nicht einigen können. Deutschland und Italien haben sich dem Vorschläge ihres Verbündeten (England) angeschlossen. Da jedoch eine Einigung auch jetzt nicht erzielt werden konnte, wollte man den Präsidenten Roosevelt zum Schiedsrichter über diese eine Angelegenheit der Vorzugs-Behandlung der Blockademächte berufen. Roosevelt lehnte diese ab, so daß nunmehr damit zu rechnen ist, daß diese dem Haager Schiedsgericht ! unterbreitet wird. Ein anderer Ausweg wäre nur möglich, wenn Bowen, dem die so geschaffene Situation keineswegs angenehm sein kann, in letzter Stunde einen entgegenkommenden Vorschlag macht, der den verbündeten Mächten annehmbar erscheint. Außer dieser Vorzugsangelegenheit stehen die Unterhandlungen gut. Es kann angenommen werden, daß alle weiteren Streitpunkte in Washington erledigt werden. Die Blockade bleibt vorläufig bestehen, bis völlige Klärung herrscht.
Berlin, 7. Febr. Aus Windsor wird gemeldet : König Eduard und KöniginAlexandra machten gestern Nachmittag eine Spazierfahrt in einem offenen Wagen. Der König ist vollkommen wiederhergestellt. Es werden keine weiteren Krankenberichte mehr ausgegeben.
Berlin, 8. Febr. Nach einer Meldung der Danziger Zeitung soll eS einem dortigen Arzte gelungen sein, wichtiges neues Material zu der Winter'schen Mordsache in Konitz von einem Zeugen zu ermitteln, der bisher nicht vernommen worden ist. Die Mitteilung führt zum Teil auf ganz neue Spuren.
Rom, 7. Febr. Der König sagte gestern gesprächsweise zu einem Diplomaten, das Datum
der Ankunft des Zaren sei ihm noch nicht bekannt. Kaiser Wilhelm werde am 27. April in Rom eintreffen.
Nizza, 7. Febr. Gestern ging hier das Gerücht vom Tode des Expräsidenten Krüger. Die Nachricht wurde bald darauf wieder dementiert.
Brüssel, 8. Febr. Giron, der gestern von Paris kommend hier eintraf, stieg bei einem seiner Freunde ab, da sich seine Familie infolge seines Verhältnisses mit der Prinzessin Louise von ihm losgesagt hat. Gleichzeitig mit ihm soll ein sächsischer Geheimpolizist zu seiner Beobachtung eingetroffen sein.
Paris, 8. Febr. Auf den Expreßzug Paris-Brüssel wurde gestern Abend beim Passieren des Weichbildes der Stadt ein Reoolverschuß abgegeben, der die Scheiben eines Wagenabteils zertrümmerte. 2 Personen, unter denen sich der Deputierte Früh befand, wurden durch GlaSsplitter verletzt.
Tanger, 7. Febr. Die Nachricht über eine Gefangennahme des Prätendenten widersprechen sich noch immer. Nach einer Meldung aus Fez vom 2. ds. seien mehrere Stämme gegen die Auslieferung des Prätendenten. Andererseits erklärt man, die Meldung von der Auslieferung des Prätendenten sei darauf zurückzuführen, daß der Sultan aus Anlaß dis Sieges große Festlichkeiten veranstaltet habe.
Die erste Verbrennung der Leiche eines Europäers in Siam. Der langjährige Leibarzt des Königs von Siam, Dr. Peter Gowan, der vor kurzem starb, wurde nach buddhistischem Ritus verbrannt. Gowan, der an Asthma litt, hatte die ärztliche Tätigkeit aufgegeben,
! war vor einigen Jahren in ein buddhistisches Kloster ! eingetreten und unterrichtete die Priester in der Heilkunde. Vor seinem Tode hatte er die Verbrennung seiner Leiche angeordnet. Die Zeremonie verlief äußerst imposant. Der König schickte als Zeichen der Wertschätzung des Verstorbenen einen vergoldeten Staatswagen, der mit zwei Rappen bespannt war, zum Transporte der Leiche. Nach der Ankunft bei dem Tempel wurde der Sarg auf einen Scheiterhaufen gehoben, der mit Blumengewinden, Geschenken der Prinzessinnen, und mit Kränzen, Spenden europäischer und siamesischer Freunde, geschmückt war. Nachdem der Tempelvorstand eine Lobrede auf den Verstorbenen in siamesischer Sprache gehalten hatte, zündete ein Bruder des Königs, als dessen besonderer Abgesandter, den Scheiterhaufen an, was als ganz außerordentliche Auszeichnung betrachtet werden muß. Die Anwesenden warfen als letzten Scheidegruß Sandelholz und Blumen in die Flamme. Ein großes Feuerwerk beschloß die Feier.
Wezirksstscherei-Ierein.
Am Sonntag, 15. Februar ds. IS., nachmittags 2V- Uhr, findet im Lamm in Liebenzrll die Generalversammlung des Bezirksfischereivereins statt, wozu sämtliche Mitglieder hie- mit eingeladen werden.
Calw, 8. Februar 1903.
Der Vorstand Regierungsrat Voelter.
„Es fehlt an Platz, mein Herr, fast alle meine Zimmern sind besetzt"
„Meist Ausländer, vermutlich?"
„Wirklich! Eine ganze Schaar deutscher „Reiseonkels", ein paar Schweden — ja, und auch ein Landsmann von Ihnen ist hier."
„Ein Norweger? Ah, das trifft sich doch merkwürdig. — Wie heißt er?"
„Stamm, so viel ich weiß. Er hat wohl Geschäfte jenseits der Grenze, denn er ist meist nur über Nacht da. Ich denke, daß Sie ihn im Laufe des Abends drunten in der Schänkstube treffen."
Als er sich näher erkundigte, erhielt Hell bald die Gewißheit, daß hier von dem rechten Mann die Rede war.
„Sie, Herr Wirt," sagte er endlich, als der gut genährte Menschenfreund sich zurückziehen wollte, „erweisen Sie mir den Dienst und sprechen Sie hier nicht von meiner Nationalität. Hier heiße ich Lehmann und bin ein Deutscher, verstehen Sie! Ich habe den betreffenden Herrn einmal gekannt und will mir einen Scherz mit ihm erlauben! Sind Sie einverstanden?" Er gab dem Wirt lächelnd einen freundschaftlichen Klaps auf das runde Bäuchlein. Der andere nickte gutmütig und zog sich zurück.
9. Kapitel.
„Es ist also, wie ich mir gedacht habe," sagte Hell zu sich selber, als er sich am Abend in der Schänkstube bei einem Glas und einer Zigarre niedergelaffen hatte. „Der Fuchs will zwei Ausgänge haben. Er glaubt hier unten freie Hand zu bekommen. Augenscheinlich beginnt ihn der Schuh zu drücken. Erhält der Mann nicht bald pekuniäre Verstärkung, dann hat er böse Aussichten. Es besteht kein Zweifel darüber, daß er nun das Aeußerste wagen will, um das Geld zu bekommen oder sich wenigstens einen Teil davon senden zu lasten.
Er wurde in seinen Betrachtungen dadurch unterbrochen, daß Bühring zur Tür herein trat, an einem Tisch Platz nahm und einen Grog verlangte. Er musterte die Anwesenden scharf, cs waren einige Bauern und ein paar deutsche Handlungsreisende. Unser Held schien zu fühlen, daß der Blick des andern ungewöhnlich lange auf ihm ruhte. Er nahm indessen keine Notiz davon, sondern verbarg sich halb hinter einer Zeitung, in der er anscheinend las. Er bemerkte, daß Bühring an den Schänktisch trat und gedämpft ein paar Fragen an den Wirt richtete. An einigen verstohlenen Blicken erkannte er sogleich, daß von ihm selber die Rede war. Bühring schien sich indessen zu beruhigen, nahm in seiner Nähe Platz und bcstcllte sich ein Abendessen. Hell merkte aber bald, daß sich das Mißtrauen des andern nicht gelegt hatte, und beschloß, auf seiner Hut zu sein. Als Bühring gegessen hatte, zog er eine Zigrrre hervor, neigte sich plötzlich gegen Hell hin und bat in norwegischer Sprache um ein Zündhölzchen.
Hell aber war nicht zu überraschen, er ließ die Zeitung ruhig sinken und antwortete phlegmatisch:
„Pardon, mein Herr, — verstehe nicht!"
Der andere machte in einigermaßen gutem Deutsch seine Entschuldigung und wiederholte seine Bitte, indem er gleichzeitig seinen Stuhl an Hells Tisch rückte und frisch von verschiedenen Dingen zu sprechen begann, worauf der andere leicht einging. Nach einer Weile schlug Bühring ein Spielchen Karten vor.
„Mehr als gerne. Die Zeit wird verdammt lang hier oben an der Grenze, „Welches Spiel wünschen Sie?"
„Nun — z. B. „Sechsundsechzig", es soll dies ein sehr gewöhnliches deutsches Spiel sein, ich habe es ein wenig in Kopenhagen kennen gelernt."
(Fortsetzung folgt.)