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Württemberg.

Die neue Gemeindeordnung. Der Ent­wurf einer neuen Gemeindeordnung auf die bereits hingewiesen wurde (Enzthäler Nr. 120), ist soeben im Druck erschienen. Er zerfallt in 12 Abschnitte und umfaßt nicht weniger als 266 Artikel. In der dem Entwurf beigegebenen umfangreichen Begründung ist zunächst eine aus­führliche historische Darstellung der Entwicklung unserer Gemeindeverfassung gegeben. Der Ent­wurf ' selbst hat sich die folgenden Aufgaben gestellt: 1) Die thunlichst erschöpfende Zusammen­fassung und Kodifikation des gesamten Verfassungs­und Verwaltungsrechts der Gemeinden. 2) Die weitere Ausbildung der Gemeindeverfassung auf der Grundlage der Selbstverwaltung der Ge­meinden durch u. Ausbau der durch die Novelle vom 21. Mai 1891 eingeführten Unterscheidung zwischen größeren Stadtgemeinden und den üb­rigen Gemeinden, b. feste Abscheidung der Auf­gaben der Vertretung der Gemeindegenosfcn von denjenigen der laufenden Verwaltung in den größeren Stadtgemeinden und demgemäß eine neue Ordnung der Zusammensetzung, der Be­rufung und der Funktionen der betreffenden Gemeindeorgane, e. Vereinfachung der Verfassung der Landgemeinden und kleineren Stadtgemeinden durch Aufhebung des Bürgerausschusses, ä. Ab fchaffung der Lebenslänglichkeit des Ortsvor­steheramts, o. Berücksichtigung der Minderheiten bei den Gemeindewahlen durch Einführung des Systems der Verhältniswahl (Proporz) in den größeren Stadtgemeinden. 3) Die Neuregelung des Verwaltuvgsaktuariats. 4) Die Zuziehung des Laienelements bei der Handhabung der Staatsaufsicht über die Gemeindeverwaltung durch die Oberämter. Hand in Hand mit der Ge- meiudeordnung geht die der Vezirksordnung. Der Entwurf hierzu mit Begründung ist gleichfalls soeben im Druck erschienen. Der Entwurf will nicht bei einer zusammenfassenden Kodifikation des geltenden Rechts stehen bleiben, sondern dasselbe vielmehr in mehrfacher Hinsicht im Einklang mit modernen, auf anderem Boden be­währten Anschauungen auch materiell fortbilden. Diese Fortbildung will zwar an den bisherigen Grundlagen der Bezirksverfafsung, insbesondere an der Bezirkseinteilung und an der Bildung und Zusammensetzung der Amtsversammlung, die künftig Bezirksversammlung heißt, nicht rühren, Wohl aber will der Entwurf grundlegende Be­stimmungen neu einführen. Als neue Institution enthält der Entwurf endlich die Ermöglichung der Bildung von Bezirksverbänden, d. h. die Möglichkeit des freiwilligen, im Weg der Ver­einbarung erfolgenden Zusammentritts mehrerer Amtskörperschaften, behufs der einheitlichen und gemeinsamen Erfüllung bestimmter, den betreffen­den Amtskörperschaften gemeinschaftlicher Zwecke.

Die Strafrechtspflege der Ober­ämter im Jahre 1901 ergiebt insgesamt 35853 zur Abrügung durch Polizeiliche Strafverfügung angezeigte Uebertretungen (1900: 29 764), also ein sehr bedeutendes Anschwellen. Die Zunahme trifft in erster Linie die Anzeigen wegen Bettelns und Landstreicherei: ein Beweis, wie stark sich der wirtschaftliche Niedergang des Jahres 1901 in der Verbrecherstatistik fühlbar macht; ihre Zahl stieg von 14 799 im Jahre 1900 auf 19 817. Die Oberamtlichen Strafverfügungen sind von 24487 auf 30198 angewachsen, weit­aus der höchsten Zahl der letzten Jahre. An­träge auf gerichtliche Entscheidung gegen diese Verfügungen wurden in 519 (1900 468) Fällen gestellt. Ferner sind von den Oberämtern 836 (im Vorjahr 907) Ungehorsams-, Ungebühr- und Disziplinarfälle erledigt worden. Wegen Zu­widerhandlungen gegen die Zoll- und Steuer­gesetze sind 201 Anzeigen und 172 Straf­bescheide (i. V. 162 resp. 140) erfolgt.

Der diesjährige 44. Verbandtag der württ. Gewerbevereine findet am 7. Sept. in Kirch- heim u. T. statt. Mit demselben soll auch das 50jährige Jubiläum des Bestehens festlich be­gangen werden. Aus der reichhaltigen Tages­ordnung kann jetzt schon mitgeteilt werden, daß u. a. Reichs- und Landtagsabgeordneter Prof. Dr. Hieber überRegelung des staatlichen Sub- missionswesens" sprechen wird. Weitere Vor­träge werden halten FlaschnermeistcrRühle-

Stuttgart überGewerbliches Erziehungswesen", Schreinermeister Uebel - Biberach überBe­fähigungsnachweis im Baugewerbe". Viel Inte­ressantes wird den Verbandstagsbesucheru auch die Kirchheimer Ausstellung bieten. -

Wer z. Zt. über den großen Exerzierplatz zu Cannstatt geht, kann in unmittelbarer Nähe der daselbst weidenden Schafherde, ja selbst auf den Rücken der Schafe, eine Menge kleinerer Vögel beobachten. Es sind Stare, welche die Schafe, die viel von Ungeziefer (Zecken und Läuse) zu leiden haben, von diesen Plagegeistern befreien. Die Schafe, welche sich gegen das Ungeziefer in keiner Weise wehren können, lassen sich das gerne gefallen.

Rottweil, 6. August. Im Göllsdorfer Walde zwischen hier und Wollendingen erschoß gestern vormittag der Jagdpächter Bauunternehmer Hermle den 38 jährigen städtischen Waldschützen Oesterle, Vater von 6 unmündigen Kindern. Beim Ueberschreiten eines Grabens kam Hermle zu Fall, wobei sich dessen Gewehr entlud, dessen Ladung dem ihn begleitenden Oesterle ins Gesicht ging, so daß der Tod nach wenigen Minuten eintrat.

Gmünd, 6. August. Wie dieRemsztg." mitteilt, wurde vorgestern ein anläßlich des Viehmarktes hierher gekommener Landmann da­durch angenehm überrascht, daß ihm ein hies. Losverkäufer auf seine gelegentliche Anfrage, ob wohl sein Los auch etwas gewonnen habe, Mitteilen konnte, daß das Los schon vor drei Wochen 1000 gewonnen habe,Dös hät i mir heut au net träumen lassa," sagte der biedere Bauersmann aus der Gesamtgemeinde Göppingen, erhebt schmunzelnd seinen Gewinn und geht außerordentlich befriedigt nach Hause, umso mehr, als er auch vorher gut verkauft hatte.

Riedlingen, 8. Aug. DieRiedl. Ztg." meldet: Ein ganz geriebener Gauner treibt in unserer Gegend ein ganz eigentümliches Hand­werk. Derselbe, jedenfalls ein früherer Tele­graphist, unterbricht im Freien die Telegraphen­leitungen und setzt sich, einen Apparat anschließend und mit dem Telegraphieren vollständig vertraut, mit einem Postamt in Verbindung, demselben einen telegraphischen Postauftrag von ver­schiedenen 100 c/L. überweisend. In Mengen wollte der Herr hernach die von Breslau (!) angewiesene Summe von 1300 -/ki abholen, die­selbe wurde ihm aber, da er keine Legitimation besaß, nicht ausgefolgt, worauf er verduftete, aber gleich andern Tags bei der Postanstalt Untermarchthal für sich 700 anwies und auch ausbezahlt erhielt. Von dem Burschen hat man noch keine Spur, jedoch wurden sämtliche Post­anstalten des Landes von dem unlauteren Treiben in Kenntnis gesetzt.

Würlt. Sparka^e. Wir weisen aus die im Inseraten­teils des gestrigen Blattes enthaltene Bekanntmachung der Rechnungsergebnisse dieser Anstalt auf Vas Jahr 1901 hin. Dieselben liefern ein überaus befriedigendes Bild über die rege Sparthiitigkeit der vornehmlich den dienenden Volkskreisen angehörigen Einleger. Das Gesamtgut­haben der Einleger beträgt nun mehr als 117 Mill. Mark.

Ausland.

Reval, 8. August. Zwischen dem Grafen Bülow und dem Grafen Lambsdorff fanden wiederholte und eingehende Besprechungen statt.

InFrankreich scheint das radikale Kabinet Combes in dem von ihm begonnenen Kampfe gegen die Kongregationen und deren Anstalten Sieger bleiben zu sollen. Die Schließung der, Kongreganistenschulen hat zwar, wie schon be­richtet, vielfach Zwischenfälle und Krawalle im Gefolge gehabt, indessen ist es bislang zu keinen wirklich bedrohlichen Szenen von ernsterem Charakter gekommen. Einigermaßen Besorgnis herrscht in den Pariser Regierungskreisen wegen der Lage in der Bretagne, wo die klerikalen Protestführer anscheinend nicht ohne Erfolg be­strebt sind, einen heftigen Widerstand unter der Bevölkerung gegen die Regierungsmaßnahmen zu organisieren.

König Eduard ist am Mittwoch Nachmittag von seinem Seeaufenthalt in Cowes nach Lon­don zurückgekehrt, um sich an diesem Samstag in der Westerminster Abtei krönen zu lassen. Er traf, begleitet von der Königin Alexandra und von der Prinzessin Viktoria, um 5 ^/s Uhr auf der Viktoriastation ein. Die vor dem Bahn­hofe wartende Menschenmenge begrüßte jubelnd

die Majestäten, welche dann im Schritt nach dem Buckinghampalast fuhren; überall wurde der König hierbei vom Publikum begeistert begrüßt.

In Guildhall zu London wurde am Mittwoch Abend eine große Friedensfeier begangen, an der etwa 2500 Personen teil- nahmen. Auch Lord Roberts, Lord Kitchener, der Premierminister Balfour und der Kolonial, minister Chamberlain waren anwesend. Kitchener, der wie Lord Roberts sehr gefeiert wurde, zollte in einer Ansprache den Kolonialtruppen warme Anerkennung und erklärte, so lange der jetzige Geist unter den Kolonialtruppen fortbestünde, so lange werde auch England befähigt sein, den Reichsgedanken aufrecht zu erhalten, nur müßten die Führer diesen Geist bilden und lenken.

Venedig, 7. August. Der Einsturz des Glockeuturmes der St. Stephanskirche ist von Stunde zu Stunde zu erwarten. 30 Familien aus der Umgebung sind ausquartiert worden. Die große Menostniglocke in dem Glockenturme konnte nicht gerettet werden.

Budapest, 7. August. Die Erzieherin von Neheim aus Berlin, die seit Kurzem verschwunden war, wurde in einem berüchtigten Hause in Serajewo aufgefunden, wohin sie vor Wochen­frist Budapester Mädchenhändler ablieferten.

New-Aork, 7. August. Auf der St. Paul. Eisenbahn erfolgte gestern in der Nähe von Rhodes (Iowa) ein Zusammenstoß zweier Züge wodurch 13 Personen getötet und 20 verletzt wurden',

Mutmaßliches Wetter am 10. und 11. August.

Bei warmer Temperatur und vorherrschend west, lichen Winden wird sich das vorwiegend trockene und mehrfach heitere, aber auch zu vereinzelten Gewitter­störungen geneigte Wetter am Sonntag und Montag noch sortsetzen.

NeiicAe Nachrichten«. Telegramm.

Reval, 8. Aug. Die gestrigen Nachtschieß­übungen dauerten bis um 1 Uhr. Heute vor­mittag 10 Uhr statteten Kaiser Nikolaus und Großfürst Alexis der JachtHohenzollern" einen Besuch ab und wurden von Kaiser Wilhelm am Fallreep empfangen. Sodann begaben sich die Monarchen in die Offiziermeffe, wo der erste Offizier, Kapitän v. Holleben, dem Kaiser Niko­laus für sein kostbares Geschenk dankte und ein Hurrah auf ihn ausbrachte. Der Kaiser von Rußland erwiderte in deutscher Sprache und schloß seinen Trinkspruch mit einem Hurrahruf auf den deutschen Kaiser. Die Kaiser und die Prinzen begaben sich dann an Bord der Jacht Polarstern" und wohnten von dort aus einer Ruderregatta von Booten der russischen Kriegs« schiffe bei.

Reval, 8. Aug. Die beiden Kaiser hatten heute nach dem Frühstück auf demStandard" eine längere eingehende Besprechung. Der Kaiser von Rußland überreichte beim heutigen Frühstück dem Kaiser Wilhelm einen etwa Meter hohen, in Silber getriebenen, reich mit allen in Ruß. land vorkommenden Edelsteinen und kostbaren Perlen verzierten Bojarenhelm, dessen Inneres als Rauchservice gedacht ist, während Kaiser Wilhelm dem Kaiser Nikolaus zur Erinnerung an die Zusammenkunft in Reval ein Schreib­zeug in Gold schenkte. Die JachtHohen­zollern" hat um 3 ff4 Uhr die Anker gelichtet und ist mit Kurs auf Wisby (Schweden) in S« gegangen. Die Kaiserbegegnung ist, von herr­lichem Wetter begünstigt, in befriedigender Weise verlaufen. Bei dem ständigen Zusammensein der beiden Monarchen hatte der Verkehr ein äußerst herzliches und intimes Gepräge.

London, 8. August. Prinz und Prinzessin Heinrich von Preußen sind heute früh hier ein­getroffen.

Bremerhaven, 8. August. Der Reichspost­dampferHamburg" landete heute 481 Offiziere und Mannschaften des osiasiatischen Expeditions­korps unter Führung des Majors v. Schönberg. Unter den Truppen befinden sich nur vier bett­lägerige Kranke und einige Rekonvaleszenten.

Berlin, 8. August. DasBerl. Tagebl." meldet: Der Kassierer Göbel der Genossen­schaftsbank des Stralauer Viertels erschoß sich, nachdem er 25000 unterschlagen hatte.

LM" Mit einer Beilage.

Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.