Aus Stavt» Bezirk uns Umgebung.

Seine Majestät der König hat den Bahnhof- Verwalter Renz in Neuenbürg auf Ansuchen nach Waiblingen versetzt.

Liebenzell, 31. Mai. Am gestrigen Sonntag fand hier das Jubelfest der 300jährigen Zu­gehörigkeit zu Württemberg statt. Das ganze in schönstem Festschmuck prangende Städtchen schwam in froher Jubelstimmung, die ihren Höhepunkt durch den Besuch des Königs erreichte. Zu dem farben­prächtigen Bilde, das sich dem Auge der Festgäste bot, bildeten die herrlichen, bewaldeten Berghänge, welche Liebenzell umgeben, einen Rahmen von reizender Schönheit. Vom Bahnhof bis zur Stadt und das ganze Städtchen entlang waren die Straßen von Tannenbäumchen umsäumt. Schon in aller Frühe fanden sich die Festteilnehmer aus den Orten des vormaligen Amtes Liebenzell ein. Schwarzwälder Bauernburschen, denen man den ehemaligen Kavalleristen . ansah. tummelten ihre feurigen Rösser, mit Trommeln und Pfeifen rückten die Feuerwehren und Militär­vereine, die Wäldler in ihren alten Trachten von allen Seiten an, um den König zu empfangen, der Punkt 9.25 Uhr unter den Klängen des Präsentiermariches in den Bahnhof einfuhr. In Begleitung Seiner Maje­stät befanden sich der Generaladjutant Freiherr von Bilfinger, der Kabinettschef Freiherr von Gemmingen- Guttenberg und der Flügeladjutant vom Dienst Oberst- leutnant Freiherr von Gemmingen-Fürfeld. Auf die Einladung des Königs hatte sich der Staatsminister des Innern Dr. von Pische! angeschlossen. Auf dem Bahnhof waren zum Empfang Seiner Majestät er­schienen: der Präsident der Regierung des Schwarz­waldkreises v. Hofmann, der Oberamtsvorstand von Calw Regierungsrat Völter, der Oberamtsverweser von Neuenbürg Amtmann Knapp, Oberförster Lechler und Stadtschultheiß Mäulen von Liebenzell, Schult- heiß Scholl von Unterreichenbach und Gemeinderat Kappus von Liebenzell. Nach kurzer Ansprache des Stadtschultheiß Mäulen und kurzer Erwiderung von Seiten des Königs begrüßte Seine Majestät die vor dem Bahnhof aufgestellten bürgerlichen Kollegien Liebenzeüs und der 13 Festgemeinden Beinberg, Biesels­berg, Dennjächt, Ernstmühl, Jgelsloch, Maisenbach, Monakam, Oberlengenhardt, Schömberg, Schwarzen­berg, Unterhaugstett, Unterlengenhardt und Unter­reichenbach, wobei der König die Schultheißen und zahlreiche Mitglieder durch Ansprachen auszeichnete, und die Front der zahlreichen Vereine aus den ge­nannten Orten abschritt. Durch die festlich geschmückten Straßen fuhr Seine Majestät zur Kirche. Nachdem der König auf dem Wege dahin aus den Händen zweier junger Mädchen im Namen der Deutschen China-Inland^Mission dargereichte Schriften entgegen- genommen hatte, wurde er von dem Ersten Stadt­pfarrer Weitbrecht vor der Kirche begrüßt. Seine Majestät ließ sich hierauf den Zweiten Stadtpfarrer Dierolf, sowie die gleichfalls erschienenen Geistlichen von Unterreichenbach, Schömberg und Möttlingen vor- stellen. Nun wohnte Seine Majestät mit Gefolge dem Festgottesdienst an, wobei Stadtpfarrer Weit- brecht die Predigt hielt über die Worte des 77. Psalm: .Ich denke der alten Zeit, der vorigen Jahre u s. w." Von der Kirche begab sich Seine Majestät zu Fuß nach dem Rathaus. Unterwegs wurde das Spalier bildende Töchterpensionat und vor dem Marienstift die Frauenarbeitsschule und die Kleinkinderschule be­grüßt. Im festlich geschmückten Rathaussaal richtete Stadtschultheiß Mäulen eine Ansprache an den König und trug den Inhalt einer Huldigungsadresse vor, die er sodann zugleich im Namen der 13 übrigen Gemeinden überreichte. Die vornehm ausgestattete Huldigungsadresse enthält in einem starken Lederband zunächst ein von Maler Schmauke in Untertürkheim gemaltes Titelbild, welches die Stadt Liebenzell, die im Bezirk vertretenen Industrien, Gewerbe, Forst- und Landwirtschaft, sowie die Heilbäder allegorisch darstellt und das als gut gelungen bezeichnet werden muß, dann die eigentliche Huldigungsadresse, welche aus jedem der 14 Orte vom Ortsvorsteher und Orts- pfarrer unterzeichnet ist, ferner je eine photo­graphische Ansicht aus jedem der Orte, die in wahr­haft künstlerischer Auffassung und Ausführung irgend ein karakteristisches Dorfbild wiedergibt, sowie zuletzt eine kurze Ortsbeschreibung der einzelnen Gemeinden. Die Photographien stammen aus dem Atelier von Hildebrand in Stuttgart. Der König gab in der Erwiderung seiner Freude Ausdruck, dem Feste an­wohnen zu können, und sprach etwa folgendes:Der schöne Empfang, der mir zu Teil geworden, hat einen herzlichen Wiederhall bei mir gefunden. Wem geht nicht das Herz auf im herrlichen Schwarzwald in­mitten der Schwarzwälder? Ich sage Ihnen meinen

innigsten und wärmsten Dank für den schönen Em- pfang. Es ist mein landesväterlicher Wunsch, daß es den 14 Gemeinden allezeit gut und Wohl ergehe und daß sie glückliche Zeilen erleben mögen." Während hierauf Erfrischungen gereicht wurden, ließ Seine Maj. sich die anwesenden Bezirtsbeamten vorstellen und unterhielt sich mit vielen der übrigen Anwesenden. Unterdessen ordnete sich der Festzug, welchen Borreiter in Bauerntracht und die mit Pforzheimer Musikern verstärkte Kurkapelle eröffneteu Der König mit Ge­folge fuhr durch die Wilhelmsstraße beim Oberen Bad in die Lindenallee nach dem Königszelt im Kur- Park. von dem aus sich eine so prachtvolle Aussicht ins Nagoldtal eröffnete, daß der König mit Recht darüber dem Stadtschultheißen gegenüber seine Be­wunderung ausdrückte. In strammer Haltung dem König zujubelnd zog gegen 12 Uhr der Festzug an dem Königszelt vorüber. Feuerwehr, die Vertreter der Gemeinden, verschiedene Vereine, die Schulen von Liebenzell,dazwischen das liebliche Bild eines Bauern­hochzeitszuges von Maisenbach, darin die gegen Ende des 13. Jahrhunderts auf der Burg Liebenzell residierende Markgräfin Kunigunde von Baden (Frau Oberförster Lechler, geb. Sigle, eine geborene Pforz- heimerin), welche mit einem poetischen Gruße dem König ein Körbchen mit Walderzeugnissen überreichte, während zwei Edelfräulein (Frln. Weitbrecht und Rau) eine Nachbildung der Burg Liebenzell vorüber trugen. Später erschienen ein herzoglicher Obervogt (Hr. Mohl) mit Gefolge, aus der Zeit der Uebergabe an Württem­berg, welcher mit weitschallender Stimme die H uldigungs- forme! von 1604 verlas, worauf der damalige Schult­heiß im Namen von Stadt und Amt Treue gelobt. Anschließend daran spielte die MusikPreisend mit viel schönen Reden", in welches die Festteilnehmer einstimmten. Als weitere historische Gruppen zogen berühmte Kurgäste mit Gefolge vorüber, darunter Johannes Reuchlin und zum Schluß erschien eine vortrefflich zusammengestellte Unterlengenhardter Spinnsiube, welche ein großer Festwagen vorüber­trug. Besonders gefielen dem König die Maisenbacher Hochzeit und der Wagen mit der Unterlengenhardter Spinnsiube. Der ganze Zug fand so sehr den Bei­fall des Königs, daß er ihn zweimal zu sehen wünschte. Die gewinnende herzliche Art, mit der der König mit jung und alt zu verkehren verstand, hatte bald alle Befangenheit verscheucht und sehr zahlreiche Personen, die das Glück hatten, von dem König angesprochen oder ihm vorgestellt zu werden, konnten nicht genug rühmen, wie freundlich der König gewesen sei. Wieder­holt erklärte der König, er sei entzückt über die herr­liche Lage von Liebenzell und den Blick, der sich ihm vom Köuigszelte aus über den Kurpark nach der den Talabschluß bildenden Ernstmühler Platte bot. Nach herzlicher Verabschiedung von den geladenen Gästen fuhr der König noch zum HausWaldheimat" des Pfarrers Blumhardt, um den herrlichen Ueberblick, der sich daselbst über die Stadt und das Tal bietet, zu genießen. Punkt 12.40 trat der König die Rück­fahrt nach Stuttgart an. Die nachmittags wiederholt einsetzende Regen konnte die Festesstimmung nicht mehr beeinträchtigen, nachdem der Königsbesuch in der glänzendsten Weise verlaufen war. Im .Unteren Bad" fand hierauf ein stark besuchtes Festessen statt, an welchem auch Minister v. Pischek und die übrigen Regierungsbeamten teilnahmen, während auf der Wiese vor dem Kurpark und in der Stadt selbst ein überaus lebhaftes Treiben sich entwickelte. Den Tag, welcher den jubilierenden Orten unvergeßlich sein wird, beschloß ein Festbankett imOberen Bad", welches um 7 Uhr seinen Anfang nahm und recht animiert verlief. Mit voller Befriedigung kann die Kurstadt Liebenzell auf ihre gelungene Jubiläumsfeier znrückblicken.

Seine Majestät der König hat aus Anlaß der Gedenkfeier der 300jähr. Zugehörigkeit des Amts Liebenzell zu Württemberg folgende Orden ver­liehen und bei seinem gestrigen Besuch eigenhändig übergeben: das Ritterkreuz I. Klasse des Fried­richsordens Herrn Stadtpfarrer Weitbrecht in Liebenzell; die Verdienstmedaille des Kron- ordens Herrn Stadtschultheiß Mäulen in Lieben­zell; die Verdienstmedaille des Friedrichs­ordens Herrn Schultheiß Bertsch in Jgelsloch; die silberne Verdienstmedaille Herrn Schultheiß Stahl in Oberlengenhardt.

Zum Jubiläum von Liebenzell. In der Geschichte der Zuteilung Liebenzells an Württemberg ist folgendes von Interesse: Im Jahr 1603 hat Markgraf Ernst Friedrich von Baden-Durlach Stadt und Amt Liebenzell mit 15 Ortschaften und Stadt und Amt Altensteig mit 13 Ortschaften gegen Ueber- lassung einiger minderwertiger württ. Enklaven (die

Kellereien Malsch und Langensteinbach) und eine Kaufsumme von nahezu einer halben Million Gulden an Württemberg abgetreten, nachdem er wenige Jahre vorher 1595, die Aemter Besigheim und Mundels­heim um 385000 Gulden eben dorthin verkauft hatte. Die Erinnerung an dieses leidige Geschäft bei dem Baden durch den Verlust der besten Wald­ungen und des für Flößerei und Holzhandel äußerst wichtigen Unterlaufes der Enz die empfindlichsten wirt­schaftlichen Nachteile erlitt, ruft das Andenken an eine der traurigsten Episoden der badischen Geschichte wach. In Baden-Baden regierte Eduard Fortunat, einer der schlimmsten Verschwender und raffiniertesten Lebemänner, die je auf einem Fürstenstuhl gesessen. Seme maßlosen Ausschweifungen brachten sein Land dem Bankerott nahe und drohte dem Hause wirt­schaftlichen Ruin. Da fühlte sich der gleichzeitig in Baden-Durlach regierende Markgraf Ernst Friedrich berufen, im Interesse des zähringischen Gesamthauses einzugreifen. Eduard Fortunat aber schreckte vor keinem Mittel zurück, sich des bequemen Vetters zu entledigen. Er bestach im Jahre 1594 zwei Mord­buben, den Schweizer Paolo Pestalozzi und den Italiener Franzesko Muskatelli, die den Markgrafen in Durlach durch Gift aus dem Wege räumen sollten. Ihnen stellte sich noch ein markgräflicher Beamter, Franz Köcher, zur Verfügung. Der Anschlag wurde vereitelt, die Attentäter richtete man in Durlach grausam hin. Ernst Friedrich ließ die Untersuchungs- alten im Druck veröffentlichen,ob ihm gleich leid war, daß er von einer fürstlichen Person seines Hauses der ganzen Welt einen ihm so unangenehmen Abriß vor Augen legen mußten." In der Folge sah sich Ernst Friedrich gezwungen, gegen Eduard Fortunat ein zahlreiches Heer zu unterhalten. Die Kosten dafür konnte das ohnehin verschuldete Land nicht aufbringen. Entgegen den klaren Bestimmungen der Hausgesetze griff der Markgraf zu dem radikalen Mittel der erwähnten Gebietsveräußerungen, die dem praktischer veranlagten und mehr berechnenden Herzog Friedrich von Württemberg erheblichen Vorteil brächten. Der Geschichtsschreiber Sachs klagt mit Bezug auf diese schweren Verluste, der Markgraf, der bald nach jenem Kaufgeschäft (1604) starb,habe vor sein Fürstliches Haus ein Jahr zu lang gelebt."

Calw, 30. Mai. Anläßlich der Gedenkfeier der 300jährigen Zugehörigkeit des Amtes Liebenzell zu Württemberg traf Seine Majestät der König gestern morgen um 9 Uhr auf dem Bahnhof hier ein. Während der Einfahrt des Hofzuges wurden sämtliche Glocken der Stadt geläutet. Zum Empfange des Königs hatten sich auf dem Bahnhof die bürger­lichen Kollegien, die Geistlichkeit, der Veteranen- und Militärverein, die Lehrer des Realprogymnasiums, der Mittel- und Volksschule, sowie der höheren Handelsschule eingefunden, außerdem waren die oberen Schulklassen der verschiedenen Lehranstalten zur Be­grüßung des Königs zugelassen worden. Das Wetter war nicht schön und starker Regen schien den Em­pfang zu beeinträchtigen. Das auf dem neuem Weg aufgestellte Publikum ließ sich aber dadurch nicht abhalten und harrte tapfer im Regen aus. Mit der Ankunft des Königs hörte aber der Regen auf und heiter brach die Sonne hervor. Als der König seinem Salonwageu entstiegen war, wurde er von Herrn Stadtschultheiß Conz mit begeisterter Ansprache begrüßt. Auf dieselbe erwiderte der König in Huld- voller Weise, er danke herzlich für den schönen Em- pfang, der ihm hier bereitet worden sei, er nehme gerne die Versicherung der Treue und Anhänglichkeit der Stadt Calw entgegen und er wünsche, daß die Stadt auch fernerhin blühen und gedeihen und ihren alten Ruf bewahren möge. Ein Töchterchen von Herrn Stadtschultheiß Conz überreichte dem König einen Blumenstrauß, der von dem König mit freund­lichen Worten an das Kind angenommen wurde. Vor der Abfahrt des Zuges sprach der König noch längere Zeit mit dem Stadtvorstand, indem er be­merkte, er habe sich bei der Einfahrt wiederum an der Prächtigen Lage von Calw erfreut, die Stadt besitze eine herrliche Umgebung und er wünsche, da ja die Stadt zum Kurorte sich aufgetan habe, diesen Bestrebungen den besten Erfolg. Die Stadt habe zwar eine starke Konkurrenz an Freudenstadt, aber bei der wunderschönen Lage werde ein Erfolg nicht ausbleiben. Er sei früher oft in die hiesige Gegend zur Auerhahnjagd gekommen und stets sei er hoch­befriedigt von seinem Aufenthalt hier gewesen. Zum Schluß dankte er noch besonders den bürgerlichen Kollegien für ihr Erscheinen und für den schönen Empfang. Nach fffftündigem Aufenthalt begab sich der König nach Liebenzell, begleitet von den be­geisterten Hochrufen der versammelten Menge. (C. W.)

Fortsetzung in der Beilage.