Tübingen, 22. Juni. Nach altgermanischer Weise ehrte gestern abend, am Tag der Sommer­sonnenwende, die hiesige Studentenschaft das Andenken an den großen Kanzler, den Fürsten Bismarck, durch einen solennen Fackelzug zum Bismarckstein auf dem Osterberg neben dem Kaiser Wilhelmsturm. Einen prächtigen Anblick bot der Zug, der sich wie eine Feuerschlange den Osterberg Hinaufwand. Dazu erstrahlte der bengalisch beleuchtete Turm in rotem Lichte hinauf in den klaren Nachthimmel der mond­beschienenen Landschaft. Nachdem am Bismarck­stein die Huldigung dargebracht war, wurde der Rückmarsch zum Ühlanddenkmal angetreten, wo die Fackeln zusammengeworfen wurden.

Schramberg, 20. Juni. Polizeiamtmann Harrer in Reutlingen hat den Antrag seines Wahlkomites, bei der Neuwahl eines Stadtschult­heißen trotz der Angriffe von gegnerischer Seite nochmals als Bewerber aufzutreten, in bejahendem Sinn beantwortet. Gleichzeitig dankte Harrer für das in dem Antrag zum Ausdruck kommende dauernde Vertrauen.

Wochenbericht der Zentralvermittlungsstelle sür Obstverwertung in Stuttgart vom 2l. Juni An­gebote liegen bei uns vor: in Kirschen aus Aickel- berg O.A. Schorndorf, 4000 Ztr. schöne gesunde Ware, aus Stetten im Remsthal, Frühkirschen braune la, in Walderdbeeren täglich 56 kg aus Kißlegq i. Allgäu, in Stachelbeeren grün (ca. 6 Zlr.) lieferbar Ende Juni, aus Tettnang. Nachfragen liegen vor: in Kirschen schwarze zum Einmachen in Stachelbeeren grün (2 bis 5 Ztr.) Die Vermittlung geschieht unentgeltlich. Vor­schriften und Formulare sind sofort und franko erhält­lich. Marktbericht der Zentralvermittlungsstelle für Obstverwertung in Stuttgart: Engros-Markt bei der Markthalle am 21. Juni: Kirschen 1225 «j, Prest- Imge 3060 «l, Stachelbeeren grün 15 ^ per Pfund. Zufuhr genügend, Verkauf lebhaft. Berlin: Engros- Markt in den Zentralmarkthallen am20. Jum: Kirschen, Heidelberger 35 Gubener 1525 Stachelbeeren 1525 per Pfund. Zufuhr ausreichend, Geschäft lebhaft.

Ausland.

Zur Teilnahme an der Flottenschau, die gelegentlich der Krönung des Königs Eduard von England in Spithead stattfinden wird, ist das deutsche LinienschiffKaiser Friedrich III." am Freitag Vormittag mit dem Prinzen Heinrich nebst Gefolge und den Offizieren des Geschwader­stabes durch den Nord-Ostsee-Kanal abgegangen.

London, 21. Juni. Der Hof legt aus Anlaß des Hinscheidens des Königs Albert von Sachsen drei Wochen Trauer an; während der Krönungsfeierlichkeiten wird (wie in solchen Fällen üblich) die Trauer abgelegt.

London, 21. Juni. Lord Kitchener reist am Montag von Kapstadt nach England ab.

Dublin, 16. Juni. Während des Besuches des deutschen Geschwaders in den irischen Gewässern schrieb ein irisches Blatt überdas hungrige Aussehen der deutschen Matrosen," die während des Aufenthaltes des Prinzen Heinrich in Dublin der Landeshauptstadt einen Besuch abstatteten. Die deutschen Blaujacken, die bekanntlich weit besser und reichlicher verpflegt werden als ihre britischen Kameraden, fühlten sich durch diese Bemerkung beleidigt und sandten Photographien derhalb verhungerten" Mannschaften mit höflicher Empfehlung an den Herausgeber der Zeitung, mit der Einladung, Gegenstücke unter den britischen Blaujacken aufzuweisen.

New Aork, 20. Juni. Ein bewaffneter Volkshanfe drang in eine Kohlengrube in der Nähe von Williamstown (West-Virginia) ein, um die Arbeiter zu veranlassen, die Arbeit ein­zustellen. Als die Arbeiter dies verweigerten, schleuderte der Volkshaufe Dynamit in die Kohlen­grube. Es entstand eine Schlagentzündung, bei der fünf Mann getötet wurden. Als die Üeber- lebenden aus der Grube herausgehen wollten, gaben die Ausständigen Schüsse auf sie ab und verletzten viele.

Unterhaltender Teil.

Um einen Widder.

Novelle von Karl Bienen st ein.

8 (Nachdruck verboten.)

Beim Frühstück sagte eine Magd, daß der Tom noch gestern abend nach Hemmelsdorf zu einer Hochzeit gegangen sei.

Der Hofstetter bebte vor Zorn, aber er ließ den andern nichts merken. Die Bäuerin konnte sich freilich eines derben Schimpfwortes nicht enthalten.

Hernach ging es an die Arbeit. Obwohl der Hof­stetter mit doppeltem Fleiß mähte, konnte er doch nicht soviel leisten, daß die andern mit dem Aufheben, Band­machen und Binden vollauf beschäftigt gewesen wären und er mußte sehen, wie bald das eine, bald das andere unthätig dastand.

Um 6 Uhr kam die Bäuerin mit der ersten Jause, Most und Brot und die Schnitter ließen sich behaglich aus die Garben nieder.

Die Sonne stand schon hoch über den grünen Wäldern; es war so ruhig und still, wie an einem Sonntagsmorgen. Ein leichter Wind säuselte ab und zu in den Kronen der Obstbäume und einmal war es, es klänge ferne Musik auf.

Jetzt läßt sich der Toni Heimblasen," meinte lächelnd ein Schnitter. Alle lachten, nur der Hofstetter warf einen wütenden Blick auf den Sprecher.

Und wieder ging es an die Arber.

Der Hofstetter arbeitete, daß ihm der Schweiß in brennenden Bächlein über den ganzen Leib rann. Nur wenn er die Sense wetzen mußte, hielt er still und dann schaute er wohl auch ein bischen nach dem Toni aus Aber vergebens.

Gegen 10 Uhr kam die Bäuerin mit der zweiten Jauie. Sie lief mehr als sie ging und schon aus einer Entfernung rief sie ihrem Manne zu:Jetzt ist er endlich daheim, der Haderlump'!"

Der Toni?" fragte der Hofstetter.

Die Bäuerin nickte und schnaufte ein kurzes:Ja".

Warum kommt er denn nicht heraus?"

Weil er einen Rausch hat wie ein Haus. Jetzt liegt er drinnen und schnarcht. Wie ich ihm gesagt Hab', er soll gleich herausgehen weißt, was er ge­sagt hat? er muß sich zuerst ausschlafen, ihr werdet es ohne ihn auch verrichten. Er foppt einen, der Lump, der schlechte!"

Wortlos legte der Hofstetter die Sense nieder und ging nach Hause. Er ward fest entschlossen, heute mit dem Knecht ein Ende zu machen. So konnte es doch unmöglich länger fortgehen. Toni mußte aus dem Hause, mochte es gehen wie immer. Gewiß es würde mit der Wirtschaft wieder besser gehen. Er würde wieder froh und heiter sein und der Dienstbotenwechsel würde aufhören. Der Hofstetter erkannte plötzlich deutlich und klar, daß es nur seine Schuld gewesen sei, wenn seit längerer Zeit alles so merklich abwärts ging.

Aber das Geheimnis? Pah! Toni war selbst schuloig und ein paar Zehner würden ihn weiter ichon schweigen machen. Aber nur fort, fort mit ihm, um jeden Preis.

Als der Hofstetter in den Stall trat, sah er Toni ungezogen in seinem Bette schlafen. Er blieb eine Weile vor ihm stehen und betrachtete ihn mit von Haß erfülltem Auge. Dann packte er den Schlafen­den an der Schulter, rüttelte ihn tüchtig und schrie: Stehst nicht gleich auf!"

Schlaftrunken hob sich Toni etwas empor und machte vergebliche Versuche die Augenlider aufzujchlagen.

Laßt mich schlafen!" lallte er und sank wieder zurück.

Aufstehst, sonst werf' ich Dich heraus!" schrie der Hofstetter wieder. Der Knecht richtete sich diesmal empor und auch seine Augen brachte er auf. Ent­weder bemerkte er es aber nicht, wie zornig der Bauer sei, oder es war ihm gleichgiltig, daß er gleichmütig lallte:Ich kann nicht aufstehen."Ihr werdet doch die Arbeit schon allein können, daß ich nicht überall dabei sein muß."

Nun war das Maß am Ueberlaufen.

Was foppen willst mich," brüllte der Hofstetter, augenblicklich schaust, daß Du aus meinem Haus kommst. Du hast nichts mehr zu suchen, Du Lump!"

Toni saß in seinem Bette und lachte blöd. Dann sagte er:Bauer, wir zwei bleiben beieinander. Weißt, wir haben uns schon zusammen gewöhnt, wie ein Paar Ochsen. Würde Dir leid thun um mich. Weißt, ich bin ein Lump, Du bist aber noch ein größerer.

Er lachte über seinen Witz.

Toni, Toni!" kreischte der Bauer und schlug mit voller Wucht dem Knecht die Faust ins Gesicht.

Mit einem Wutschrei sprang dieser aus und stürzte sich auf den Bauern, der aber den vcrschwärmten Burschen an der Brust faßte und aufs Bett zurückwarf, daß er mit der Stirne schwer gegen die Betikante schlug. So­fort schoß aus einer langen Wunde Blut hervor.

Wimmernd drückte Toni die Hand auf dieselbe. Dann sprang er auf und rief dem davon schreitenden Bauern nach:Das ist Dir nicht geschenkt, Hofstetter! Heut' noch geh' ich zum Hofbauern und erzähl ihm alles, alles. Das schenk ich Dir nicht, beileibe nicht!"

Thu' was Du willst!" rief der Hofstetter zurück und ging erleichtert an seine Arbeit.

Toni völlig ernüchtert, ging zum Brunnen, wusch sich die Wunde aus und nachdem er das Blut einiger­maßen gestillt hatte, band er sein rotes Sackluch da­rüber und ging geradeaus zum Hofbauern.

Dieser kam soeben neben einem hochbeladenen Erntewagen zum Mittagessen nach Hause.

Toni grüßte, worauf der Hofbauer ein Brummen hören ließ, das eine Antwort sein sollte.

Toni aber, im Gefühl, daß er dem Bauern etwas Dankenswertes zu sagen habe, trat dreist an ihn heran und sagte:Ich hätt' mit dem Hofbauern ein bis! zu reden!"

Der Angeredete blieb stehen und sagte mit einem verächtlich gehässigen Blick: Du mit mir? Das wird was Rares sein, was vom Hofstetter kommt! Was denn dann?"

Der Bauer muß nicht so grantig sein," meinte Toni, könnt' Euch vielleicht gefallen, was ich bring'. Aber mir ist's lieber, wenn wir allein sind."

Es waren nämlich indessen auch die Schnitter her- arigekommen und neugierig stehen geblieben.

Der Hosbauer wollte aber von einem Geheimnis durchaus nichts wissen.

Sag's nur, wenn's nichts schlechtes ist, können's auch die da hören!"

Was Schlechtes ist's nicht, wenigstens für Euch nicht," entgegnete Toni,ich Hab heut dem Hofstetter aufgekündigt, weil wir uns zerkriegt haben!"

Und da möchtest vielleicht gar bei mir als Knecht einstehen," höhnte der Hosbauer.Da wird nichts draus. Was einmal beim Hofstetter gewesen, hat bei mir schon ausgearbeitst"

So laß mich der Bauer doch ausreden!" sagte Toni und lächelte Pfiffig,man muß nicht gleich alles verreden! Hat der Bauer die Geschichte vom Schaf­widder schon vergessen?"

Den Hofbauern durchzuckte es glühend vom Kopf bis zu den Füßen und wie ein Wilder fuhr er auf den Knecht los:Willst mich vielleicht foppen!"

Der bewahrte aber seine Ruhe und sprach: Bei­leibe, deswegen bin ich nicht hergeiommen. Aber vom Schafwidder könnt' ich vielleicht was erzählen,

Ihr nicht wißt."

Toni hatte seine Freude daran, wie aus dem Gesicht des Bauern die Farben kamen und gingen und wie sich dessen Augen in feine einbohrten. Langsam sagte er:Was meint ihr denn, wenn der Widder in der Rasing ersoffen wär'?"

Darauf erzählte er, wie er und der Hofstetter dies bewerkstelligt Härten. Er als Knecht wäre natürlich eigentlich unschuldig. Auch vergaß er nicht, auf den falschen Eid des Hosstettcrs hinzuweisen.

«.Fortsetzung folgt.)

sPassendes Wort.) Pferdeverleiher:Wes­halb trauen Sie dem Gaule nicht?" Sonn­tagsjäger:Er guckt mich so herabwurfsvoll an!"

^Unmöglich.) A.:Was sagte Ihre Frau gestern, als Sie spät heimkamen?" B.: Nach­dem sie eine volle Stunde lang Moral gepredigt hatte, meinte sie, sie sei über mein langes Ausbleiben überhaupt ganz sprachlos!"

Mutmaßliches Wetter am 22. und 23. Juni.

(Nachdruck verboten).

Für Dienstag und Mittwoch ist zwar noch mehrfach bewölktes, aber in der Hauptsache trockenes und ziem­lich warmes Wetter in Aussicht zu nehmen.

Neueste Nachrichten u. Telegramme.

Dresden, 22. Juni. König Georg und die Königin Witwe erschienen heute vormittag 10 Uhr am Sarge des Königs Albert und ver­weilten dort längere Zeit in stiller Andacht. Im Residenzschloß wurden heute zahlreiche Prächtige Kranzspenden, Blumenarrangements u. s. w. von Fürstlichkeiten des In- und Auslandes, Korpo­rationen und Vereinen, sowie einzelnen Personen abgegeben. Seit heute mittag 1 Uhr ist die Leiche des Königs Albert in der katholischen Hof­kirche ausgestellt. Tausende und Abertausende zogen bis zum Abend an der Bahre vorüber. Vor 1 Uhr traten die Mitglieder der Stände­kammern an den offenen Sarg, der sich in erhöhter Stellung vor dem Hauptaltare befindet, umgeben von brennenden Kerzen in silbernen Kandelabern. Das Antlitz des Königs, der mit der Feld­marschalluniform mit dem grünen Bande des Hausordens der Rautenkrone bekleidet ist, zeigt einen friedlichen Ausdruck. Die Hände sind gefaltet. Ein großer Kranz der Königin Karola trägt die Inschrift: Meinem einzig geliebten Gatten. Andere herrliche Kranzspenden sind am Sarge niedergelegt.

Wien, 22. Juni. Kaiser Franz Josef ist gestern abend in Begleitung seines General- und Flügeladjutanten, Feldzeugmeister v. Balfras, zu den Beisetzungsfeierlichkeiten nach Dresden abgereist. Erzherzog Franz Ferdinand ist heute vormittag zu den Krönungsfeierlichkeiten nach London abgereist.

Berlin, 22. Juni. Bei den heutigen Rad­rennen in Friedenau bei Berlin um die Welt­meisterschaft über 100 Kilometer für Rennfahrer wurde Rvbl-München erster und Bouchours ans Paris zweiter. Ferner wurden bei dem Amateur­rennen Goernemann aus Berlin erster und Keller aus Breslau zweiter.

Hamburg, 22. Juni. An dem heutigen Rennen um den Jubiläums - Ehrenpreis und 100000 -/kl für 3 jährige Pferde (Deutsches Derby) wurde A. v. Pechys Macdonnald erster und A. v. Schmieders Debütant zweiter, Major v. Goßlers Arthur dritter.

Pretoria, 22. Juni. Die Einnahmen in Transvaal betrugen in den ersten 4 Monaten 1902 325432 Pfund Sterl. gegen 87394 Pfund Sterl. im gleichen Zeitraum des Vorjahrs.

Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.