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führen sollte, die Verschindelung der Häuser baugesetzlich nicht mehr so sehr zu erschweren. (Schw. M.)
Schorndorf, 24. Okt. Als der um 9 Uhr 43 Min. vormittags von hier nach Gmünd abgehende Personenzug in die Station Waldhausen einfuhr, gewahrte der mit Ausladen und Abnehmen des Gepäcks betraute Stationswärter Sing, daß der Zug nicht wie sonst auf dem zweiten, sondern aus irgend einem Grunde auf dem ersten Geleise lief. Sing wollte deshalb seinen Standpunkt wechseln und über die Schienen springen, er kam jedoch zu Fall und geriet unter die Maschine des einführenden Zuges. Der Unglückliche, dem der rechte Arm zermalmt wurde und der außerdem am Kopf und an den Füßen Verletzungen davontrug, wurde mit dem gleichen Zug nach Gmünd ins Spital verbracht.
Ulm, 23. Okt. Die beiden Versammlungen, welche in den letzten Jahren zu Gunsten der Buren hier stattfanden, und bei denen Kommandant Jooste redete, hatten den Beweis erbracht, daß in unserer Stadt zahlreiche opferfreudige Burenfreunde sind. Kein Wunder, daß deshalb der lebhafte Wunsch besteht, auch hier einen oder den andern der berühmten drei Generale zu sehen, und so will die Ortsgruppe des Alldeutschen Verbands ihr Möglichstes thun, daß d-ieser Wunsch erfüllt werde.
Schrozberg, 24. Okt. Heute nachmittag um V-1 Uhr ertönten hier schon wieder die Feuersignale. Es brannte ein einzeln stehendes Kellerhaus im Vorbachthal, das sog. Berghäusle, dem Kronenwirt Schulz gehörig. Von der Familie des darin zur Miete wohnenden Maurers Ludwig waren nur 2 Kinder im Alter von 6 und 1'/- Jahren zu Hause. Der Brand wurde zuerst von vorbeifahrenden Karrenleuten bemerkt. Ein angebauter Schuppen, sowie die darin untergebrachten Futtervorräte, 3 Ziegen und 2 junge Schweine gingen zu Grunde. Auch das'Haus selbst wurde stark beschädigt, die in demselben befindliche Fahrnis aber gerettet. Der geschädigte Maurer ist nicht versichert.
Berlin, 25. Okt. Die Nordd. Allg. Zeitung schreibt an der Spitze ihrer heutigen Nummer: Die Rheinisch-Westfälische Zeitung läßt sich aus Berlin eine Erzählung aufbinden, in der folgendes zu lesen ist: Trotz aller offiziösen Schönfärbereien ist es sicher, daß Graf Bülow den Empfang der Burengenerale nicht wünschte und daß er ihm ein Bein gestellt hat, vermutlich so, daß er erst feststellte, der britische Botschafter werde die Generale nicht einführen, daß er dann dem Kaiser die entstehende Blamage vorgehalten, das Zögern der Burengenerale (welche aus politischer Besorgnis direkte Berufung erwarten mußten) als Nicht-Annahme der Einführungsbedingung auslegte uud dann eiligst die Thür mit der Note der Norddeutschen Allgemeinen zu- fchlug. Der Kaiser durchschaute heute die Sachlage und die Kaiserin habe in voriger Woche gelegentlich eines Damen-Empfanges bemerkt, der Kaiser habe gesagt, daß er nicht mehr Herr in seinem Hause
sei." Wir erinnern uns nicht, in einem Blatte, das auf politische Bedeutung und nationalen Takt Anspruch macht, einem alberneren Schwindel begegnet zu sein: Es ist auch nicht ein wahres Wort an der ganzen Geschichte.
Berlin, 25.Okt. (Deutscher Reichstag.) Tagesordnung: Fortsetzung der zweiten Lesung der Zolltarif-Vorlage, Bestimmung über die Mindestsätze. Tarifstelle: Rindvieh. In der Regierungsvorlage war hiefür ein Mindestzollsatz nicht enthalten und die Sätze des autonomen Tarifs wie folgt festgesetzt: Bullen und Kühe pro Stück 25 Jungvieh 15 ^., Kälber 4 pro Stück; ferner Ochsen 12 pro'Doppelzentner lebend Gewicht. Die Kommission hat beschlossen, für Rindvieh unterschiedslos 18-^. pro Doppelzentner lebend Gewicht und als Mindestsatz 20"/° weniger also 14?/-^. pro Doppelzentner lebend Gewicht. Ein Antrag von Wangenheim verlangt als Mindestsatz 18 ^ pro Doppelzentner lebend Gewicht. Referent Abgeordn. Herold empfiehlt die Kommissionsbeschlüsse. Abg. Bebel (Soz.) meint, angesichts des derzeitigen Standes der Zolltarifvorlage müßte eigentlich der Reichskanzler beim Kaiser entweder auf Auflösung des Reichstages dringen oder falls diese abgelehnt werde, dem Kaiser seine Entlassung geben, sein Mandat vor die Füße legen. Für die Mitglieder des Hauses sei es doch bei der jetzigen Lage der Dinge eine reine Menschenquälerei, Reden zu halten oder sich Reden anzuhören. (Beifall und Heiterkeit links.) Seine, Redners, Partei werde keine Obstruktion machen, aber auf eine erschöpfende sachliche Behandlung dringen und überall auf einer namentlichen Abstimmung bestehen, damit das Volk die Namen derjenigen erfährt, die in diesen wichtigen Fragen für oder Wider gestimmt haben. Redner verbreitet sich dann über die Landwirtschaft, deren Notlage übertrieben werde. Ohne auch nur die geringste Gefahr zu laufen, könnten die Zölle ruhig herabgesetzt werden. Die Viehzucht sei noch einer starken Steigerung fähig, aber die Agrarier erschwerten sie durch Verteuerung der Futtermittel indem sie die Zölle auf dieselben erhöhten. Die Agrarier verstünden es ausgezeichnet, in der raffiniertesten Weise ihre nacktesten Klassen-Jnteresien wahrzunehmen. (Wiederholte Unterbrechung von rechts während der ganzen Ausführungen.) Die Agrarier wollten keine Oeffnung der Grenze. Eine absolute Oeffnung der Grenze verlange auch er nicht. Er wolle Einfuhr unter loyaler Kontrolle, aber nicht chikauöser Kontrolle. Daß die ganze Sperre keinen sanitären Wert habe, sondern nur den die Preise zu verteuern, zeige auch ein Wort des bayrischen Ministers v. Crailsheim: Die Sperre müsse bestehen bleiben um die Preise nicht herabzudrücken. (Graf Kanitz ruft: In Bayern verstehe man das nicht.) Redner antwortet, ach das ist ja köstlich. Die Bayern sind also nach Ansicht des Grafen Kanitz zu dumm dazu. Nein, Herr von Crailsheim war nur dem Grafen Kanitz zu ehrlich, indem er verriet, weshalb die Herren die Grenze gesperrt haben wollen. Redner
verbreitet sich weiter über die herrschende Fleischnot. Er erinnert dabei auch an das Eintreten des Zentrumsabgeordneten Trimborn in der Kölner Stadtverordnetenversammlung für die Oeffnung der Grenze und wirft dem Minister Podbielski vor, sich zum Agenten der Viehzentrale gemacht zu haben. Das Maß von Habgier, das die Agrarier hier bewiesen, gehe weit über alles bisher dagewesene hinaus. Sie seien es, die auf solche Weise Haß und Verachtung gegen den Staat säen. Bei den nächsten Wahlen würden sie Wunderdinge erleben. Jeder Arbeiter, der noch einem Anhänger des Zolltarifs seine Stimme gebe, sei ein Mörder seiner Familie. Das Rindvieh des kleinen Bauern, fährt Redner fort, sei im wesentlichen Zugvieh und gerade dessen Verteuerung schädige den kleinen Bauern. Die Mehrbelastung, welche schon durch die Vorlage erwachse, betrage mehr als 1000 Millionen ^ und der Löwenanteil würde die städtische Industrie-Bevölkerung treffen. Wenn die Linke dies mitmachen wollte, wäre sie wert, daß die Arbeiter sie aus diesem Hause hinauswiese. Die Vorlage müsse abgelehnt werden. (Beifall links.) Landwirtschaftsminister v. Podbielski führt aus, der Abgeordnete Bebel irre in der Behauptung, daß heutzutage die Rindviehzucht rentabel sei. Auch Milchviehzucht sei unlohnend, wenn der Preis der Milch ein zu niedriger sei. Ueber die Fleischnot müßten noch Erhebungen stattfinden. Dieselben seien noch nicht abgeschlossen. Der wertvolle Viehstand Deutschlands müsse jedenfalls geschützt werden. Die Zeitungsnachricht, daß er, der Minister, in einer Konferenz mit Herrn Ring Vorschläge wegen der Viehversorgung von Posen gemacht habe, sei falsch. In seinem Vorzimmer habe Herr Ring allerdings eine Aussprache gehabt aber nicht mit ihm und er selbst habe Herrn Ring auch gar nicht eingeladen. Der Minister schließt mit der Ueber- zeugung, daß noch etwas zu Stande kommen werde. (Gelächter.) Es werde sicher gelingen, diejenige Mittellinie zu halten, welche die Grundlage bilde für Handelsverträge. Bayerischer Ministerialdirektor v. Geiger erklärt, ob die vom Abgeordneten Bebel angezogene Aeußerung des bayerischen Ministerpräsidenten überhaupt gefallen fei, sei ihm nicht bekannt. Der Minister habe nur gesagt, solange im Nachbarlande Oesterreich Rindviehseuchen passierten, müsse Alles geschehen um die Seuchen von uns fern zu halten. Sächsischer Finanzrat Rüger erklärt, der Abgeordnete Bebel habe Anschuldigungen wegen der Grenzsperre auch gegen die sächsische Regierung erneuert. Er, Redner, berufe sich kurz auf die Antwort, die der Minister von Metzsch schon im sächsischen Landtage und hier in einer früheren Sitzung erteilt habe. Abg. Gamp (Reichsp.) führt aus, der Vorwurf Bebels, daß die Agrarier die Grenze nur geschlossen sehen wollten, um höhere Preise zu verlangen, sei eine frivole Verdächtigung. (Vizepräsident Büsing ruft den Redner wegen dieser unparlamentarischen Wendung zur Ordnung.) Abg. Gamp fortfahrend führt weiter aus, schon jetzt seien die Schweineprcise im Vergleich zn denen vor wenigen
erleichtert hatten. Und auf dieses hin verriet John, der Lakai, den ganzen zur Ergaunerung des Walter Carpenteriscken Nachlaßes ausgehsgten Plan.
John Wohlgemut war als Clerk in der Office des Brisbaner Notars und Rechtsanwalts Arthur S. Wallace beschäftigt gewesen, aber wegen liederlichen Lebenswandels und schlechter Streiche entlasten worden. Infolge seiner Stellung als Anwaltsschreiber hatte er Kenntnis erhalten von einem Testamente, welches ein Farmer deutscher Abstammung durch seinen Sachverwalter Wallace aufsetzen ließ, und worin derselbe, durch seine Verbannung aus der deutschen Heimat und sein einsames Farmerleben zum ausgesprochenen Sonderling geworden, — gleichsam den Zufall als Vollstrecker seines letzten Willens bestellte. Denn auf seinen bestimmten Wunsch allein war die in einigen Punkten unklare Aufforderung dcl Rechtsanwalts zurückzuführcn. Er war verbittert nach Australien gekommen, hatte dort, um durch nichts an die Vergangenheit erinnert zu werden, sogar seinen Familiennamen Zimmermann in „Carpenter" anglisiert und im Laufe der Jahre ein Vermögen erworben, das sich auf achtzigtausend Pfund belaufen konnte. Als es mit dem unverheiratet gebliebenen Walter Carpenter zum Sterben kam, erinnerte er sich, daß ihm etwa in Deutschland noch Blutsverwandte lebten, denen mit seinem Nachlaß gedient sein mochte, und nach langen Beratungen mit seinem Notar gab er endlich Einwilligung, seine ganze Verlassenschaft seinem einzigen Bruder Hermann Zimmermann oder dessen ehelichen Nachkommen zu vererben. Doch knüpfte er daran die Bedingung, die Einladung zur Testamentseröffnung derart abzufafsen, daß sie nur elwa'gen richtigen Erben, welchen die Familiengeschichte genau bekannt war, verständlich würde, ohne in tausend und aber tausend Deutschen, die den Namen Zimmermann tragen, unerfüllbare Hoffnungen zu erregen. So entstand die Aufforderung des Rechtsanwalts Wallace in den öffentlichen Blättern und, gleichviel ob der Erblasser dabei auf das Walten eines blinden Zufalls spekulierte, oder gläubig das Eingreifen einer höheren Fügung erwartete, die Bekanntmachung geriet wirklich in die dafür bestimmten Hände. Aber noch früher, als dem Professor Walter Zimmermann das Ausschreiben in einem deutschen Blatte vor Augen kam, hatte schon verbrecherischer Wille sich der Angelegenheit bemächtigt. Der davongejagte Schreiber John Wohlgemuth benützte seine Kenntnis von dem vorhandenen Testamente, um sich mit dem Schauspieler James Förster zur Erschleichung der Erbschaft zu verbinden. Der Letztere verfügte gerade über Mittel, welche ihm die Beraubung der Melbourner Merchants Bank geliefert, und war sofort bereit, diese „Ersparnisse" in einem neuen, flotten Unternehmen fruchtbringend anzulegen. Wie die Gauner zuerst in Deutschland als Lord und Lakai, dann auf dem Dampfer als rheinische Landleute, schließlich in
Adelaide als Policemann und Kutscher auftraten und agierten, ist in Vorstehendem erzählt worden. Allein im gleichen Augenblick, da sie am Ziele zu sein wähnten und hofften, sie würden, unbehindert von den gefangenen Deutschen, mit Hilfe der erbeuteten Dokumente Walter Carpenters Nachlaß an sich reißen, und im Laufe einiger Monate in Geld umsetzen können, wurden sie von Gottes strafender Hand der irdischen Gerechtigkeit überliefert. Eine unscheinbare Straßen- tänzerin war ausersehen worden, den mit grauenhaftem Raffinement zurechtgelegten Plan der Bösewichte noch zu vereiteln, als schon der sichere Erfolg zu winken schien, und so unbewußt die Vergeltung zu vollziehen für den Frevel, welchen der Schauspieler James Förster durch die Verführung ihres unglücklichen Vaters auf sein Gewissen geladen hatte. —
James Förster und der Seiltänzer Tom Graßgreen wurden zu Freiheitsstrafen verurteilt, welche sie auf lange Zeit für die menschliche Gesellschaft unschädlich machten; Pat Snapper und der Lakai kamen, als Kronzeugen, etwas billiger weg.-
Dem Professor gelang es nicht nur, sich am 3. April 18.9 in Brisbane als Neffe des verstorbenen Farmers Walter Carpenter in authendischer Weise auszuweisen, sondern auch dessen hinter lassenes Jmmobilarvermögen mit Hilfe des Sachverwalters Arthur S. Wallace vorteilhaft zu veräußern. Er und Julius sind schon längst wieder nach Deutschland zurückgekehrt und Letzterer hat dort ohne längeres Zögern Marie Zimmermann als geliebtes Weib heimgeführt auf ein prächtiges Landgut, welches mittelst des auf Marie treffenden Anteils an Walter Carpenters Nachlaß angekauft wurde. Der Profeffor ist ein berühmter Mann geworden und zählt zu den Zierden der Universität in M. Aber er blieb unvermählt und gleicht darin seinem australischen Onkel, dessen Namen er trägt. Sein ganzes Leben ist der Wissenschaft gewidmet und den Werken der Barmherzigkeit, in denen er Linderung für sein tiefes Seelenleiden sucht. Denn Stella Maria, die liebliche Blume, die er, um sie dem Schmutz der Straße zu entreißen, mit sich nach Europa führte und auf deutschen Boden verpflanzte, ist dort in wenigen Monaten verblüht und verwelkt. Die früheren Entbehrungen und die aufreibende Nomadencxistenz von Tom Graßgreens Wandertruppe hatten in ihre Brust den Keim des Siechtums gesenkt, welches sie trotz aller Bemühungen der Aerzte mit rapider Eile hinwegraffle. Seit dem frühen Hinscheiden des anmutigen Kindes gehört Walter Zimmermanns Fürsorge nur mehr den Armen und Elenden.-
Ende.