Die deutsche Automobil-Woche.
Die erste deutsche Automobil-Woche hat ihren Anfang genommen, diese große Machtprobe des deutschen Automobilismus, die zeigen soll, daß wir Deutschen auf diesem neuen Gebiete ebenso unseren Manu stellen, wie bei allem, was Fortschritt und Kultur bedeutet.
Hatte der deutsche Segelsport bisher seine Kieler Woche, der Pferdesport die Woche zu Baden-Baden, so werden jetzt die Anhänger des modernsten und vielleicht zukunftsreichsten aller Sports, des Automobilsports, ihre Münchener Woche haben. Eigentlich kann man bei dieser bedeutenden Veranstaltung den Sport erst in zweiter Linie erwähnen; die Leiter des großen Unternehmens, der deutsche und der bayrische Automobilklub, haben in Erkenntnis dessen, daß die große» Schnelligkeitskonkurrenzen im Genre des Gordon-Nennet »Rennens vom praktischen und nutzbringenden Standpunkte eigentlich nur »och von minimalem Werte sind und höchstens den großen Motor- und Reifenfabriken zu Reklamezwecken dienen, beschlossen, ganz andere Werte und Gesichtspunkte als nur die reine Schnelligkeit bei deu meisten Konkurrenzen der Münchener Woche in Rechnung zu ziehen.
So werden auch zu der bedeutendsten Veranstaltung des Meetings, der Konkurrenz um den „Her- komer-Preis", keine sogen. Rennwagen, sondern nur Tourenwagen zugelassen werden. Der Anreger und Begründer dieser Konkurrenz ist der berühmte, in England lebende Maler Hubert v. Herkomer, der für dieses Rennen einen herrlichen Preis, von eigener Hand geschaffen, gestiftet hat. Das Kunstwerk, das ganz in Silber ausgeführt ist, soll einen realen Wert von 20000-/6 repräsentieren. Der Preis muß 2mal innerhalb dreier Jahre von ein und derselben Person ge» Wonnen werden, ehe er in ihren dauernden Besitz übergeht. Dann hat Herkomer versprochen, den jeweiligen Gewinner eines jeden Jahres zu porträtieren, eine Ehrengabe, deren Wert auf 10000 -/6 eingeschätzt ist.
Zu der großen Konkurrenz sind im ganzen 105 Wagen gemeldet worden, ein wahrhaft glänzendes Resultat, wenn man die Fülle von großen inter- nationalen automobilistischen Veranstaltungen dieses Jahres berücksichtigt. Als sichere Teilnehmer an der Konkurrenz gelten Prinz Franz Joseph von Batten- berg, ei» Schwager der Königin von Italien, Groß fürst Kyrill von Rußland und eine große Anzahl der bedeutendsten Persönlichkeiten des In- und Auslandes.
Die Konkurrenz um den Herkomer Preis besteht aus vier verschiedenen, von einander völlig unabhängigen großen Veranstaltungen.
Am ersten Tage, am I I. August, findet eine sogen. Schönheitskonkurrenz statt, bei der Bequemlichkeit und Schönheit der einzelnen Fahrzeuge nach Punkten bewertet werden. Aeußere Form, Polsterung, Federung
Die Graphologi«.
Novelle von C. v. Dorn au.
5) - (Nachdruck verboten.)
III.
Am 7. Juli.
Schon 8 Tage weile ich hier, meine liebe „Alte", wie ich Dich, Deines verständigen Wesens wegen, immer in der Pension nannte, und es ist mir fast unfaßlich, daß ich — ichl — habe eine Woche vergehen lassen ohne eine Feder in die Hand zu nehmen. Wer mir das vor einem Monat gesagt hätte I Ich hätte dem Verkündiger so unglaublicher Mär einfach ins Gesicht gelacht! Und doch ift's nun so, ich habe mich neulich zwingen müssen, eine Postkarte an meine gute Friederike zu schreiben.
Ach, Agnes, ich erschien mir ja so alt, so alt; ich kam mir so reif, so fertig, so unpersönlich vor; ich war nur noch ein „graphologisches Auskunfts- bureau" und hatte ganz vergessen, daß ich daneben noch ein Mensch, und zwar ein junger Mensch sei. — „Jetzt fällt s mir allgemach wieder ein, und ich beobachte mit freudigem Erstaunen den Verjüngungs- Prozeß meiner Seele. Aus der heißen, dumpfen Großstadt in die erfrischende Thüringer Waldluft, vom Schreibtische und ernster Berufsarbeit weg in einen Kreis von Menschen versetzt, deren einzige Aufgabe ich jetzt teile: in süßem Nichtstun nur dem eigenen Behagen zu leben. Kannst Du Dir da nicht vor- stellen, daß ich mir oft wie in einem wohltuenden Traume vorkomme?
Der Himmel meint es auch gut mit mir — weiß Wohl, wie not mir ein bischen Sonnenschein tut! Jeden Morgen geht die Sonne strahlend auf, und das allerschönste Sommeiwetter ermöglicht es mir, den ganzen Tag diese wundervolle Natur zu genießen. Oft allein, oft mit der alten Malerin, Fräulein Lilicnbeil, an die ich mich besonders angeschlossen habe, manchmal auch in größerer Gesellschaft, durch.
und Lenkung, Vorrichtungen für Unterbringung des Reisegepäcks, Einfachheit in Bau und Konstruktion rc. kommen hier bei der Wertung in Frage. Die zweite Veranstaltung besteht aus einem Rennen auf den Kcsselberg, die am 12. August auf der 7 Kilometer langen steilen Strecke von Kochel aus auf den Kessel- berg führt. Bei dieser Fahrt kommt die Schnelligkeit erst in zweiter Linie in Betracht, die Wagen sollen nur beweisen, daß sie die bedeutende Steigung ohne Schwierigkeiten zu nehmen in der Lage sind. Die dritte Veranstaltung bildet eine Schnelligkeitskonkurrenz, die am 13. August im Forstenrieder Park auf einer nur 6 Kilometer langen Strecke zum Austrag kommt. Die vierte und letzte Konkurrenz bildet eine 3tägige Tourenfahrt München—Baden-Baden, die vom 14. bis 16. August auf der im ganzen 925 Kilometer langen Strecke am erste« Tage von München nach Baden-Baden, am Dienstag den 15. ds. von Baden-Baden nach Nürnberg und am dritten Tage von Nürnberg über Regensburg zurück nach München führt. Nicht der schnellste Wagen erhält hier die beste Wertung, sondern derjenige, der am wenigsten von Funktionsstörungen rc. betroffen wurde. Die Tourenfahrt bildet also lediglich eine Zuverlässigkeits-Konkurrenz, während die Fahrgeschwindigkeit überhaupt keine Rolle spielt; es ist sogar eine Mindest, zeit festgesetzt, die nicht überschritten werden darf. Die Bewertung der Leistungen erfolgt auch bei dieser Konkurrenz wie bei den drei vorhergegangenen durch Punktwertung. Die Zusammenziehung der Punkte dieser vier Konkurrenzen ergibt dann den diesjährigen Gewinner des Herkomer-Preises.
Aber auch die richtigen Sportsenthustasten, die an den Rennungelümen, die 120 und mehr Kilometer in der Stunde zurücklege», ihre Freude haben, kommen auf ihre Rechnung. Am 12. und 13. August, also zusammenfallend mit der Herkomer-Konkurrenz, findet eine Wettfahrt für große Rennwagen statt, die nach dem Stifter der über 10000 ^ betragenden Preise, Baron James v. Bleichröder, den Namen „Bleichröder-Rennen führt. Zu dieser Wettfahrt, die auf der Rennstrecke der Tourenfahrt zum Austrag gelangt, haben die bedeutendsten deutschen, französischen, österreichischen und italienischen Automobil firmen Wagen gemeldet:
Neben den Automobilen kommen auch die Motorräder zu ihrem Recht. Die deutsche Motorfahrer- Vereinigung veranstaltet eine Wettfahrt, zu der ca. 60 Motorradfahrer sich gemeldet haben. Das Rennen, das ebenfalls mit bedeutenden Geldpreisen dotiert ist; findet in zwei Klassen statt, bei denen Größe und Schwere der Maschinen ausschlaggebend ist. Im An- schluß an diese Veranstaltung findet dann noch eine Wettfahrt für kleine Automobile statt, die den Ver- kaufspreis von 3500 nicht überschreiten.
Wie schon mehrfach mitgeteilt, nimmt die Touren, fahrt vom 14.-16. August ihren Weg auch durch Württemberg. Wir führen in nachstehendem diejenigen württ. Orte auf. die von den Tourenfahrern berührt werden. Die Fahrt geht von München ab am Montag den 14. August früh 5 bis 7 Uhr, und zwar zunächst über Augsburg. Frühestens 9 Uhr morgens find die Fahrer in Ulm (Kontrollstation) zu erwarten. Bon hier geht es dann über Herrlingen, Blaubenreu, Suppingen, Feldstetten, Zainingen, Böhringen nach Urach (Kontrollstation). Ankunft daselbst frühestens 11^2 Uhr. In Urach muß jeder Wagen eine einstündige Mittagspause machen. Die Fahrt wird dann fortgesetzt über Dettingen, Metzingen, Reutlingen, Betzingen, Tübingen, Unterjettingen, Entringen, Herrenberg, Oberjettingen, Nagold, Alten- steig, Pfalzgrafenweiler, Aach nach Freudenstadt (Kontrollstation). Ankunft daselbst frühestens 4 Uhr. Dann geht es weiter über Baiersbronn, Kloster- reichenbach, Schönmünzach usw. nach Baden-Baden (Kontrollstation). Ankunft frühestens '/2 7 Uhr. Zielschluß 9 Uhr abends. Am Dienstag den IZ. August (Startzeit 5 bis 7 Uhr) geht die Fahrt von Baden-Baden über Herrenalb (5.50 morgens), Dobel, Höfen, Calmbach (6.30 morg.), Hirsau, Calw, Althengstett, Simmozheim, Weil der Stadt, Remlingen, Eltingen, Solitude, durch die Rotenwald- straße nach Stuttgart (Kontrollstation). Ankunft hier frühestens 9'/t Uhr vorm. In Stuttgart ist nur ein zwangloser Aufenthalt vorgesehen. Auf dem Gewerbe- Halleplatz wird Gelegenheit zum Benzinfassen geboten. Von hier auS haben die Wagen den Weg durch die Kanzleistraße, Schloßplatz (am alten und neuen Schloß vorbei) und die K. Anlagen zu nehmen. Die Fahrt ! sitzt sich dann fort über Cannstatt, Waiblingen, ^ Endersbach, Schorndorf, Plüderhaufen, Lorch. Gmünd, Mögglingen nach Aalen (Kontrollstation), dann weiter über Wasseralfingen. Goldshöfe, Schwabsberg. Ell- wangen, Dietrichsweiler, Jagstzell, Jagstheim, Crails- heim, Sattcldorf, Gröuiugeu, Wallhausen, Rot a. See, Musdorf, Brettheim nach Rothenburg o Tbr. und Nürnberg. Am Mittwoch den 16. August schließt die Tourenfahit in München. Früheste Ankunft daselbst 1.15 Uhr nachm. Zielschluß 6 Uhr abends.
Verschiedene Flaggenzeichen sollen sowohl die Fahrenden als auch das Publikum zur Vorsicht mahnen. Weiße Flaggen bedeuten Richtungsflaggen bei Wegkreuzungen, blaue Flaggen mahnen die Fahrer zum vorsichtigen Fahren, gelbe Flaggen diene» der > Ortskommissären zum Anhalten der Wagen. M Standort der Ortskommissäre wird über die ganze , Straße hinüber ein weißes Flaggentuch gezogen. Die Orlskommissäre haben von jedem Wagen die genaue Ankunftszeit zu notieren.
streife ich die Umgegend, die herrlichen Wälder, er- klettere die nächsten Berge oder mache größere Aus- flüge. Denn Du mußt wissen, daß ich schon ganz umgänglich geworden bin und mich wieder an meine Mitmenschen zu gewöhnen anfange — zur großen Freude der guten Doktorleute. Mit einigen von ihnen kann ich schon so gemütlich plaudern, als ob
ich's schriftlich täte und nicht blos mündlich.-
Mein besonderer Liebling ist die „dicke Dame" — so nennt man sie im ganzen Kurhause — mit ihren zwei bildhübschen und wohlerzogenen Knaben. Sie ist die Frau des Bildhauers Fascher, unseres namhaften Künstlers, die Tochter eines bekannten Gelehrten, und die gutherzigste, taktvollste und bescheidenste Frau, die je über zwei Zentner wog. Sehr liebe ich auch ihre beiden Lockenköpfchen, von denen der eine mit den lustigen, braunen Rehlichtern der Mutter in die Welt sieht, der andere mit großen, geheimnisvoll verschleierten Augen, in denen des Vaters Künstler- fiele zu schlummern scheint.
Jetzt ist noch ein altes Ehepaar «»gekommen, das mich von der Doktorin trennt. Dadurch sitze ich jetzt dem Polen gerade gegenüber, was keine Annehmlich, keit für mich ist — der Mann hat eine so eigen- tümliche Art und Weise, mich mit seinen brennenden Augen unverwandt an Zusehen, auch wenn er nicht mit mir spricht, daß ich oft peinlich dadurch berührt bin. Ueberhaupt ist er mir unheimlich; auf meinen einsamsten Spaziergängen taucht er oft plötzlich ganz unvermutet vor mir auf, und ich kann wahrhaftig seit den letzten Tagen nicht umhin, diese häufigen Begegnungen für nicht rein zufällige zu halten. Jedenfalls spreche ich so wenig wie möglich mit ihm und weiche ihm tunlichst aus.
Nur gestern abend hatte er mich Wider meinen Willen gefesselt — ich stand nach dem Abendessen im Konversationszimmer am Fenster und wartete auf die alte Malerin, die sich das unvermeidliche Plaid holte, um noch mit mir einen Abendspaziergang zu machen. Da erklang plötzlich hinter mir der Flügel
unter Meisterhänden. — Der Pole war leise ringe- treten, hatte sich an das geöffnete Instrument gesetzt und überschüttete mich nun mit einer Fülle von köstlichen Melodien. Er hatte noch nie hier gespielt, sondern stets behauptet, daß er zu nervös sei, um auch nur eine Taste zu berühren. Desto mehr überraschte mich jetzt sein wundervolles Spiel. Auch die Gäste, die sich vor dem Kurhause ergingen, blieben l laufchend unter dem offenen Fenster stehen, und Fräulein Lilienbeil schlich wie ein Kätzchen ins Zimmer und setzte sich mit gefalteten Händen auf einen Stuhl neben der Tür.
Plötzlich schloß der Spieler mit einem rauschenden Akkorde, erhob sich schnell und trat mit ein Paar raschen Schritten zu mir in die Fensternische. Er beugte sich über mich und flüsterte: „Gefiel Ihnen das?'
„O, ich bin bezaubert!' rief ich, unwillkürlich hingerissen.
„Das war meine Absicht!' sagte er mit einem stolzen Lächeln und verließ das Zimmer ohne ein weiteres Wort. Fräulein Lilienbeil ergriff meinen Arm und ging stillschweigend mit mir hinaus. Draußen auf den Promenadenwege aber begann sie zu pfeifen: „Ein toller Wolf in Polen fraß —", bis ich sie erzürnt ersuchte, still zu sein.
Außer diesem nnhr interessanten als angenehmen Künstler ist die junge Herrenwelt noch durch einen unglaublich eingebildeten Gardeleuluant, einen ebenso unglaublich schüchternen Kandidaten, einen netten, kleinen Fähnrich und — last not least — durch den Handlungsreisenden Feodor Süßkind aus Leipzig vertreten, welch letzterer ungemein höflich und ritterlich ist und jeder Dame ohne Ansehen des Alters den Hof macht. — Junge Mädchen sind natürlich reichlich vorhanden, eine Pastorenfamilie ist allein mit 4 Töchtern gesegnet. Mit den jungen Damen werde ich merkwürdiger Weise am schlechtesten fertig, ich glaube ich schüchtere die jüngsten ein und die älteren wissen nicht recht, was sie aus mir machen sollen. — — (Fortsetzung folgt.) —
Redaktion, Druck und Verlag von L. Meeh in Neuenbürg.