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Aus Stadt. Bezirk und Umgebung.
Neuenbürg, 12.Okt. WegenMilch- sjjlschung hatte sich heute vor dem hiesigen Schöffengericht die Goldarbeiters Ehefrau Chr. G. von Salmbach zu verantworten. Sie hatte in mehreren Fällen die von ihr verkaufte Milch um ca. 20°/o flüssiger gemacht und erhielt Hiewegen die wohlverdiente Strafe von einer Woche Gefängnis (nebst den Kosten) zuerkannt.
Calw, 9. Oktober. Gestern abend 9 Uhr fuhren auf dem hiesigen Bahnhof zwei Rangierabteilungen zusammen, wobei ein größerer Materialschaden entstand. Verletzt wurde niemand.
Pforzheim, 9. Okt. Musik-Verein. Der hiesige Musikoerein wird seine Winter- thätigkeit mit einem großartigen Konzerte am Sonntag, den 28. Oktober, im Saalbau eröffnen. Es ist dem Vereinsvorstande gelungen, zu demselben zwei Koryphäen allerersten Ranges zu gewinnen. Es sind dieses die Königl. Preuß. Kammersängerin Frau Rosa Sucher aus Berlin und der spanische Violinspieler Herr Jean Manen. Das zweite große Konzert des Musik- Vereins unter Mitwirkung des Hoforchesters in Karlsruhe wird am Sonntag, den 25. Novbr. ebenfalls im Saalbau stattsinden. In demselben kommt das Tonwerk „Hadumoth" von der Komponistin Luise Adolpha Le Beau aus Baden zur Aufführung.
Neuenbürg, 13. Oktober. Auf den heutigen Schweinemarkt wurden 75 Stück Milchschweine zugeführt und das Paar zu 12 bis 20 Mk. verkauft. Der Handel war lebhaft.
Alten steig, 10. Okt. Die Zufuhr an Vieh auf den heutigen Markt war keine besonders große. (Der gleichzeitig stattgefundene Calwer Markt war ohne Zweifel von Einfluß auf den schwächeren Besuch.) Der Handel war im ganzen kein besonders lebhafter. Für Mastvieh fehlten auswärtige Händler ; was gehandelt wurde, war mehr ein Austausch der ansässigen Bauern unter sich. Die Preise blieben auf seitheriger Höhe.
Der Honig und seine Liebhaber!
m.
Warum will der Imker jetzt Honig verkaufen?
1) Weil er dieses Jahr eine gute Ernte gehabt hat.
2) Weil er seit 7 Jahren nur geringe oder gar keine Erträge gehabt hat und die Bienenzucht jedes Jahr Ausgaben erfordert.
3) Weil er, wie andere Leute auch Geld zum Zahlen braucht.
4) Weil er >einen Honig nicht allein essen will, sondern auch andern etwas gönnt.
o) Weil flüssiger Honig ein schöneres Ansehen hat und leichter auszufüllen ist als krystallisierter.
6) Weil jedermann sich mit Honig versehen soll, ehe die Imker ihre Vorräte ins Ausland verkaufen und dann im Winter keiner mehr zu haben ist oder nur zu sehr hohen Preisen.
?) Weil im Winter öfter Krankheiten die Bevölkerung in Stadt und Land heimsuchen — da ist es besser, man hat den Honig schon im Haus und kann ihn als vorbeugendes Schutzmittel sofort anwenden und braucht nicht lange nach Honig herumzuspringen oder ihn erst in Tluste oder in Bukacz in Galizien zu bestellen.
8) Weil die Abnehmer schon in gesunden Tagen den Honig kennen, schätzen und gebrauchen sollen, um sich gegen Krankheiten widerstandsfähiger zu machen.
9) Weil es der Honig wert ist, daß er in der Vorratskammer die erste Stelle einnimmt und nicht durch allerlei Geselz und Zuckereingemachtes — das auch viel Geld kostet — verdrängt werden soll.
l0) Weil er der Frauen und Kinder Lieblings speise ist und man deshalb nie ge- > nug Honig kaufen kann.
Auftrag der Bezirksvereine Pforzheim und Neuenbürg:
Ottenhausen, 9. Oktober 1900.
M. Bürkle, Schullehrer.
Neuenbürg, 10. Okt. Ueber ein grauenhaftes Verbrechen, begangen an zwei unschuldigen Mädchen im Alter von 7 u. 9 Jahren wird heute zu Tübingen unter Anwesenheit einer zahlreichen Zuhörerschaft zu Gericht gesessen. Männer aus dem Volk, nicht gesetzesgewandte Juristen, sind berufen, über diese schwerste aller strafbaren Uebelthaten zu richten und zu entscheiden, ob an dem Angeklagten das Bibelwort zur Wahrheit werden soll: „Wer Blut vergießt, deß Blut soll wieder vergossen werden!" Denn auf ein „Schuldig des Mords" folgt des Scharfrichters blutige Arbeit, wenn nicht des Königs Gnade eintritt. — Bald nach 9 Uhr vormittags erscheint das Gericht: der Vorsitzende Landgerichtsrat Dr. Kapff mit den Landgerichtsräten Jelin und Dr. Köhler, rechts von ihnen nimmt Oberstaatsanwalt Fetzer, links Landgerichtsschreiber Eisenbart Platz. Als Verteidiger ist von amtswegen Rechtsanwalt Dr. Göhrum bestellt. Auf Namensaufruf sind sämtliche 29 Geschworene anwesend, von denen jeweils 12 zur Besetzung des Gerichts notwendig sind, welche gezogen werden. (Nicht gezogen werden aus dem Neuenbürger Bezirk: Fabrikant Uebelen-Höfen, Kunstmüller Maier-Wildbad. abgelehnt von der Staatsanwaltschaft Kaufmann Meisel-Neuenbürg, so daß sich unter den Geschworenen vom hiesigen Bezirk noch Ludwig Jäck VI.-Conweiler befindet.) Zur Anklagebank geführt wird der 24 Jahre alte Dienstknecht Karl Anton St ein ach er von Herbertingen, OA. Saulgau, welcher seine bisherige Gleichgiltigkeit und Ruhe bewahrt. Bor Eintritt in die Verhandlungen wird die Frage erörtert, ob nicht im Interesse der Sittlichkeit die Oeffentlichkeit auszuschließen sei. Oberstaatsanwalt Fetzer ist speziell in diesem Falle für absolute Oeffentlichkeit, während das Gericht beschließt, wenigstens für die Dauer der Vernehmung des Angeklagten die Oeffentlichkeit auszuschließen und nur ausdrücklich genannten Kategorien von Personen(Geschworenen, Beamten, Professoren der Universität ec. und den Vertretern der Presse) zu gestatten, im Saale zu verbleiben. Steinacher, der sich vor mehreren Tagen auf eine Unterhaltung mit dem Zellengenossen Rupp hin geisteskrank stellte, aber in der Psychiatrischen Klinik, wo er zur Beobachtung eingeliefert war, rasch wieder gesund wurde, nachdem er mit „Elektrizität" behandelt war, ist seiner schauervollen That bis ins Kleinste geständig. Ohne jede Lücke in der Logik macht er seine Aussagen. Ein Brief von ihm an seine Mutter, der zur Verlesung gelangt, zeigt guten Stil; er war, bevor er zum Militär kam, Hütbube und in verschiedenen Stellungen als Knecht. Als Soldat diente er bessa Jnf.-Reg. Nr. 60 in Weißenburg i. Els. --^o er im zweiten Jahr Bursche bei einem H>..uptmann war. Nach seiner Entlassung im Herbst 1898 wurde er in Herbertingen wegen sogen. Rekrutenbettels Polizeilich mit einem Tag Haft gestraft, — dies ist seine einzige Vorstrafe. Während er an verschiedenen Orten Stellen innehatte, wo ihm das Zeugnis eines fleißigen Arbeiters gegeben werden mußte, war er auch als Knecht auf dem Thalhof, OA. Riedlingen neben einem Dienstknecht, welcher aussagt, Steinacher habe immer zu Boden geschaut, sei finster gewesen und habe von Händeln gesprochen und u. A. auch geäußert, „er könne einen um 1 kaput machen" , weshalb sich dieser Zeuge vor ihm in Acht nahm, da er das Gefühl gehabt habe, daß St. fähig sei, einen Menschen kaltblütig zu töten. Aehnliches bezeugen auch die folgenden Dienstherrn und Nebenknechte des Angeklagten, u. a. Rapp-Mühlacker und Schaaff- Kirnbach. Letzterer hält ihn für normal, Steinacher habe ein gutes Gedächtnis, so daß er nie etwas vergessen. Einen besonderen Wandertrieb zeigte der Angeklagte seit Anfangs dieses Jahres, wo er öfters seine Stelle wechselte, weil er „Krach" bekommen habe. Bon Kirnbach aus ging er nach einem solchen Auftritt über Sternen- fels nach Mühlacker, wo er in der Scheune seines früheren Dienstherrn Rapp in betrunkenem Zustand übernachten wollte, weshalb er daselbst in den Ortsarrest gebracht wurde und dem Polizeidiener gegenüber äußerte, „ihm sei alles eins, wenn er heute 10 Jahre Zuchthaus bekomme, so würde er sich nachher an dem nächsten Baume
aufhängen." Steinacher begab sich am 31. Juli von Mühlacker nach Pforzheim ohne Aufenthalt nach Dillweißen stein und Grunbach, wo er etwa um 5 Uhr in der Krone und im Hirsch einkehrte, um alsdann wie genügend bekannt, in westlicher Richtung gegen Engelsbrand zu marschieren, wo er zuerst einer Gruppe von Kindern und alsdann den beiden andern Kindern, Emilie Schnürle und Pauline Merkle, welche nach Heidelbeeren suchten, begegnete. Diese letzteren sollten seine Opfer werden. Die Vernehmung der Grunbacher und Engelsbrander Zeugen wickelte sich rasch ab und dem Berichterstatter mag es erlassen sein, hier wiederholt zu schildern all die Einzelheiten der schaurigen That, die wie überall, so besonders in unserer Gegend so berechtigte Aufregung verursachte, und die der Verbrecher, wie schon oben gesagt ist, mit einer geradezu verblüffenden Ruhe eingesteht. Wehmut und innige Teilnahme mußten die im Saale Anwesenden empfinden, als die Mutter Friederike und der 11jährige Bruder Friedrich Schnürle, als der Vater Merkle der so grausam ermordeten Kinder ihr Zeugnis abgeben mußten. Eine Spur von besonderer Aufregung nach der That war an dem Verbrecher nicht zu beobachten, dies wird von den folgenden Zeugen auS Engelsbrand und Neuenbürg ausdrücklich bestätigt. Ja noch mehr, der Angeklagte gibt selbst zu, daß er in der Nacht in Neuenbürg gut geschlafen und nicht mehr an die Kinder gedacht habe. Ebenso wie die Schilderung all der Einzelheiten der unmenschlichen That ist auch die des baldigen Gelingens der Festnahme u. Einlieferung des Angeklagten von keinem Interesse mehr. Als besondere Bedeutung beanspruchend ist die Aussage des Schultheißen Döser von Herbertmgen nachzutragen, des zuerst vernommenen Zeugen, der dem Angeklagten selbst kein schlechtes Zeugnis ausstellt, von der Stein- acher'schen Familie aber nichts Gutes zu berichten weiß. Der Vater, ein notorischer Schnapssäufer, starb 1883 au den Folgen einer Rauferei, die er im Gefängnis in .Saulgau mit einem Mitgefangenen hatte, der Großvater, und auch die Mutter und ein Onkel sind mehrfach vorbestraft. Den Schluß der Beweisaufnahme bildeten die Gutachten der medizinischen Sachverständigen. Oberamtsarzt Dr. Süßkind berichtet über den Leichenbefdnd, der bei beiden Kindern Erwürgung als Todesursache ergeben habe. Die Leiche der kleinen Emilie Schnürle zeigte außerdem grausige Verletzungen infolge der Vergewaltigung. Das Gutachten des Medizinalrats Dr. Oesterlen erstreckt sich hauptsächlich auf den Geisteszustand des Angeklagten, den er als auffallend intelligenten, logisch denkenden und mit vorzüglichem Gedächtnis begabten Menschen schildert. Weder geistig noch körperlich zeige er irgend welche Abnormitäten, insbesondere sei lediglich kein Anhaltspunkt vorhanden, daß der Angeklagte bei Begehung der That in seiner Willensfreiheit beschränkt gewesen sei. Eine Störung der Geistes- thätigkeit könne nicht angenommen werden. Was die angebliche Erkrankung des Angeklagten in den letzten Tagen anbelange, so sei ihm eine solche Krankheitsform, wie sie der Angeklagte gezeigt habe, nicht bekannt. Im übrigen seien dieVerhältnisse im Tübinger Untersuchungsgefängnis derart, daß es dem Arzte sehr schwer falle, einen Simulanten zu beobachten. Er habe ihn deshalb in die psychiatrische Klinik überwiesen. — Professor Dr. Siemerling, der Vorstand der Psychiatrischen Klinik, schließt sich in der Hauptsache dem Gutachten seines Vorredners an. Für einen pathologischen Rauschzustand, in dem sich der Angeklagte etwa befunden haben könne, liege kein Anhaltspunkt vor. Was die vor einigen Tagen gemeldete seltsame Erkrankung des Angeklagten anbelange, so sei der Beweis, daß hier thatsächlich Verstellung Vorgelegen habe, überaus schwierig. Der Angeklagte habe, nachdem man ihn mit Elektrizität behandelt hatte, keinerlei Krankheitserscheinungen mehr gezeigt. Simulanten lassen sonst viel größere Schmerzen über sich ergehen. Eine Entscheidung sei also nicht leicht. Aber selbst für den Fall, daß der Angeklagte nicht simuliert habe, könne seine Erkrankung für die Beurteilung der Vorgänge am 31. Juli nicht in Frage kommen. — An die Geschworenen wurden vier Fragen gerichtet, näm»