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Reueubürg, Montag dm 26. Juni 1905.

63. Jahrgang.

AunSschau.

Berlin, 24. Juni. Der größte Teil der Offi­ziere deS großen Generalstabs hat sich nach den Reichslanden begeben, wo in den nächsten Wochen die diesjährige große GeneralstabSreise unter Leitung des Chefs des großen GeoeralstabS, deS Generals Grafen Schlieffen. ßattfindet. Soweit bekannt, dürfte die Gegend südlich von Saarburg der Schau­platz des markierten Kriegstheaters sein. Diese Tat- fache hat in der englischen Presse zu Kombinationen im Zusammenhang mit der Marokko-Frage Veran- lassmig gegeben. Solche Kombinationen sind, nach der ,Nat.°Ztg.", umsoweniger stichhaltig, als diese Generalstabsreise in den Reichslanden alljährlich im Juni stattfindet; auS bestimmten Gründen ist dies- mal allerdings der Zeitpunkt der Uebungsreise später gelegt worden.

In der Ansprache, die der Zar am IS. Juni an die Semstwovertreter in Peterhof hielt, hat er u. a. eine Ordnung der Dinge in Aussicht gestellt, welche de»echten russischen Grundsätzen- entspricht. Fast wie ein Hohn auf diese Worte nimmt sich das Stückchen aus, das sich die russische Bureaukratie neuestens geleistet hat. Die Oberpreßbehörde hat nämlich den Zeitungen untersagt, fernerhin die Rede des Kaisers an die Semstwoabordnung zu interpretieren; als Grund wurde angegeben, einige Blätter hätten die Worte des Kaisers, obgleich sie nicht den geringsten Hinweis auf die Möglichkeit einer Aenderung der Staatsgrundgesetze enthalten, doch dahin ausgelegt, daß die Einberufung einer Volksvertretung auf der Grundlage, wie sie in den konstitutionellen Staaten Westeuropas vorhanden sei, bevorstehe. Nun stehen auch in dem vorsichtig redigierten amtlichen Text der kaiserlichen Ansprache immer »och die Worte:Die Frage der Heran­ziehung gewählter Vertreter zur Mitarbeit an den Staatsgeschäften wird ordnungsmäßig erledigt werden." So wenig das ist zu leugnen, daß hierein Hinweis auf die Möglichkeit einer Aeuderung der Staatsgrundgesetze" vorliege, erfordert doch eine mehr als halbafiatische Dreistigkeit. Neben solchen Leistungen werden Kommissionen zur Vorberatung einer größeren Freiheit der Presse zur höhnischen Farce. Ist es ein Wunder, daß in dem von solchem Geiste regierten, nein, gepeinigten Volk die Flamme des Aufruhrs nicht erlöschen will? Schon ist der Brand in Polen in Hellen Flammen wieder auf­gelodert, so daß er selbst über die himmelhohen Mauern russischer Zensur zu uns herüberleuchtet. Und schaudernd denkt man an die vielen blutigen Ausbrüche der Empörung, von denen keine Kunde über die ängstlich behütete» Grenzen dringt.

Lodz, 24. Juni. Hier kamen während der ganzen Nacht blutige Aufruhr-Szenen vor. Fast ununterbrochen hörte man Gewehr-Salven, und es ereigneten sich schreckliche Szenen. Die Zahl der Opfer wird auf 2000 Tote und Verwundete ange­geben. Auch viele Militärpersonen find gefallen. Zwei Bomben sind geworfen worden. Aller Be­trieb stockt.

Warschau, 24. Juni. Wie dem Kurjer Wars- zawsky aus Lodz gemeldet wird, begannen die Kämpfe, nachdem in allen Fabriken der Ausstand ausgebrochen war, an zwanzig Stellen der Stadt, an denen Barrikaden errichtet waren, die eine Höhe von zweistöckigen Häusern erreichten. Es griffen gegen 60000 bewaffnete Arbeiter vier Regimenter! Infanterie, ein Kosakenregiment und ein Lragoner- regiment, die General Exten befehligte, au. Die Barrikaden wurden von den Truppen mit Hilfe von Sappeuren gestürmt. Eine Infanterie- und eine Kavalleriedivision sind zur Verstärkung der Garnison ln Lodz eingerückt.

Lemberg, 19. Juni. Der Schah von Persien hat während seines hiesigen Aufenthaltes mit seinem Gefolge im HotelGeorge" Wohnung genommen,

j woselbst er 46 Zimmer sowie die entsprechende Zahl , von Nebenräumlichkeiten inne hatte. Die Hotel- rechnung betrug 48 000 Kronen. Der Hofzahlmeister fand die Hotelrechnung zu hoch und machte dem Hotelier Vorstellungen. Der Hotelier verwies jedoch darauf, daß er für den Schah und das Gefolge eine eigene Küche habe einrichten müssen und diese Aus­gabe, sowie die für die Speisen allein betrug 18000 Kronen. Schließlich wurde ein Ausgleich erzielt, dem- zufolge die Hotelrechnung mit 44000 Kronen liqui­diert wurde.

Speyer a. Rh, 22. Juni. Seit nahezu sechs Jahrzehnten ist das Pfälzische Hauptmissions­fest der Sammelplatz derer die feststehen auf dem biblisch-evangelischen Glauben und aus dem Bekenntnis der Reformation. Heute am Donnerstag wurde dasselbe für dieses Jahr in unserer herrlichen Gedächtniskirche, welche von den Evangelischen der ganzen Welt erbaut wurde, abgehalten. Bereits eine Stunde vor Beginn des Gottesdienstes waren die riesige» Räume von Festbesuchern aus allen Teilen des Landes geradezu überfüllt. Dekan Römer von Nagold hielt die geistesmächtige Fest­predigt über den Misfions- und Taufbefehl Matthäi 28,18. Wohl selten bekamen wir auf unserem Fest eine so trefflich biblisch fundamenticrte Predigt, die zugleich Herz und Gewissen anfaßte, zu hören. Dekan Hoffmann, der Vorstand des pfälzischen Misfionsoereins, nahm die Ordination eines aus­ziehenden Basler Missionszöglings vor. Die beiden Missionare, Maier-China und Ruhland- Indien, wußten von ihren Erlebnissen auf dem Misfionsfelde fesselnd zu berichten. Am Nachmittag waren die Vorträge der beide» Missionare wieder überaus stark besucht. Die Festkollekte ergab 223» -4k Noch wollen wir erwähnen, daß zahlreiche und wertvolle Schmuckgegenstäude auf die Opferteller gelegt wurden.

Leipzig, 22. Juni. Eine das Publikum stark interessierende, von den Druckern und Maschinen­meistern des Buchdruckereigewerbes veranstaltete inter­nationale Zeitungsausstellung ist hier im Buch- gewerbehause eröffnet worden. Sie bietet einen Ueberblick über nicht weniger als 4000 deutsche und 1900 ausländische Zeitungen und Zeitschriften, von denen erstere nach Parteien, letztere nach Fachgruppen geordnet sind. Besondere Beachtung verdient eine Sammlung von 60 Zeitungen, die auf ein mehr als lOOjähriges Bestehen zurückblicken. Einzelne von ihnen haben Erinnerungsbände zur Verfügung ge­stellt, so dieGeraer Zeitung",Darmstädter Zeit- ung",Hamburger Nachrichten",Schlesische Zeit- ung",Schwäbischer Merkur". Unter anderem ist eine Leipziger Zeitung aus dem Jahre 1660 aus- gestellt. Europa ist mit fast allen Staaten vertreten, so Griechenland mit 29, Oesterreich-Uugarn mit etwa 500, Türkei mit 11, Arabien mit 2, Schweiz mit 100, Frankreich mit 65, Belgien mit 100, Holland mit 50, Spanien mit 175 Zeitungen. Ferner findet man Zeitungen aus Afrika, Amerika, China, Japan, Indien und Australien. Sogar die nördlichste aller Zeitungen ist da zu sehen, dieSpitzbergens Gazette".

Eine neue Roheit der sozialdemokratischen Presse sollte man nicht verfehlen, niedriger zu hängen. DieLeipz. Volksztg." gibt einem Artikel, in dem sie gegen den erkrankten freisinnige» Abg. Eugen Richter vorgeht, die UeberschriftEin Strolch noch ich Sterben". Von einem Einspruch der anderen sozialdemokratischen Blätter gegen diese unsägliche Roheit ist noch nichts bekannt geworden.

Frankental, 21. Juni. Schwerer Vergehen gegen das Nahrungsmittelgesetz hat sich der wegen eines gleichen Vergehens schon einmal vor­bestrafte 59 Jahre alte Makler Christian Machwirth von Muudeuheim schuldig gemacht. So hat er, als ihm ein verendetes Schwein überlassen wurde, das teilweise schon in Fäulnis übergegangene Fleisch, obwohl es in hohem Maße gesundheitsschädlich war, zu verkaufen und an de« Mann zu bringen gewußt.

j In einem andern Falle hat er eine an hochgradiger Tuberkulose erkrankte abgemagerte Kuh, die ihm um einen niedrigen Kaufpreis überlassen worden war, geschlachtet und das Fleisch zum Preise von 60 für das Pfund ausgeboten. Das Fleisch hat ein gelbes Aussehen gehabt und ist nach dem von einem Sachverständigen erstatteten Gutachten gesundheits­schädlich und zur menschlichen Nahrung durchaus ungeeignet gewesen. Der Angeklagte will zwar davon, daß die Kuh an Tuberkulose erkrankt war, nichts gewußt haben, doch wird ihm die Unwahrheit dieser Behauptung nachgewiesen. Daß er die Krankheit der Kuh genau kannte, geht daraus hervor, daß er bei der Schlachtung sogleich die Lunge entfernte, wie er den» auch der Fleischbeschau sich entzog. Die hiesige Strafkammer, vor der sich Machwirth heute zu verantworten hatte, erkannte gegen ihn mit Rücksicht auf die Gewissenlosigkeit, die seine Hand­lungsweise bedingt, unter Anrechnung von einem Monat und 14 Tagen der erlittenen Untersuchungs­haft aus 7 Monate Gefängnis. Gegen den 30 Jahre alten Metzger Friedrich Müller von Mundenheim, der die Hälfte des Fleisches der Kuh erhalten und zur Herstellung von Wurst verwendet haben soll, wird später verhandelt werden.

In Frankreich wurden im verflossenen Jahre 66276444 Hektoliter Wein produziert. Hiezu kommen noch 160000 Hektoliter korsischen und 6 Millionen Hektoliter algerischen Weines.

Der Fabrikant v. Lenz in Traisen in Nieder­österreich hat seit mehreren Wochen Differenzen mit einem Teil seiner Arbeiter, die ihn zur Anerkennung der sozialdemokratischen Organisation zwingen und ihm vorschreiben wollen, welche Arbeiter er aufuehmeu und welche er entlassen soll. DieGenossen" über­fielen den Fabrikanten aus offener Straße, bom­bardierten ihn uud seine Frau mit Steinen und schlugen ihm dabei zwei Zähne ein. Am darauf­folgenden Tage wurde in Rohrbach der Abgeordnete Dr. Schleicher von einer Rotte Sozialdemokraten überfallen, mit Steinen beworfen, aus dem Wagen gerissen, mit Füßen getreten und mit eisernen Schlag­ringen bearbeitet. Schwerverletzt wurde Dr. Schleicher zu einem Arzte gebracht, und man befürchtet, daß er das eine Auge vollständig verlieren wird. Die feigen Schandbuben aber ergriffen die Flucht.

Tie Auflösung der skandinavischen Union.

König Gustav IV. von Schweden hatte sich als eigensinniger Franzosenhasser dem Frieden von Tilsit (Juli 1807) nicht angeschlossen. In dem Wahn be­fangen,das apokaliptische Tier", Napoleon", allein stürzen zu können, wies er die Gesandten Preußens und Rußlands aus Stockholm aus und brachte da- durch sein Volk und seinen Thron in die größte Be- drängnis. Die Russen drangen in Finnland ein, die Franzosen eroberten das damals noch schwedische Stralsund und die Insel Rügen. Zwei Jahre später wurde Gustav IV. von seinem eigenen Volke vom Throne vertrieben, sein alter kinderloser Onkel Karl (XIII.) wurde auf den Thron berufen und bald darauf der französische Marschall Bernadotte zum Thronfolger erklärt. Später kämpften die Schweden unter Bernadotte mit den Verbündeten gegen Napo- leon bei Großbeeren, Lennewitz und Leipzig. Als Lohn dafür fiel ihnen auf dem Wiener Kongreß das bis dahin mit Dänemark vereinigte Königreich Nor- wegen zu. Dänemark war durch die Völkerrechts- widrige Bombardierung Kopenhagens und die Weg­nahme der dänischen Flotte durch die englische (1807) in die Arme Napoleons getrieben worden und ent­sagte erst im Kieler Frieden (Januar 1814) Lem französischen Bündnis.

Die einfache Einverleibung Norwegens in Schwe- den, wie sie bei der großen Bereinigung der Land­karte Europas in Wien sanktioniert worden war, scheiterte an dem kräftigen Sinne der Norweger Erst nachdem der schwedische König ihnen eine un»