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Amts- und Anzeigeötatt für den Zezirk Galw. 78. Jahrgang.
Erscheinungstage: Dienstag, Donnerstag, Samstag, Sonntag. Jnsertionspreis 10 Pfg. pro Zeile für Stadt und Bezirksorte; außer Bezirk 12 Pfg.
Donnerstag, den 8. Januar 1903.
Abonnementspreis in der Stadt pro Vierteljahr Mk. 1.10 incl. Trägerlohn, im Nachbarortsverkehr einschließl. Zusrellungs- gebühr Mk. 1.20, außer der 10 Kilom.-Zone Mk. 1.Ä).
Bestellttngsrr
auf das Wochenblatt für das I. Vierteljahr 1903 werden noch von allen Postämtern, Postboten und den Austrägern angenommen. Noch in der ersten Hälfte des Januar eintretende Abonnenten erhalten sämtliche erschienenen Nummern nachgeliefert.
Amtliche Aekanntmachungen.
Die Herren Ortsvorsteher
werden zu rechtzeitiger Anzeige über den letztjährigen Anfall von Schuldklagen und bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vor den Gemeindegerichten aufgefordert. Calw, 2. Januar 1903.
K. Amtsgericht. Oberamtsrichter Fischer.
Die Ortsschulbehörden
werden an umgehende Erledigung des oberamtlichen Erlasses vom 11. November 1902 betr. die neuen Vorschriften über die Kassenführung und Kassenkontrolle — Calwer Wochenblatt Nr. 137 — und Vorlage der Protokoll-Auszüge, soweit dies noch nicht geschehen, erinnert.
Calw, 5. Januar 1903.
K. gem. Oberamt in Schulsachen.
I. V.: Amtm. Rtppmann.
ZW ImMemMcriiiWgesctz.
Jolgeu der versäumten Kkevepflicht. Kirre Mahnung an Arbeitgeber und Versicherte.
Das neue Jnvalidenversicherungsgesetz ist das Ergebnis von Erfahrungen und hat deshalb auch seine Paragraphen, die mißbräuchliche Ausnützung des Gesetzes durch gleichgültige Ver
sicherte ausschließt, andererseits den Arbeitgeber als Folge seiner Nachlässigkeit in der Klebepflicht mit empfindlichen vermögensrechtlichen Nachteilen bedroht, schärfer gefaßt. DaS hatte vor kurzem ein Arbeitgeber, der die rechtzeitige und ausreichende Einklebung von Beitragsmarken in die Quittungskarte seines Dienstverpflichteten versäumt hatte, an seinem Geldbeutel bitter zu erfahren und dazu nicht bloß mit einer einmaligen Buße, sondern mit einer ihm voraussichtlich für die Lebensdauer seiner Arbeiterin zur Zahlung auferlegten Rente. Es war nämlich bei der um die Invalidenrente eingekommenen Gesuchsstellerin, einer Kinderpflegerin, ermittelt worden, daß durch Versäumnis des Arbeitgebers vor Eintritt der Invalidität der ^Versicherten zu wenig Pflichtmarken in die Quittungskarte eingeklebt und so die zur Erfüllung der Wartezeit erforderlichen Beitragswochen nicht erreicht waren.
Die Versicherte nahm den säumigen Dienstherrn vor den ordentlichen Gerichten in Anspruch und erhielt auf Grund des § 823 des Bürgerl. Gesetzbuches in Verbindung mit dem Jnvalidcn- veisicherungsgesetz als Schadenersatz vom Arbeitgeber die Zahlung der Jahresrente von 224 zugesprochen.
Dieses Urteil ist für die Arbeitgeber die ernste Mahnung, die Anmeldung versicherungspflichtiger Personen, oder soweit das Einzugsverfahren bei sogen, unständigen Arbeitern (z. B. Taglöhner, Wäscherinnen, Nähterinnen u. dergl.) nicht stattfindet, die rechtzeitige Einklebung von Beitragsmarken nicht zu versäumen.
Obwohl nun an der rechtlichen Begründung des Urteils nicht zu zweifeln ist, so darf noch nicht allgemeinhin auf Arbeitgeber-Seite eine panikartige
Furcht vor der Haftbarmachung, auf Versicherten- Seite eine gänzliche Gleichgültigkeit mit der eigenen Sache platzgreifen. Voraussetzung für die Haftbarmachung des Arbeitgebers ist ein „Verschul- d e n", die vorsätzliche oder fahrlässige, dabei widerrechtliche Verletzung deS Rechts eines anderen. Und dabei haben nun Untersuchungen zu der Erkenntnis geführt, daß dem Verschulden des Arbeitgebers ein Verschulden des Versicherten von solcher Tragweite gegenüberstehen kann, daß die Gleichgültigkeit des Versicherten diesem die Möglichkeit eines Schadenersatzanspruches an den säumigen Arbeitgeber benimmt.
Der Arbeitgeber hat die Verpflichtung, die Marken aus eigenen Mitteln zu erwerben und in die Quittungskarte bei der Lohnzahlung einzukleben. Der Arbeitgeber befreit sich von seiner Verantwortlichkeit zur ordnungsmäßigen Beitragsleistung nicht dadurch, daß er dem Arbeitnehmer-den ganzen oder halben Betrag der Marken oder die Marken selbst übergiedt, falls er nicht dafür sorgt, lmß das Einkleben durch den Versicherten ^hatsächlich geschieht; denn eine Verpflichtung des Versicherten, die Marken selbst zu kleben, besteht gesetzlich nicht (wohl die Befugnis); auch kann ihm eine solche Verpflichtung durch Vereinbarung nicht auferlegt werden, weil diese nicht unstrafbar wäre. Dabei entschuldigt den Arbeitgeber durchaus nicht der Umstand, daß der Versicherte mit einer Quittungskarte nicht versehen war, oder sie nicht beibringt, weil der Arbeitgeber das Recht hat, für Rechnung des Versicherten eine Quittungskarte anzuschaffen und den ausgelegten Betrag bei der nächsten Lohnzahlung abzuziehen. Dieses Recht wird indessen zur Pflicht des Arbeitgebers, um seiner Verpflichtung
örr. Nachdruck verboten.
UevjcrYvL.
Roman von Albert Schmidt.
(Fortsetzung.)
„So einen Menschen haben Sie in Amerika nie gesehen, Herr Grant?" fragte der Staatsanwalt endlich — langsam, jedes Wort betonend.
Mister Grant fuhr erschrocken aus seiner Betrachtung auf — er hatte offenbar ganz vergessen, wo er war.
Einen unsicheren Blick wandte er dem Staatsanwalt zu und legte das Bild in die Akten. „So einen Menschen habe ich in Amerika nicht gesehen," sagte er ebenso langsam, wie der Staatsanwalt gefragt hatte. Seine Stimme klang auffallend rauh.
„Freilich," entgegnete lächelnd der Staatsanwalt und klappte die Akten zu, „Amerika ist groß; es müßte ja ein wunderbarer Zufall gewesen sein, wenn Sie gerade diesen Menschen drüben gesehen hätten. Sie kehren jetzt heim. Das Haus, das Sie sich hier gekauft, muffen Sie allerdings zurücklassen. Ist es unbescheiden, wenn ich frage, was Sie damit für Absichten haben?"
„Ich empfehle mich Ihnen, Herr Staatsanwalt." Mister Grant war aufgesprungen und beachtete die Frage nicht. Er nahm seinen Hut und ehe noch der Staatsanwalt etwas erwidern konnte, hatte jener daS Zimmer verlassen.
Der Staatsanwalt stand einen Augenblick vor dem Tisch, überrascht von diesem jähen Abschluß der Unterhaltung. Dann schlug er die Akten wieder auf, las den Steckbrief nochmals durch und betrachtete die Photographie so aufmerksam, als hätte er sie noch nie in den Händen gehabt.
„Wie die Natur spielt!" sagte er endlich und schaute unverwandt in die Photographie hinein. Langsam, kopfschüttelnd schlug er die Akten zu und band die vielen einzelnen Hefte sorgfältig zusammen.
19. Kapitel.
„Unverschämter Mensch, der Staatsanwalt!" sagte Mister Grant zu sich, als er durch die Straßen der Stadt ging und sich nach der Herberge zur Heimat hinfragte. Was geht mich der Steckbrief an — und die abgeblichene Photographie? — Modergeruch und Grabesluft steigt aus den alten Akten auf und ver- p.stet dis Atmosphäre.
„Treffe ich hier einen jungen Mann, der sich Hugo Kramer nennt?" fragte er auf dem Flur der Herberge einen Menschen, der wie ein Hausdiener aussah.
„Ick, will einmal Nachsehen," entgegnete dieser uns verschwand durch eine Stubcnthür, die er offen stehen ließ. Mister Grant hatte Zeit, die Herberge zur Heimat genauer zu betrachten. Wie einfach alles! Fast ärmlich, aber sauber, reinlich, luftig. Wundervoll mag es hier dem Wanderer erscheinen, der sich auf der Landstraße Herumgetrieben, von Betteln und Schlimmerem gelebt, Nachts unter freiem Himmel campirt und nun einmal, aus einem Gefängnis entlassen, in dieser Herberge eingekehrt — „zur Heimat", nennt sie sich — ja, heimatliche Gefühle mögen dem Unglücklichen wieder aufleben, wenn er hier eintritt; aber verrauscht, verflogen wie ein Traumbild sind sie, wenn er weiter gezogen, wenn er wieder auf freiem Felde hinter der Hecke schläft, wenn die Schnapsflasche unter den Reisegefährten kreist und gemeine Rede, rohes Gelächter von Mund zu Mund geht, wenn der Mann des Gesetzes naht und die Pforte des Kerkers sich wieder auf» thut, um den Landstreicher, den Bettler zu beherbergen, eine andre „Herberge zur Heimat" — hat denn so einer eine andere Herberge als das Gefängnis?
„Hugo Kramer ist im Garten," sagte jetzt der, den Mister Grant vorhin