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alles nur für einen bösen Traum. Aber- und abermals las ich das verhängnisvolle Schreiben und endlich mußte ich mir gestehen, daß ich nicht träume, daß es entsetzliche Wahrheit sei. Nun erwachte aber meine ganze Energie. So schnell mich meine zitternden Füße tragen konnten, eilte ich in das Comptoir und fragte nach meinem Gatten. Die ernsten, traurigen Blicke der An­gestellten, besonders des Kassierers, eines alten Faktotum des Hauses, hätten mich schon über die Situation aufklären sollen; ich aber be­achtete dies alles nicht. Mit heiserer Stimme hatte ich die Frage gestellt und wartete nun mit auf's äußerste gespannten Fibern der Ant­wort. Da trat der alte Kassierer an mich heran, nahm mich beim Arme und führte mich wie ein willenloses Kind in das Arbeitskabinet meines Gatten, wo er mich sanft in einen Sessel drückte, und Thränen entströmten den Angen des treuen Mannes, als er sagte:

«Gnädige Frau werden bereits durch den Brief, den Ihnen unser Kommis gebracht hat, über das schreckliche Unglück, das über unser Haus hereingebrochen ist, unterrichtet sein. Gleich­zeitig erhielt auch ich ein Schreiben unseres Herrn, in welchem er mir ziffernmäßig den ganzen Sachverhalt darlegte. Ich habe sofort mit dem ersten Buchhalter eine Durchsicht der Bücher vorgenommen und dieselben mit den er­haltenen Daten verglichen, und . . .*

«Vollenden Sie!* sagte ich tonlos zu dem Manne, welcher mir nicht auf einmal die ganze Größe meines Unglücks offenbaren wollte.

«Und ich habe gefunden, daß der gänzliche Zusammenbruch unseres Hauses unvermeidlich ist,* schloß er, jedes Wort gewaltsam hervorstoßend.

«So wird nichts zu retten sein?* fragte ich, obwohl ich bereits keine Hoffnung mehr hatte.

Nichts!* entgegnete er tonlos. «Doch halt! In der Lade des Schreibtisches habe ich noch ein versiegeltes Kouvert gefunden, mit der Auf­schrift: «An meine Frau!* Hier ist es, viel­leicht enthält es noch eine Aufklärung."

Ich nahm dem Manne das Kouvert aus der Hand und öffnete es. Es enthielt aber nur eine ziemlich bedeutende Summe in größeren Noten und einen beiliegenden Zettel, auf wel­chem die Worte standen: «Die Mitgift meiner geliebten Frau, zu deren unantastbarer Verfügung!"

Ich sah den Mann an und glühende Röte überflog mein Angesicht. «Ich werde nicht einen Pfennig von dem Gelde behalten, an welchem die Ehre meines Gatten haftet!* rief ich hastig.

Aber das Antlitz des treuen Mannes glänzte wie verklärt, als er erwiderte:

«Das werden Sie nicht thun, gnädige Frau! Dieses Geld gehört Ihnen und niemand hat auch nur das geringste Recht auf dasselbe; auch kann niemand einen Vorwurf gegen Sie er­heben, da, wie ich aus den Büchern Nachweisen kann, ihr Vermögen nie zu Geschäftszwecken verwendet, sondern vom Herrn besonders ver- waltet wurde. (Fortsetzung folgt.)

Vermischtes.

Ein ewfigliches Schaffen In früh und später Stund Giebt von des Festes Nähe Und jetzt beredte Kund': Bald wird die Nacht, die heil'ge, Erscheinen ja der Welt, Rings von des Christbaums Strahlen In hehrem Glanz erhellt. Bald über Höhn und Thälcr Vom Turme wird gesandt Der Weihnacht frohe Botschaft Hin durch das ganze Land; Und frohe Mensche» künden Den Gruß dann weit und breit: Gott in der Höh' sei Ehre Jetzt und zu aller Zeit. Und ringS aus Erden Friede Sei, wie's im Lob- gefang Auf Bethlehems Gefilden In jener Nacht erklang; Kehr' an dem Fest der Liebe Mit seinem Hellen Schein Als Segen Wohlgefallen

Bei allen Menschen ein! Ja Liebe streu und Freude Das Fest uns reichlich aus, Die Sorge und die Klage Verstumm in HütU und Haus, Und Haß und Zwietracht fliehe Da, wo sie war zuvor, Nur Lust und Freud' und Jubel

Erkling' im sel'gen Chor. Und Kampf und Streit, er ruhe In sturmbewegter Welt, Auch hier sei jede Stätte Vom Weihnachtsglanz erhellt,

Auch hier mög' Frieden ziehen Und Wohl­gefallen ein, So auch für Land und Völker Das Fest von Segen sein! Laßt flüchten aus den Stürmen Des Lebens in den KreisDeS Hauses

uns, wo's knistert In Zweigen traut und leis, Wo bei der Kleinen Jubel Und der Beschenkten Lust Der eig'nen Kindheit Tage Ersteh» in unsrer Brust. In Harmonie die Herzen Laßt Alle klingen aus, Daun wird das Fest von Segen In Hütte sein und Haus, Dann tönt auL heut wie damals Der Engelsgruß aufs Neu, An ihm drum auch, dem hehren, Sich alle Welt erfreu: Gott in der Höh' fei Ehre Und F ied auf Erden­rund Und Wohlgefallen werde Heut allen Menschen kund!

Aus dem Sundgau, 17. Dez. Kaum tritt irgend sonstwo der Aberglaube in so zahlreichen Erscheinungen auf wie im Sundgau, wo er bis in die allerneueste Zeit geradezu blüht. Daher sei, in Bezugnahme auf früher schon gebrachte Beispiele, als weiteres Exempel für dessen Blüte angeführt, wie dasVerstauchen* geheilt wird. In jeder Ortschaft giebt es mindestens eine Person gewöhnlich ist es eine alte Frau diedafür kann". Dabei geschieht folgendes: Ueber der verstauchten Hand oder dem Fuße werden mit dem Daumen Figuren beschrieben, wie sie wunder­barer nicht einmal die analytische Geometrie kennt. Während dieser Zeremonie wird eine Zauber­formel gebetet, deren Inhalt und tiefer Sinn schwer zu erfahren ist. Den Schluß bildet ein gemeinsames Gebet religiösen Inhalts. Nach etwa vier- bis fünfmaliger Wiederholung der Handlung ist der Patient geheilt, varausgesetzt, daß er die Aussicht auf Heilung niemals bezweifelt hat; denn dies ist schließlich noch die Hauptsache. Auffallend ist hierbei, daß gerade Personen, welche die Frömmsten im Orte sein wollen, sich zu einer solch abergläubischen Handlung hergeben. Man nennt sie im VolksmundeSchirma".

Moskau, 11. Dez. In einem verrufenen hiesigen Hotel sind, wie die Petersburger «Börsen­nachrichten mitteilen, geheimnisvolle-Auffindungen gemacht worden. Ein Wirt, der eben das Hotel erworben, begann eine gründliche Ausbesserung des ganzen Hauses, wobei man in einem Fremden­zimmer, das an die Wohnung des früheren Besitzers grenzt, im Fußboden leicht von der Stelle zu entfernende Bretter fand, die den Eingang zu einem geheimen Keller verdeckten. Bei weiterer Untersuchung stellte man in diesem Zimmer eine trefflich markierte Thür fest, die sich auf einen Federdruck aus der Wohnung des ehemaligen Hotelbesitzers öffnen ließ. Die Polizei nahm eine Untersuchung des Kellers vor, den man mit allerlei Gerümpel, vor allem aber mit Ueberresten von Handkoffern, Reisesäcken, alten Anzügen angefüllt fand. Außerdem stieß man auf eine Anzahl menschlicher Knochen. Verschiedene Anzeichen sprechen dafür, daß diese Gegenstände 2030 Jahre alt sind. Der Vor­gänger des jetzigen Besitzers konnte Nachweisen, daß ihm weder der geheimnisvolle Keller noch die geheime Verbindung zwischen seiner Wohn­ung und dem Fremdenzimmer bekannt gewesen waren, und daß er in den zehn Jahren, während welcher das Hotel sein Eigentum war, diesen Teil des Hauses nie habe ausbesfern lassen. Die Moskauer Polizei stellt umfassende Unter­suchungen an.

sSelbstverrat.sDu, Mama, der Alfred macht mir alles nach!*Ach, das thut doch der Alfred nicht!" «Na, siehst Du denn nicht, wie er immer die Zunge herausstreckt?*

Ausland.

London, 20. Dez. Die Prinzessin von Wales ist heute abend von einem Sohne ent­bunden worden. Der neugeborene Prinz ist das vierte Kind, das der am 6. Juli 1893 ge­schlossenen Ehe des Prinzen Georg mit Mary, Fürstin von Teck entstammt.

In Frankreich hat die Kunde von der zu Madrid endlich erfolgten Verhaftung der Mitglieder der durchgebrannten Schwindlerfamilie Humbert-Daurianac, nach welcher so lange immer wieder vergeblich gefahndet worden war, in den weitesten Bevölkerungskreisen große Genug- thuung hervorgerufen. Der französischen Bot- schaft in Madrid war durch einen anonymen Brief die dortige Wohnung der Humberts ver- raten worden. Am 20. Dez. abends erschien dann ein Mann auf der Botschaft, erklärte, der Schreiber dieses Briefes zu sein, und verlangte

mit dem Ersuchen, seinen Namen geheim zu halten, die ausgesetzte Belohnung von 25000 Franks. Er scheint dieselbe aber, obwohl sich seine Angaben als wahr erwiesen und alsdann auf deren Grund die Verhaftung der Familie Humbert ins Werk gesetzt wurde, einstweilen nicht erhalten zu haben, vielmehr heißt es, daß vermutlich die bei der Verhaftung beteiligt ge­wesenen spanischen Polizeibeamten die Belohnung bekommen würden. Die männlichen Mitglieder der Schwindlerfamilie benahmen sich bei der Verhaftung sehr gefaßt, desto erregter geberdeten sich die weiblichen Mitglieder; alle aber be­haupteten sie, unschuldig zu sein. Sämtliche in der Wohnung der Verhafteten aufgefundenen Papiere, Gelder und Schmucksachen wurden von der Polizei beschlagnahmt.

Die Flottenbewegungen vor Venezuela haben sich in den letzten Tagen auf die strengste Durchführung der Blockade beschränkt, Angriffe gegen Küstenplätze, sind nicht erfolgt. In hohem Grade bezeichnend für die Rolle, welche die Ver­einigten Staaten hinfort in allen amerikanischen Streitfällen spielen wollen, ist das Eintreffen eines amerikanischen Geschwaders in Trinidad, also dicht vor der venozolanischen Küste.

Caracas (Venezuela), 22. Dez. Der Vor­schlag der Verbündeten, wonach Präsident Roose- velt als Schiedsrichter fungieren soll, ist gestern Castro mitgeteilt worden. Er hat sich mit diesem Vorschlag einverstanden erklärt.

Neu-Marghelan (Turkestan), 22. Dez. Andidschan und Umgebung haben entsetzlich ge­litten. Nach ungefährer Zählung sind 2500 Menschen umgekommen und 1100 Häuser zer­stört. Trotz der Hilfemaßnahmen der Regierung leidet die Bevölkerung doch Hunger und Kälte. Die Erderschütterungen dauern fort.

Aus Turkestan, 23. Dezember. Wie eine Spezialkorrespondenz telegraphiert, wird das Erdbeben täglich stärker. Das Gebiet der Erd­erschütterung beträgt 200 Quadratwerst. Die russische Bevölkerung wurde nach der Eisenbahn­station gebracht, wo 500 Wagen zur Verfügung stehen. Es sind gegen 4000 Menschen dem Erdbeben zum Opfer gefallen. In dem Stadt­viertel der Eingeborenen sind bis jetzt 800 Leichen ausgegraben worden. Das Wasser in den Brunnen ist versiegt. Man befürchtet eine Senkung des Bodens. Es wurden Hütten eingerichtet, in denen ununterbrochen Speisen abgegeben werben.

Mit dem 1. Januar k. Js.

beginnt ein neues Abonnement auf den

Gnzthäler".

Es nehmen alle Postämter und Lanb- postboten Bestellungen an.

Wir machen darauf aufmerksam, daß eine Vereinfachung im Zeitungsbezug einge­treten ist. Es genügt, um die Einziehung der Zeitungsgebühr zu bewirken, ein einfaches Be­stellschreiben, eine Karte, oder einen Brief unfrankiert in den Postschalter zu werfen oder dem Briefträger bezw. Postboten zu übergeben. Wir bitten von dieser Einrichtung ausgiebigen Gebrauch zu machen. In Neuenbürg abonniert man direkt beim Verlag.

Man bediene sich zu diesem Zweck des nach­stehenden Postbestellfcheins , welcher abzu­schneiden, auszufüllen und dem Postboten zu übergeben oder unfrankiert dem nächsten Post­amt einzusenden ist.

Postbestellschein.

Der Unterzeichnete bestellt hiedurch den

Gnzlhiiler

für das erste Vierteljahr 1993

und bittet um Einzug des Bezugspreises.

Nnmc:

Ort:

«edaktwu, Druck rmd Verlag von L. Meeh t» ReueubLrg,