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Nach und nach ist nun doch die Gefahr des kleinen Krieges im Rücken der englischen Hauptarmee derart angewachsen, daß Feldmarschall Roberts sich mit aller Macht zunächst der Sicherung seiner rückwärtigen Verbindungen im Oranjefreistaat zuwenden mußte. Durch die aufgewandten Mittel ist ihm freilich eine vollständige Sicherung noch nicht gelungen, im Gegenteil erkennen die Engländer die Schwierigkeit der Besetzung des zwar durchschrittenen, aber noch nicht eroberten Gebietes immer mehr. Dennoch haben sie den Erfolg zu verzeichnen, daß nun tatsächlich Transvaal vom Oranje- Freistaat getrennt ist; die nächste Aufgabe soll die Vernichtung der Streitkräfte unter de Wet sein. Krüger hat wohl erkannt, daß er im kleinen Kriege viel weiter kommt, und seine an sich geringen Streitkräfte erleiden viel geringere Verluste, während sie den Engländern nach mancherlei Richtung schaden. Es giebt nun immer noch so zu sagen zwei Kriegstheater, eines nördlich und eines südlich des Vaalslusses, an beiden Orten ist der Präsident des Staates, im Norden Krüger, im Süden Steijn, zugleich die Seele des Widerstandes. Wann der Krieg ein Ende nehmen wird? Wer vermag das zu sagen! Am Ende wird es nur zu einem Waffenstillstand kommen, oder doch zu einem bewaffneten Frieden, der dauernd eine englische Armee in Südafrika erfordert. Seine Nachwirkung hat dieser Aufwand an Menschen Geld und anderm Material in England schon jetzt nach mancherlei Gesichtspunkten ausgeübt und nicht zum mindesten auch bezüglich der Weltmachtstellung Englands.
London, 13. Juli. Lord Roberts telegraphiert vom 12. ds.: „Bedauere, melden zu müssen, daß es den Buren gelungen ist, sich Nitralsek, 18 Meilen von Prätoria, zu bemächtigen. Die Buren nahmen zwei Geschütze und machten eine große Anzahl Gefangene. Die Verlustliste liegt noch nicht vor, jedoch scheinen die Verluste bedeutende zu sein.
Zlnteryattender Teil.
Die Irre von Sankt Rochus.
Kriminalroman von Gustav Höcker.
(Nachdruck verboten.'!
(Fortsetzung.'!
Als Allram allein war, ging er in seinem Zimmer auf und ab, die Hände auf dem Rücken. Als Detektiv war er durch strenge Selbsterziehung dahin gelangt, daß selbst seine Gewohnheiten auf seinen Beruf zugeschnitten waren, und daß er sich von jeder Gewohnheit freihielt, die ihm darin hätte schaden können. Daher führte er auch nie laute Selbstgespräche. Hätte er aber in einem solchen die Gedanken, die ihn bei seinem Spaziergange durch das Zimmer beschäftigten, in Worten ausgedrückt, so würden diese etwa so gelautet haben: „Kuriose Geschichte das! Ein junger Irrenarzt verliebt sich in seine Patientin, die in geistig gestörtem Zustande einen scheußlichen Mord begangen haben soll. Ich soll nun diesen Mord von ihr nehmen. Eine verdammt harte Nuß zum Knacken. Aber Wenns gelänge, so machte ich das Pärchen damit hundertmal glücklicher, als die hundert Gläubiger des sauberen Herrn Sebastian Sexauer, wenn ich ihnen den Kerl mit sämtlichen mitgenommenen Geldern zur Stelle schaffte."
Das war nämlich jener Fall, dessen Ueber- nahme Titus Allram bereits halb und halb zugesagt hatte. Sebastian Sexauer, der Inhaber eines Bankgeschäfts, hatte einen glänzenden Bankerott gemacht und sollte dabei ein Paar hunderttausend Mark bei Seite geschafft haben. Es war ihm gelungen, aus der Untersuchungshaft zu entkommen. Nach allen Haupthäfen waren telegraphische Weisungen zu seiner Verhaftung ergangen, aber ohne Erfolg, trotzdem er an gewissen äußeren Merkmalen leicht kenntlich war. Nun wollte man ihn in Kairo gesehen haben; so ging das allgemeine Gerücht, dessen erkunft niemand Nachweisen konnte. Mehrere eschäftsfirmen, welche bei dem Bankerott große
Verluste erlitten, hatten sich an Herrn Titus Allram gewendet. Er sollte nach Kairo reisen und von dort aus die Spur des Flüchtlings weiter verfolgen. Schon oft hatte sich in der Lösung derartiger Aufgaben sein außerordentlicher Spürsinn erprobt. Da er jedoch an das unverbürgte Gerücht, welches den Durchgänger in Kairo auftauchen ließ, nicht recht glaubte, sondern eher vermutete, es sei von unbekannten Freunden des Bankerotteurs ausgesprengt worden, um die Verfolgung irrezuleiten, so hatte er noch keine feste Zusage gegeben. Nun war er vor die Wahl gestellt, seine Dienste entweder den Gläubigern Sexauers oder dem Doktor Gerth zu widmen. Der letztere Fall schien fast hoffnungslos; aber der junge Irrenarzt aus St. Rochus hatte Allrams Sympathie und Teilnahme erweckt, und der Detektiv besaß eine schwache Seite: er hatte nämlich ein Herz. . . .
Im Parterre eines Hinterhauses, welches in einem großen Hofe lag, befand sich eine Werkstatt. Das daraus hervordringende Geräusch von Säge und Hobel ließ auf eine Tischlerei schließen. Aber es war eine viel vornehmere Arbeit, welche die genannten Werkzeuge hier verrichteten, und nur für vornehme Leute waren die Erzeugnisse dieser Werkstatt bestimmt, welche sich auf einem Schilde über der Thür als die „Parkettfußbodenfabrik von Karl Thorbeck" ankündigte.
Aus der Hausflur führt eine dunkle Holztreppe nach dem ersten Stock, und aus der hier gelegenen kleinen Wohnung hörte man eines Nachmittags die empfindsamen, sentimentalen Töne einer Zither. Der Spieler war noch sehr ungeübt, machte oft eine längere Pause von einer Note zur anderen und griff zuweilen auch falsch, so daß es für einen Zuhörer nicht ganz leicht gewesen wäre, die Melodie des schönen Liedes: „Steh' ich in finstrer Mitternacht" herauszufinden.
Die Person, von welcher diese musikalische Leistung ausging, war weiblichen Geschlechts und von imposanter Rundung der Körperformen, deren Krönung ein Gesicht bildete, welches von Gesundheit nicht nur strotzte, sondern auch glänzte. Dem Leser haben wir sie bereits als „Professors dicke Rest" vorzustellen Gelegenheit gehabt, in der Litteratur des Prozesses Georgi fungierte sie unter dem korrekteren Namen Therese Zeidler; seitdem aber war Frau Thorbeck aus ihr geworden, und wenn es ihrer angeborenen Bescheidenheit nicht zuwider gewesen wäre, so hätte sie sich eine Fabrikantengattin nennen können.
Mitten in ihrer musikalischen Beschäftigung wurde sie ein paar mal unterbrochen. Erst kam ein Geselle aus der Werkstatt, der um eine neue Frottierbürste bat, und da die Frau Meisterin, welche diese und ähnliche Bedarfsartikel in einem großen Schranke unter Verschluß hatte, hierüber etwas ungehalten war, weil dies heute bereits die dritte Bürste war, die sie herausgeben mußte, so schickten die Gesellen das nächste mal als Kugelfang den Lehrling, mit dem noch bedenklicheren Ersuchen um frisches Wachs.
„Schon wieder das Wachs alle!" eiferte Frau Thorbeck, einen Wachsblock aus dem Schranke hervorholend, „bald eine neue Bürste, bald neues Wachs! So gehts heute nun den ganzen Tag. Aber ich kenne das schon, wenn mein Mann nicht da ist, wird allerlei gebraucht, weil ichs nicht kontrollieren kann. Was man da für einen Aerger hat, das glaubt niemand!"
Kaum hatte sie wieder in die Saiten ihrer Zither gegriffen und ein neues Stück begonnen — diesmal: „Der Mensch soll nicht stolz sein auf Gut und auf Ehr'" — als abermals Schritte die Holzstiege heraufkamen. Frau Thorbeck machte sich darauf gefaßt, daß auch das Terpentinöl alle geworden sei, aber der Eintretende war ein fein gekleideter Herr.
„Mein Mann ist nicht zu Hause," empfing die junge Frau den Besuch nach vorhergegangener gegenseitiger Begrüßung, „aber wenn Sie eine Geschäftssache mit ihm haben, kann ich vielleicht ebenso gut Auskunft geben."
Der Herr sah der jungen Frau lächelnd ins Gesicht und sagte in einem schelmisch-feier
lichem Tone: Ist Ihnen vielleicht die lateinische Bibelausgabe von Robertus Stephanus aus dem Jahre 1532 bekannt? Ein sehr kostbares Buch und sehr selten!"
Frau Thorbeck riß bei dieser höchst merkwürdigen Anrede die Augen weit auf und warf einen Blick im Zimmer umher, als suche sie nach einem Gegenstände, der ihr gegen einen entsprungenen Tollhäusler als Verteidigungsmittel dienen könnte. Plötzlich ging ihr jedoch ein Licht auf; die eben vernommenen Worte ! weckten eine alte Erinnerung in ihr, und mit dem freudigen Rufe: „Ei, Herr Allram! mein > lieber Herr Allram; jetzt erkenne ich Sie eist!" ergriff sie dessen beide Hände. „Ach Gott, ja! die uralte, kostbare Bibel!"
„Die dem Herrn Professor Georgi aus seiner Altertumssammlung entwendet worden war," ergänzte jovial der Detektiv.
„Und auf mich fiel der Verdacht!" nickte Therese, beide Hände an ihr Herz Pressend, als erneuerten sich alle die Aengste und Schrecken, welche sie damals ausgestanden hatte. „O Gott! Herr Allram, liebster, bester Herr Allram, Ihnen danke ich, daß ich meinen ehrlichen Namen behalten habe, Was wäre mit mir geschehen, hätten Sie nicht den Dieb ermittelt! Gerechter Himmel! Das hätte sich ja kein Mensch träumen > lassen, daß der Neffe des Herrn Professors selbst —" ^
„Die unschätzbare Bibel verklopft hatte. ' Wie hieß doch dieser vielversprechende junge Mann?"
„Wippach hieß er, Alfred Wippach," antwortete Therese, und mit großer Lebhaftigkeit fügte sie hinzu: „Und denken Sie nur, letzthin i bin ich ihm begegnet!"
„Herrn Alfred Wippach sind Sie begegnet? Nicht möglich! Sein Onkel schickte ihn ja damals schleunigst nach Amerika."
„Er ist aber wieder da," versicherte die junge Frau. „Aber bitte, bester Herr Allram, setzen Sie sich doch," bat sie, ihren Gast nach dem Sofa führend und an seiner Seite Platz ! nehmend. „Und wie haben Sie mich denn nur aufgefunden? Zwar was frage ich da erst!
Dem Herrn Allram stehen alle Wege offen." !
(Fortsetzung folgt). ;
Mutmaßliches Wetter am 15. und 16. Juli.
(Nachdruck verboten.!
Im Nordwesten von Großbritannien liegt noch immer eine Depression von 755 min, welche Großbritannien und die ganze Nordsee, das nördliche Frankreich mit Belgien und Holland beherrscht. Ein sehr schwacher Hochdruck liegt noch über Finnland, Skandinavien, Dänemark dem Deutschen Reiche mit Ausnahme der westlichen Provinzen, und Südfrankreich. In den östlichsten Teilen von Ungarn, Rumänien u. s. w. behauptet sich noch eine Depression von 755 mm. Für Sonntag und Montag ist angesichts der ziemlich beträchtlichen Feuchtigkeit der Lust neben teilweise heiterem auch gewitterhast bewölktes Wetter und Neigung zu vereinzelten Entladungen in Aussicht zu nehmen.
Telegramme.
Berlin, 13. Juli. Die „Deutsche Zeitung" meldet aus Jnterlaken, daß dort der General L la 8uite weiland Kaiser Wilhelm I., General der Kavallerie z. D. Graf Schliffen der ältere Bruder des Chef des Generalstabes der Armee, in der letzten Nacht gestorben ist.
London, 13. Juli. Die Abendblätter melden, heute Vormittag sei hier ein amtliches Telegramm aus Peking eingetroffen, nach dem sämtliche Fremde in Peking am 6. ermordet worden seien. Aus diesem Anlaß fragte das Reutersche Bureau im Auswärtigen Amt an, worauf geantwortet wurde, im Auswärtigen Amt sei nichts davon bekannt.
Canton, 13. Juli. Li-Hung-Tschang hat nunmehr, wie „Daily Telegraph" meldet, beschlossenen Canton zubleiben. Das amerikanische Kanonenboot, auf dem er nach Peking fahren sollte, fährt morgen ohne ihn ab.
(«rieft, d. R. II. Al. 7one»., Ssellneouet. 8di«sir.) Den Barbetrag haben Sie ja nach Oberndorf a. Neckar, nicht an uns überwiesen. Wir aber haben die seit 1. ds. Mts. erschienenen Bl. prompt übersandt und ersuchen nun um den bekannten Abonn.- Betrag.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Me eh in Neuenbürg.