Zweites

Blatt.

Der Enztälsr. s

^ 84.

Neuenbürg, Mittwoch den 1. Juni 1904.

62. Jahrgang.

Neuenbürg, 30. Mai. Postausweisksarsten wird die Reichspostverwaltung, Bayern und Württem- berg am 1. Juni für den inneren Verkehr ausgeben. Sie dienen zur Empfangnahme von Postsendungen. Ihr Hauptzweck ist der Ausweis der Reisenden. Empfänger, die dem Postboten unbekannt sind, brauchen keine Bürgschaft mehr durch den Gastwirt oder andere bekannte Personen, wenn sie Wert­sendungen entgegennehmen. Die Karten können auch an den Schaltern außer den anderen Ausweisen verwendet werden. Sie werden für ein Jahr aus­gestellt. Auf der Karte wird u. a. die Photographie des Inhabers befestigt, sie enthalten außerdem eine Beschreibung der Person des Inhabers nach Alter, Geburtsort, Gestalt, Haar, Augen rc. Für jede Karte wird eine Gebühr von 50 ^ erhoben.

Rehmühle-Aichelberg bei Wildbad, 24. Mai. Am Pfingstmontg, 23. Mai, feierte Forstwart Sey bold das Fest seiner 25jährigen Amtstätigkeit. An seinem Jubelfeste hatten sich seine Waldarbeiter und einige geladene Kollegen und Freunde zu gemüt­licher Unterhaltung um ihn versammelt. Erstere verehrten ihm zur Erinnerung an die 25jährige ge­meinsame Tätigkeit einen prachtvollen mit Silber be­schlagenen Stock.

Pforzheim, 1. Juni. Morgen Donnerstag (Fronleichnamstag) morgens 7 Uhr 5 Min. geht von hier ein Extrazug nach Herrenalb, mit welchem es ermöglicht ist, den ganzen Tag in der herrlichen Umgebung des Prächtigen Kurortes zuzubringen. Denn man kommt bereits 9 Uhr 18 Minuten in Herrenalb an und fährt erst abends 7 Uhr 50 Min. wieder von da ab, worauf man um 10 Uhr 24 Min. bereits wieder in Pforzheim ist. Der Preis für Hin- und Rückfahrt ist auf nur 1.50 bemessen. Fahr­karten werden noch von Hrn. Hch. Schäfer, östliche Karlfriedrichstraße 12, abgegeben.

WürttLmberg.

Tübingen, 30. Mai. Der König kam heute nachm. 4 Uhr mittels Sonderzuges hier an und fuhr nach kurzer Begrüßung durch den Vorstand des Oberamts, Reg.-Rat. Preu, nach Bebenhausen weiter. Die städtischen, staatlichen und Universitütsgebäude, sowie viele Privathäuser hatten reich beflaggt.

Der Bitte der Hofdame Ihrer Majestät de, Kömgm, GräfinKaroline von Uxkull-Gyllenband um Enthebung von ihrer Stellung anläßlich ihre, Vermahlung ist entsprochen worden.

Stuttgart, 30. Mai. Aus Anlaß des Ab lebens Sr. Kgl. Hoh. des Großherzogs Friedrick Wilhelm von Mecklenburg-Strelitz ist Hoftrauer vo, heute an auf zwei Wochen, die erste Hälfte in dritter die zweite in vierter Abstufung der Hoftrauerordnung angeordnet worden.

Stuttgart, 31. Mai. Aus Jerusalem komm eine Nachricht, die in den weitesten Kreisen Stutt gartS und des Landes mit schmerzlicher Teilnahm ausgenommen werden wird: Oberkonststorialrat Stadt dekan Dr. v. Braun ist dort heute früh nach kurze Krankheit im Alter von 53 Jahren an der Ruh gestorben. Die Beerdigung findet in Jerusalcv statt. Am 9. Mai hatte Stadtdekan Dr. Friedrick v. Braun, der ja auch 1898 bei der Kaiserreise i, Jerusalem geweilt hatte, einen «-wöchentlichen Urlaul angetreten und war in Begleitung seiner Gemahlii über Genua - Port Said nach Palästina abgereisi Er wollte dort die Weihe der evang. Kirche in Jaff vollziehen, deren Bau durch seine namhaften Beitrag ermöglicht worden war; das Kaiser- und Königspaa hatten dre Glocken und die Turmuhr gestiftet. Di Elnwelhung sollte am Pfingstfest stattfinden, wurd Zer, verschoben Nun wird sie - ein tragische Schicksal I ohne den großherzigen Spender voll zogen werden müssen, dem der Boden des gelobte Landes zur letzten Ruhestätte geworden ist. Scho ber seiner Abreise hatte sich Stadtdekan Braun nick ganz wohl gefühlt. Mit ernsten Gedanken nahm e von den Verwandten und Freunden seines Häusel von seinen Mitarbeitern und Untergebenen Abschie und nun haben diese dunkeln Ahnungen eine so er schüttelnde Verwirklichung gefunden. (S. M.)

Stuttgart, 27. Mai. In einem Zeitraum von kaum mehr als einem Jahr sind nicht weniger als 22 Schwindelkrankenkasfen verkracht. Es sind dies oie Allgemeine Deutsche Krankenkasse (Dessau), die Allgemeine Magdeburger Kranken- und Begräbniskasse für ganz Deutschland (Magdeburg), Bavaria (München), Hilfskranke nkasfe zum Roten Kreuz (München), Hilfs- krankenkasse zum Blauen Kreuz (München), Berolina, Deutsche Kcankenversicherungskasfe (Dresden), Hilfs­krankenkrasse Eiche und Wohlfahrt (Berlin), Deutscher Krankenversicherungsverein Einigkeit (Berlin), Säch- fische Zentralkrankenkasse (Chemnitz), Unterstützungs- Verein in Chemnitz, Deutscher Unterstützungsverein (Leipzig), Unterstütz ungsverein Lipsta (Leipzig), Regina (Schwerin), Saxonia (Dresden), Union (Hannover), Thelia (Hannover), Vaterländischer Krankenunter­stützungsverein (Essen), Wettin (Dresden), Süddeutsche Krankenkasse (Augsburg), Teutonia (Altona) und Deutsche Krankenverstcherungskasfe (Dresden). Alle diese Krankenkassen waren auf unsolider Grundlage aufgebaut, und es ist erfreulich, daß solchen Instituten mehr und mehr von Amtswegen das Handwerk gelegt wird. Mit den verkrachten 22 Kaffen sind Unsummen Geldes und zwar die Groschen kleiner Leute verloren gegangen. Dies mag allen denen, die in eine Hilfs-, Unterstützungs- oder Zuschußkasfe eiutreten wollen, eine Mahnung sein, sich vorsichtigerweise vorher nach der betreffenden Kasse genau zu erkundigen.

Stuttgart, 27. Mai. In letzter Zeit ist mehr- fach angeregt worden, auf eine bessere Ausnützung der Böschungen und Trennstücke der Eisenbahnver- Wallung durch Anpflanzungen zur Förderung des Obstbaues, zum Schutze der einheimischen Vögel und zur Pflege der Bienenzucht Bedacht zu nehmen. Ob­gleich die Schwierigkeiten nicht verkannt werden, die bei den eigenartigen Betriebsverhältnissen der Eisen­bahn mit einer regelrechten und sachgemäßen Pflege und Unterhaltung derartiger Anpflanzungen ver­bunden sind, legt die Eisenbahnverwaltung doch Wert darauf, daß diese Bestrebungen tatkräftig unterstützt werden.

Stuttgart, 29. Mai. Wenn man auch noch immer nichts hört von Niederlagen der Japaner, jedenfalls hält man in Rußland immer noch an dem Glauben fest, daß der Sieg Kuropatkins über die Zitrongelben ein .totsichere" Sache ist. Wenigstens ist von russischen Patrioten an eine hiesige Metall­warenfabrik ein großer Auftrag auf Siegesplaquettes" erteilt worden, die von quadratischer Form find und das Brustbild des Heerführers zeigen, das in russischen Lettern die Umschrift.Generaladjutant A. H. Kuro- Patkin umrahmt."

Am Sonntag, 5. Juni wird mit Rücksicht auf den außergewöhnlichen Verkehr, den die Eisenbahn- Verwaltung aus Anlaß des an diesem Tag in Ulm stattfindenden 17. Bundestages des württemb. Kriegerbundes zu bewältigen hat, auf den württ. Staatseisenbahnen die Fahrpreisermäßigung für ge­meinsame Reisen größerer Gesellschaften in Anwend- ung der Bestimmung zu § 11, 2, IV Ziffer 6 des Tarifs für die Beförderung von Personen u. s. w. allgemein ausgeschlossen. Nicht berührt werden hie- durch die Einräumungen für die Kriegerbunds- Mitglieder.

Ulm, 31. Mai. Für das Kriegerbundsfest sind nun alle Vorbereitungen getroffen. Das offizielle Programm sowie die Festzeitung, die von Garnisons­pfarrer Hartmann bearbeitet wird, erscheinen in den nächsten Tagen. Täglich laufen noch Anmeldungen für das Fest ein, so daß die Teilnahme eine außer­ordentlich große zu werden verspricht. Erschienen ist dir bereits von Oberstleutnant z. D. Zähle ent­worfene und von Lithograph Walcher hier aus- geführte Festpostkarte. Mit der Dekoration der Stadt wird bereits begonnen. Ueber den Besuch des Königs verlautet noch nichts bestimmtes.

Tübingen, 30. Mai. Im Konkurs gegen den Bankiers Jäger sind die Forderungsanmeldungen nun abgeschlossen. Angemeldet sind ca. 120000 ^ Die Masse ist gering, wenn nicht im Prozeßweg eine Hypothek mit 10000 Mark eingebracht wird. Ueber den Entwichenen ist nichts mehr bekannt ge­worden; längere Zeit hielt sich die Meinung, Jäger sei bei Gutmann in Griechenland.

Ludwigsburg, 30. Mai. (Eine Bluttat.) Gestern abend zwischen 10'/s und 11 Uhr wurde die Wirtin Emma Grabherr zum .Hirsch" im Buffet in ihrem Blute liegend von den Gästen auf­gefunden. Kurz vor '/-II Uhr soll die Verlebte noch Bier eingeschenkt haben. Als einige Gäste längere Zeit auf Bier warten mußten, wurde nach ihr gesehen und man entdeckte sie in ihrer grausigen Lage. Der herbeigeholte Arzt stellte fest, daß der Frau Grabherr mit einem Messer die Hauptschlag­ader durchstochen war. Als der Tat dringend ver­dächtig wurde der in der Wirtschaft anwesende Taa- löhner Alexander Brumm noch in der Nacht fest­genommen. Dieser unterhielt mit der Wirtin, deren Mann bekanntlich vor 1 ^2 Jahren im Landesgefängnis zu Hall verstorben ist, seit längerer Zeit ein intimes Verhältnis. Bei seiner Vernehmung vor der Polizei­behörde leugnete er hartnäckig, die Frau erstochen zu haben; jedoch spricht neben anderen Verdachts­momenten auch noch der Umstand gegen ihn, daß er nicht mehr im Besitze seines stiletartigen Messers (mit Hirschhorngriff) war. Brumm lebte schon einige Zeit von seiner Familie getrennt und soll seiner Frau auch schon mit Erstechen gedroht haben.

Oberndorf, 30. Mai. Bodenloser Leichtsinn, noch mehr aber sträflicher Uebermut, wenn nicht die vielbeklagte Roheit eines Fuhrknechts, haben heute ein schreckliches Unglück verschuldet und schwere Trauer über eine hiesige Familie gebracht. Gegen 4 Uhr fuhr der Dienftknecht Ruf des Weinhäudlers Pfau von Römlinsdorf mit einem leeren Wagen die Wettestraße herunter. Auf den Wagen steigend, schlug er nach unnötigem Peitschenknallen ohne allen Grund auf die Pferde ein, die dadurch scheu wurden. Der Fuhrmann vermochte dieselben auf der abschlüssigen Straße nicht mehr genügend aufzuhalten. Das Ge­fährt bog, da durch den Ruck des Leitseils die Pferde nach der Seite gerissen wurden, auf den freien Platz vor demSchwarzwälder Bote" eiu und überfuhr dort 2 Kinder des Bäckermeisters Serrer. DaS eine derselben, der 2jährige Paul, blieb mit eingedrücktem Schädel tot am Platze, das andere erlitt erhebliche Verletzungen an den Beinen. Von Augenzeugen wurde der Fuhrmann, der, ohne sich um die ver­unglückten Kinder zu kümmern, weiterfahren wollte, festgehalten, bis Schutzmannschaft herbeigeholt war.

Ulm, 28. Mai. Der Göppinger Metzger­streik hat nun endlich seinen Abschluß gefunden. Bekanntlich wurde Metzger Frieß in Göppingen von der dortigen Metzgereigenosseuschaft aus der Genossen­schaft ausgeschlossen, weil er als Lieferant deS Konsumvereins diesem besondere Vortelle durch zu hohen Pachtschilling für das dem Konsumverein gehörige Metzgereianwesen einräumte. Frieß be­hauptet, dies sei unrichtig und er sei zu Unrecht auS der Genossenschaft ausgeschlossen worden. In Konse­quenz dieser seiner Erklärungen verweigerte er auch die Entrichtung der für seine Person bei Benützung des Schlachthauses angesetzten doppelten Gebühr. Nach dem Statut der Genossenschaft mußten nämlich Nichtmitglieder die doppelte Gebühr entrichten. Die Folge dieser Weigerung war die Einklagung des Frieß auf Zahlung der höheren Gebühr. Das Gericht kam zu der Erkenntnis, daß Frieß zu Recht aus­geschlossen worden sei und deshalb als Nichtmitglied auch die doppelten Gebühren bezahlen müsse.

Göppingen, 30. Mai. Einen Akt beispiel­loser Roheit leistete sich der Lenker eines Metzger­fuhrwerkes, welcher trotz Warnungstafel in sehr raschem Tempo über die Filsbrücke beim Sauer­brunnen fuhr und zwar so dicht am Geländer, daß der 11jährige Sohn des Eisendrehers Jakob Bauer hier, welcher sich mit einem kleinen Handwägelchen auf der Brücke befand um Wasser zu holen, und nicht mehr ausweichen konnte, durch eine Lücke des Geländers hindurch gezwingt und in die hochgehende Fils geschleudert wurde. Der rohe Lenker des Fuhr- Werkes überließ den des Schwimmens unkundigen Knaben seinem Schicksal. Die Wellen trugen ihn jedoch zwischen den Pfeilern der Brücke durch auf eine seichte Stelle am Ufer, wo er mit großer Kraft- anstrcnguug sich von dem Tode des Ertrinkens rettete. Außer einigen unbedeutenden Hautschürfungen trug der Junge keine weiteren Verletzungen davon.