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„Fragen Sie, Herr Kommandant."
„Also erstens: was ist aus der Frau Marquise von Chaumont geworden?
„Sie hat sich mit ihrem Sohne und ihrer Dienerschaft geflüchtet, wie man sagt, nach Orleans hinein. Bestimmtes kann ich nicht sagen."
„Hat Ihre Truppe gestern einzelne Preußische Ulanen gesehen oder gar gefangen genommen? Sind diese tot oder lebendig in ihren Händen?"
Aus den Augen des Franzosen brach ein Strahl des Triumphes, den er sich selbst in dieser für ihn nicht sehr vorteilhaften Lage nicht versagen konnte.
„Ja, gestern frühe meldeten unsere Vorposten, daß zwei preußische Ulanen sich dem Orte Chaumont näherten. Da wir dieselben für die Spitze einer größeren Abteilung hielten, so schossen wir nicht, sondern beschlossen, abzuwarten und nach Umständen zu handeln. Die beiden Ulanen ritten in das Dorf hinein. Sie mußten bekannt darin sein, denn ohne zu fragen ritten sie vor das Haus des Mairie, worauf der eine sich aus dem Sattel schwang und eintrat. Diesen Augenblick benutzten wir, um von allen Seiten hervorzubrechen. Das Pferd, auf dem der zweite Reiter saß, stürzte, von unfern Kugeln getroffen, zusammen, der Mann hätte sich aus das andere schwingen und davon galoppieren können, aber offenbar wollte er seinen Kameraden im Hause nicht im Stiche lassen. Beide fochten tapfer und es gelang uns erst nach längerem Kampfe sie gefangen zu nehmen und samt dem einen Pferde gefangen fortzuführen."
„Wohin?"
„Zunächst in jenes Dorf da unten, in dem unsere Kompagnie die Nacht auf Wache bleiben sollte. Gegen Abend jedoch kam Befehl, die Gefangenen nach rückwärts abzuliefern."
Der Leutnant atmete hoch auf — so war also Hoffnung vorhanden.
„Waren die Gefangenen blessiert?"
„Etwas wohl, doch nicht schwer. Wenigstens konnten sie zu Fuß mit uns marschieren."
„Und welches, glauben Sie, wird der Bestimmungsort der Gefangenen gewesen sein?"
„Orleans, ohne Zweifel, mein Herr. Alle unsere Gefangenen werden nach Orleans gebracht."
„Ich darf mich auf Ihre Aussagen verlassen?"
„Aus Ehrenwort, Herr Kommandant!"
Der Leutnant lächelte ein klein wenig verächtlich. Die theatralische Bewegung, mit der der Franzose diese letzte Phrase begleitete, war charakteristisch für den Mann, wie für die ganze Gesellschaft — hohles, fades, für gewöhnlich gutmütiges und unschädliches Volk, das aber Aur Bestie wird, sobald man die Leidenschaften m ihm aufstachelt.
„Sergeant Kunze."
„Herr Leutnant!"
„Wir haben nicht einmal für uns etwas zu essen, geschweige denn für den Monsieur.
Ich denke, wir lassen ihn laufen. Was ich von ihm wissen wollte, habe ich erfahren, und ich danke Ihnen, daß Sie mir den Mann mitgebracht haben. Nun aber — was sollen wir uns mit ihm schleppen."
„Wie der Herr Leutnant befehlen."
Dem guten Kunze ging es offenbar gegen den Strich, daß er den Gefangenen, seinen Gefangenen, wieder laufen lassen sollte. Indessen — was war zu machen? So löste er denn den Strick mit dem er fürsorglich die Hände des Franzosen auf dem Rücken zusammengebunden hatte, und mit einem knurrenden „Vits vite wou8ieur!" versetzte er ihm noch einen freundschaftlichen Rippenstoß, dabei in die Dunkelheit hinauszeigend. „ Verstanden?"
Ob der Franzose verstanden hatte! Mit einem Satze war er davon, auf Nimmerwiedersehen.
Der Leutnant blickte ihm sinnend nach.
„In Orleans also. Die Stadt umschließt nur die beiden Personen, an denen ich allein von den vielen Tausenden in Frankreich einen innigen Herzensanteil nehme. Meinen guten braven Georg und ... Herr Gott, führe uns bald nach Orleans hinein!"
^Fortsetzung folgt.)
Rückblick auf die Kaifermauöver.
III.
Noch Napoleon I. betrachtete den Schwarzwald als ein Hindernis der Kriegsführung. Daß er dies in den Augen unseres Generalstabs nicht mehr war, bedarf wohl nicht der Erwähnung. Immerhin mußte die Probe einer solchen Marschleistung erst gemacht werden. Das 15. Korps hat sie glänzend bestanden.
Die zweite Ueberraschung für die Manöverleitung zeitigte der 9. September; sie war so folgenschwer, daß sie auf den ganzen Verlauf des Manövers zurückwirkte und aus diesem einen Tage ergeben sich mehr Lehren namentlich in operativer Beziehung für die Leitung und die Schiedsrichter als aus dem ganzen übrigen Manöver zusammengenommen. Die Manöverleitung erhält bekanntlich die beiderseitigen Dispositionen und hat das Recht, falls sie während der Ausführung derselben den Eindruck gewinnt, daß der Verlauf ihren Absichten nicht entspricht, einzugreifen — also z. B. eine Partei Halt machen zu lassen, während die andere fortmarschiert. Aus der Disposition war ersichtlich, daß die inneren Flügel von Blau und Rot am 9. September auf der Straße Calw-Althengstett- Weilderstadt zusammenstoßen würden. Es war aber auch zu ersehen, daß die übrigen Spitzen beider Gegner genau dieselbe Richtung nebeneinander von Nordwest nach Südost gelangten, nämlich Unterhangstett, Ottenbronn, Althengstett und Gechingen. Dieses Bild entsprach aber durchaus nicht den Absichten der Manöverleitung. Man konnte daraus vielleicht entnehmen, beide Gegner würden in die Gefahr geraten, an einander vorbei zu marschieren, wenn nicht für Blau und Rot während der Uebung dieser Umstand durch besondere Eingriffe verhütet wurde. Kamen beide Gegner aber in die angegebene Linie, so war es an sich schon schwer, vielleicht unausführbar, dem Manöver die gewünschte Richtung noch rechtzeitig zu erteilen. Nicht nur dies trat ein, sondern aus Gründen, die bis jetzt noch nicht zu übersehen sind, konnte die südlichste Kolonne von Rot in der That vor Althengstett nördlich abbiegen und an Blau unter dem Schutz eines kleinen Detachements vorbeimarschieren. Als das eingetreten war, endete der Manövertag.
Im Kriege kommt es bekanntlich häufig anders, als man es sich vorgestellt hatte. Insofern war also auch das unerwartete Geschehnis völlig kriegsgemäß. General v. Meerscheidt hatte durch vortreffliche Maßnahmen, die mit der bekannten affenähnlichen Geschwindigkeit ausgeführt wurden, die Manöveranlage faktisch umgeschmissen. Das ist in diesem Fall ein großes Lob, womit nicht gesagt sein soll, daß deshalb die Maßnahmen des Generals v. Falkenhausen durchaus tadelnswert gewesen wären. Er mußte sich fragen: wie kann das 15. Korps durch den Schwarzwald marschiert sein, d. h. auf wie viel Straßen und in welcher Richtung? Wo kann ich am besten dies marschierende Korps in der Trennung fassen? Wie weit darf ich hierbei nach Süden ausholen, ohne Gefahr zu laufen, wenn das 15. Korps versammelt betroffen wird, von meinen aus dem Norden zu erwartenden Verstärkungen (28. und 29. Division) abgeschnitten zu werden? Die amtlichen Nachrichten, die Falkenhausen hatte, machten ihm diese Entscheidung in der That schwer. Allein neben den amtlichen Mitteilungen laufen doch auch im Kriege andere her, und es ist nicht einzusehen, weshalb ihnen im Frieden weniger Bedeutung beigemessen werden sollte. Nach unseren Beobachtungen war der Marsch des 15. Korps bereits aus amtlichen Einschreibungen und privaten Mitteilungen der Presse am 7. Sept. abends mit ziemlicher Sicherheit zu übersehen; briefliche und sonstige Mitteilungen und Nachrichten werden Falkenhausen wie Offizieren seines Stabes auch zugegangen sein. Aus alledem hätte sich für Falkenhausen der Versuch ergeben sollen, weiter nördlich die getrennten Kolonnen des 15. Korps abzufangen. Seine Kavalleriedivision gehörte auf den linken, nicht auf den rechten Flügel. Seine geringere Zahl gebot Zusammenhalten seiner gesamten Streitkräfte, und das einfachste Mittel, den Gegner abzufangen, ist in solchen Lagen das geeignetste:
nämlich frontales Vorlegen in einer zweckmäßigen Stellung. Gewiß hat sich General v. Falkenhausen diese Fragen vorgelegt; allein er verlor die Partie operativ und taktisch vollständig.
Die Manöverleitung konnte sich den Folgerungen nicht entziehen. Es darf auch nur daran erinnert werden, daß am 9. September Graf Waldersee oberster Schiedsrichter war, der doch zweifellos sich zu Gunsten der Maßnahmen des Generals v. Meerscheidt ausgesprochen haben dürfte. Infolge dieses Schiedsspruchs konnten die Hebungen an der Würm keine Fortsetzung mehr finden. Es kam darauf an, den durch Rot getrennten Teilen von Blau in einer geeigneten rückwärtigen Stellung die Versammlung zu ermöglichen. Dies war die Ursache, daß am 11. September nur sogenannte Kriegsmärsche ausgeführt wurden. Nachdem man sich entschlossen hatte, den getrennten Teilen von Blau die Versammlung zu ermöglichen, mußte dies auch in kriegsmäßiger Weise geschehen. Alsdann blieb nichts übrig, als Blau einen vollen Tagemarsch zurückzunehmen und die Manöver entsprechend abzukürzen. So ist es denn gekommen, daß der beabsichtigte letzte Manövertag (14. Sept.) ausfiel, daß die Uebungen des 12. September sich in dem Raume abspielten, der für den 13. vorgesehen war, und der Zusammenstoß vom 13, in dem Raume, der ursprünglich für den 14. bestimmt war.
sVor Gericht.) „Sie haben zu Ihren Falsifikaten etwas Silber und viel Blei genommen?" — „Jawohl, Herr Präsident, ich bin Bimetallist."
Dreyfus gedenkt nunmehr seinen Namen zu ändern — und zwar in Freifus.
Mutmaßliches Wetter am 3. und 4. Oktober.
lNachdruck verboten.)
Der über Rußland liegende Hochdruck von 765 mm ist nunmehr westwärts bis in die mittlere Ostsee vorgerückt. Ueber Nordskandmavien liegt noch ein Luftwirbel von 7öS mm und von Nordwesten her ist ein Lustwirbel mit 745 mm in Wales und Cornwallis eingetroffen; letzterer wird voraussichtlich nach dem mittleren Frankreich weiter ziehen, dort aber erheblich abgeflacht und allmählich aufgelöst werden, weil auch in Italien das Barometer wieder über Mittel gestiegen ist. Für Dienstag und Mittwoch ist bei verhältnismäßig milder Temperatur vorwiegend trockenes und auch zeitweilig aufgeheitertes Wetter zu erwarten.
Telegramme.
Karlsruhe, 1. Oktober. Bei dem hier tagenden 15. deutschen Kongreß für Knaben- Handarbeit war als persönlicher Vertreter des Großherzogs Geh. Rat Sachs, als Vertreter der badischen Regierung Staatsminister Dr. Nokk anwesend. Außerdem waren viele andere Abgeordnete der badischen und württembergischen Staatsbehörden, der Provinz Westfalen und der Stadtverwaltung Karlsruhe zugegen, welche für den Kongreß Grüße und Wünsche aussprachen. Direktor Peter Jessen-Berlin sprach unter lebhaftem Beifall über die Stellung des Arbeitsunterrichts in der volkswirtschaftlichen Entwickelung des deutschen Volkes. Gaertig-Posen brachte reiches Material für die Statistik über diesen Unterricht in Deutschland. Die mit dem Kongreß verbundene Ausstellung ist mit bemerkenswerten Arbeitsstücken reich beschickt.
Wien, 2. Oktober. (Von einem Privatkorrespondenten.) DieKabinetsbildungist vollendet, die Ministerliste ist folgende: Graf Clary Vorsitz und Ackerbau, Körber Inneres, Witteck Eisenbahnen , Welsersheimb Landesverteidigung, Sektionschef Härtel Leiter des Unterrichts.
Lemberg, 1. Okt. Nach Blättermeldunaen sind in Lubaezow 360 Häuser abgebrannt, darunter befindet sich das Rathaus, die Kirche und die Schule. Der angerichtete Schaden soll nahezu 1 Million fl. betragen.
Durbau, 1. Okt. 4000 Buren sind jetzt in Volksruß und Sant Spruit versammelt; in Bostof in der Nähe von Kimberley und ebenso an der Nordwestgrenze von Natal sind große Mengen von Buren zusammengezogen. Das irische Korps geht in den ersten Tagen der nächsten Woche an die Grenze ab, um die Buren zu unterstützen.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.