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Aus Stadt, Bezirk und Umgebung.

Neuenbürg, 3. Nov. Ein Beamtenwechsel in hiesiger Amtsstadt ist bekanntlich kein seltenes Ereignis; als aber der Staatsanzeiger erst kürz­lich die überraschende Mitteilung brachte, daß mit einem Schlag gleich zwei in der Bürgerschaft allgemein beliebte Lehrer auf erledigte Schul- stellen nach Heilbronn ernannt sind, hat man davon in allen Kreisen in- und außerhalb der Stadt mit lebhaftestem Bedauern Kenntnis ge­nommen. Die beiden an eine und dieselbe Stadt versetzten Scheidenden, Aufsichtslehrer Braun und Unterlehrer Stettner, haben den 5. No­vember als gemeinsamen Anfzugstermin. Nach dem der Letztere eine Abschiedsfeier dankend ab­gelehnt hatte, fand eine offizielle Feier für Hr». Braun am gestrigen Sonntag Abend, erstmals in Form eines Familienabends, statt. Von Uhr ab füllten sich die Räume des Gasthofs z. Bären. Stadtschultheiß Stirn entbot hier den Wiükomm- gruß und betonte in seiner herzlichen Ansprache weiter, daß zwar in letzter Zeit aus Anlaß des Wegzugs von Beamten öffentliche Abschicdsfeiern nicht veranstaltet worden seien, daß man sich aber für verpflichtet gehalten habe, bei Hrn. Braun, der 17 Jahre lang als ständiger Lehrer hier fungiert hat, eine Ausnahme zu machen. Das zahlreiche Erscheinen bestätige das Einver­ständnis. Ohne sich über das Nähere zu ver­breiten, möchte er dem als Lehrer und Privat- mann hier sehr geschätzten Hrn. Braun im Namen der Stadt herzlichen Dank sagen für seine über­aus ersprießliche Thätigkeit, im Besonderen auch für seine Mühewaltung als Vorstand und Kassier des Verschönerungsvereins. Hr. Braun habe es verstanden, ohne reichliche Mittel den Bedürf­nissen sachgemäß Rechnung zu tragen. - - Hierauf erhob sich Dekan Uhl, um in folgenden tief­empfundenen, alles gleich treffenden Worten den Gefühlen der Anwesenden beredtesten Ausdruck zu geben:

Selten wird es einem Gemeinwesen beschielten sein, daß 2 Lehrer aus einen und denselben Tag nach einem und demselben Ziele wandern. Aber für Neuenbürg trifft dies in diesen trüben, durch das herbstliche Laub auf den Abschied gestimmten Novembertagen zu. Ter jüngste und der älteste Lehrer unserer Volksschule, der Unterlehrer und der Aufsichtslehrer, verlassen uns auf denselben Tag, und ein Ziel ist's, dem sie zusteuern: das schöne Heilbronn, die reiche, blühende Handels­und Fabrikstadt des Schwabenlandes an den körn- und weinumrankten Gestaden des Neckars. Beide haben eine öffentliche Abschiedsfeier zunächst abgelehnt, und bei dem jüngeren da mochten wir's verstehen, denn nachdem in den letzten Jahren die öffentlichen Abschieds­feiern hier außer Kurs gekommen und sogar unsere ständig hier angestellten Beamten, einer um den andern, ohne offizielle Abschiedsfeier von uns gegangen, schien es aus Rücksichten des öffentlichen Taktes begreiflich, wenn der unständige Lehrer auf eine solche Feier ver­zichtete. Nichtsdestoweniger hatte ich mir Vorbehalten, an dem heutigen Abend auch der Verdienste zu gedenken, die unser scheidender Hr. Stettner um seine Schule hat, und ihm zu danken für alle Liebe und Bemühung, die er den kleinen Knaben und Mädchen seiner Klaffe gewidmet hat. Noch am letzten Freitag bei der Prüf, ung ist es offenbar geworden, wie die Aeuglein der Kleinen ihrem Lehrer entgegenleuchtcten und die Herzen ihm entgegenschlugen und die Wehmut baldigen Ver­missens sich der Kinderherzcn bemächtigte. In der Erziehung wußte er, was nicht jeder junge Mann ebenso fertig bringt, in glücklichster Weise Ernst und Milde zu Paaren, und zu meiner großen Freude wurde ich niemals in die Lage versetzt, das heikle Gebiet zu betreten, da es Schwierigkeiten und Streitigkeiten zwi­schen Schule und Haus, zwischen Lehrer und Eltern zu schlichten und zu ebnen gilt. Dafür sei Hrn. Stettner der schuldige Dank nicht vörenthalten. Aber ich wende mich nun dem ständigen Lehrer zu, dem Manne, der mehr ats 17 Jahre lang der unsrige gewesen ist und mit so starken Wurzeln und Fasern auch seines familiä­ren Lebens in die hiesige Heimat eingegründct war, daß wir schon glaubten, ihn dauernd behalten zu dürfen. Es ist unser Aufsichtslehrer Braun. Er konnte und durfte sich einer öffentlichen Abschiedsfeier, die alle Kreise der Bevölkerung auf die Beine bringt, nicht entziehen, er mußte sich wohl oder übel dazu hergeben. Seinen Weggang empfinden wir alle als einen tief­gehenden Verlust, denn nicht nur durch seine Thätigkeit an der Schule, die ihn allerdings allein schon im Laufe von 17 Jahren mit einer Reihe hiesiger Familien bekannt und vertraut gemacht hat, sondern namentlich auch durch seine dienstbereite Mitwirkung auf den verschiedensten Gebieten des öffentlichen Lebens, des bürgerlichen und des kirchlichen, ist er der unsrige ge­wesen, und mit Stolz nennen wir ihn so. Es würde zu weit führen, wollte ich alle die einzelnen Dienste bezeichnen, in denen Hr. Braun sich als treuer Haus­halter bewährt hat jahraus jahrein, ich sage nur, daß er gleichsam wie dasMädchen für alles'' überall zu

brauchen war und vermöge seiner vielseitigen Gaben, die verbunden waren mit ausdauerndem Fleiß und un- ermüdeter Strebsamkeit, auf jedem Posten seinen Mann zu stellen wußte. Soll ich aber seine Persönlichkeit und seine Verdienste noch in etwas zeichnen, so möchte ich an die Worte erinnern, die einst der schaffenssreudige Generalpostmcister Stephan sich als Devise erwählt und die aus seinem Denkmal zu Schwerin geschrieben stehen: Ziel erkannt,

Kraft gespannt,

Pflicht get Han,

Herz obenan!

Ziel erkannt!" so hat's auch bei unserem Hrn. Braun geheißen. Ihm war eS nicht genug, nur etwa Kenntnisse und Fertigkeiten seinen Schülern und Schülerinnen beizubringen fürs äußerliche Leben des Erwerbs und des Fortkommens, nein, Lebens- eindrücke, die da wirken von Person zu Person, von Geist zu Geist, hat er ihnen mitgegeben und so ihnen »erhoffen zu dem Besten und Edelsten, was ein Mensch haben kann, zu einer Bildung des Herzens und Ge­mütes, zur Bildung des Charakters und des inneren Wesens. Auf dieses Ziel hat er seineKraft ge­spannt." Ich will die Arbeit des Lehrers nicht ver­größern, denn wir alle müssen arbeiten und wissen, was arbeiten heißt, aber das will ich auch nicht ver­schweigen, daß es im Beruf des Lehrers doch in sonder­licher Weise heißt:Kraft gespannt!" Einer so großen Zahl von Schülern mit ihren verschiedenartigen Bedürf­nissen und Ansprüchen zu genügen, das erfordert eine Anspannung aller Kräfte; da wird nicht bloß der Leib müde, sondern auch die Seele ist in Gefahr müde zu werden. Diese Gefahr hat Hr. Braun überwunden, er ist immer wieder frisch und freudig aus den Plan ge­treten und hat immer wieder aufs neue seinePflicht" gethan. Ja,Pflicht gelhan!" Das ist nicht immer so leicht und nicht immer so selbstverständlich, wenn wir an die großen und kleinen Verdrießlichkeiten denken, durch die ein Lehrer in feiner Arbeit sich durchzu- kämpsen hat, an die mancherlei oft so thörichten und leider oft auch böswilligen Anfechtungen und Anfeind­ungen, denen sein Wirken ausgesetzt ist. Aber Herr Braun hat trotzdem, daß solche Erfahrungen ihm auch nicht erspart geblieben sind, seine Pflicht gethan, und zwar so, daß wir fühlten:Herz obenan!" Ja,, das ist noch das Letzte und Beste, daß bei' ihm alles durchzogen war von einem seelenvollen Etwas, von einer gemütvollen Wärme, die so recht eigentlich das Geheimnis war für die anregende Kraft, die von ihm ausging. Nun denngeschieden muß sein!" Was die Tannen rauschen, das ist gar mancherlei. Auch von einem teuren Grabe her weht Abschiedslust und Weh­mutshauch ; und manche ernste Stunde steigt m der Erinnerung herauf, wenn die beiden Gatten, Herr und Frau Braun, zurückblicken aus die hier durchlebte Zeit von der Morgensonne des beginnenden häuslichen Glückes bis zur Miltagshitze des reiferen Alters! Aber wohlanmit Gott!" Es ist beim Komme» kein schönerer Gruß alsGrüß Gott", und so beim Scheiden kein besserer Schluß alsBehüt' Euch Gott!" Behüt' Euch Gott, es wär' so schön gewesen, behüt' Euch Gott, es hat, es hält' nicht sollen sein."

Diese eindrucksvollen, herzlichen Worte und die darauf unmittelbar folgenden schönen zum Abschied passenden Liedervorträge des Kirchen- chors und des Liederkranzes brachten gleich die richtige Stimmung. Als weiterer Redner schil­derte der Kollege des Scheidenden, Lehrer Vollmer,, das allezeit bestandene freundschaft­liche Verhältnis der Lehrer, das durch keinen Mißlon gestört worden sei. Dem hiesigen Lehr­körper sel übel mitgespielt, Kopf und Fuß seien ihm genommen worden, durch den Kollegen Beutler und ihn sei aber doch noch ein Rumpf geblieben. Die Scheidenden haben stets die Interessen der Schule gefördert, bei Brauns lebendigem Naturell habe es nie an anregender Unterhaltung und kräftigem Leben gefehlt, in Stettner habe der Lehrkörper einen festen Fuß auf dem weitausschauenden Gebiet der Pädagogik gehabt. Obwohl die zurückbleibenden die ziehen- den Kollegen mit aufrichtigem Bedauern scheiden sehen, gönnen sie ihnen doch die Beförderung nach der Seestadt Heilbronn, wo Stettner ja auch bald in den Hafen der Ehe einlaufen werde. Unter lebhaftem Beifall schloß der Redner mit herzlichemGlückauf!" dem Ruf, den die Scheidenden in der Nähe des Salzlagers Wohl noch öfters hören werden. Der unter Hrn. Vollmers Leitung stehende Kirchenchor bekräftigte diese Rede mit dem stimmungsvollen Lied Wohlauf in Gottes schöner Welt!" Stadt­vikar Müller brachte nun in launigen Worten für den Jünglingsverein Hrn. und Frau Braun herzlichen Dank dar für die durch Vorträge und bei den Aufführungen des Vereins gele.stete Unterstützung. Es folgte der allgemeine Gesang des echten alten VolksliedesAm Brunnen vor dem Thore" und darauf der immer schöne und ansprechende Bortrag des sinnigenSchwarz­waldliedes" durch den Tenoristen Klausel und den Bassisten Hagmayer. Eine Dankespflicht

stattete hierauf Oberamtspfleger Kübler ab, indem er namens der Eltern der Schüler und Schülerinnen den beiden scheidenden Lehrern herzlichen Dank sagte für ihren treuen Unterricht. Wieder sang darauf der Liederkranz eines seiner neuen Lieder modernster Komposition welche von lebhaftem Beffal! begleitet waren! Wie bei dem so vielseitigen Interesse, das Hr. Braun im öffentlichen Leben bcthätigte, wohl ganz selbstverständlich, waren die Trinksprüche noch nicht am Ende. Auchder Enzthäler" hatte begründeten Anlaß, dem treuen Mitarbeiter, den er bald in Hrn. Braun schätzen lernen durfte, gebührenden, herzlichsten Dank zu zollen, herz- llchen Dank zugleich mit den Lesern im Be­sonder» für die mancherlei interessanten Aufsätze und originale» Beiträge aus der Geschichte von Stadt und Amt Neuenbürg, welche der Verfasser mit dem an ihm gewohnten eisernen Fleiß und dem ihm eigenen Geschick der alten Registratur entnommen. Im Weiteren erinnerte Redner daran, wie Braun, von Herrenalb kommend, bald nach seinem Hiersein (1885), dem Liederkranz und dem Kirchenchor unter Dirigent Schramm bei- getreten, wie er im Liederkranz zuerst anläßlich der Schulhauseinweihung gesungen und wie er alsdann als eifriger Sänger mehr als 12 Jahre hindurch seinen Mann gestellt hat, wie er als begeisterter Vaterlandsfreund in und außerhalb des Liedeikcanzes an unfern patriotischen Feiern und sonstigen öffentlichen Versammlungen lhätigen Anteil genommen und auch manchmal mit trefflichen Berichten darüber der Redaktion an die Hand gegangen ist. Noch war cs des Redners Pflicht, der Thätigkeit des Scheidenden als Kassier des Gausängerbundes (seit Gründung 1889) rühmend zu gedenken, war Braun doch geradezu das Ideal eines Kassiers: bei den Gauversammlungen stets mit größter Liebenswürdigkeit und Sorgfalteinnehmend", ein paar in sprudelndem Humor launig hin- geworsene Worte, und die Gelder stoßen ihm nur >o zu; ihm konnte man auch in unseren Zeit­läuften, wo es dieKassiere" nicht immer so genau nehmen, mit großer Ruhe die ganze große Gaukasse anvertrauen. Scherzweise bemerkte der Redner, daß wenn die Heilbronner in ihrer Ge­werbebank einen solchenBraun" statt einen Fuchsen gehabt hätten, es nicht zu einem Krach gekommen wäre. Namens des Lieder- kranzes, der in das ausgebrachteLebe hoch!" kräftig einstimmte, sprach noch sein Dirigent, Reallehrer Widmaier, dem alten Sänger, der das Ideal des deutschen Liedes gepflegt, be­sonderen Dank und Anerkennung aus und nun war die Reihe an den scheidenven Freund selbst gekommen. In schwungvollen Worten dankte er bewegten Herzens nach allen Seiten, voran dem Hrn. Dekan, für die dargebrachte Ehrung, für alle Liebe, Güte und Nachsicht. Er schilderte in lebendiger Art seine erste Reise über Neuen­bürg nach Herrenalb (1880), wie er nach 5 Jahren alsStändiger" hierher gekommen, wie inzwischen Neuenbürg ihm zur Heimat ge­worden.Es hätt nicht sollen sein!" gesteht der Scheidende selbst. Doch es muß ja! Seinem l. Neuenbürg im Tannengrund weiht er sein Glas. Noch die zu Herzen gehenden Lieder des KirchenchorsBefiehl du deine Wege" undAde du lieber Tannenwald!" --- und die Abschiednehmenden trennten sich unter Hände­druck mit gegenseitigemLebe wohl! und Auf Wiedersehen! Wir schließen uns von Herzen all den guten Wünschen an. Gott be­fohlen! und noch viele glückliche und gesegnete Tage und Jahre im neuen Wirkungskreis drunten im Unterland!" Nachschr. vom 5. Nov. Heute früh, bald nach 7 Uhr, sammelten sich die Schülerinnen der Mädchenoberklasse vor dem alten Schulhause, der Wohnung ihres Lehrers Braun, um das letzte Abschiedslied:Zieht im Frieden Eure Pfade ic.!" darzubringen und den Scheidenden alsdann das Geleite zum Bahnhof zu geben. Angeschlossen hatten sich Hr. und Frau Dekan, Hr. Stadtschultheiß, die HH. Lehrer der Real- und Volksschule und noch ein statt­licher Kreis von befreundeten Damen und Herren aus der Bürgerschaft. Es war noch ein schmerz­bewegtes Abschiednehmen, bis uns der Bahnzug 8.9 die l. Scheidenden entführte.