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nicht von jeder Schuld freigesprochen werden. Die Regierung hat beschlossen, die Streitkräfte nach China sofort auf 23 000 Mann und 5000 Pferde zu bringen. Eine Anzahl verwundeter Deutscher und Engländer sind hier eingetroffen.
Pretoria, 9. Juli. (Reutermeldung.) General Buller ist nach einer Besprechung mit Lord Roberts wieder abgereist.
Aus dem südafrikanischen Kriegsschauplätze ist endlich die Verbindung der Bullerschen Armee mit dem englischen Hauptheer unter Feldmarschall Roberts gelungen, am Sonnabend traf General Buller bei Roberts in Pretoria ein. General Barbant besetzte Doorn- berg zwischen Senekal und Winburg. Doch lassen es die Buren auch jetzt noch nicht an erneuerten energischen Vorstößen fehlen. General Limmer unternahm einen Angriff auf die englische Garnison Rustenburg und bei Bronkees- spruit fanden zweitägige Kämpfe der englischen Colonne unter Oberst Mähen mit 3000 die Bahn bedrohenden Buren statt, angeblich wurden dort wie hier die Buren schließlich zurück- geschlagen. Ferner liegt noch eine Meldung vorder zufolge Präsident Steijn und General Dewet mit 3000 Mann nach Furrersburg marschiert sind.
Engelberg (Schweiz), 8. Juli. Den Regentagen der letzten Wochen ist heute früh bei 2° 6. ein ausgiebiges Schneewetter gefolgt. Alles erscheint in Weiß, selbst Straßen, Bäume und Wiesen. Trotzdem sind viele Fremde (fast nur Deutsche) hier, die sich durch Spiele in geheizten Räumen die Zeit vertreiben.
Ilnteryattender Teil.
Die Irre von Sankt Rochus.
Kriminalroman von Gustav Höcker.
(Nachdruck verboten.)
(Fortsetzung.-,
Doktor Gerth hatte sich in unauskömmlichen, aber immerhin knappen Verhältnissen bewegt. Seine Mittel waren zur Vollendung seiner Studien ausreichend gewesen. Seinem Bruder würde er nie ein Opfer zugemutet haben, der Tod desselben hatte außerhalb jeder Berechnung gelegen. Nun war das unerwartete dennoch eingetreten, und die Erbschaft, welche sich Gerth in die Hand gespielt sah, hätte ihm gestattet, seinen Lieblingstraum zu verwirklichen: auf Reisen zu gehen und sich überall in der Welt umzusehen, wo es Gelegenheit gab, sich in seiner Wissenschaft, der er mit ganzer Seele ergeben war, zu vervollkommnen. Der Reiz dieses Traumes war vor Konstanze Herbronn verblaßt. Durch nichts wäre er mehr zu bewegen gewesen, Sankt Rochus zu verlassen. Cs war ihm die Welt geworden, die ganze, weite Welt.
Die Ordnung seiner Erbschafsangelegenheiten führte ihn wieder auf mehrere Tage nach der Provinzialhauptstadt. Er hatte kaum die nächsten Formalitäten erledigt, als er sich auf den Weg zu dem Rechtsanwalt machte, welcher Konstanzes Verteidigung geführt hatte.
Während er durch die Straßen ging, traf sein Auge plötzlich auf den Namen derjenigen, welche seine Gedanken eben lebhaft beschäftigte: „Konstanze Herbronn vor dem Schwurgericht. Stenographischer Bericht über den Mord- Proreß Georgi", laß er auf dem Titelblatte emik Broschüre, welche am Fenster eines Buchhändlerladens ausgestellt war.
Um den Prozeß in seinem vollen Zusammenhänge kennen zu lernen und der ganzen Verhandlung Wort für Wort zu folgen, kaufte Gerth die Broschüre und versenkte sich, in die düstere Lektüre, bis er diese zu Ende gelesen hatte.
Mit der traurigen Ueberzeugung, daß Konstanzes Verteidiger ihm weder etwas neues, noch etwas tröstliches würde sagen können, setzte er seinen Weg fort. Von welcher Seite er den Prozeß auch betrachten mochte, überall war ihm hier die Welt mit Akten und Protokollen und mit beschworenen Zeugenaussagen vernagelt.
Wiederholt hatte er in den Zeitungen von einem Detektive, namens Allram, gelesen, welcher in der Ueberlistung schwer erreichbarer Verbrecher wahre Meisterstücke geleistet hatte. Wer das
zuwege brachte, der wäre wohl auch der Mann gewesen, den wahren Urheber eines Mordes zu entdecken, welcher auf den Schultern eines jungen, zarten Mädchens ruhte. Gerth änderte nun die Richtung seines Weges und hatte die Wohnung des Detektivs bald ausfindig gemacht.
Herr Titus Allram war in früheren Jahren geheimer Kriminalkommissar gewesen. Man hatte den äußerst gewandten Mann in den Dienst der politischen Polizei stellen und nach der Reichshauptstadt versetzen wollen. Aber der Eifer, mit welchem er dem Staate diente, erstreckte sich nur auf Verbrecher, die sich gegen Leben oder Eigentum vergangen hatten; in Politischen Dingen war er sehr lieberal, und daher hatte er die ihm zugedachte Auszeichnung abgelehnt und es vorgezogen, seine Entlassung aus dem Staatsdienste zu nehmen und sich als Privatdetektiv zu etablieren, was bei seinem wohlbegründeten Rufe jedenfalls einträglicher war, als eine Beamtenbesoldung.
Ms Schrecken der Verbrecherwelt war er nie seiner Haut sicher und schon einigemale nur mit knapper Not der Rache entlassener Sträflinge entronnen, welche er seiner Zeit hinter Schloß und Riegel gebracht. Daher hatte er auch seine Wohnung in einer der belebtesten Straßen und in einem Hause gewählt, wo zu allen Tageszeiten viele Leute ein- und ausgingen, und einem revanchelüsternen Mordgesellen so leicht keine Gelegenheit geboten war, unbemerkt zu kommen und zu gehen. Im Parterre lagen die Lokalitäten eines vielbesuchten Wiener Cafö's; eine Treppe hoch befand sich ein Tag und Nacht wohlbewachtes Bankgeschäft, und diesem gerade gegenüber in demselben Stockwerk war der Eingang zu Herrn Titus Allrams bescheidener Wohnung. Er war in geheimen Missionen vielfach auf Reisen, häufig sogar im fernen Auslande, und Doktor Gerth konnte daher von Glück sagen, daß er ihn zu Hause traf.
Das Zimmer, in welchem Titus Allram den jungen Arzt empfing, war so einfach möbliert, daß es einen nichts weniger als gemütlichen Eindruck machte. Man merkte, daß der Inwohner wenig auf Häuslichkeit hielt, da er selten dazu kam, sie zu genießen, und daß er sich nicht durch eine Behaglichkeit verweichlichen wollte. Statt des Sofas diente ein mit Leder überzogener Lehnstuhl von ziemlich ehrwuchigem Alter. Auf diesem nahm Allram, wenn er jemand empfing, stets Platz, wobei sein Rücken den Fenstern zugekehrt war, sodaß sich sein Gesicht im Schatten befand, während das volle Licht auf seinen Besucher fiel. Von dem letzteren trennte ihn ein riesiger runder Tisch, welcher mit Gegenständen bedeckt war, die mit der Schmucklosigkeit des Zimmers im seltsamsten Widerspruch standen. Da bildeten Bücher, Albums, auffecht stehende Photographen, Bronzefiguren und andere kleine Luxussachen ein buntes, verwirrendes Chaos; aber sie hatten keinen anderen Zweck, als die Aufmerksamkeit von einem sechsläufigen Revolver abzulenken, welcher unter den vielen hübschen Dingen wie aus Zufall so placiert war, daß Allram ihn jeden Augenblick mit einer unmerklichen Bewegung seiner Hand ergreifen konnte.
Der Detektiv kannte den Kriminalprozeß Georgi nur sehr oberflächlich aus den Zeitungen des Auslandes, wo er sich zu jener Zeit aufgehalten hatte. Sehr wahrscheinlich stand ihm in den nächsten Tagen wieder eine weite Reise von längerer Dauer bevor. Es war daher kaum Hoffnung vorhanden, daß er der Sache, die Doktor Gerth ihm vortrng, seine Dienste leihen konnte. Doch erklärte er wenigstens seine Bereitwilligkeit, sich mit dem Prozeß näher bekannt zu machen.
„Ich habe den stenographischen Bericht über die Schwurgerichtsverhandlungen bei mir, und will Ihnen denselben zurücklafsen," sagte Gerth, die Broschüre aus der Tasche ziehend. „Wann darf ich mir erlauben, wiederzukommen?"
-Der Detektiv antwortete auf diese Frage nicht. Er nahm die Broschüre aus Gerths Hand, überschlug sie rasch von Anfang bis zu Ende, indem er die Blätter an seinem Daumen abgleiten ließ, lehnte sich in seinen alten Sessel zurück und begann von der ersten Seite an zu lesen, — als wäre sein Besucher gar nicht vor-
Redaltion, Druck und Verlag von C. Me eh in Neuenbürg.
Händen. Seine wasserblauen Augen flogen sehr schnell, aber mit gespannter Aufmerksamkeit über die Zeilen.
So verging eine geraume Zeit, denn die Broschüre war ziemlich umfangreich. Endlich legte sie der Detektiv vor sich auf den Tisch Er war zu Ende damit.
Gerths Augen hingen an dem Munde dieses Mannes. '
„Der Fall liegt verzweifelt," sagte der Detektiv.
Dann trat ein längeres Schweigen ein.
„Der Verteidiger hat zwar einige Punkte aufgegriffen, aber damit sein Arsenal vollständig erschöpft," unterbrach Allram endlich die Pause, indem er wieder nach der Broschüre griff und darin blätterte. „Punkt eins: Wie das Blut an die Hand der Angeklagten gekommen sei das ließe sich einfach damit erklären, daß diese durch , eine unwillkürliche Bewegung des Schreckens welcher sie sich selbst nicht bewußt gewesen' mit den Wunden des Erschlagenen in Berührung gekommen sein könne. Viel unerklärlicher scheine es dagegen — und das ist Punkt zwei — daß an dem Mordinstrumente selbst keine Blutspuren entdeckt werden konnten. Hätten diese sich von dem eisernen Hammerkopf auch leicht abwaschen lassen, so sei doch anzunehmen, daß, als der ganz neue, offenbar frisch aus dem Laden gekommene Hammer zu dem mörderischen Zwecke gebraucht wurde, der Stiel einige Blutspritzer davon getragen habe, die aus dem weißen Holze nicht spurlos entfernt werden konnten. Der Stiel sei ! aber glatt, rein und unversehrt gewesen. Man könne daher die Frage als eine offene betrachten, ob die That mit diesem oder mit einem anderen Hammer von gleicher Größe ausgeführt worden sei. Daß derartige Beweisstücke, wie hier der Hammer, schon vor Ausführung eines Verbrechens unter das Eigentum Unschuldiger praktiziert worden seien, um auf diese den Verdacht zn lenken, sei schon häufig dagewesen. — Das ist richtig!"
(Fortsetzung folgt). !
Mutmaßliches Wetter am 11. und 12. Juli.
l Nachdruck verboten.! !
Der von Westen her über den größten Teil des deutschen Reiches vorgedrungene Hochdruck hat den letzten Luftwirbel über Südskandinavien unter gleichzeitiger Abflachung auf 755 mm nach den ruisichen Ostseeprovinzen verdrängt, wo derselbe aus dem Weiter- marsch nach Osten vollends ausgelöst wird. Ueber Oderitalien ist das Barometer auf über Mittel gestiegen.
Für Mittwoch und Donnerstag steht bei steigender Temperatur größtenteils trockenes Wetter und zunehmende Aufheiterung in Aussicht.
Am 12. und 13. Juli.
Vom Weißen Meere her ist ein Luftwirbel von 750 mm nach der oberen Ostsee vorgedrungen und hat seinen Machtbereich bis an die Küsten der Provinzen Ost- und Westpreußen ausgedehnt. Die Vorposten einer neuen Depression mit vorläufig wenig unter Mittel sind auch von Nordwesten her in Schottland cingetrosfen.
Im südlichen England, ganz Frankreich und Sird- deutschland behauptet sich aber noch ein Hochdruck von 765 mm. In Ungarn steht das Barometer nur ca.
762 mm. Für Donnerstag und Freitag ist noch immer mehrfach bewölktes, doch nur zu vereinzelten Niederschlägen geneigtes Wetter bei milder Temperatur in Aussicht zu nehmen.
Telegramme.
Berlin, 10. Juli. Das Reichsmarineamt wies, der „Nordd. Allgem. Ztg." zufolge, die Torpedoinspektion an, die großen Torpedoboote 8 90 bis 8 94 als Depeschenboote für das Kreuzergeschwader nach China klar zu machen.
Paris, 10. Juli. Die Kammer nahm den Kredit von 4^2 Millionen Frks. für die chinesische Expedition mit 494 gegen drei Stimmen debattenlos an.
Toulon, 10. Juli. Ein Transportdampfer ging heute mittag mit 800 Mann Infanterie und Marineartillerie nach China ab.
Shanghai, 10. Juli. Das Reutersche Bureau berichtet: Meldungen aus amtlicher chinesicher Quelle zufolge hat die Kaiserin die Gewalt am 30. Juni wieder übernommen, Aunglu zum Premierminister ernannt und einen Läufer, der täglich 100 Meilen zurücklegt, nach Nanking geschickt, um den Vizekönigen der Jangtse-Provinzen für ihre Treue zu danken und ihnen zu empfehlen, die Fremden um jeden Preis zu schützen.