In dem dämmerigen Dunkel erblickte Marie Sarg an Sarg.
Sie gingen Hand in Hand zwischen den Reihen der Särge hindurch bis zum Hinter gründe der Gruft.
Das flimmernde Wachslicht warf gigantische Schatten.
Ein leises „Ah!" der Ueberraschung entfloh den Lippen Marie s, als Kurt mit ihr vor einer starken, mit Eisenbeschlägen versehenen eichenen Bogenthür stehen blieb und mit der Hand auf diese deutete.
Bevor sie die Frage, welche auf ihren Lippen schwebte, aussprechen konnte, schob er einen Riegel zurück und öffnete die Thür.
Rostig knarrten die Angeln.
Ein schwarzer Gang dehnte sich vor den Blicken beider aus.
„Wohin führt dieser Gang?" fragte sie.
„Ich habe ihn durchforscht und will Dir meine Entdeckung mitteilen."
Er schloß die Thür wieder.
Neben der Thür standen an der Wand zwei schwarze Schemel mit gekreuzten Beinen.
Auf diesen Schemeln hatte einst ein Sarg gestanden.
Marie setzte sich auf den einen, Kurt auf den andern Schemel.
Er stellte das Wachslicht vor sich aus den Boden und begann zu erzählen.
Marie lauschte spannungsvoll, andächtig, die Hände im Schooß gefaltet. Ihre Blicke hingen unverwandt an seinen Lippen.
Und dann sprachen sie lange, lange miteinander, erwogen einen Plan.
Wir werden später erfahren, welche Bewandtnis es mit jenem schwarzen Gange hatte und welchen Plan Marie und Kurt an diese Entdeckung knüpften.
Als sie mit einander eins geworden waren, sagte Marie:
„Gott selbst gab mir den Gedanken ein, Dich in die Gruft zu verbergen, damit Du diese Entdeckung machen solltest, eine Entdeckung, die uns auf den Plan kommen ließ, auf welche Weise Feodora zum Selbstverrat gezwungen werden kann. Ich zweifle nicht daran, daß Feodora in der Angst ihres Herzens eingestehen wird: Ich ermordete die Gräfin Amalia von Bärenfeld!"
„Gott möge uns das Werk gelingen lassen!" erwiderte Kurt mit feierlichem Ernste. „Aber wir bedürfen eines Zeugen. Bist Du auch gewiß, daß Dein Vater uns als solcher mag dienen wollen? Wird er nicht vor dem verwegenen Plane zurückschrecken?"
„Banne diesen Zweifel, mein Herzensfreund!" antwortete sie. „Mein Vater ist wie ich von Deiner Unschuld überzeugt.
Sie erhoben sich und gingen auf die Treppe zu.
„Ich muß scheiden," sagte Marie, indem sie Kurt umschlang und sich zärtlich an ihn schmiegte. „Doch ich gehe heute von Dir mit einem Herzen voll froher Hoffnung. Ich will alles für die folgende Nacht vorbereiten. Erwarte meinen Vater und mich zwischen 11 und 12 Uhr!"
Marie sprach am andern Morgen mit ihrem Vater, dem greisen Totengräber Bertram, teilte ihm mit, was für eine Entdeckung Kurt gemacht habe und weihte ihn in den Plan ein.
Sinnend, ernst, überlegend und erwägend, hörte der Alte sie an.
Als sie geendet hatte und nun die Blicke flehend zu ihm aufschlug: „Nicht wahr, Vater, Du hilfst uns, Feodora zu entlarven?" da konnte er nicht anders antworten als: „Ja, mein Kind, ja!" Und er schloß sie inbrünstig an sein Herz.
* *
-i-
Heute schien die liebe Sonne so hell und so freundlich in das Gemach, goldene Lichtstrahlen gaukelten auf dem ebenholzschwarzen Haar Feodora s, daß es zu flammen schien.
Feodora saß, die schlangengleichen Glieder in ein schneeiges Morgengewand gehüllt, in einem weichen Sessel, behaglich zurückgelehnt, am Fenster, wie eine auf rosigem Gewölk thronende Göttin.
Träumerisch blickte sie vor sich hin.
Ein eigenes Lächeln umschwebte ihre Lippen.
Lucie, ihre Zofe, trat ein.
„Durchlaucht, Baron Olaf von Grönland wünscht Ihnen einen guten Morgen und erkundigt sich nach Ihrem Befinden. Er fragt an, wann er Eurer Durchlaucht seine Aufwartung machen dürfe. Er habe Ihnen wichtige Mitteilungen zu machen.
„Geh', Lucie, lass' ihn eintreten!"
Gleich darauf erschien Baron Olaf von Grönland.
Feodora lächelte ihn freundlich an und streckte ihm die Hand zum Gruße entgegen.
Er ergriff die kleine weiße Hand und drückte sie an die Lippen.
„O wie schön Du bist!" flüsterte er mit entzückter Bewunderung.
Seine Augen ruhten mit verzehrendem Feuer auf dem schönen Weibe, dessen Busen höher aufzuschwellen schien, dessen Lippen ein verführerisches Lächeln umspielte.
„Feodora, ich liebe Dich mit glühender Leidenschaft! wogte es von seinen Lippen. „Du bist die Sonne, der Brennpunkt meines ganzen Seins!"
Es schmeichelte die Eitelkeit Feodora's, sich so geliebt zu wissen.
Sie sandte ihm einen verheißungsvollen Blick.
„Ich danke Dir, Olaf, für Deine Liebe!" sprach sie mit girrendem Laut nnd dieser Laut durchschauerte ihn mit süßer Freude. „Für diese Liebe will ich Dir mit der vollen Hingebung, deren nur ein Weib fähig ist. dermaleinst lohnen!"
Er stürzte zu ihren Füßen, legte das Haupt auf ihre Kniee, sah mit glühenden Blicken in ihr schönes Gesicht und ries aus:
„Feodora, Du Königin meines Herzens, Du mein Sehnen und Verlangen, Du mein einziger Gedanke, mein Himmel und meine Hölle! Ende, ende meine Pein! Lass' uns in allernächster Zeit die Hochzeit feiern! Ach, Feodora, ich vergehe vor Sehnsucht! Lass' mich nicht länger schmachten! Sei schon jetzt mein, Du süße Herzensquälerin! Feodora, ein Jahr ist meiner Ungeduld eine Ewigkeit!"
„Lass' mich!"
Sie entzog ihm hastig die Hand.
„Still! Schon wieder nahst Du mir mit diesem wilden Verlangen! Ich werde Dich noch hassen lernen, wenn Du mich so bestürmst mit Deinen Anträgen! Ich gelobe Dir, Dein Weib werden zu wollen. Mein Wort, Olaf, werde ich einlösen, aber nur dann, wenn Du mir den Beweis Deiner durchaus ergebenen Treue geliefert Haft."
„Gebiete über mein Leben! Es gehört Dir mit jedem Atemzug."
„Steh' auf, setze Dich — und sprechen wir von etwas anderem!"
Er gehorchte, setzte sich ihr gegenüber.
Vermischtes
In Deutschland kommt im Durchschnitt auf eine Familie eine Zeitung, eine amerikanische Familie aber hält deren fünf, eine tägliche, zwei wöchentliche und zwei monatliche. In New-Aork vollends ist die Zahl der herausgegebenen Zeitungen so groß, daß auf jede Familie 4 Zeitungen täglich kommen. Die meisten Leute halten nicht nur eine Zeitung zu Hause, sondern kaufen sich täglich unterwegs mehrere. Dafür liegt der Buchhandel ganz darnieder. Bon Büchern werden in der Hauptsache nur billige Romane gekauft, die von den Zeitungen gerade zum Tagesgespräch gemacht worden sind.
Sind Reisespesen als Gehalt anzusehen. Diese Frage hat das Reichsversicherungsamt kürzlich entschieden. Eine Versicherungsanstalt hatte behauptet, daß die gewährten Spesen und Reisekosten nicht nur nicht teilweise, sondern überhaupt nicht auf das Gehalt (den Arbeitsverdienst) zur Anrechnung gelangen könnten, weil diese Bezüge lediglich nur einen Ersatz für bare Auslagen beziehungsweise für erforderlichen besonderen Aufwand bildeten. Nach der Entscheidung des Reichsversicherungsamtes kann als Entgelt für die gleistete Thätigkeit dagegen nicht nur das feste Jahresgehalt angesehen werden, dazu sollen vielmehr auch die Reisespesen gehören.
Der größte Baum der Welt wurde jüngst in Kalifornien entdeckt. Er hat einen Umfang von 46 Meter und einen Durchmesser von 15 Meter. Es ist ein Exemplar der Sequoia oder Wellingtonia Gigantea, der Riesenbäume, die den berühmten Hain im Josemit-Thale von Kalifornien bilden. Bisher galt als größter Baum der „Vater des Waldes", der einen Umfang von 33 Meter hat. Dieser Baum liegt auf dem Erdboden, seine Länge mißt 130 Meter. Ur- sprünglich muß er noch länger gewesen sein. Die Sequoia gehört der Familie der Kiefern an und wächst reichlich in den gemäßigten Strichen; aber nur in Kalifornien erreicht sie solche Größen- Verhältnisse.
Wechselrätsel.
Ein Ruf ist's, der ertönt im Zimmer,
Im Wald und auf der Haide nimmer.
Mit anderm Kopfe nennt es viele,
Die streben nach demselben Ziele.
Auflösung der Aufgabe in Nr. 128.
Die Zahl 100.
Gedankensplitter.
Man mutz sich viel in Gesellschaft bewegen, um den Genuß der Einsamkeit schätzen zu lernen.
Wer vielen dient, ist in der That Nicht zu beneiden:
Ein Hund, der viele Herren hat,
Muß Hunger leiden.
Mutmaßliches Wetter am 20. und 21. August,
Der Feuchtigkeitsgehalt der Luft hat in Süddeutsch, land nach den mehrfach ausgebrochenen Gewittern erheblich nachgelassen, doch ist noch immer vereinzelte Gewitterneigung wegen der sehr warmen Temperatur vorhanden. Hievon abgesehen, ist jedoch für Mittwoch und Donnerstag vorwiegend trockenes und heiteres Wetter in Aussicht zu nehmen.
Am 21. und 22. August.
Für Donnerstag und Freitag ist bei fortgesetzt sehr warmer Temperatur noch immer vereinzelte Gewitterneigung, im übrigen aber trockenes und auch vorwiegend heiteres Wetter zu erwarten.
Aem-e Nachrichten«. Telegramm.
Homburg v. d. H., 19. August. Heute mittag fand hier die Enthüllung des Denkmals der Kaiserin Friedrich statt. Anwesend warm das Kaiserpaar, der Kronprinz, die vier Schwestern des Kaisers mit ihren Gemahlen, der Herzog von Cambridge, die Botschafter von England, Amerika und Oesterreich-Ungarn, die Spitzen der Militär- und Zivilbehörden, die Abordnungen der Regimenter, deren Chef die Kaiserin war, und der Vorstand des Denkmalausschusses. Stellvertretender Vorsteher Rüdiger hielt eine Ansprache, in der er die hohen Tugenden der Kaiserin betonte, deren Ziele das Menschenglück und das Menschenwohl waren. Unter dem Präsentieren der Truppen siel dann die Hülle des Denkmals. Der Kaiser legte einen Kranz an demselben nieder und verlas dann einige Lebensbilder der verewigten Kaiserin.
Bremerhaven, 19. Aug. Der Loyd- damfer „Prinz Heinrich" landete heute 10 Offiziere und 311 Mann der ostasiatischen Besatzungsbrigade.
Köln a. Rh., 19. August. Wie die „Köln. Ztg." erfährt, wurde dieser Tage die Lieferung von 160 Eisenbahnwagen für V-Züge an die beteiligten Fabriken vergeben.
London, 19. Aug. Der Prinz von Wale; gab gestern im Namen des Königs zu Ehren des Schahs von Persien im Buckinghampalast ein Bankett, an dem u. a. Lord Balfour, die übrigen Minister, Roberts und Kitchener teil- nahmen Der Schah ist, wie allseitig zugegeben wird, nicht Vergnügens halber hierher gekommen, vielmehr handelt es sich um politische Dinge von weittragender Bedeutung. Man möchte dem Schah vor allem einprägen, daß er nur einen wahren Freund besitzt, nämlich England.
Haag, 19. August. Die Burengenerale statteten Steijn einen kurzen Besuch ab. Wie es heißt werden sie in etwa 8 Tagen nach England zurückkehren.
New-Jork, 19. Aug. In der Essexstraße brach in einem von zahlreichen Familien bewohnten Hause Feuer aus, wobei 6 Personen das Leben einbüßten und viele verwundet wurden.
Mit einer Beilage:
Prospekt der höheren Handelsschule tzak«.
Redaktion. Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.