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Reutlingen, 29. Aug. Zu der hohen Strafe von 378 ist durch oberamtliche Strafverfügung der Gastwirt R. verurteilt worden, weil er während der 3 Jahre 1899—1902 insgesamt etwa 60 Kilo Wurstwaren von Tübingen bezogen hat, ohne hier in Reutlingen die ortsstatutarisch vorgesehene Fleischsteuer im Betrage von etwa 75 zu zahlen. R. hatte auf richterliche Entscheidung angetragen, vor allem aus dem Grunde, weil er die Würste nicht heimlich sondern öffentlich sich mit der Bahn hat schicken lassen. Das Schöffengericht konnte jedoch gemäß der bestehenden Vorschriften nicht anders, als den Strafbescheid aufrecht erhalten.
Neichenbach a. Fils, 8. Sept. Fabrikant Otto hier gab gestern im Bierkellersaal den Veteranen des hies. Orts ein Festessen, wozu eine Abteilung der Cannstatter Artilleriemusik bestellt war. Der Vorstand des Veteranenvereins, Krautter, und der Vorstand des Kriegervereins, Barz, feierten Kaiser und König, Pfarrer Scheiffele das Vaterland, Lehrer Böhringer die Veteranen. Bei gemeinsamen Gesängen von patriotischen Liedern mit Musik- beMitung, Deklamationen und Gesangsvorträgen nahm das nachträgliche Sedansfest einen vorzüglichen Verlauf.
Friedrichshafen, 7. Sept. Der am Samstag Nachm, losgebrochene Gewittersturm von ungewöhnlicher Heftigkeit richtete in Hopfengärten durch Niederlegen der Draht- und Stangenanlagen, an den Obstbäumen durch massenhaftes Abwerfen der Früchte und durch Umwerfen ganzer Bäume großen Schaden an. Gräben und Wiesen standen voll Wasser und der See stieg rasch.
Berlin, 8. Sept. Der Großherzog Friedrich von Baden feiert morgen am 9. September seinen 7 6. Geburtstag. Dies ist, so schreibt die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung", ein Tag, an dem nicht nur in Baden, sondern auch im ganzen übrigen Deutschland des greisen Fürsten als eines der Helden aus der Zeit der Wiederauflichtung des deutschen Reiches mit herzlicher Verehrung und Liebe gedacht wird.
Berlin, 8. Sept. Wie aus Posen telegraphiert wird, wurde gestern die im Landeshause gehaltene Polenrede des Kaisers durch Anschlägen an den Plakatsäulen zur Kenntnis der Bevölkerung gebracht und soll an entsprechender Stelle sämtlichen Bewohnern der Provinz zugänglich gemacht werden. Das polnische Blatt „Orendownik" schreibt, die Rede des Kaisers erinnere nicht an die Marienburger Redeweise, bestätige aber den Inhalt der Marienburger Rede, da der Kaiser in ihr dieselbe Stellung wie damals zur Polenfrage eingenommen habe.
Berlin, 8. Sept. Aus Hamburg wird gemeldet: Der Packetfahrt-Dampfer „Westphalia" kollidierte auf der Fahrt von Hamburg nach Monreal unweit von Quebec mit einem Schooner, der sofort sank. Zwei Leute sind ertrunken. Die Westphalia wurde beschädigt, tonnte aber die Reise forrsetzen.
Berlin, 9. Sept. Die Norddeutsche Allgemeine Zeitung schreibt: Die Tägliche Rundschau hat aus einem anderen Blatte allerlei böswilligen
Klatsch über das Verhalten der russischen Offiziere während der Kaisertage in Posen übernommen und ohne Nachprüfung jener tendenziösen Meldung das gesellschaftliche Auftreten dps Generals Tschertkow bemängelt. Nachträglich hat das Blatt die ihm stark übertrieben erscheinenden Berichte durch Aufnahme einer Zuschrift von anderer Seite abgeschwächt, verbleibt aber bei der falschen Behauptung, die russischen Gäste hätten nach Möglichkeit einen Mißton in die Posener Festtage gebracht. Wir müssen es auf das schärfste verurteilen, daß General Tschertkow, ein hochgestellter Gast seiner Majestät des Kaisers und seine Begleiter in einem deutschen Blatte lediglich auf Grund von durchaus wahrheitswidrigen Zuträgereien verunglimpft worden sind.
Berlin, 9. Sept. Wie der Post mitgeteilt wird, erklärten die hier anwesenden englischen Generale die von mehreren Blättern verbreiteten Interviews für unwesentlich. General Hamilton habe lediglich eine allgemeine lobende Bemerkung über die deutsche Parade gemacht, Roberts dagegen sich überhaupt nicht geäußert. Im Uebrigen hätten die englischen Offiziere selbst erklärt, daß sie sich lediglich als Gäste des Kaisers betrachteten, aber keinerlei Auftrag hätten, bei dieser Gelegenheit fachmännische Urteile der Oeffentlichkeit zu übergeben.
Berlin, 9. Sept. Die Leiche Rudolf Virchows wurde gestern abend von der Wohnung nach dem Rathaus überführt. Die Ueberführung erfolgte in aller Stille. Nur die drei Söhne und ein Schwiegersohn gaben dem Toten das Geleit. Dem Leichenwagen voraus fuhren zwei Wagen mit Kränzen. Stadtverordnetenvorsteher vr. Langerhans ging dem Sarge entgegen und begrüßte kurz die Angehörigen. Im Saale wurde der Sarg aus den Katafalk gehoben, worauf Gärtner und Dekorateure die zahlreichen Blumen und Kränze ordneten. — In der Pariser Akademie der Wissenschaften widmete nach einem Telegramm des Lokalanzeigers aus Paris das Mitglied Bouchard dem schaffenden Genie Virchows einen warmen Nachruf, der tiefen Eindruck machte.
Wien, 9. Sept. Der hier tagende deutsche Philatelisten-Tag bestimmte Pforzheim als Ort des nächstjährigen Kongresses.
Wien, 9. Sept. Der deutsche Militär- AttachS Major von Bülow hat sich nach Oderberg begeben, um dort den deutschen Kronprinzen zu erwarten und zu den Manövern nach Ungarn zu begleiten.
Paris, 8. Sept. Wie „Expreß" meldet, sprang gestern cin Armenier auf den Wagen des Schah von Persien, als dieser sich zum Hotel begab. Bei seiner Verhaftung erkärte der Armenier, er habe den Schah um eine Geld-Unterstützung bitten wollen.
Paris, 9. Sept. Das Blatt „Provoca" berichtet aus Buenos Ayres vom 7. ds. Mts.: Die Stadt Bolivar ist durch einen Cyklon völlig zerstört worden. 14 Personen wurden dabei getötet, 50 verwundet.
London, 9. Sept. Die heutigen Morgenblätter berichten über eine Massen Vergiftung in Berby. Mehrere hundert Personen erkrankten. Zwei sind bereits gestorben, viele schweben in Lebens
gefahr. Die Vergiftung erfolgte infolge Genusses schlechten Bieres.
London, 9. Sept. Den Burengeneralen, welche heute London an Bord der „Bohemia" verlassen, soll in Amsterdam ein großer Empfang bereitet werden.
San Sebastian. 9. Sept. Ein Erd - stoß wird aus Sufalu in der Provinz Navarra gemeldet. Der Fluß Jaon ist aus den Ufern getreten. Auch in Ciudad Real wurden heftige Erdstöße, begleitet von starkem unterirdischem Donner, verspürt.
New-Aork, 9. Sept. Aus St. Vinzent wird gemeldet: Der Fluß Rebaca zeigt noch immer einen brennenden Strom von vier bis fünf Meter Breite. Ungeheure Brandwolken lagern über der Insel. Das Festland hat durch die Lavaergüsse bedeutend an Umfang gewonnen. Der Soufriör; hat sich deutlich gesenkt. Das Aussehen des Kraters ist völlig verändert. In der Nacht zum 4. d. Mts. ist ein schweres Gewitter begleitet von starkem unter- irdischem Getöse niedergegangen.
Permischles.
— Ein moderner Robinson Crusoe. In Seattle, Washington, ist ein Mann Namens John Sullivan gestorben, dessen Lebensgeschichte sich wie ein Roman von einem zweiten Robinson Crusoe liest. Sullivan war in der irischen Stadt Cork geboren und verließ als ganz junger Mann seine Heimat, um Seemann zu werden. Während einer seiner Reisen, vor etwa 40 Jahren, geriet sein Schiff in einen schrecklichen Sturm und litt Schiffbruch. Sullivan war der einzige von der Mannschaft, der mit dem Leben davonkam. Er war ein ausgezeichneter Schwimmer und wurde nach einem langen Kampfe mit den Wellen auf Festland geworfen. Starr vor Kälte lag er die ganze Nacht da; als der Morgen kam, entdeckte er, daß die Wellen ihn auf ein völlig unbewohntes Land geworfen hatten. Wie der Robinson der Dichtung schwamm er zum Wrack zurück und konnte sich ein Gewehr und Munition mitnehmen, so daß er Tiere schießen konnte, die ihm als Nahrung dienten. Er baute sich eine Hütte und lebte einige Tage als Einsiedler, bis sich zufällig ein Matrose, der von einem anderen Wrack entkommen war, sich einfand. Beide machten sich ans Werk, Hütten zu bauen und sie bewohnbar zu machen. Im Laufe der Zeit wurden diese allmählich von Leuten, die aus den Städten kamen, die im Innern des Landes schnell wuchsen, bevölkert. Sullivan steckte für sich ein großes Stück Land ab, und auf diesem entstand die jetzt sehr bekannte Stadt Seattle, deren Bevölkerung zur Zeit aus 4200 Personen besteht. Mit dem Wachstum der Stadt wuchs auch der Reichtum Sullivans; er war unter den Ansiedlern als „Pionier" Sullivan bekannt. Ursprünglich war er ein gänzlich ungebildeter Mann, aber als er reich geworden war, fing er noch an zu lernen. Eine junge Französin, Mlle. Marie Carran, die ihn im Französischen unterrichtete, behauptete nach seinem Tode, er hätte sie durch ein mündlich gemachtes Testament zur Erbin seines Besitztums eingesetzt. Dieser Anspruch ist aber von dem Supreme Court der Vereinigten Staaten als null und nichtig erklärt worden, und sein Vermögen von 2 500 000 ^ ist an zwei arme Iren gefallen.
„Auf Rccognoszierung."
„Wozu?"
„Soll ich unthätig zuschaueu, wie die schlitzäugigen Kuli einen Schatz in Rauch aufgehen lasten, der uns selbst und unserem Geschäft noch sehr dienlich werden kann? Wenn offene Gewalt gegen unsere zwei Widersacher nichts aus- richten sollte, ist es immerhin gut, ein still wirkendes Mittel in petto zu haben. Sobald morgen mittag alle Zwischendecks-Passagiere nach der Kabuse gehen, um das Essen zu holen, bleibe ich als Letzter zurück, und bis der Jude seine Koje wieder aufsucht, gehören seine Opiumpillen unser."
„Und wenn er Lärm schlägt, sobald er seines Verlustes gewahr wird?"
„Das wird er wohl bleiben lasten, denn seit die Engländer in Egypten die Vorhand haben, sind auf den Besitz und heimlichen Handel mit Opium strenge Strafen gesetzt. Sollte der Hebräer aber sich an Bo.d eines deutschen Schiffes für straffrei halten, oder sollte seine Habgier größer sein, als seine Furcht und Klugheit, so wird er höchstens die Chinesen im Verdacht haben, und bei diesen kann er meinetwegen eine Leibesvisitation vornehmen lassen — wohlverstanden, wenn der Kapitän auf eine solche Maßregel eingehen sollte, was ich vor der Hand allen Ernstes bezweifle. Wir zwei aber bleiben ganz gewiß aus dem Spiele, uns schaut man mit keinem Auge krumm an; denn", kicherte er in sich hinein, „wozu sollten harmlose Bauern Opiumpillen brauchen können? Dummheit! —"
Als es Morgen wurde, befand sich der Dampfer im Menzalehsee und gegen Mittag bei El Kantara. Dort durchschneidct der Suezkanal eine nicht sehr bedeutende Bodenerhebung, um kurz darauf in den See Ballah einzutreten, und nachdem er El Ferdane und El Gisr passiert, in die blau leuchtenden Gewässer des Sees Timsah einzumünden, an dessen nordwestlichen Ende Jsmailia liegt.
Die Nacht war hcreingebrochen, als der „Cerberus" die Lichte von Tusun in Sicht bekam und in die vom Kanal durchbrochene Felsenschwelle des Ssrapcums einfuhr. Diesmal schliefen auch die von der durchwachten vorigen Nacht erschöpften Zwischendeckpassagiere. Nur im Chinesenwinkel war es noch lebendig; die bezopften Reisenden kauerten wieder auf ihren Strohunterlagen und Decken und warteten geduldig auf das Erscheinen des Händlers, der ihnen das verbotene und doch so heiß begehrte Labsal des Opiums bringen sollte.
Der Jude kam auch, aber nicht leise und schleichend wie in der letzten Nacht, sondern stürmisch, mit allen Zeichen einer heftigen Aufregung. War ihm doch sein ganzer Vorrat Opiumpillen abhanden gekommen und nun stand er vor den Söhnen des Reichs der Mitte und beschuldigte diese, mit Armen und Händen gestikulierend, und mit halblauter, vor Entrüstung zitternder, zischender Stimme des Diebstahls. Für die Chinesen blieben jedoch die Schmähungen und Schimpfworte des Händlers ebenso ein Geheimnis, wie seine Bitten und Beschwörungen. Es half nichts, daß er jetzt flehte, man solle ihm das entwendete Gift zurückstellen, und dann wieder drohte, er wolle den Diebstahl anzeigen und die ganze Gesellschaft ins Gefängnis werfen lassen. Der arabische Wortschatz der Chinesen war zu gering, als daß sie ihn verstanden hätten. Sie begriffen nicht einmal, daß der Handelsmann selbst kein Opium mehr besaß, sondern fragten nur immer, „Hop-in-huh? — Hvp-in-huh?", zeigten auf ihre Pfeifen, brachten Geld zum Vorschein, und als alles nichts nützte, schüttelten sie trübselig die Köpfe, seufzten, streckten sich dann auf ihren Decken aus und ergaben sich resigniert in ihr Schicksal. Der Hebräer sah ein, daß eine Verständigung unmöglich war; er ballte die Fäuste gegen die Chinesen und ging zornschnaubend zurück nach seiner Koje.
(Fortsetzung folgt.)
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