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das auf dem Dampfer La Champagne hier angelangt war, zu trauen. Zwei Geistliche? Ja, zwei, weil die Liebenden zwei verschiedene Sprachen redeten und einer die Sprache des andern nicht verstand. Rev. Gambera stellte an den Bräutigam die üblichen Fragen in italienischer Sprache, und Pfarrer Nageleisen vom'Leo-Hause befragte die Braut auf Deutsch. Es war eine Trauung, wie sie auf Ellis Island noch nicht vollzogen worden war. Der Bräutigam war Andrea Pachino aus dem italienischen Tirol und die Braut war Klara Degrotte aus Luxemburg. Das Paar unterhielt seit zwei Jahren eine Liebschaft, ohne daß sie italienisch und ohne daß er deutsch verstand. Die Trauzeugin, Frau Regina Stücklin, fragte die Braut, wie das möglich sei, und die fesche Luxemburgerin antwortete, daß sie jede Gebärde ihres Bräutigams verstehe und sie sich sehr lieb hätten. Nach der Trauung durfte das sonderbare Ehepaar seiner Wege gehen.
— Man meldet aus Bremerhaven: Der Fischereidampfer „Kommandant" ist von seiner Fangreise in der Nordsee bisher nicht heimgekehrt. Es gilt als wahrscheinlich, daß der Dampfer mit 10 Mann untergegangen ist. — In der Nacht vom Mittwoch auf Donnerstag wurde an Bord des im Kaiserhafen zu Bremerhaven liegenden Dampfers „Karlsruhe" Rauch bemerkt. Bei näherer Untersuchung stellte sich heraus, daß einige zur Ladung gehörige Baumwollballen in Brand geraten waren. Das Feuer konnte rasch gelöscht werden. Die beschädigten Ballen wurden entladen. Der Dampfer hat keinerlei Beschädigung erlitten. — Ein schwerer Unglücksfall ereignete sich Mittwoch Nachmittag in der Eisengießerei Montagne in Marseille. Mehrere Arbeiter waren damit beschäftigt, mit Hilfe zweier Krahnen einen 2000 Kilo schweren Eisenblock zu verladen. Plötzlich riß eine der Ketten, an welcher derselbe in der Luft schwebte, und die mächtige Eisenmasse stürzte zu Boden. Zwei der Arbeiter, Valentin Fritz und Jean Ferrero, wurden erschlagen und zu Brei zerquetscht. Ersterer hinterläßt 6, letzterer 5 kleine Kinder.
Geflügelzucht.
Die Geflügelzucht, eines der „kleinen" Mittel der Landwirtschaft könnte auch bei uns ein großes Mittel genannt werden, wenn eben unsere Landwirtschaft etwas mehr darin leisten würde. Der Herausgeber der Fachzeitschrift „Nutzgeflügelzucht", W. Cremat, hat jetzt in einer Flugschrift: „Wie Milliarden in der deutschen Landwirtschaft verloren werden", eine sehr scharfe Kritik der deutschen Geflügelzucht geliefert, indem er die Schuld der Thatsache, daß Deutschland in jedem Jahrfünft fast eine Milliarde für Geflügelprodukte an das Ausland bezahlen muß, den verkehrten Zuchtprinzipien beimißt, die nach seiner Auffassung in unserer Landwirtschaft herrschen. Er sucht unter anderem nachzuweisen, daß Hühnerrasfen, die einst 180 bis 200 Eier pro Huhn und Jahr legten, jetzt auf eine Produktion von 60 bis 80 gesunken sind, und schreibt: „Ueber ganz Deutschland sind etwa 1200 Sport-Geflügelzuchtvereine mit rund 100000 Mit
gliedern verbreitet. Diese Sportgeflügelzüchter haben nur einen Ehrgeiz, nämlich die Erringung von Preisen auf den zahlreichen von Behörden, Provinzen und Städten unterstützten Sportausstellungen. Mit Hilfe dieser Preise treiben sie dann schwunghaften Bruteierhandel, durch welchen alljährlich Millionen von unbrauchbaren Tieren in die Landwirtschaft eindringen. Ja, nicht nur unbrauchbar sind diese Tiere, sondern direkt schädlich, weil sie ausschließlich auf die Farbe gezüchtet werden, wodurch ihre Legeeigenschaften verkümmern müssen, und weil ihr schönes Federkleid durchweg mit einem auf Täuschung beruhenden Mittel, nämlich der Einkreuzung fremder Raffen und Stämme und der Doppelpaarungsmethode erzielt ist. Während also den Landwirten immer vorgeredet wird, daß sie Rassetiere cinführen müßten, um die Erträge zu steigern, und daß diese Tiere reinrassig seien, sind sie nichts weiter als der allergewöhnlichste Kreuzungsschund in einem glänzenden Federkleide." — Es wäre zu wünschen, daß diese offene Aussprache, um die wir Hrn. Cremat beloben, manchen Sportzüchter veranlassen möchte, künftig sein Augenmerk auf die Vermehrung der besten Eierleger unter seinem Stamm zu richten. Gerade wie die Erzielung der schönsten farbigen Tiere, von denen wir nun viele haben, würde auch die stetige Zusammenstellung der produktivsten Tiere dem Züchter Befriedigung gewähren.
Hlekkameletk.
Das Simonsbrot. Wer die im September 1891 in der Stuttgarter Gewerbehalle abgehaltene Bäckerei-Ausstellung besucht hat, wird sich erinnern, dort eine Maschine der Firma F. I. Gelink in Riga im Betriebe gesehen zu haben, welche die direkte Ueberführung des Korns in backfähigem Brotteig bezweckte. Durch dieses Verfahren sollten dem Korn die beim üblichen Mahlprozeß verlorengehenden Nährwerte erhalteu bleiben und die an sich unverdaulichen Kornhüllcn, welche aber die für den menschlichen Körper so wichtigen Nährsalze einschließen, durch geeignete Behandlung verwendbar gemacht werden. Man hat von dieser Neuerung bei uns seither wenig mehr erfahren; jetzt aber scheint die Sache wieder mit Energie aufgegriffen zu werden. Dem Westfalen Gustav Simons ist es gelungen, das Verfahren und die zu demselben notwendigen technischen Hilfsmittel so zu vervollkommnen, daß der praktischen Einführung keine weiteren Hindernisse mehr im Wege stehen. In kurzer Zeit hat die Nachfrage nach dem neueu Brot die Errichtung von 25 Fabriken im deutschen Reiche notwendig gemacht; die 23. wurde Mitte Oktober 1902 in Stuttgart dem Betrieb übergeben. Wir haben, so schreibt das „N. Tgbl.", uns durch Besichtigung der Fabrik bei Inbetriebsetzung überzeugt, daß dieselbe sehr zweckmäßig eingerichtet ist und durch ihre maschinellen und anderen technischen Vorkehrungen ein rationelles Arbeiten verbürgt wird. Es ist anzunehmen, daß sich
der neuen Brotbereitung bald ein lebhaftes Interesse zuwenden wird. Wir halten aus diesem Grunde eine kurze Erläuterung der für dieselben wesentlichen Vorgänge für angebracht. Das erst gründlich gereinigte und gewaschene Getreide wird in einem Bottich mittels warmen Wassers angemälzt. Durch das beginnende Keimen werden die Nährstoffe des Korns für die Verdauung besser aufgeschlossen, der unlösliche Kleber in lösliche Stärke (Dextrin) und diese in Zucker (Maltose) übergeführt. Um keinen Verlust an Nährstoffen und keine für den Geschmack des Brotes nachteilige Wirkung herbeizuführen, muß der Keimprozeß sorgsam überwacht und rechtzeitig unterbrochen werden. Durch besondere Maschinen wird das angemälzte Korn direkt zu Teig verarbeitet, in welchem die Lockerung ohne Zusatz von Hefe durch Eigengäre herbeigeführt wird. Der backfähige Teig kommt, nachdem er durch entsprechende Vorrichtungen in einzelne Laibe zerteilt ist, in den mit Holz geheizten Ofen und wird bei milder Hitze fertig gebacken. Die Backzeit beträgt für Roggenbrot 12 Stunden.
Lmi-wirtschastl. Kyirksverein.
Am Montag, den S. Februar, (Ltcht- metzfeiertag), nachmittags S Uhr, findet im Gasthof zum Badischen Hof in Calw die jährliche
Generalversammlung
statt mit folgender Tagesordnung:
1. Vortrag des Herrn Bauinspektors Friz, über landwirtsch. Bauwesen,
2. Vortrag des Kassen- und Rechenschaftsberichts pro 1. April 1901/02.
3. Verteilung der Diplome von der letzten staatlichen Bezirksrindviehschau.
4. Verlosung von landwirtschaftl. Schriften.
Jedermann ist freundlichst eingeladen. Calw, 24. Januar 1903.
Vereinsvorstand Voelter, Regierungsrat.
LandmrWftt. KeDmrein Calw.
Infolge der durch das Bürgerliche Gesetzbuch wesentlich verschärften Haftpflichtbestimmungen wurde seinerzeit mit der
„Wilhelma" in Magdeburg (Subdirektion: Albert Schwarz, Bankgeschäft in Stuttgart) ein Vertrag betreffend
Haftpflichtversicherung
abgeschlossen.
Tie verehrlichen Mitglieder genießen durch diesen Vertrag bedeutende Vergünstigungen sei sehr mäßigen Prämien und wird den Mitgliedern in ihrem Interesse empfohlen, von der Versicherung bei der „Wilhelma" in Magdeburg Gebrauch zu machen.
Herr Albert Schwarz, Bankgeschäft in Stuttgart, sowie die Herren B-zirksagenten sind zu jeder gewünschten Auskunft gerne bereit.
Calw, 24. Januar 1903.
Vereinsvorstand Reg.-Rat Voelter.
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den Kerl! Setzen wir ihm mit einem acht- bis vierzehntägigen Untersuchungsarrest zu, so wird er wohl bekennen."
„Nun, was sagen Sie, Herr Bankdirektor? Wollen wir die Verhaftung des Buchhalters beschließen?"
„Ich kann da keinen Rat geben. Handeln Sie nach Gutdünken."
Nach beendeter Comptoirzeit in der Bank wurde Bühring von zwei Detektivs in Zivil verhaftet, zum großen Erstaunen seiner Kollegen und zum noch größeren Schrecken Bührings selbst.
Gleichzeitig erhielt Miß Florina Befehl, die Stadt nicht zu verlassen, sondern jeden Tag auf dem Polizeibureau zu erscheinen, bis die Angelegenheit erledigt sei.
Die Sache kam bald vor Gericht, das diesmal einen ungewöhnlich harten Stand hatte. Die sonnenklarsten Beweise wurden vorgelegt, aber vergebens.
Miß Florina mußte Auskunft geben, daß sie wiederholt kostbare Geschenke erhalten hatte, die nicht „mit der Post" gekommen waren und nicht bloß „ihrem schönen Gesang" galten; der Annoncensammler wurde schließlich gezwungen, zu sagen, daß Bühring in Wirklichkeit der Bezahlende war. Der Dienstmann, der das Rubinkollier gekauft hatte, war zur Stelle gebracht worden und erklärte, daß Bühring durch ihn den Schmuck hatte kaufen lassen.
Aber alles umsonst! Kein Geständnis, keine Erklärung kam über die Lippen des Angeklagten. Er behauptete nur, eine größere Summe Geld auf erlaubte Weise erworben zu haben, aber auf welche, das wollte er nicht verraten. Man drang auf das Hartnäckigste in ihn, zu gestehen, wo er das Geld verborgen hatte, aber ohne Erfolg.
Endlich stellte er sich völlig stumm; er erklärte, daß er nichts mehr zu
sagen habe. Als das Gericht sah, daß unter keinen Umständen mehr etwas aus ihm herauszubringen war, verurteilte es ihn auf die Indizien hin zu fünf Jahren Strafarbeit.
Miß Florina wurde des Landes verwiesen, die Anklage gegen den Annoncensammler aus Mangel an Beweisen fallen gelassen.
Rygge war wütend. Die Gratifikation wurde in Folge der geringen Resultate kleiner, als er erwartet hatte.
Etwa fünf Jahre nach den vorhin erzählten Ereignissen und gleich, nachdem Bühring seine Strafe verbüßt hatte und wieder auf freien Fuß gekommen war, geschah es eines Vormittags, daß ein intelligent aussehender Mann mittleren Alters sich an einen der Beamten der Bank wandte und fragte, ob ihm nicht eine Privatunterredung mit dem Bankdirektor gestattet würde, worauf er sogleich auf das Comptoir desselben gewiesen wurde.
Der Direktor ersuchte ihn höflichst, Platz zu nehmen und fragte, womit er dienen könne.
„Herr Bankdirektor — ich weiß nicht, ob Sie mich wieder kennen — mein Name ist Oskar Hell.
„Ja, ich erkenne Sie wieder. Sie sind ja der Sohn meines alten Geschäftsfreundes. Sie sind alt geworden, seit ich Sie zuletzt gesehen habe. Wie gesagt, kann ich Ihnen mit etwas dienen-"
„Umgekehrt, ich komme, um Ihnen meine Dienste anzubieten."
„So, Sie wünschen vielleicht eine Stelle?"
„Nein, nein, das ist nichts für mich. Ich habe Widerwillen vor den Comptoirstühlen. Nein, ich möchte versuchen, Ihnen das Geld wieder zu verschaffen, um das Bühring Sie betrogen hat." (Forts, folgt.)