Erscheint
Montag, Mittwoch, Freitag u. Samstag.
"Kreis vierteljäbrl.: inNeuenbiirg^LI.20. Durch d. Post bezogen: im Grts- u. Nachbar, orts-verkehr 1.15; im sonstigen inländ. Verkehr 1.25; hiezu je 20 Bestellgeld.
Abonnements nehmen alle Postanstalten u. Postboten jederzeit entgegen.
Der Lnztäler.
Anzeiger für das Lnztal und Umgebung.
ktmtsblall kür Sen Vberamtsbezirk Neuenbürg.
Anzeigenpreis:
die 5 gespaltene Zeile od. deren Raum 10^s; beiAuskunfterteilung durch die Lxped. 12 Reklamen die Sgesp. Zeile 25
Bei öfterer Insertion entsprech. Rabatt.
Fernsprecher Nr. 4.
Telegramm-Adresse: „Lnztäler, Neuenbürg".
^ 14S
Neuenbürg, Mittwoch den 23. September 1903
61. Jahrgang.
RunSschau.
Die Politik ist bei dem jüngsten Besuche Kaiser Wilhelms in Wien hinlänglich erkennbar zu ihrem Recht gekommen. Dies zeigen die eingehenden Unter« Haltungen zwischen den beiden Monarchen, die langen Audienzen einerseits des Reichskanzlers Grafen Bülow beim Kaiser Franz Josef und anderseits des österreichisch-ungarischen Ministers des Aeußeren Grafen Goluchowski bei Kaiser Wilhelm und die wiederholten Besprechungen des Grafen Bülow mit den maßgebenden österreichischen Staatsmännern, ferner dessen Konferenzen mit dem deutschen und italienischen Botschafter in Wien zur Genüge. Die etwaigen Politischen Folgen und Wirkungen der Wiener Monarchen und Diplomatenbegegnung werden wohl bald zu Tage treten.
Danzig, 21. Septbr. Der Kaiser traf um F/4 Uhr zur Enthüllung des Denkmals Kaiser Wilhelms des Großen hier ein. Im Gefolge des Kaisers befinden sich der Oberhofmarschall Graf zu Eulenburg, der Chef des Zivilkabinetts v. Lucanus, General v. Plessen, Fregattenkapitän v. Grumm, Major v. Friedeburg und Oberstabsarzt Dr. Jlberg. Am Bahnhof hatte die Ehrenkompagnie des Infanterieregiments 128 Aufstellung genommen. Der Kaiser und das Gefolge stiegen am Bahnhof zu Pferde und ritten, gefolgt von einer Eskadron der 1. Leibhusaren zum Denkmalsplatz. Zu beiden Seiten des Weges bildeten Abteilungen der Danziger Garnison, sowie Mannschaften der im Hafen liegenden Kriegsschiffe Hildebrand und Berwulf Spalier.
Danzig, 21. Sept. Mit dem Kaiser traf auch Graf Bülow hier ein. Während der Fahrt von Wien hierher hatte der Kaiser den Vortrag des Reichskanzlers und des Chefs des geheimen Zivilkabinetts entgegengenommen. Wie nachträglich bekannt wird, hat der Kaiser in Wien auch den Schriftsteller Houston Stewart Chamberlain empfangen.
Kiel, 21. Septbr. Der Generalinspekteur der Marine Admiral v. Köster hat gestern nachstehendes Telegramm des Kaisers aus Wien vom 20. erhalten: »Ich habe unter dem heutigen Tage den Erzherzog Franz Ferdinand von Oesterreich, kaiserliche und königliche Hoheit, ä la suite meiner Marine gestellt, die diese ihr zuteil gewordene hohe Ehre mit dankbarem Stolz aufnehmen wird. Ich bitte dies unverzüglich zur Kenntnis der Marine zu bringen. Das dortige Flaggschiff hat die österreichisch-ungarische Flagge, die von meinen im Kieler Hafen anwesen- den Schiffen im Großtopp zu führen ist, mit 21 Schüssen zu salutieren."
Der Staatssekretär des Reichspostamtes macht bekannt: Der Eisenbahnweg über Sibirien wird am 1. Oktober für den internationalen Postverkehr eröffnet und zur Beförderung von Briefen aller Art aus Deutschland nach folgenden Ländern Ostasiens benützt werden: nach China, mit Ausschluß des südlichen Teils, nach dem deutschen Schutzgebiete von Kiautschou, nach Japan, mit Ausschluß der Insel Formosa und nach Korea. Es bietet sich auf diesem Wege eine wöchentlich viermalige Verbindung nach Peking, Tientsin, Tongku und Tschifu und eine wöchentlich mindestens einmalige Verbindung nach Shanghai und nach Japan. Der erste Versand über Sibirien wird am 30 . September von Berlin abgehen. Die Absendung erfolgt täglich. Die Dauer der Beförderung beträgt je nach den Anschlüssen von Berlin bis Peking und Tientsin 20—22 Tage, bis Shanghai und Nagasaki 22—28 Tage.
Am Sonntag ist der Schluß des sozialdemokratischen Parteitages zu Dresden nach gerade achttägigen Verhandlungen erfolgt. Die Versammlung erledigte in dieser letzten Sitzung die Frage 0er weiteren Maifeier dadurch, daß der Vorftandsantrag angenommen wurde, laut welchem der erste Mai überall dort gefeiert werden soll, wo keine Aussperrungen der feiernden Arbeiter zu befürchten sind. Dann sprach der Präsident Singer das Schlußwort, in
welchem er in selbstbewußtem und selbstzufriedenem Tone das Fazit des Dresdener Parteitages besprach, worauf die Versammlung stehend noch die Arbeitermarseillaise sang. — Das bemerkenswerte Ergebnis des Dresdener Sozialistenkongresses stellt zweifellos die Niederlage der Revisionisten in der Vizepräsidentenfrage dar, welche Niederlage allerdings schon im Voraus fest stand. Die Fanatiker und Starrköpfe in der Partei haben also auch diesmal die Oberhand gegenüber den opportunistischen Taktikern behalten und die Richtung Bebel wird demnach einstweilen weiter über die Richtung Vollmar triumphieren. Schwerlich werden sich aber die Vertreter der letzteren je gänzlich unterdrücken lassen, die Gegensätze in der Partei werden daher immer wieder von neuem aufbrechen. Der Parteitag wählte ferner Bremen als Ort für den nächsten Parteitag.
Karlsruhe, 20. Sept. Bei den hygienischen Instituten der beiden Landesuniversitäten sollen am 1. Oktober 2 bakteriologische Untersuchungsämter errichtet werden, die auf Kosten des Staates erhalten werden. Die Untersuchung erfolgt kostenlos. Sie erstreckt sich auf die gemeingefährlichen Krankheiten Cholera und Pest, sowie auf Tuberkulose, Unterleibstyphus, Diphtherie, Wundinfektionskrankheiten und event. auf Influenza und Pneumonie. Zugleich dienen diese Anstalten auch zur Ergänzung der Lebensmittel- Prüfungsanstalten bei der Untersuchung von Nahrungsmitteln und Getränken in Fällen, in denen bakteriologische Untersuchungen zur Feststellung etwaiger Erreger von Menschen- und Tierkrankheiten in Frage kommen.
Als Schlußtermin im Konkursverfahren der Leipziger Bank wurde am Montag die letzte Gläubigerversammlung vor dem Amtsgericht abge- halten. Einwendungen gegen den Schlußbericht und die Rechnungslegung des Konkursverwalters wurden nicht erhoben. Die Zahlung der Restdividende von 17 °/» wird infolgedessen in den nächsten Tagen ihren Anfang nehmen.
Wiesbaden, 19 . Sept. Die beiden Chauffeure des Herzogs Broglie aus Paris, die vor 14 Tagen den Tüncher Kern bei Biebrich mit dem Automobil totgefahren haben und die Frau eines Doktors schwer verletzten, werden nunmehr von der Staatsanwalt steckbrieflich verfolgt. Die beiden Franzosen sind längst über die Grenze.
Cleve (Reg.-Bez. Düsseldorf), 22 . Sept. Heute nacht wurde auf einem Bahnübergänge der Cleve- Kalcarer Bahn das Gefährt des hiesigen Weinhändlers Obhaus von dem um 12" Uhr hier eintreffenden Personenzug überfahren. Frau Obhaus und zwei Töchter wurden sofort getötet. Hr. Obhaus wurde tödlich verletzt und starb bald darauf im städtischen Krankenhause. Untersuchung ist eingeleitet. Ein Bahnwärter soll vergessen haben, die Schranken rechtzeitig zu schließen. Er ist verhaftet worden.
Ruhe st ein, 17 . Sept. An dem romantischen Wildsee, 910 m über dem Meer, ist in den letzten Tagen eine hübsche Unterstandshütte errichtet worden, die bei Regenwetter von Waldarbeitern und Touristen dankbar benützt wird. Am Seekopf, oberhalb des Wildsees in der Höhe von ca. 1040 in hat sich dank dem Entgegenkommen der Württ. Forstverwaltung Professor Dr. Julius Euting von Straßburg, der bekannte Freund des Schwarzwaldes, unlängst seine dereinstige Ruhestätte erwählt.
Wien, 21 . Sept. Das „Neue Wiener Tagblatt" berichtet über eine Unterredung mit dem Reichskanzler Grafen Bülow. In Bezug auf die Handelsverträge sagte der Reichskanzler, er hätte von dem Wunsche geleitet, die Schwierigkeiten, die Oesterreich-Ungarn aus der innerpolitischen Lage erwachsen, nicht zu verschärfen und die Andauer guter handelspolitischer Beziehungen nicht zu stören, bisher davon abgesehen, zu Verhandlungen zu drängen oder den Vertrag zu kündigen. Natürlich könne der Augenblick kommen, wo man nicht länger warten könne. Üeber die Orient
politik sagte Graf Bülow, die deutsche Orientpolitik verfolge keine Sonderziele, sie wandle keine Wege, die von denen der Gesamtheit der übrigen Großmächte aöweichen. Deutschland denke nicht daran, die Türkei zum Widerstand gegen die Politik der Mächte aufzureizen und sei mit seinen Ratschlägen überhaupt sparsam. Wie anderwärts, so wünsche es auch im Orient Frieden und eine friedliche Entwicklung der Dinge. Also Deutschlands Politik sei vor allem eine friedliche und entsprechend der geographischen Lage Deutschlands zur Türkei naturgemäß auch eine zurückhaltende. Im Orient stehen wir in zweiter und dritter Linie; da sind wir die Triarier. Alle Maßnahmen und Schritte zur Verbesserung der Zustände auf dem Balkan, über welche die näher beteiligten Mächte Oesterreich-Ungarn und Rußland mit einander einig geworden sind, haben von deutscher Seite immer volle und bereitwillige Unterstützung gefunden und werden sie auch ferner finden. Die Rolle eines Protagonisten spielen wir in Balkandingen nicht. Diese Ehre überlassen wir den dort direkt interessierten Kabinetten, zu deren Einsicht und Umsicht wir volles Vertrauen haben." In Betreff der Reformen sagte Graf Bülow: „Bei einem so schwierigen Problem muß man sich vor zu radikalen Kuren und plötzlichem Eingreifen hüten." Auf die Frage, ob es zum Kriege zwischen Bulgarien und der Türkei kommen werde, erwiderte er: „Auf Prophezeiungen lasse ich mich ungern ein. Die Zeiten, in welchen Propheten auch eine politische Rolle spielten, sind vorbei. Heutzutage fällt man mit dem Wahrsagen so leicht herein; ich hoffe aber, daß die energischen Vorstellungen der Mächte und die Ueberzeugung, daß bei einem Konflikt für die Beteiligten nicht viel Gutes herauskommen kann, eine Explosion verhindern werden. In jedem Falle würden aber die Bemühungen dahin gehen, den Konflikt zu lokalisieren, aber wie gesagt, und ich wiederhole es, alle Maßnahmen und Schritte zur Besserung der Zustände auf dem Balkan, über welche die näher beteiligten Mächte Oesterreich-Ungarn und Rußland mit einander einig geworden sind, haben von deutscher Seite immer volle und bereitwillige Unterstützung gefunden und werden sie auch ferner finden."
Die Aufregung, welche in Ungarn infolge des Armeebefehls Kaiser FranzJosef, in welchem der greise Monarch so energisch Stellung gegen die militärischen Forderungen der ungarischen Chauvinisten nimmt, hervorgerufen worden ist, hat den Erlaß eines hochoffiziösen Beschwichtigungskommuniquös zu Folge gehabt. Ob dasselbe wirklich geeignet ist, Oel in die erregten Wogen der öffentlichen Meinung des Magyarenlandes zu gießen, das wird sich ja rasch zeigen, da das ungarische Abgeordnetenhaus auf den 24 . Sept. einberufen worden ist, in welcher Sitzung der kaiserliche Armeebefehl zweifellos eingehend behandelt werden wird.
Wien, 21. Sept. Der ungarische Ministerpräsident Graf Khuen wurde heute nachmittag in kurzer Audienz empfangen. Die Lage ist noch immer ungeklärt. In unterrichteten Kreisen verlautet, Graf Khuen wolle vom Kaiser die Ermächtigung zu einer Ungarn befriedigenden abschwächenden Auslegung des Armeebefehls erlangen, die Krone weigere sich und verlange die sofortige Stellungnahme der ungarischen liberalen Partei ohne eine Adresse an die Krone. Die heutigen Audienzen der Minister Dr. v. Koerber und Grafen Goluchowski sollen mit dieser Angelegenheit zusammen hängen. Elfterer wird sich vermutlich in der Mitt- wochsitzung des österreichischen Abgeordnetenhauses über die militärischen Fragen zu äußern haben.
Konst an tinopel, 20. Sept. In der Audienz, welche der russische Botschafter Sinowjew am Freitag beim Sultan hatte, wurde die Bewegung in Mazedonien eingehend besprochen. Der Sultan gab seiner dankbaren Befriedigung über die Haltung der Großmächte Ausdruck. Sinowjew empfahl dem Sultan dringend, daß bei der Bekämpfung der Frei-