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nicht gewachsen sei. v. Geß und Kraut erklärten namens ihrer politischen Freunde, daß sie den Abs. 2 des Art. 19 ablehnen werden. Hier wurde die Beratung abgebrochen und auf morgen vertagt.

Tübingen, 25.Juni. (Schwurgericht.) Wegen eines Verbrechens des versuchten schweren Raubs stand heute der 25 Jahr alte Dienstknecht Jakob Friedrich Rebstock von Gültstein O.A. Herrenberg vor den Geschworenen. Rebstock drang am 13. März d. I. abends nach 9 Uhr zu Gült­stein in den Kaustaden der 69 Jahren alten Krämerin Bertha Hailer ein, versetzte dieser mit einem eisernen Hammer mehrere Streiche auf den Kopf und versuchte sodann die Ladenkasse zu berauben, flüchtete sodann aber ohne derselben etwas zu entnehmen, weil er in der Kasse nur wenige Kupfermünzen fand und überdies hörte, daß von außen Leute der Hailer zu Hilfe eilten. Zwar leugnete Rebstock anfänglich hartnäckig, schließlich aber bekannte er sich als den Thäter. Die Geschworenen sprachen den Angeklagten des versuchten Raubs schuldig, indem sie den Er­schwerungsgrund des Mitführens einer Waffe verneinten. Weil auch die mildernden Umstände dem Angeklagten versagt worden waren, wurde derselbe unter Einbeziehung der gegenwärtig von ihm zu verbüßenden 5 monatlichen Gefängnis­strafe zu der Zuchthausstrafe von 3 Jahren und zum Verlust der bürgerl. Ehrenrechte auf die Dauer von 5 Jahren verurteilt. Oberstaatsan­walt Fetzer vertrat die Anklage, R.A. Liesching war Offizialverteidiger.

Eßlingen, 27. Juni. Gestern fand das Landesschützenfest seinen Abschluß bei präch­tigstem Wetter. Der 1. Preis auf der Feld­festscheibe, der von S. M. dem König gestiftete Pokal, fiel dem Brauereidirektor Kienzle-Eßlingen zu. Den 1. Preis auf der Standfestscheibe errang Rath-Stuttgart. Die Preisverteilung fand um 7 Uhr abends statt, wobei Kienzle-Eßlingen auf den König, Frick-Stuttgart auf die Königin, Rath-Stuttgart auf die Feststadt Eßlingen und Bausch-Cannstatt auf Oberbürgermeister Dr. Mülberger toastete.

Kirchheim u. T., 26. Juni. Das seit­herige Forstamtsgebäude hier ist von der hiesigen Stadt um die Summe von 45 000 ^ ange­kauft worden; Genehmigung von der Forstdirektion bleibt abzuwarten.

Ausland.

Gewaltige Vorbereitungen waren getroffen, um die Krönung König Eduards mit nie gesehenem Pomp zu feiern. Tausende und immer neue Tausende waren herbeigeströmt, an ihrer Spitze die Abgesandten der Fürsten, die Ersten unter den Staatsmännern und Generalen, die Vertreter der Vasallenländer. Es sollte ein Festtag der Nation und ihres Königs, es sollte zugleich ein Friedensfest werden. Und nun fährt in die freudig bewegten Massen wie ein Blitz auS heiterm Himmel die Nachricht von der Operation des Königs und von dem Aufschub der Krönung! Gegenüber solchen Fügungen ist nur Raum für reines Mitgefühl. Kein Mensch von richtigem Empfinden wird dem schwer heimgesuchten Könige und seinem schmerzlich enttäuschten Volke aufrichtige Teilnahme versagen.

Der bisherige britische Oberbefehlshaber im Kampfe gegen die Buren, Lord Kitchener, hat am 23. Juni wie schon telegraphisch kurz gemeldet die Rückreise von Kapstadt nach England angetreten. Bei einem Festmahl, welches ihm zu Ehren in Johannesburg veranstaltet worden ist, hat sich der Gefeierte eingehend darüber ausgesprochen, wie England die Lehren aus dem Burenkriege verwerten soll. Lord Kitcheners Worte besagen: Man hatte uns gesagt, daß die Buren weglaufen würden; aber wir fanden, daß sie immer wiederkehrten, sich ihren Führern unterordnen und arbeiteten mit Mannszucht den langwierigen Krieg hindurch. Sie waren mutig im Angriffe und zeigten aus­gezeichnetes Geschick im Rückzug, uns allen zur Lehre. Eine andere Eigenschaft der Buren, die wir würdigen sollten, wenn wir den Ueber- lieferungen unserer Väter treu sind, war ihre wunderbare Zähigkeit im Verfolgen des Zieles und, wenn sie geschlagen waren, ihre Abneigung, sich dessen bewußt zu werden. Als Ganzes

beurteilt, sind die Buren ein mannhaftes Volk und ein Aktivum von erheblicher Bedeutung für das Reich. Lord Kitchener bat schließlich die Zuhörer, unter denen die Führer der Armee und die ersten Bürger Johannesburgs waren, sie sollten dessen eingedenk sein, daß der glückliche Tag völliger Versöhnung viel von der Art ab- hänge, wie die Buren behandelt würden. Die Uebergabe der Buren, die jetzt als beendet ange­sehen wird, hat sehr viel Mühe gekostet, obgleich alle guten Willens waren. Botha hat vornehmlich rastlos an der Beruhigung der Gemüter gearbeitet. Es war keine kleine Aufgabe, da für die Ueber­gabe das gesamte Aufgebot herangezogen werden mußte; alle Mannschaften im Alter von 12 bis 80 Lebensjahren haben müssen. Daß das Land nun wirklich ruhig ist, das bezeigt der Ritt des britischen Generals Hamilton. Der General reiste 222 Meilen im Lande herum, um Ueber- gaben entgegenzunehmen; es geschah ihm nichts Widriges, obgleich er keine Begleitung hatte.

Wien, 25. Juni. In der Gemeinderals- sitzung widmete Bürgermeister Dr. Lueger dem König von Sachsen einen warmen Nachruf. Während der ganze Gemeinderat sich erhob, ver­ließen die Sozialisten die Bänke und zogen sich zum Eingänge des Saales zurück. Darob erhoben die Christlich-Sozialen lebhafte Pfuirufe, die von den Sozialisten erwidert wurden. Es kam zu minutenlangen Lärmszenen und Beschimpfungen.

Im italienischen Senat wurde am Mittwoch eine Sympathiekundgebung für den König von England veranstaltet. Senator de Sonnay beantragte, das Haus möge telegraphisch seine Wünsche wegen einer baldigen Genesung König Eduards in einer an den kranken Mo­narchen zu richtenden Depesche aussprechen, welcher Antrag einstimmig Annahme fand. Die gesamte Pariser Presse bringt anläßlich der schweren Erkrankung Königs Eduards VII. sehr sympatisch gehaltene Artikel über den englischen Herrscher.

Der französische Senat nahm die Be­ratung des Antrages Rolland betreffend die Einführung der zweijährigen Dienstzeit wieder auf. Kriegsminister General Andre gab seiner Befriedigung darüber Ausdruck, daß alle Redner darin einig seien, es dürfe der Schlagfertigkeit der Armee keine Einbuße geschehen. Die zwei­jährige Dienstzeit werde ein Manko von 50 000 Mann zur Folge haben; diese Lücke werde unter anderm durch die Herabsetzung des Militärmaßes und die Festsetzung der Zahl der jährlichen Kapitulationen auf 25000 ausgefüllt werden. Das Gesetz werde erst in 4 Jahren völlig in Wirksamkeit treten, von keinem Gesichtspunkte aus werde ein Heer mit zweijähriger Dienstzeit minderwertiger sein, als ein solches mit einer dreijährigen. Der Minister schloß mit der Bitte, der Vorlage zuzustimmen.

Paris, 26. Juni. Die Automobilfahrt Paris-Wien, die heute begann, hat 2 Opfer gefordert. Ein Automobil zertrümmerte an einem Baum bei Langres. Der Maschinist ist tot, der Kondukteur leicht verletzt. Ein zweites Automobil zerschellte an einem Stein bei Bronnfourt. Der Maschinist wurde leicht, sein Gefährte schwer verletzt.

Wie dieCentral News" aus Genf melden, überfiel der Mörder der Kaiserin Elisabeth von Oesterreich, Luccheni, einen Wärter, der seine Zelle betrat. Der Wärter erlitt dabei keine ernst­lichen Verletzungen. Luccheni wurde in Eisen gelegt.

New - Dork, 26. Juni. Castro erlitt mehrere schwere Niederlagen, darunter eine bei Caro, wo der Jnsurgentengeneral Riera nach einem fünf­stündigen Kampfe den ersten Vizepräsidenten, Venezuelas, Ayala, schlug und ihn gefangen nahm, ebenso 18 Generale, 1700 Mann und fünf Geschütze.

Wermischtes

(Eine anonyme Briefschreiberin) erhielt in Braunschweig eine schwere Strafe. Die Ehefrau des Hilfsbremsers Hesse, war von dem Schöffen­gerichte zu Holzminden am 24. April zu 6 Wochen Gefängnis verurteilt worden, weil sie in einem anonymen Brief dem Bahnhofsinspektor Weinberg in Holzminden, wie dem Bahnmeister Kloß un­sittliche Handlungen vorgeworfen hatte, die aber thatsächlich von den Angeschuldigten nicht begangen

worden waren. Gegen dieses Strafmaß hatte der Amtsanwalt Berufung eingelegt. In der Verhandlung vor der zweiten Strafkammer in Braunschweig bestritt die Angeklagte Hesse, den fraglichen Brief geschrieben zu haben, gilt aber auch auf Grund des vom Archivar Dr. Mack abgegebenen Gutachtens für überführt. Während der Verteidiger auf Freisprechung plaidierte, da der Nachweis der Urheberschaft des Briefes nicht erbracht sei, event. mindestens noch das Gutachten eines zweiten Sachverständigen eingeholt werden müsse, beantragte der Staatsanwalt vielmehr noch eine Erhöhung der Strafe auf Grund des des schamlosen Vorgehens der Angeklagten. Auch der Gerichtshof hielt die Angeklagte für die Schreiberin des beleidigenden Briefes schon auf Grund des Urteils, das ein jeder Laie bezüglich der Schriftvergleichung dahin abgeben müsse, daß nur Frau Hesse den Brief geschrieben haben könne. Dieweil nun die Handlungsweise der Angeklagten eine allgemein gefährliche und bei­spiellos freche gewesen sei, so habe der Gerichts­hof unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils für Recht erkannt, daß die Strafe gegen die Angeklagte auf 3 Monate Gefängnis zu erhöhen sei.

Mutmaßliches Wetter am 29. und 30. Juni.

Die Wetterlage hat seit gestern sich insofern er­heblich gebessert, als durch einen neuen Hochdruck von 765 mm der von Island gegen Nordschottland heran­rückt, die Depression über Westirland, sowie über dem biskayschen Golf völlig aufgelöst wurde. Irgend eine Depression ist zur Zeit in ganz Europa nicht bemerk­bar. Bei andauernd östlichen bis nordöstlichen Winden wird sich das trockene und heitere Wetter bei weiterhin steigender Temperatur auch am Sonntag und Montag no ch iortsetz en. _

NMk NichrWe«». Telegramme.

Kiel, 27. Juni. Der Kaiser besichtigte gestern vormittag die Krupp schen Werke. Zur Abendtafel war der preußische Gesandte in Karlsruhe, Vizeadmiral si la, suite; der Marine v. Eisendecher, geladen. Heute vormittag ver­weilte das Kaiserpaar an Bord der DachtMeteor" Am Nachmittag gedenkt der Kaiser an Bord' dieser Dacht bei der Regatta mitzusegeln. Bei der heutigen Segelwettfahrt des kaiserlichen Jachtklubs starteten über 40 Fahrzeuge, da­runter in der ersten Abteilung, große Kreuzer­yachten, sämtliche acht gemeldeten Boole. Die DachtMeteor" mit dem Kaiser an Bord pas­sierte als erste die Startlinie, Win- HO; für Segler günstig.

Cuxhafen, 27. Juni. Vor dem hiesigen Amtsgericht fand heute die Verhandlung gegen den Kapitän des englischen DampfersFirsby" statt, der am 24. Juni das Torpedoboot8 42." überrannt hatte. Der Kapitän wurde freigesprochen und der Dampfer setzte seine Reise fort.

London, 27. Juni. (1 '/s2 Uhr nachts.) König Eduard verbrachte den Tag recht gut bei aufrechterhaltenem Kräftezustand. Das Ver­langen nach Nahrung, die sorgsam verabreicht wird, kehrt wieder. In der Wunde machte sich neuerdings etwas Schmerz bemerkbar.

London, 27. Juni. Von nichtamtlicher Seite wird gemeldet, daß die im letzten Kranken­bericht erwähnte Wiederkehr der Schmerzen beim König zuerst von einer gewissen Unruhe begleitet war, daß aber eine Besserung erfolgte, und dn König eine ziemlich gute Nacht verbrachte.

London, 27. Juni. Der Krankheitsbericht von nachmittags 2 Uhr besagt: Der König ver­brachte den Nachmittag gut. Alle Symptome sind heute bis zu dieser Stunde zufriedenstellend. Die Temperatur ist normal. Die Temperatur­angaben in den Berichten werden von nun an nur erwähnt werden, wenn bedeutende Schwank­ungen eintreten.

London, 27. Juni. In der heutigen Sitz­ung des Unterhauses teilte Balfour um 5^/- Uhr unter dem lebhaftem Beifall des Hauses mit, daß nach einer telephonischen Mitteilung aus dem Buckinghampalast die Besserung des Königs in befriedigender Weise fortschreite.

Watford (Hertfordshire), 27. Juni. Hier entstanden gestern abend große Unruhen infolge der Verschiebung der Krönungsfeier. Das Volk warf die Fenster ein, zerstörte einen Laden, plünderte andere und steckte den Laden des Vor­sitzenden des Stadtrats in Brand. Eine große Anzahl Polizisten unterdrückte die Unruhen.

Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.

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