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ebens schwenkte der Zugmeister seine Mütze, um en Zug zum Znrückfahren zu veranlassen. Ob nun das Züglein ohne Zugmeister und Schaffner gut in R. angekommen ist und ob der Zugmeister und Schaffner den Rat des Stationsvorstandes, den eine Stunde betragenden Weg nach R. zu Fuß zu machen, befolgt haben, war nicht zu erfahren.

Aus dem Oberamt Vaihingen, 9. Aug. Teure Milch gab's in diesem Sommer im Städtchen Großsachsenheim und im Pfarrdorf Unterriexingen. Vier Bäuerinnen von der erst­genannten nnd drei von der zweiten Gemeinde, die dem edlen und nahrhaften Getränke der Kuh­milch allzuviel Wasser zugemischt hatten, wurden vom Schicksal in Gestalt des Vaihinger Schöffen­gerichts ereilt, das unbarmherzig genug war, jede dieser sieben Bäuerinnen zu einer Geldstrafe von 10 im Uneinbringlichkeitsfalle zur Gefängnis­strafe von zwei Tagen, sowie zur Tragung der Kosten des Verfahrens zu verurteilen. Und damit nicht genug! Diese sieben Schwäbinnen durften sich auch in der öffentlichen und amt­lichen Anzeige mit ihrem genauen Geburtstag, Vor- und Zunamen, schwarz auf weiß lesen.

Endingen, 13. August. Am Montag ver­ließ der bekannte amerikanische Schützenkönig Gust. Zimmermann seine Vaterstadt Endingen, um wieder in seine neue Heimat New-Aork zu­rückzukehren. Den Abend vorher hatte derselbe noch seine Verwandten und Freunde zu einem reichlichen Souper in das HotelHirsch" ein­geladen, wobei es an einer feuchtfröhlichen Stimm­ung nicht fehlte. Bon Karlsruhe aus wird Herr Zimmermann noch einen eigentümlichen und selt­samen Abstecher machen und zwar nach Wein­garten. Es war im Jahre 1869, als Herr Z. als junger Bursche die Gartenbauschule in Karls­ruhe besuchte und eines Tages in Gesellschaft einen Ausflug nach Weingarten machte. Hierbei kehrte er in einer dortigen Wirtschaft ein und hatte daselbst für 1 Schoppen Bier (1 Groschen) und 1 Kreuzerbrot eine Auslage von 1 Batzen. Diese Zeche wurde damals aus Versehen nicht bezahlt, und nun hat ein guterRechner" mit Hilfe Logarithmen herausgebracht, daß der Be­trag mit Zinseszinsen auf 9 61 ange­

wachsen ist. Diesen Betrag wird Herr Z. dieser Tage in der betreffenden Wirtschaft bei Heller und Pfennig entrichten. Ob der damalige Wirt noch am Leben ist, wissen wir nicht, er würde sich aber gewiß freuen, wenn er in dem damaligen, wenig bemittelten Burschen den weitbekannten, reichen Amerikaner erblicken würde.

Eineergötzliche" Szene, die sich kürzlich vor dem Amtsgericht in Kosten abgespielt haben soll, schildert derKuryer." Als Zeuge trat ein gewisser Müller (!) aus Berlin auf. Auf die vom Vorsitzenden an ihn gerichteten Fragen erwiderte der Zeuge kein Wort.Weshalb ant­worten Sie nicht auf meine Fragen? lautete schließlich die Frage des Vorsitzenden.Weil ich kein Wort deutsch verstehe," antwortete der Zeuge Polnisch.Sind Sie etwa ein Pole?" Ja, ich bin ein Pole."Und Sie heißen Müller?" bemerkte mit Ironie der Vorsitzende. Wo wohnen Sie denn?"In Berlin."Also Sie heißen Müller und wohpen in Berlin und beherrschen nicht die deutsche Sprache?" fragte der Richter weiter. Der Zeuge erwiderte hierauf: Ja. In Berlin giebt es so viele Polen, daß man überhaupt nicht anders als Polnisch zu sprechen braucht."Schließlich mußte, um die Verhandlung zu Ende zu führen, ein Dolmetscher herbeigerufen werden. Wenn der Urpole Müller die Kosten für den Dolmetscher hätte zahlen müssen, würde er sich voraussichtlich der deutschen Sprache erinnert haben.

Aus Schlesien, 7. August. Ein Guts­besitzer in der Nähe von Landeshut bekam, so berichtet dieNordd. All. Ztg.", in einer der letzten Nächte so heftige Zahnschmerzen, daß er keinen Schlaf finden konnte. Infolge seines Jammerns wachte auch seine Frau auf und riet ihm, die Backen mit dem auf dem Fensterbrett stehenden Franzbranntwein einzureiben. Gesagt, geschehen, die Schmerzen hörten auf, und der Mann schlief bald ein, nachdem er sich gründlich eingerieben hatte. Als aber die Gattin am anderen Morgen nach dem Erwachen einen Blick auf das Lager ihres Eheherrn geworfen hatte,

erhob sie ein furchtbares Angstgeschrei, denn an Stelle des Teuer» lag und schlief in dem Bette ein leibhaftiger Neger. Bon dem Geschrei erwachte auch dieser bald und fragte unwirsch in gutem schlesischen Deutsch, was denn eigentlich los wäre. Aus Rede und Gegenrede ergab sich dann endlich, daß der Mann in der Nacht statt der Flasche mit Franzbranntwein die Tinten­flasche ergriffen hatte. Der Mann und auch die Betten sahen schlimm aus. Die Tinte warecht", und sehr schlecht ist sie abgegangen. Die bloße Ein­bildung aber hatte zur Schmerzstillung beigetragcn.

In St. Georgen ist seit einigen Tagen eine neue eigenartige Ansichtspostkarte in Um­lauf. Sie enthält in getreuer Zeichnung das Bild und die Behausung des sogenanntenStöcker", der fern vom Weltgetriebe in einer Waldhütte ein Einsiedlerleben führt. Die Karte trägt die Aufschrift: Christian Heintzmann genannt der Stöcker", geboren am 10. Januar 1831 in Evangelisch Tennenbronn, führt bei der sog. Flohhütte in 3 ärmlichen Hütten, die er nach der Bibel dem HI. Petrus, Moses und Elias zuspricht, ein Einsiedlerleben. Er schmückt seine Brust stets mit Denkmünzen und Festzeichen. Seinen Ziegenhainer hält er für den zur Schlange gewordenen Stab Moses. Wertlose Serienlose sind im ein Schatz von einer halben Million. Neben seinem Bett steht ein Sarg. Bei harter Waldarbeit fühlt sich der ehrliche Alte zufrieden.

Neuenbürg, 14. Aug.

Die schönste Zeit des Hochsommers soll jetzt gekommen sein, so behauptet wenigstens der Kalender; aber die griesgrämigen Gesichter, die man überall und besonders in den Sommer­frischen sieht, zeigen, daß die Natur in diesem Jahre auf außergewöhnlichen Pfaden wandelt und das festgesetzte Programm in der schnödesten Weise durchbrochen hat. Wenn Sankt Petrus sich nun nicht bald eines besseren besinnt, son­dern uns auch weiter Tag sür Tag den Kopf wäscht, werden wir Wohl bald mit dem bayerischen Gebirgsbuben jodeln müssen: Gestern hot's g regnat Un heut' regn't 's aa-Un' mor­

gen regn't 's Wieda Un' übermorgen aa! Holdrio!

(Vom Spazierengehen.) Eine der köstlichsten Muskelübungen sagt ein bekannter Arzt ist das Spazierengehen. Und doch, wie viele Menschen gehen nie spazieren! Denn sich von den Beinen aus dem Bureau oder der Werkstatt in die Kneipe und von der Kneipe nach Hause tragen zu lassen, das heißt nicht spazieren gehen. Und der große Wanderer Seume, der von Grimma bis nach Syrakus wandelte, ruft aus:Es ginge Alles besser, wenn man mehr ginge!" Wie manche kranke oder schwache Brust könnte genesen, wenn die deutschen Männer oder Jünglinge, statt hinter dem Bierkruge zu hocken, zu kannegießern oder Karten zu spielen, hinaus wanderten in Wald und Feld. Im engen Kreise verengt sich der Blick, freier Blick macht freien Geist, schließt das Herz auf für alles Gute und Edle.' Wer eS nicht an sich selbst erlebt hat, der glaubt es kaum, wie viel besser durchschnittlich das Wetter zum Wandern in Wirklichkeit ist, als es, aus der Stube betrachtet, scheint. Er glaubt auch nicht, wie leicht dauernder Regen, der durch prächtige Luft und schöne Aussicht entschädigt, von dem muthig dagegen Anschreitenden über Wunden wird, und daß gerade in der Ueberwind- ung solcher Schwierigkeiten ein besonderer Reiz liegt. Bei der Einkehr draußen wird mäßig gegessen und getrunken. Die übermäßige Füllung des Magens hemmt die Bewegung des Zwerch­fells und so wieder das freie Athmen. Bor allen Dingen ist vor einer reichlichen Zufuhr von Flüssigkeiten zu warnen, weil durch die da­durch erzeugte stärkere Füllung der Gefäße die Herzarbeit vergrößert wird.

(Pflücket die Rosen, ehe sie verblühn.)" Diese im Bolksliede ausgesprochene Mahnung sollteim wahren Sinne des Wortes" mehr be­herzigt werden, wie es geschieht, Zwar sind die in voller Blüte prangenden Rosenstöcke gar lieblich anzuschauen, doch der Rat erfahrener Rosenzüchter geht dahin, die Rosen abzuschneiden, sobald sie aufgeblüht sind. Den Rosenstämmen wird durch die erblühten Rosen sehr viel Kraft entzogen und schon aus diesem Grunde sollte mau dieKönigin der Blumen" lieber ins Glas

stellen und sie zur Zierde der Wohnung ver­wenden, als sie am Stamme verglichen" zu lassen. Das letztere geht bekanntlich auch immer sehr schnell, während man an den abgeschnittenen Rosen längere Zeit Freude haben kann.

(Enttäuscht.) Vater (zu den Töchtern) Heute, wie Ihr das Duett sänget, Kinder, kam unser Hausarzt vorbei; der hat sich aber nicht schlecht gewundert!" Töchter:Ueber unsre Stimmen?" Vater:Nein über meine Nerven!"

(Hintergedanken.) Frau (vor dem Schaufenster einer Modistin):Weißt Du, Männchen, ich möchte aus Purer Neugierde mal hineiugehen, um zu fragen, was dieser Hut kostet. Hast Dn Geld bei Dir?"

Aufgabe.

Welche Zahl ist um ebenso viel kleiner als 1900, wie ihr 37faches größer als 1900 ist?

Auflösung des Merkrätsels in Nr. 124.

Garde, Barren, Minden, Bagdad, Breslau, Sport, Lyon, Rekrut, Athen, Brest.

Der Ring des Polykrates."

Richtig gelöst von Uhrmacher Höhn und K. Reutter zun. in Neuenbürg.

Mutmaßliches Wetter am 17. und 18. August.

Der vom nördlichen Ural her gekommene neue Luftwirbel hat sich über dem finnischen Meerbusen nebst der Umgebung auf 745 mm vertieft. Gleichwohl liegt über ganz Frankreich, England, Belgien, Holland, Süd- und Nordwestdeutschland, ferner über der Schweiz und Tirol nunmehr ein zusammenhängender Hochdruck von ca. 763 mm und ein gleicher Hochdruck ist auch aus Unter- und Mittelitalien im Vordringen bis zu den Alpen begriffen. Auch an der unteren Donau ist das Barometer auf 762 mm gestiegen. Unter diesen Umständen ist für Sonntag und Montag bei steigender Temperatur vorwiegend trockenes und auch mehrfach heileres Wetter, aber noch immer vereinzelte Neigung zu sporadischen Gewitterstörungen in Aussicht zu nehmen.

Neueste Nachrichten ii. Tklegrmm.

Koblenz, 15. Aug. Heute nachmittag kurz vor 4 Uhr traf der Kaiser auf dem hiesigen Bahnhof ein und wurde daselbst von dem Erb­großherzog und der Erbgroßherzogin von Baden empfangen. Nach herzlichster Begrüßung fuhr der Kaiser mit dem Erbgroßherzog durch die festlich geschmückten Straßen, in denen Jn- fanterietruppen der Garnison Spalier bildeten und die von einer großen Zuschauermenge be setzt waren, in offenem Wagen nach dem Rhein. Hier bestiegen der Kaiser, der Erbgroßherzog und das Gefolge den SalondampserKaiserin Augusta Viktoria". Als das Schiff sich darauf in Bewegung setzte, ertönten Böllerschüsse, und die Zuschauer, welche beide Rheinufer dicht um­säumten, brachten dem Monarchen begeisterte Huldigungen dar. Das Wetter ist herrlich.

Villefranche, 15. Aug. General Andre gab beim Empfang der Behörden aus Anlaß der Einweihung des Denkmals zur Erinnerung an das Jahr 1870 seiner Ueberzeugung Ausdruck, daß die Richter sich von der Wichtigkeit der Auf­gabe Rechenschaft ablegen, die die Regierung auf sich genommen habe, und von der Thatkraft, mit der die Regierung diese Aufgabe durchzuführen entschlossen sei, um das Land auf der ebenen und glücklichen Bahn zu erhalten, auf welcher Frankreich stets an der Spitze aller Völker marschiert sei. Wir wollen unsere Niederlage nicht verherrlichen. Wir kennen und tragen noch heute ihre Folgen. Wir ehren das Ge­dächtnis der fürs Vaterland Gefallenen. Der Soldat, den das Denkmal darstellt, ist der Soldat der Zukunft, der Frankreich seine mate­rielle Größe wiedergeben wird. Er schuldet dem Lande, das zu verteidigen er geschworen hat, alles, selbst das Opfer gewisser seiner persön­lichen Ueberzeugungen. (Lebhafter Beifall.) Dieser Soldat der Zukunft wird der Rächer Frankreichs sein. Diesem Rächer bewahren wir unsere Palmen auf. (Lebhafter Beifall.) Beim Bankett führte Kriegsminister Andre in Erwiderung mehrerer Toaste, namentlich des­jenigen des Vertreters von Velfort, aus, er rate Belfort, seine glorreichen Fahnen von 1870 nicht früher herauszutragen,, bis an dem Tage, da das Vaterland alle seine Kinder zu den Waffen rufen werde. Der Kriegsminister sprach sich als­dann zu Gunsten der zweijährigen Dienstzeit aus.

Redaktion, Druck nnd Verlag von L. Meeh in Neuenbürg.