sicheren Boden stehe und auf die sich ein Staats­wesen bei finanziell so schlechten Zeiten nicht einlassen könne. Die Ausgestaltung des Lokal­verkehrs werde eine Bevorzugung der Großstädte und eine Benachteiligung des Landes mit sich bringen. Vizepräsident Dr. v. Kiene brachte nunmehr den Antrag ein, die Regierung zu er­suchen, bis zum Eintritt des im Kommissions­antrag bezeichnten Zeitpunktes behufs Verbillig­ung des Nahverkehrs thunlichst auf allen Staats­bahnstrecken sogen. Lokalzüge mit der besonderen Fahrtaxe von 2 -ff für die 3. Wagenklasse unter entsprechender Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedürfnisse, Marktverhältnisse, der Verhältnisse der einzelnen Gegenden und Verkehrsplätze ein- zusühren. Maier-Blaubeuren sprach für die Einführung der 4. Wagenklasse. Hildenbrand (Soz.) trat in längeren Ausführungen für den Hauptantrag der Kommission ein. Die kleinen Anträge auf Ausgestaltung des Lokalverkehrs seien geeignet, die Hauptreform zu verschieben, v. Kiene und Haußmann vereinigten nunmehr die beiden Anträge auf Einführung der Lokal­züge mit 2 ff-Tarif und Abschaffung der ersten Wagenklasse. Sodann wurde die Beratung ab­gebrochen und auf morgen vertagt.

Stuttgart, 20. Juni. Die Beratung über die Tarifreform wurde in der heutigen Sitzung der Kammer der Abgeordneten zu Ende geführt. Frhr. v. Wöllwarth bekannte sich als Gegner des Kommissionsantrages und trat für den Antrag auf Vertagung der ganzen Frage ein. Dieser Antrag war inzwischen von den Abgeordneten Prälat v. Sandberger und Rembold-Gmünd gemeinsam gestellt worden. Staatsrat v. Balz hob als Regierungsvertreter in längeren Ausführungen die vorhandenen Be­denken gegen die sofortige Durchführung der Reform hervor und sprach ebenfalls für eine Vertagung, betonte jedoch, daß ein Ausbau des Nahverkehrs jetzt schon möglich sei. Vizepräsi­dent Dr. v. Kiene trat in längeren Ausführ­ungen nochmals für den von ihm in Gemein­schaft mit Haußmann-Balingen und v. Geh ge­stellten Antrag auf Ausbau des Nahverkehrs und Abschaffung der ersten Wagenklasse ein. Vogt sprach für eine Verbilligung des Tarifs und erklärte sein Einverständnis mit dem Antrag der Kommission, ebenso in längeren Aus­führungen Liesching, der sich durch den Ausdruck, daß es geradezu ein Frevel wäre, den Kommis­sionsantrag nicht anzunehmen, einen Ordnungs­ruf des Präsidenten zuzog. Inzwischen war ein Antrag auf Schluß der Debatte eingegangen, der vom Hause angenommen wurde. Die Ab­stimmung über die einzelnen Anträge war eine namentliche. Der Antrag Sandberger-Rembold- Gmünd auf Vertagung der Frage wurde mit 41 gegen 38 Stimmen abgelehnt, der Kom­missionshauptantrag mit der gleichen Stimmen­zahl angenommen. Der Antrag Kiene-Hauß- mann-Geß auf Ausbau des Nahverkehrs wurde mit 54 gegen 24 Stimmen bei einer Stimm­enthaltung genehmigt. Der Antrag auf Auf­hebung der I. Wagenklasse wurde mit 63 gegen 16 Stimmen angenommen. sEs wurde also der Kommissionsantrag angenommen für die III. Wagenklasse eine Grundtaxe von 2 .ff auf das Kilometer ins Auge zu fassen, sobald die Finanzlage den vorübergehenden Ausfall der Uebergangszeit gestatte. Ferner: auf allen Staatsbahnstrecken für Lokalzüge eine besondere Fahrtaxe von 2 -ff für die III. Wagenklasse einzuführen und für alle Züge, mit Ausnahme der dem Durchgangsverkehr dienenden Schnell­züge, die erste Wagenklasse abzuschaffen. D.R.j

Das Strafverfahren gegen die bereits acht Monate in Untersuchungshaft befindlichen Direk­toren der Heilbronner Gewerbebank ist nunmehr auch auf einen jungen Mann Namens Hofmann ausgedehnt worden, der einige Jahre als Buchhalter bei der Bank thätig gewesen ist und sich der Beihilfe zur Verschleierung schuldig gemacht haben soll. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird der Prozeß gegen die vier Ange­schuldigten den Abschluß der nächsten Schwur­gerichtssession bilden. Die umfangreiche Anklage­schrift liegt gegenwärtig der Strafkammer vor.

Ludwigsburg, 16. Juni. Gestern wurde unter großer Beteiligung eine in weiten Kreisen

der Stadt verehrte Dame zu Grabe getragen. Frau Karoline Neubert, Buchhändlerswitwe, hatte im deutsch - französischen Kriege zwei Sanitätszüge nach Frankreich mitgemacht. Mit seltener Thatkraft und unerschrockenem Mut hat sie in Frankreich den Verwundeten gedient. Auch in den hiesigen Spitälern war sie in jenen Jahren eine aufopfernde Pflegerin, wie sie vor- und nachher als eine Helferin vieler Hilfe­suchender sich bewährt hat.

Oberndorf, 20. Juni. Der vorgestrige Viehmarkt brachte den Landwirten ein ganz be­deutendes Anziehen der Viehpreise. Für Kühe wurden 480 ^ und mehr pro Stück bezahlt. Ein Paar Zugstiere kosteten 600850

Ausland.

Paris, 19. Juni. Im Senat sagte Lamar- zelle bei Beratung der Einführung der 2jährigen Dienstzeit, diese würde verhängnisvoller sein als eine verlorene Schlacht. Der militärische Geist, der so nötig sei, würde durch die 2jährige Dienst­zeit vernichtet sein. Der Kriegsminister erklärt, die französischen Geschütze seien ebenso gut wie die deutschen und der französische Soldat sei besser als der deutsche. (Beifall.) Lamarzelle beendet dann seine Rede und sagte, Frankreich könne die Ueberlegenheit der Zahl nicht haben, es müsse deshalb in der Güte der Soldaten überlegen sein. Hierauf wird die Weiter Verhandlung auf morgen vertagt.

Die Franzosen gehen jetzt in ihren nord­afrikanischen Besitzungen energisch gegen die be­rüchtigten räuberischen Wüstcnstämme der Tuaregs vor. Vom südlichen Algerien aus war der Zuavenleutnant Gottenest mit einer Abteilung eingeborener Soldaten im April gegen die Tuareg im benachbarten Teile der Sahara aufgebrochen. Ueber den Verlauf dieser Expedition liegt nun eine erste Meldung vor. Sie besagt, daß die Truppe ein Gefecht mit 1000 Tuareg hatte, in welchem 87 derselben fielen, während auf französischer Seite 3 Soldaten getötet wurden; Gottenest selbst erhielt eine leichte Verwundung.

Paris, 19. Juni. Aus Roche sur Ion wird berichtet: In der hiesigen Zweiganstalt der Bank von Frankreich wurde in der letzten Nacht die Summe von 250000 Fr. in Gold gestohlen. Von den Dieben, welche durch ein Kellerfenster eingedrungen waren, fehlt bis jetzt jede Spur.

Die Londoner Krönungsfestlichkeiten sind durch ein von derKöniglichen Asiatischen Ge­sellschaft" am Mittwoch zu Ehren der zur Krönungsfeier nach England gekommenen indi­schen Fürsten gegebenen Festmahl eingeleitet worden. Wie inzwischen noch aus London ge­meldet wird, haben die Aerzte den König in Hinblick auf die Anstrengungen, denen er sich in der Krönungswoche zu unterziehen haben wird, anempfohlen, sich zunächst der Teilnahme an allen öffentlichen Veranstaltungen zu enthalten.

London, 18. Juni. Nach einer Meldung aus Bombay zerstörte ein furchtbarer Cyklon die Stadt Karachu. Die Stadt wurde von den Wellen verschlungen, zahlreiche Einwohner sind umgekommen. Die DampferSimla,"City of Delhy" undKola" sind mit Flüchtlingen angefüllt.

Die Unionsregierung hat jetzt die Ein­ladung Kaiser Wilhelms an die amerikanischen Generäle Horbin, Dornig und Wood, den dies­jährigen deutschen Kaisermanövern beizuwohnen, in verbindlichsten Ausdrücken angenommen.

Für die Hinterbliebenen der auf der Insel Martinique Umgekommenen und die durch den schweren Vulkanausbruch des Mont Pelbe Geschädigten sind durch freiwillige Gaben nahezu 2'/2 Millionen in Frankreich gesammelt, in wel­chem Betrag freilich auch hochherzige Gaben des deutschen und russischen Kaisers, des Königs von Italien mit inbegriffen sind.

Fort de France, 19. Juni. Eine Schlammsäule, welche eine Höhe von 5 m er­reichte, wurde von dem Vulkan ausgespieen und ging über Basse Pointe nieder. 22 Häuser wurden vollständig vernichtet, der untere Teil der Ortschaft ist völlig zerstört.

Auf dem Bruderholz bei Basel sind drei Knaben von verwilderten Hunden überfallen und schrecklich zugerichtet worden. Einer wurde ge­tötet und die Leiche angefressen, einem zweiten

wurde die ganze Kopfhaut abgerissen und er wurde auch sonst schwer verletzt und nur der dritte kam mit leichten Wunden davon. Dieser Tage standen die Eigentümer dieser Hunde, eines Bernhardinerbastards und eines Wolfhundes vor dem Strafgericht wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung. Die Ver­handlung, bei der über 50 Zeugen vernommen wurden, ergab, daß die Hunde nicht gehetzt worden sind, daß sie sich einen Tag lang frei auf dem Bruderholz Herumtrieben. Der Wolfs­hund war brünstig, beide Tiere ganz ausge­hungert. Speziell von dem Wolfshund sagte der Bericht des Tierarztes, er sei verwahrlost, verwildert, abgemagert und heißhungrig gewesen Alle 4 Angeklagten wurden von den beide, Delikten freigesprochen, 2 wurden zu je zehr Franks Buße verurteilt, weil sie eine polizeilich Vorschrift verletzten, weil sie eine Polizeilich Vorschrift verletzten, indem sie ihre Hunde frei herumlaufen ließen. Der Polizeimann soll aber nach Weisung des Gerichts disziplinarische be- straft werden. Das Urteil wird von der öffent­lichen Meinung nicht günstig ausgenommen.

Mutmaßliches Wetter am 22. und 23. Juni.

Für Sonntag und Montag ist noch vorwiegend ge­witterhaft bewölktes und auch zu vereinzelten Störungen geneigtes Wetter bei ziemlich warmer Temperatllr zu erwarten.

Keuche Nachrichten u. Telegramm.

Berlin, 20. Juni. Eine Sonderausgabe des Armeeverordnungsblattes veröffentlicht einen Armeebefehl des Kaisers: Nach Gottes uner- forschlichem Ratschlüsse erfolgte das Ableben Sr. Maj. des Königs Albert von Sachsen und hat Mich aufs tiefste erschüttert. Mein Haus, Meine Armee, Unser ganzes Vaterland haben einen schweren Verlust erlitten und allerorts werden die Herzen, die eine Empfindung für Deutsch­lands Glanz und Größe haben, mit Mir iy tiefster Trauer den Heimgang dieses heldenhaften deutschen Fürsten beklagen. Mit ihm ging der letzte jener mit dem Großkreuz des eisernen Kreuzes geschmückten Heerführer dahin, die an der Spitze der deutschen Armee unter Meinem in Gott ruhenden Herrn Großvater uns unvergängliche Siegeslorbeeren erkämpften. Im Gedächtnis des Volkes wird der Held von St. Privat und Führer der Maasarmee fortleben, so lange deutsche Herzen schlagen. Schwer aber lastet in Sonder­heit auf der Armee, die mit hoher Verehrung und stolzem Vertrauen auf den bewährten und ruhmgekrönten Feldherrn blickte, das Bewußtsein seines Verlustes. Es wird ihr ein tief empfundenes Bedürfnis sein, auch die äußeren Trauerzeichen anlegen zu dürfen und bestimme Ich hiedurch 1) Sämtliche Offiziere der Armee legen 14 Tage Trauer an.

Sibyllenort, 20. Juni. Auf besonderen Befehl wohnt die gesamte Beamten- und Diener­schaft des Schlosses der Einsegnung der Leiche bei. Heute nachmittag von 34 Uhr war die Besichtigung der Leiche jedermann gestattet. Die Aufbewahrung erfolgte im Sterbezimmer des Königs.

Essen a. d. Ruhr, 20. Juni. Der Kaiser und die Kaiserin sind von Krefeld kommend heute nachmittag 1.40 Uhr in der Villa Hügel eingetroffen.

Paris, 20. Juni. Anläßlich des Todes des Königs von Sachsen übermittelte der Minister Delcassö dem deutschen Botschafter das Beileid der französischen Regierung.

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