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Neuenbürg, Mittwoch den 30. März 1904.
62. Jahrgang.
RunSschau.
Der Erlös aus badischen Kilometerheften betrug im Jahre 1903 abermals mehr als im Vorjahre. Er stieg auf 7,6 Millionen, was ungefähr ein Drittel des ganzen Erlöses aus dem Personen- verkehr ausmacht. Der „Schwäbische Merkur" bemerkt dazu: Eigentlich muß man sich wundern, daß immer noch der größere Teil der Reisenden die Normaltaxe bezahlt, während er doch mit Leichtigkeit billiger fahren könnte. Gewandte Reisende, auch solche von auswärts, Pflegen sich vor der Durchreise durch Baden Kilometerhefte zu verschaffen und diese innerhalb Badens zu benutzen. Solche Reisende fahren z. B. von Heidelberg nach Basel nach Belieben im Personenoder Schnellzug für 6,30 während die Fahrkarte am Schalter 8,70 kostet und mit Schnellzugszuschlag von 2,85 -/tü zusammen 11,55 ^ Aus diesem Beispiel erhellt, welche bedeutende Beträge der badischen Bahn entgehen, fast die Hälfte der üblichen Taxe. In den Jubel über den zunehmenden Absatz der Kilometerhefte einzustimmen liegt deswegen keine Veranlassung vor, ehe man sich überzeugt hat, daß die Betriebsausgaben im Jahre 1903 nicht in einem stärkeren Grade zugenommen haben als die Einnahmen. Im Jahre 1902 war dies bekanntlich der Fall, ein sicheres Zeichen, daß die Selbstkosten von der Durchschnittsemnahme nicht mehr gedeckt werden.
Die 1. Gesellschaftslotterie des Deutschen Flottenvereins ist jetzt fast in allen Bundesstaaten zulässig, der Ziehungstermin wurde mit Rücksicht darauf auf den 29. April verschoben. Die Lotterie soll bekanntlich Mittel für Seewohlfahrszwecke bringen, ist aber ausschließlich auf den Mitgliederkreis des Vereins beschränkt. Sie umfaßt 200000 Lose mit guten Gewinnausstchten (Hauptgewinn ^ 20000.—, überhaupt nur Geldgewinne). Auch der billige Preis von ^ 1.— Pro Los (10 Lose ^ 9.—) ermöglicht allen Mitgliedern die Beteiligung. Bestellungen auf Lose sind an die Ortsgruppen oder an die Präsidialgeschäftsstelle des Deutschen Flotten-Vereins, Berlin 7, Dorotheenstr. 42, zu richten.
Die Einrichtung von Kadettenschulschiffen seitens des Norddeutschen Lloyd hat in anderen Ländern rasch Nachahmung gefunden. Sowohl in Belgien wie in Spanien und Dänemark sind Schulschiff- Unternehmungen nach dem Vorbilde des Lloyd ins Leben gerufen worden. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß durch die gründliche und systematische Ausbildung der jungen Leute unter Leitung hervorragender Offiziere und Lehrer für die Handelsmarine ein Offizierskorps gewonnen wird, wie es besser nicht gedacht werden kann. Dieser Gesichtspunkt, welcher für den Lloyd bei der Schaffung der neuen Einrichtung maßgebend war, ist auch, wie man sieht, in anderen Ländern wohl anerkannt worden.
Die Untersuchung gegen den Frankfurter Mörder Stafforst ist noch nicht abgeschlossen, da die widersprechenden Angaben der beiden Genossen die Aufklärung des wirklichen Sachverhalts erschweren. Es ist deshalb ein umfangreiches Zeugenverhör notwendig. Uebrigens macht sich bei den beiden Verbrechern die Wirkung der strengen Fesselnng und der Furcht vor der drohenden Strafe geltend. Auch Groß scheint körperlich gebrochen. Seit einigen Tagen erhalten deshalb, laut „Frkf. Ztg.", die Mörder bessere Kost.
Bei einer Polizeilichen Revision der Bäckerei- und Kondidoreibetriebe in Düsseldorf wurden skandalöse Mißstände aufgedeckt. Unter anderem befanden sich Backräume sowohl wie die zur Herstellung dienenden offenen Gcsässe sehr oft in höchst unsauberem Zustande, der Schwarzbrot-Teig wurde mit den nakten Füßen getreten, Hunde und Katzen wurden angetroffen, die an den Backwaren herumschnüffelten, oder gar auf den zum Backen dienenden Eiseribllchplatten herumlogerten, die für die Heistellung benutzten Schwedrvhölzer wurden in übelriechend,m und faulendem Wasser angefeuchtet Die Polizeiveiwaltung hat sich zu einer öffentlichen Warnung gegen diese Schweinerei ver- anlaßt gesehen.
In Straßburg wird demnächst ein Skandal- Pioz-ß verhandelt werden. Der Rentner Max Eb
stein, ein reicher Mann in vorgerückten Jahren, hat Verbrechen verübt wie vor einigen Jahren der Bankier Sternberg in Berlin. Erbstein bot für seine Entlassung 60000 doch wurde er abgewiesen.
Aus Oberbaden, 26 März. Von Großviehhändler Kaspar Hauser in Hausenvorwald Amt Donaueschingen kauften drei Beamte der kroatischen Landesregierung 40 Fairen und 10 Kalbinnen, die gestern in 7 Wagen mittels Sonderzugs nach Agram abgingen, wo sie in 3 Tagen eintreffen. Der gleiche Händler sandte 1902 einen Sonderzug mit 150 Stück Zuchtvieh in 19 Wagen nach Prag.
Leipzig, 27. März. Ein großes Vermächtnis ist der Stadt zugefallen. Die hier verstorbene Sidonie Gröppler vermacht der Stadt ihr Gesamt- vermögen von über zwei Millionen Mark zu wohltätigen Zwecken.
General Kuropatkin über die russische Flotte. Nach dem „Figaro" soll sich General Kuropatkin über die russische Flotte einem Freunde gegenüber geäußert haben wie folgt: „Unsere Flotte kann uns in diesem Moment nicht viel nützen; daher ist es das beste, wenn sie in Port Arthur liegen bleibt. Dort ist sie jetzt blockiert und nicht allein das, sie ist auch numerisch der feindlichen Flotte unterlegen. Weiter haben wir, während die Japaner ausgezeichnete Docks haben, um ihre Havarien aus- zubeffern, nur mangelhafte Einrichtungen dieser Art, und das ist ein neuer und beträchtlicher Grund für unser augenblickliches Unterlegensein. Der einzige Dienst, den uns unsere Flotte daher jetzt leisten kann, ist der, die Japaner bei Port Arthur und bei Wladiwostok festzuhalten. Aber dieser Zustand wird nicht ewig dauern und der Moment wird kommen, in dem unsere Flotte uns wichtige Dienste leisten kann. Ich glaube, daß das Ende August der Fall sein wird. Zu dieser Zeit wird das neue Geschwader, das man jetzt in Kronstadt ausrüstet, auf dem Meer sein. Es wird sich mit dem Geschwader des Admirals Wirenius, das jetzt im Mittelmeer liegt, vereinigen und diese vereinigten Geschwader werden dann eine Macht von 8 Panzerschiffen, 7 Kreuzern und 32 Hochseetorpedobooten darstellen."
Po st Nachnahme gibt es in England noch nicht. Man kennt zwar die Einrichtung aus den Berichten anderer Länder und sieht mit besonderem Neide auf die großen Summen, welche in Deutschland auf dem Wege der Postnachnahme alljährlich umgesetzt werden; man erkennt auch die außerordentliche Sicherheit an, welche durch diese Einrichtung dem Handelsgeschäft zwischen einander unbekannten Parteien gegeben wird, — aber man übersieht dabei auch die schweren Bedenken nicht. In der Erwägung nämlich, daß der Postnachnahmeverkehr vor allem dazu dienen würde, den kleinstädtischen Handel zugunsten großstädtischer Waren- und Versandthäuser zu schädigen und damit eine große Klaffe von Steuerzahlern in sicheren Ruin zu stürzen, hat sich die nationale Handelskammer in einer Eingabe an den General-Postmeister Lord Stanley gegen die geplante Einrichtung ausgesprochen.
New-Aork. Am letzten Samstag früh brach in den Räumlichkeiten der Morris Expreß Company am Broadway Feuer aus, das sich auf die Gebäude der Wells Fargo Expreß Company, der Adams Expreß und der American Expreß Company ausdehnte. Das Haus der Adams Company stürzte zusammen. Der Schaden wird auf 400000 Dollars geschätzt.
Vermischtes.
Karfreitag.
Heiliger Ernst erfüllt die Welt. Kaum sind des Palmsonntags Klänge verhallt, noch erklingt aus der Ferne das „Hosianna dem Sonne Davids!", da ertönt schon das „Kreuzige, kreuzige!" Derselbe Volkshaufe, der vor fünf Tagen der berechtigten Freude über den Einzug des Gottessohnes ungezügelten Ausdruck gab, derselbe Volkshaufe setzt ihm heute die Dornenkrone aufs Haupt und schlägt ihn ans Kreuz. Erst streuten sie ihm Blumen auf den Pfad, und treten Dornen an ihre Stelle. Daher ist der Karfreitag ein Tag tiefster Trauer und Klage, ein Tag innerer Einkehr und ernster Buße. „Auf der Stadt ruht hehr und groß des Karfreitags
Sabbatstille. In der Kirche dunkeim Schoß drängt sich dicht der Beter Fülle. Seinen heitern Sonnenschein barg der Himmel tief in Trauer, und der Wehmut heil'ge Schauer ziehen in die Herzen ein."
Die heilige Legende hat an zahlreiche Tiere und Pflanzen Passionserinnerungen geknüpft: Der Kreuz- schnabel hat den kreuzweise übereinander liegenden Schnabel erhalten, als er mit dem Schnabel blut- beträuft und rastlos aus den stahldurchbohrten Gliedern Christi die Nägel ziehen wollte. Der Heiland sprach zu ihm: „Sei gesegnet für und für, trag als Zeichen dieser Stunde ewig Blut und Kreuzeszier!" Das Rotkehlchen soll dem Sterben des Heilandes zugeschaut haben. Aus Mitleid versuchte es, die Dornen aus der blutbefleckten Stirn zu ziehen. Zum Dank erhielt es die rote Färbung der Stirn, der Kehle und der Oberbrust. Der Dornenbusch erhielt als Zeichen seiner Unschuld weiße Blüten. Der Kreuz-Enzian zeigt die Seitenwunde Christi in der Wurzel, und seine grünen Blätter sind kreuzweis angeordnet. AuS den in den Rasen gefallenen Blutstropfen ist das Blutauge (Steinnelke) entstanden, und die bisher stolze Trauer- weide neigte ihr Haupt.
Auch der Aberglaube, der sich ja an solche Tage besonders knüpft, hat mit dem Karfreitag sich verwoben. Meist hat er zu ähnlichen Gebräuchen geführt wie an andern Festtagen. In Tirol bricht man heute die Wünschelrute, was in andern Gegenden am Johannistage erfolgt. Mit ihrer Hilfe vermag man kranke Menschen und Tiere zu heilen, Wasser- quellen zu entdecken, Erzadern zu finden, Schätze zu heben, Hexen zu bannen und Diebe zu ermitteln. Der Lausitzer glaubt, Maulwürfe vertreiben zu können, wenn er Fliederzweige in Gärten und Felder steckt. Regnet es am Karfreitag, so fürchtet man, daß das Jahr trocken werden wird. Um Wetzlar heißt die Bauernregel: „Karfreitagsregen macht die Erde das ganze Jahr nicht satt, und in der Altmark: Regnet es am Karfreitag, so vertrocknet die Nessel hinter dem Zaun.
Von der bayerischen Grenze, 24. März. In Frickenhausen kauften jüngst zwei Güterschlächter aus Memmingen einen Hof für 32 000 ^ und wollten denselben zerstückeln. Der junge Raifeisen- verein dort beschloß einstimmig unter Androhung einer Konventionalstrafe von 300 daß kein Mitglied irgend etwas von dem Hofe kaufen dürfe. Die Händler brachten deshalb nicht ein Grundstück an und mußten den Kauf wieder rückgängig machen, wofür sie 2000 ^ für sich beanspruchten. Ohne den Verein wären mindestens 8—10000 aus
dem Dorf hinausgetragen worden und die Ortschaft wäre um ein Anwesen ärmer gewesen.
Breslau, 24. März. Eine aufregende Szene spielte sich im Saale Hotel zum schwarzen Bär in Nimptsch ab, wo die Theatergesellschaft Rudolf Mohr Vorstellungen gibt. Während der Aufführung von Ludwig Fuldas Lustspiel „Die Zwillingsschwester" tötete sich der Schauspieler Emil Hasda, der den Jägermeister Lelio spielte, nach Beendigung des ersten Aktes auf der Bühne durch einen Schuß in den Kopf. Die Ursache soll unglückliche Liebe gewesen sein. Die Vorstellung wurde sofort abgebrochen.
Einen dummen Spaß leistete sich ein übermütiger Mensch in Plauen in Sachsen, indem er die Hosen eines betrunkenen und schlafenden Zimmermannes anzündete. Er glaubte, daß die Hosen langsam glimmen und die Hitze den Trunkenen unlieb am Wecken würde. Zu seinem Schrecken brannten die Hosen aber gleich lichterloh, und obgleich er sich die größte Mühe gab, das Feuer zu ersticken, konnte er doch nicht verhüten, daß der Zimmermann an beiden Oberschenkeln schwere Brandwunden erlitt. Der Verletzte wurde ins Krankenhaus überführt.
Aus Baden, 26. März. Der von seiner Faß- reise nach Rom letzten Sommer her bekannte Elsen- Hans von Waldkirch will mit seinem Leib-Vehikel die Weltausstellung St. Louis besuchen, wie er kundgibt, der Einladung mehrerer Amerikaner folgend. „Kanalschorsch" — so der Uebernahme des Unternehmungslustigen — hat sich am Tage des Kalender- frühlings per Faß und Fuß gen Hamburg aufge-