590
„Donnerwetter, das war gewagt!" meinte der Sägemüller.
„Mein lieber Heinrich, wenn man einmal A gesagt hat, so muß man auch B sagen. In so gefährlicher Lage, wie die unsrige, darf man vor einem Wagnis nicht zurückschrecken. Du würdest vielleicht eine Gänseh'aut bekommen, wenn Du wüßtest, aus welche Karte ich mein Spiel gesetzt hatte, als ich den Kampf um die große Erbschaft aufnahm. Konstanz« Herbronn brauchte nur ein einziges Wort auszusprechen - und ich war verloren."
„Was für ein Wort, Tante? Was für ein Wort?"
„Rege Dich nicht auf, Heinrich; sei zufrieden, daß sie das Wort nicht aussprach und nie aussprechen wird, und daß ich Dich nicht mit einem Geheimnis belastete, welches Dir schlaflose Nächte bereitet haben würde."
„Ich will es aber wissen," sagte der Müller finster und herrisch.
„Wenn Du darauf bestehst." erwiderte die Tante etwas eingeschüchtert, „so sollst Du es erfahren, aber erst, wenn alles glücklich abgelaufen ist. Jetzt höre weiter. Daß ich in der Photographie, die mir Allram zeigte, meinen vorgeblichen Ehegemahl erkannte, scheint ihn hauptsächlich bestimmt zu haben, mir seine Zusage zu geben. Vielleicht habe ich dem Geheimnisvollen im Lindenhofe da etwas eingebrockt, aber wer er auch sein mag, — von Allram wird ihm nichts geschehen." Sie begleitete die letzten Worte mit einem boshaftem Lachen.
„Der Detektiv kommt also?" frug der Müller.
„Heute Nacht elf Uhr wird er am Fähr- hause sein und uns dort erwarten. Und merke Dirs: wenn Du mich in seiner Gegenwart an- reden solltest, so nennst Du mich Frau Baronin, denn diesen Titel mußte ich mir in der weiteren Ausschmückung meines Märchens beilegen, wie ich Dir später erzählen werde."
Der Neffe stieß zu dieser Standeserhöhung seiner Tante ein kurzes höhnisches Gelächter aus.
„Nun aber der Fährmann!" sagte die Tante, ihren Aerger über diese Geringschätzung verbeißend. „Ich war damals freilich außer mir, als ich in ihm den Neffen des verstorbenen Professors erkannte, welcher in der tiefverschleierten Dame, die er heute zum dritten Male übergesetzt hat, glücklicherweise die ehemalige Wirtschafterin seines Onkels nicht vermutet. Ich fürchtete Belästigungen und Betteleien von dem Enterbten, Wie stehst Du mit ihm? Ich muß das genau wissen."
Der Müller zuckte die Achseln und schwieg.
„Hast Du mir neulich alles über ihn gesagt? Du erzähltest, daß ihr beide den Militärdienst zu gleicher Zeit verlassen habt. Wie und wann ihr später wieder zusammengetroffen seid, darüber hast Du Dich nicht ausgesprochen. Ich erfuhr von Dir nur, daß Du Dich Jahrelang mit der Absicht getragen hast, ihm nach Amerika zu folgen, und deshalb mit ihm in Briefwechsel geblieben bist. Weil er Dir in jedem Briefe schrieb, wie glänzend es ihm dort gehe, kitzelte Dich der Ehrgeiz, Du wolltest ihm beweisen, daß Du es auch vorwärts gebracht hättest, und schriebst ihm, daß Du Mühlenbesitzer geworden seiest. Das war nicht klug von Dir, mein lieber Neffe. Aber Du begingst auch noch die Unvorsichtigkeit, ihm Deinen neuen Aufenthalt zu nennen und ihn anzuweisen, seine Briefe an Grotjan zu adressieren, das sei der Name des früheren Besitzers und unter dieser Firma ginge der Betrieb der Mühle weiter. Das sollte sich schwer rächen. Eines Tages kommt Wippach selbst, mittellos, abgerissen wie ein Landstreicher. Ob er durch Unglücksschläge Plötzlich verarmt war, oder ob er in seinen Briefen nur geprahlt hat und nun Deine günstigere Lebens- steckung für sich ausbeuten will, das muß dahingestellt bleiben. Du giebst ihm die Fährmannsstelle, und natürlich dauert es nicht lange, da hat er herausgebracht, daß Du den falschen Namen Grotjan führst. Nun wirst Du ihn nicht wieder los, kannst ihn nicht fortjagen trotz seiner gefährlichen Trunksucht, denn Deine Namensfälschung ist eine Waffe in seiner Hand."
„Gerade so, wie sie es in Deiner Hand war, verehrte Tante," warf der Neffe höhnisch ein.
„Ich will nicht mit Dir rechten, Heinrich, aber es war mehr als unvorsichtig von Dir, ihm Deinen Aufenthalt zu verraten, — diesem Menschen, welcher, weil sein Onkel mich in daS Erbe einsetzte, auf das er einst selbst Aussicht hatte, einen rötlichen Haß gegen mich hegen muß."
„Konnte ich es etwa riechen, daß Wippach von Amerika zurückkehren würde?" ergriff er jetzt das Wort, „und übrigens hat er von unserem Verwandtschaftsverhältnis trotz unserer gleichen Namen, gar keine Ahnung. Mit keinem Sterbenswörtchen habe ich ihm jemals verraten, daß die Wirtschafterin seines Onkels meine Tante ist. Meine hochachtbare Frau Tante wollte mit ihrem Neffen keine Gemeinschaft haben, weil er wegen Diebstahls schon ein Paarmal im Loch gesessen hatte, er durfte daher auch niemals wagen, das Georgische Haus durch seine Gegenwart zu entweihen."
Er sprach dies im Tone bitterer Ironie. Es hätte ihm Vergnügen gemacht, die Frau, die ganz in seine Hand gegeben war, aufs höchste zu reizen.
„Einmal habe ich, noch ehe ich Merkurbriefträger wurde, das Haus dennoch betreten," fuhr er fort, „zwar nicht durch die Thüre, sondern durchs Fenster — hähä! — durch das Korridorfenster."
„Durch das Korridorfenster?" wiederholte die Tante im höchsten Erstaunen.
„Jawohl. — Das alte kostbare Bibelbuch des Herrn Professors, — hähä! — das Wippach stahl, — das schmuggelte ich nachts durch das Korridorfenster aus dem Hause — hähä! und versilberte es in Berlin."
Die Tante war sprachlos, denn von diesem Streiche ihres Neffens hätte sie sich nichts träumen lassen.
Dieser weidete sich mit hämischem Lächeln an dem beredten Spiel ihrer Mienen, in welchem sich Schreck mit Entrüstung mischten, denn sie vergegenwärtigte sich, welcher Schimpf über sie gekommen wäre, wenn man ihn auf seinem Diebeswege ertappt und sich dann herausgestellt hätte, daß Wippachs Helfer und Hehler ihr eigener Neffe war. Aber sie besaß kein Recht mehr, ihm auch nur mit einer Silbe die Gefahr vorzuhalten, welcher er sie damals ausgesetzt hatte, und kämpfte den Aufruhr in ihrem Innern bald nieder.
„Nun," sagte sie ruhig, „Du und Wippach habt Euch jedenfalls nichts vorzuwerfen. Aber er hat einen Vorteil über Dich, und das ist Dein falscher Name. Damit kann er Dir einmal sehr gefährlich werden Doch das ist nicht das Schlimmste. Wir brauchen ihn zu unserm heutigen Vorhaben."
„Wir brauchen ihn? Kann ich das nicht allein —
„Nein, wir brauchen Deinen trunksüchtigen Fährmann, hörst Du? ich betone das Wort trunksüchtig — und wenn wir ihn gebraucht haben, dann — muß ganze Arbeit gethan werden und —"
„Der Neffe dem Onkel nachgeschickt werden," ergänzte der Müller, ihre Gedanken aus ihrem Blick erratend.
(Fortsetzung folgt).
Das „C. W." schreibt aus dem Calwer Bezirk: In einer größeren Gemeinde diesseitigen Oberamts, die wegen ihrer breiten Straßen und hohen Häuser manchmal schon „Klein-Paris" genannt worden ist, scheinen sich seit kurzem die Sitten des französischen Parlament einbürgern zu wollen. War es die große Hitze, die am Anfang letzter Woche geherrscht hatte, waren es Gegensätze von früher, kurzum zwei „Stadtväter" selbigen Orts, K. und B, gerieten in einer Sitzung derart in Harnisch, daß sie gegenseitig handgreiflich wurden, und daß bald eine regelrechte Schlägerei im Gang war, bei der beinahe der Ofen umgeworfen und das Mobilar des Ratzimmers demoliert worden wäre, wenn nicht der Vorsitzende der Rauferei dadurch ein Ende bereitet hätte, daß er dem Amtsdiener läutete, um die beiden
Kämpen trennen zu lassen. Gemeinderat H aber legte seinen Beutel auf den Beratungstisch mit der Anfrage, was denn heute der Eintritt ins Theater koste. Wie die Temperatur, so werden sich hoffentlich auch jetzt in G. die Köpfe auf dem Rathause abgekühlt haben.
Sternschnuppen. Einer der schönsten und am längsten, seit mehr als tausend Jahren bekannten periodischen Sternschnuppenschwärme' bekannt unter dem Namen Perseiden oder Laurentiusstrom, ist vom 9. bis 14. d. Mt wieder zu beobachten. Die Umlaufzeit um die Sonne beträgt ca. 108 Jahre. Das Maximum seiner Frequenz erreicht er am 10. d. M. Bemerkenswert ist der Schwarm noch dadurch, daß er wie Schiaparelli zuerst nachwies, gleich den Leoniden und Bieliden in einer eliptischen Bahn die Sonne umkreist, die mit der Bahn eines periodischen Kometen (1862 III) zusammenfällt.
(Das dritte Geschlechts „Was schreiben Sie jetzt, Fräulein Lilienstiel?" „Einen Roman." „Wie heißt er?" „Messalina." „Also historisch?" „Nein, hysterisch."
Mutmaßliches Wetter am 10. m 11. August.
l Nachdruck verboten.!
In Spanien, wie im biskayischen Gott ist der Hochdruck wieder auf 765 mm gestiegen. Derselbe dringt rasch nordostwärts vor und bringt auch den Rest der letzten Depression über Obcritalien zur Auflösung. Der letzte, nunmebr auf 750 mm abgeflackte Lustwirbel hat bereits seine Wanderung in nördliche Richtung, wie angekündigt, angetreten, indem er von der mittleren Nordsee nach Norwegen abgezogen ist. In ganz Ruß. land, ebenso in Ungarn, fast ganz Frankreich und Süd- deutschland ist das Barometer auf Mittel gestiegen. In Irland sind die Vorposten eines neuen Hochdrucks eingetroffen. Für Freitag und Samstag steht demgemäß nur noch zeitweilig bewölktes, dabei trockenes und vorwiegend heiteres Wetter bei steigender Temperatur in Aussicht.
Am 11. und 12. August.
Ueber dem südlichen Schweden und der mittleren Ostsee liegt noch eine Depression von 755 mm. Bon Norden her ist eine gleiche Depression in Irland em- getroffen. Ein Hochdruck von 765 mm bedeckt die südliche Hälfte von Frankreich, sowie fast ganz Süddeutsch- land und Oesterreich ob und unter der Enns. Für Samstag und Sonntag ist, da die Depression in Oberitalien aufgelöst ist, wärmere Temperatur, fast ausnahmslos trockenes und auch vorwiegend heiteres Wetter zu zu erwarten.
Telegramme.
Berlin, 9. Aug. Graf Waldersee mit Gemahlin ist heute nachmittag auf der Rückreise nach Hannover hier eingetroffen. Die Reise des Grafen nach China erfolgt dem Vernehmen nach am 21. oder 22. August vis. Genua oder Neapel.
Berlin, 9. Aug. Wolffs telegraphisches Bureau teilt mit: Der Chef des Kreuzergeschwaders, Vizeadmiral Bendemann, meldet aus Taku vom 6. ds. Mts.: Die verbündeten Truppen nahmen am 5. ds. Mts. früh die chinesische Stellung bei Peitsang. Von den deutschen Truppen hatten zwei Kompagnien unter Kapitänleutnant Philipp teilgenommen. Man beabsichtigt den sofortigen Vorstoß nach Jangtsun, um dort das Zusammenziehen der chinesischen Truppen zu verhindern.
Rom, 9. Aug. Während sich der Trauerzug zum Pantheon bewegte, kam es an drei oder vier Stellen zu einem heftigen Gedränge, wie das beim Zusammenströmen so ungeheurer Menschenmassen Wohl unvermeidlich ist. In der Via ckoi Zorponki wurden etwa 50 Personen mehr oder weniger schwer verletzt.
Rom, 9. Aug. Eine halbe Stunde bevor der Leichenzug im Pantheon eintraf, begaben sich die Königinnen Helene, Margherita und Maria Pia mit den Prinzessinnen des K. Hauses nach dem Pantheon, um der Trauerfeier beizuwohnen. Als der Erzbischof von Genua mit der gesamten Geistlichkeit sich an den Katafalk begab, um die Leiche einzusegnen, verneigte er sich im Vorbeigehen vor dem König und der Königin. Die kirchliche Feier trug einen majestätischen Charakter.
Rom, 9. Aug. Der Papst empfing heute Nachmittag Uhr den Prinzen Heinrich von Preußen, der von dem preußischen Gesandten Freiherrn v. Notenhan begleitet war. Später besuchte der Prinz den päpstlichen Staatssekretär Rampolla.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Me eh in Neuenbürg.